Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerüstbaugewerbe – tarifliche Auskunftsverpflichtung
Leitsatz (redaktionell)
Hinweise des Senats:
Die tarifliche Auskunftsverpflichtung nach § 15 Verfahrens-TV verstößt auch nicht im Hinblick darauf gegen höherrangiges Recht, daß Mitbewerber im Vorstand der Sozialkasse Kenntnis von den mitgeteilten Daten erlangen können.
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Gerüstbaugewerbe
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 03.09.1990; Aktenzeichen 14 Sa 1451/89) |
ArbG Wiesbaden (Urteil vom 31.07.1989; Aktenzeichen 8 Ca 833/89) |
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 3. September 1990 – 14 Sa 1451/89 – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Auskunft nach Maßgabe der Sozialkassentarifverträge für das Gerüstbaugewerbe zu erteilen.
Die Klägerin ist die Sozialkasse des Gerüstbaugewerbes, ein rechtsfähiger Verein gem. § 22 BGB. Mitglieder des Vereins sind der Bundesverband Gerüstbau und die IG Bau-Steine-Erden. Gemäß § 8 Abs. 1 der Satzung besteht der Vorstand aus je vier Vertretern der Mitglieder. Zu den Mitgliedern auf Arbeitgeberseite gehören auch Gerüstbauunternehmer. Die gesetzliche Vertretung wird von dem ersten und dem zweiten Vorsitzenden, die von den Mitgliedern des Vorstandes gewählt werden, gemeinschaftlich wahrgenommen. Die Geschäftsführung ist einer Geschäftsstelle übertragen, die von zwei Geschäftsführern geleitet wird.
Die Klägerin ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Gerüstbaugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für den Sozialkassenbeitrag und den der Zusatzversorgungskasse des Gerüstbaugewerbes VVaG zustehenden Beitrag. Die Beiträge dienen zur Aufbringung der Mittel für die tarifvertraglich festgelegten Leistungen für Urlaub, Lohnausgleich, Berufsbildung und Zusatzversorgung. Die entsprechenden Tarifverträge sowie der Tarifvertrag über das Verfahren für den Urlaub, die Berufsbildung und die Zusatzversorgung im Gerüstbaugewerbe (Verfahrens-TV) sind zwischen dem Bundesverband Gerüstbau und der IG Bau-Steine-Erden abgeschlossen und für allgemeinverbindlich erklärt worden.
Der Beklagte unterhält einen Betrieb des Gerüstbaugewerbes. Er ist nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes.
Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Auskunftserteilung über die Zahl der in den Monaten März 1988 bis Dezember 1988 beschäftigten Arbeiter und Angestellten, deren Bruttolohnsumme in den einzelnen Monaten und die Höhe der zu zahlenden Beiträge sowie für den Fall der Nichterfüllung der Auskunftsverpflichtung auf Zahlung einer Entschädigung in Anspruch.
Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf § 15 des Verfahrens-TV i.d.F. vom 21. September 1987, der vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung am 19. Januar 1988 mit Wirkung ab 1. Januar 1988 (BAnz Nr. 17 v. 27. Januar 1988) für allgemeinverbindlich erklärt worden ist. Dieser hat, soweit vorliegend von Bedeutung, folgenden Wortlaut:
„§ 15
Meldung und Beitragszahlung
(1) Der Kasse ist monatlich oder vier- bzw. fünfwöchentlich (Abrechnungszeitraum) spätestens bis zum 15. des folgenden Monats auf einem von der Einzugsstelle zur Verfügung zu stellenden Formular die Bruttolohnsumme für den Abrechnungszeitraum zu melden. Auf dem Formular hat der Arbeitgeber ferner anzugeben:
- Name, Anschrift und seine Betriebskontonummer,
- den für den Abrechnungszeitraum fällig gewordenen Sozialkassenbeitrag bezüglich der gewerblichen Arbeitnehmer,
- den für den Abrechnungszeitraum fällig gewordenen Beitrag für die Zusatzversorgung der Angestellten,
- die Anzahl aller von diesem Tarifvertrag erfaßten Arbeitnehmer des Betriebes für den Abrechnungszeitraum, getrennt nach gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten.
(2) Auf besondere Anforderung der Kasse hat der Arbeitgeber auch Namen und Anschriften der im Abrechnungszeitraum beschäftigten Arbeitnehmer mitzuteilen und die Bruttolohnsumme des Abrechnungszeitraums auf die einzelnen gewerblichen Arbeitnehmer aufzuschlüsseln.
(3) Beschäftigt der Arbeitgeber im Abrechnungszeitraum keine Arbeitnehmer, so ist er verpflichtet, anstelle der Meldung auf dem Formular und innerhalb der Frist gemäß Abs. 1 Fehlanzeige zu erstatten.
