Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. freier Arbeitsplatz. Ordentliche betriebsbedingte Kündigung wegen des Wegfalls des Arbeitsplatzes. “Unternehmerentscheidung” zur Anpassung des Personalüberhangs an gesunkenen Warenumsatz. freier anderer Arbeitsplatz: unzumutbar lange Einarbeitungszeit. Begriff der freien Stelle: unzulässige Berufung des Arbeitgebers auf im Kündigungszeitpunkt bereits wieder besetzte Stelle, falls bei Neubesetzung der Stelle der Wegfall des Arbeitsplatzes des gekündigten Arbeitnehmers schon feststand
Orientierungssatz
1. Eine ordentliche Beendigungskündigung ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgeschlossen, wenn die Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz gegebenenfalls auch zu geänderten (schlechteren) Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
2. Die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit muss für den Arbeitnehmer geeignet sein. Der Arbeitnehmer muss unter Berücksichtigung angemessener Einarbeitungszeiten den Anforderungen des neuen Arbeitsplatzes entsprechen.
3. Dabei unterliegt die Gestaltung des Anforderungsprofils für den freien Arbeitsplatz der lediglich auf offenbare Unsachlichkeit zu überprüfenden Unternehmerdisposition des Arbeitgebers.
4. Ist im Zeitpunkt des Kündigungszugangs eine Beschäftigungsmöglichkeit nicht mehr vorhanden, wurde also ein freier Arbeitsplatz vor dem Zugang der Kündigung besetzt, so ist es dem Arbeitgeber gleichwohl nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB verwehrt, sich auf den Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten im Kündigungszeitpunkt zu berufen, wenn dieser Wegfall treuwidrig herbeigeführt wurde.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2; BGB § 162
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 27.11.2006; Aktenzeichen 7 Sa 2180/05) |
ArbG Offenbach am Main (Urteil vom 16.11.2005; Aktenzeichen 1 Ca 283/05) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 27. November 2006 – 7 Sa 2180/05 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und um Vergütungsansprüche.
Der Kläger trat 1977 als Chemielaborant in die Dienste der Beklagten, die sich mit der Herstellung pharmazeutischer Produkte aus humanem Plasma befasst. Der Kläger war zuletzt im sog. “Plasma-Wareneingang” tätig.
Im ersten Halbjahr des Jahres 2003 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall und war ab Mitte März 2003 bis zum 30. September 2003 erkrankt. Eine mit Schreiben vom 20. Februar 2004 zum 30. September 2004 ausgesprochene ordentliche Kündigung der Beklagten, die diese auf betriebsbedingte Gründe stützte, wurde in einem Kündigungsschutzverfahren rechtskräftig für unwirksam befunden, weil der Kläger Sonderkündigungsschutz als Ersatzmitglied des Betriebsrates genoss. Ebenfalls mit Schreiben vom 20. Februar 2004 stellte die Beklagte den Kläger unter Bezugnahme auf die Kündigung “unter Fortzahlung der vertragsgemäßen Bezüge von jeglicher Tätigkeit für unser Unternehmen frei”. Mit Schreiben vom 24. Februar 2004 bot der Kläger der Beklagten seine Arbeitskraft an und bat die Beklagte gleichzeitig für den Fall der Nichtannahme um Bestätigung, dass das Fernbleiben von der Arbeit ihm nicht zum Nachteil gereiche. Die Beklagte bestätigte daraufhin, “dass ein Fernbleiben des Klägers nicht als unentschuldigtes Fehlen angelastet werden könne”. Der Kläger war in der Folge seit Ausspruch der ersten Kündigung im Februar 2004 nicht mehr im Unternehmen tätig.
Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 29. Juni 2005 zum 31. Dezember 2005 und berief sich auf betriebs- und personenbedingte Gründe. Mit Schreiben vom 1. August 2005 stellte die Beklagte den Kläger unter Bezugnahme auf die Kündigung vom 29. Juni 2005 wiederum von der Arbeitsleistung frei.
In den Jahren 2004 und 2005 schrieb die Beklagte mehrere Stellen, ua. für Chemielaboranten aus, die in der Folge insbesondere mit gerade ausgebildeten Bewerbern besetzt wurden.
Der Kläger hat ua. geltend gemacht, die Kündigung sei, was die betriebsbedingten Gründe anbelange, insbesondere deshalb nicht sozial gerechtfertigt, weil die Beklagte ihn auf anderen für ihn geeigneten Arbeitsplätzen hätte weiterbeschäftigen können. Auch personenbedingte Gründe rechtfertigten die Kündigung nicht, da er entgegen der Behauptung der Beklagten nicht dauerhaft unfähig sei, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Die geltend gemachten Vergütungsansprüche seien für den Zeitraum Oktober 2004 bis September 2005 auf Grund Annahmeverzuges bzw. auf Grund der bezahlten Freistellung geschuldet.