(4) Das Meldeformular ist zu unterschreiben. Durch die Unterschrift bestätigt der Arbeitgeber die Vollständigkeit und Richtigkeit der Meldung.
(5) Erst mit der vollständigen und richtigen Erteilung der Auskünfte gemäß Abs. 1 bis 3 hat der Arbeitgeber seine Verpflichtung zur Beitragsmeldung erfüllt. Die wahrheitswidrige Mitteilung, daß keine Arbeitnehmer beschäftigt wurden, gilt nicht als Meldung. …”
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen,
1. der Klägerin auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft zu erteilen,
1.1 wieviel Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über die Rentenversicherung der Arbeiter (RVO) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten März bis Dezember 1988 in dem Betrieb des Beklagten beschäftigt wurden, welche Bruttolohnsumme in den Monaten insgesamt für diese Arbeitnehmer angefallen ist und wie hoch die hiernach zu zahlenden Beiträge sind,
1.2 wieviel Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des Angestelltenversicherungsgesetzes versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten in den Monaten März bis Dezember 1988 in dem Betrieb des Beklagten beschäftigt wurden und wie hoch die zu zahlenden Beiträge sind,
2. für den Fall, daß diese Auskunft nicht innerhalb einer Frist von einem Monat nach Urteilszustellung erteilt wird, an den Kläger eine Entschädigung
bezüglich Antrag 1.1 von |
18.000,00 DM |
bezüglich Antrag 1.2 von |
160,00 DM |
insgesamt |
18.160,00 DM |
zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Beklagte macht geltend, die Erteilung der Auskünfte sei für ihn nicht zumutbar, da die Gefahr bestehe, daß die Auskünfte zu Zwek,c-ken des Wettbewerbs mißbraucht würden. Die Vorstandsmitglieder N, S und Ba seien selbst Gerüstbauunternehmer. Aufgrund der tariflich geforderten Auskünfte und der von der Klägerin im Rahmen ihrer Überprüfung durchgeführten Ermittlungen erhielten sie Einblick in Daten, die ihnen Wettbewerbsvorteile verschaffen könnten. Diese Daten seien als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis nach Art. 14 GG geschützt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt der Beklagte weiterhin Klageabweisung. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben mit Recht erkannt, daß der Beklagte verpflichtet ist, die begehrten Auskünfte zu erteilen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Betrieb des Beklagten falle unter den betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages über das Verfahren für den Urlaub, den Lohnausgleich, die Berufsbildung und die Zusatzversorgung im Gerüstbaugewerbe (Verfahrens-TV). Der Beklagte sei deshalb zur Auskunftserteilung verpflichtet.
Die Auskunftsverpflichtung verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Eine Verletzung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen könne nicht angenommen werden. Mit der Auskunft werde die Mitteilung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer und die monatlich anfallende Bruttolohnsumme begehrt. Im Hinblick darauf, daß die Löhne in einem allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag festgelegt seien, könnten sich aus der Kenntnis der Zahl der Beschäftigten und der Bruttolohnsumme für einen Mitbewerber keine Kalkulationsvorteile ergeben.
II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis zuzustimmen.
1. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß der Betrieb des Beklagten als Gerüstbaubetrieb vom betrieblichen Geltungsbereich des für allgemeinverbindlich erklärten Verfahrenstarifvertrages erfaßt wird. Demgemäß ist der Beklagte zur Auskunftserteilung nach § 15 Abs. 1 Verfahrens-TV verpflichtet.
2. Zutreffend führt das Landesarbeitsgericht weiter aus, daß die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer Rechtssetzungsautonomie mit der tariflichen Bestimmung des § 15 Abs. 1 Verfahrens-TV eine eigenständige Auskunftsverpflichtung der tarifunterworfenen Arbeitgeber begründet haben (vgl. BAG Urteil vom 4. Oktober 1989, BAGE 63, 91, 96 = AP Nr. 9 zu § 61 ArbGG 1979). Deren Rechtswirksamkeit beurteilt sich also nicht nach den Voraussetzungen für einen allgemeinen Auskunftsanspruch im Rahmen eines Vertragsverhältnisses, sondern allein danach, ob die Tarifvertragsparteien den Rahmen ihres auf der Tarifautonomie beruhenden Gestaltungsspielraums überschritten haben.
3. Dies hat das Landesarbeitsgericht mit Recht verneint.
a) Der Beklagte hält die Auskunftsverpflichtung für unvereinbar mit Art. 14 GG und Art. 9 Abs. 3 GG, weil er durch die Allgemeinverbindlicherklärung des Verfahrens-TV gezwungen werde, gegenüber der Klägerin Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu offenbaren, aus denen Mitglieder des Vorstandes der Klägerin Wettbewerbsvorteile ziehen könnten.
Die Allgemeinverbindlicherklärung des Verfahrens-Tarifvertrages verstößt jedoch nicht gegen die Grundrechte des Beklagten. Wie der Senat im Urteil vom 22. September 1993 (– 10 AZR 371/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im einzelnen ausgeführt hat, verstieß die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Gerüstbaugewerbe vom 21. September 1987 nicht gegen die negative Koalitionsfreiheit von Außenseitern nach Art. 9 Abs. 3 GG.
Der Beklagte wird durch die Unterwerfung unter die Auskunftsverpflichtung auch nicht in seinem Eigentumsrecht nach Art. 14 GG verletzt. Die auf der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen beruhende Verpflichtung zur Beitragszahlung nicht tarifgebundener Arbeitgeber verletzt diese nicht in ihrem Grundrecht nach Art. 14 GG, weil das Vermögen als solches keinen verfassungsrechtlichen Schutz genießt (BAG aa0). Dies gilt auch für die Auskunftsverpflichtung, die nur ein Teil des Beitragseinzugsverfahrens ist. Die Auskunftsverpflichtung dient der Vorbereitung des Beitragseinzugs durch die gemeinsame Einrichtung. Ohne die Angaben über die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer und deren Gesamtbruttolohnsumme in den einzelnen Monaten kann der zutreffende Beitrag durch die gemeinsame Einrichtung nicht berechnet werden. Die verfassungsgemäße Einbindung von Außenseitern in das Beitragseinzugsverfahren bedingt damit auch die Verpflichtung zur Offenbarung dieser betriebsbezogenen Daten.
Zwar fallen diese Daten als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse unter das Sozialdatengeheimnis i.S.v. § 35 Abs. 1, Abs. 4 SGB I. Die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien sind jedoch hinsichtlich der Erfüllung der sich aus den entsprechenden Tarifverträgen ergebenden Aufgaben in den Bereich der sozialen Selbstverwaltung mit einbezogen (§ 69 Abs. 2 Nr. 2 SGB X). Deren Funktionsfähigkeit setzt voraus, daß durch entsprechende gesetzliche Vorschriften oder tarifliche Bestimmungen Offenbarungspflichten auch hinsichtlich objektiv schützenswerter Daten begründet werden können. Dies verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
b) Die Erfüllung der Auskunftsverpflichtung ist für den Beklagten auch nicht – wie er geltend macht – unzumutbar. Offenbarungspflichten gegenüber gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien bedingen notwendigerweise, daß die Vertretungsorgane Zugang zu den mitgeteilten Daten haben. Da die gemeinsamen Einrichtungen typischerweise einer paritätischen Aufsicht und Kontrolle unterliegen, schließt dies die Möglichkeit ein, daß auch Mitbewerber sich Kenntnis von den mitgeteilten Daten verschaffen können. Dies führt jedoch nicht dazu, daß die Erfüllung der Auskunftsverpflichtung generell unzumutbar ist.
Daher kann dahinstehen, ob sich aus der Kenntnis der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer und der monatlichen Gesamtbruttolohnsumme Wettbewerbsvorteile ergeben können. Im Hinblick auf die verfassungsgemäße Einbindung von Außenseitern in das Beitragseinzugsverfahren, die zur Erfüllung der Aufgaben der gemeinsamen Einrichtungen im Bereich der sozialen Selbstverwaltung notwendig ist, reicht die bloße Möglichkeit der Kenntniserlangung dieser Daten durch Mitbewerber nicht aus, um die Unzumutbarkeit der Erfüllung der Auskunftsverpflichtung generell zu begründen. Nur wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, daß Mitglieder der Vertretungsorgane Daten zu Wettbewerbszwecken mißbrauchen, kann sich für den betroffenen Arbeitgeber im Einzelfalle die Unzumutbarkeit der Erfüllung der tariflichen Auskunftsverpflichtung ergeben. Derartige Anhaltspunkte lassen sich dem Sachvortrag des Beklagten jedoch nicht entnehmen.
c) Soweit der Beklagte im übrigen geltend macht, daß die Klägerin bei Betriebsprüfungen Angaben über die Namen, die Anschriften und die Berufsgruppen der beschäftigten Arbeitnehmer verlange sowie Auskünfte bei den Krankenkassen und der Bundesanstalt für Arbeit einhole, unterliegt dieses Verfahren nicht einer Überprüfung im vorliegenden Rechtsstreit. Streitgegenstand ist nur die Verpflichtung zur Auskunftserteilung nach § 15 Abs. 1 Verfahrens-TV, die sich allein auf die Zahl der beschäftigten Arbeiter und Angestellten sowie jeweils deren Bruttolohnsumme insgesamt in den einzelnen Monaten des Klagezeitraums erstreckt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Harnack, Schlaefke
Fundstellen