Der Kläger hat zuletzt – nach einer Klageänderung im Hinblick auf den Zahlungsantrag im Berufungsverfahren – beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29. Juni 2005 nicht aufgelöst wurde;
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 49.605,31 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 4.014,88 Euro brutto seit dem 1. November 2004, aus 3.748,18 Euro brutto seit dem 1. Dezember 2004 und aus 7.495,08 Euro brutto seit dem 1. Januar 2005, darüber hinaus aus jeweils 3.748,18 Euro brutto seit dem 1. Februar 2005, 1. März 2005, 1. April 2005, 1. Mai 2005, 1. Juni 2005, 1. Juli 2005, 1. August 2005, 1. September 2005, 1. Oktober 2005 sowie aus 613,55 Euro brutto seit dem 1. Juli 2005 zu bezahlen;
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.833,08 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 239,09 Euro seit dem 1. November 2004, aus 239,09 Euro seit dem 1. Dezember 2004, aus 239,09 Euro seit dem 1. Januar 2005, aus 239,09 Euro seit dem 1. Februar 2005, aus 239,09 Euro seit dem 1. März 2005, aus 239,09 Euro seit dem 1. April 2005, aus 239,09 Euro seit dem 1. Mai 2005, aus 239,09 Euro seit dem 1. Juni 2005, aus 239,09 Euro seit dem 1. Juli 2005, aus 239,09 Euro seit dem 1. August 2005, aus 239,09 Euro seit dem 1. September 2005, aus 239,09 Euro seit dem 1. Oktober 2005 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hält die streitgegenständliche Kündigung aus betriebsbedingten Gründen für gerechtfertigt, da der bisherige Arbeitsplatz des Klägers seit Ende des Jahres 2003 ersatzlos entfallen sei. Die dem zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung sei im Juni 2005 nochmals bestätigt worden. Geeignete freie Arbeitsplätze seien nicht vorhanden gewesen. Dies gelte auch für die vom Kläger benannten ausgeschriebenen Stellen, da der Kläger nicht die erforderlichen Erfahrungen und Kenntnisse mit den 2003 eingeführten vollautomatisierten Prozessleitungssystemen habe. Im Übrigen handle es sich bei den vom Kläger genannten Stellen nicht um freie Arbeitsplätze, da diese bei Zugang der streitgegenständlichen Kündigung längst besetzt gewesen seien. Zudem seien personenbedingte Gründe für die Kündigung gegeben. Der Kläger könne dauerhaft bestimmte vertraglich geschuldete Tätigkeiten (Überkopfarbeit und Bewegen von Gewichten über 10 kg) nicht mehr ausüben. Vergütungsansprüche für den Zeitraum Oktober 2004 bis September 2005 seien nicht geschuldet. Insbesondere sei der Kläger nicht leistungsfähig gewesen.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben, den ursprünglich gestellten Zahlungsantrag hat es hingegen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, auf die Berufung des Klägers hat es das erstinstanzliche Urteil dahingehend abgeändert, dass es dem zuletzt im Berufungsverfahren gestellten Zahlungsantrag vollumfänglich entsprochen hat. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage insgesamt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe nicht hinreichend dargelegt, dass der Kläger nicht in einer angemessenen Einarbeitungszeit auf einem der gemäß den Stellenanzeigen neu zu besetzenden Arbeitsplätze hätte eingesetzt werden können. Soweit die ausgeschriebenen Stellen im Kündigungszeitpunkt bereits wieder mit Berufsanfängern besetzt gewesen seien, könne sich die Beklagte nicht darauf berufen. Der bereits 26 Jahre beschäftigte, als Chemielaborant ausgebildete Kläger habe sich als flexibel und vielseitig einsetzbar erwiesen, was sich aus dem Glückwunschschreiben zum 25-jährigen Jubiläum als Grundtendenz herauslesen lasse. Die Kündigung sei auch nicht aus personenbedingten Gründen gerechtfertigt, da es an einer hinreichenden Darlegung einer im Kündigungszeitpunkt gerechtfertigten Negativprognose fehle. Der zuletzt gestellte Zahlungsantrag sei begründet, da die Beklagte den Kläger jeweils freigestellt habe, womit dieser konkludent einverstanden gewesen sei.
B. Dem stimmt der Senat im Ergebnis und auch in wesentlichen Teilen der Begründung zu.
I. Die Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG. Eine soziale Rechtfertigung ergibt sich weder aus dringenden betrieblichen Erfordernissen noch aus Gründen, die in der Person des Klägers liegen.
1. Eine Kündigung, die auf Grund einer zum Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes führenden organisatorischen Maßnahme ausgesprochen worden ist, ist nur dann durch ein dringendes betriebliches Erfordernis iSd. § 1 Abs. 2 KSchG “bedingt”, wenn der Arbeitgeber keine Möglichkeit hat, den Arbeitnehmer anderweitig zu beschäftigen.
a) Eine ordentliche Beendigungskündigung ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgeschlossen, wenn die Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz gegebenenfalls auch zu geänderten (schlechteren) Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen. Das Angebot einer Weiterbeschäftigung zu geänderten (schlechteren) Bedingungen kann lediglich in Extremfällen unterbleiben (zB bei einer völlig unterwertigen Beschäftigung; vgl. Senat 21. April 2005 – 2 AZR 132/04 – BAGE 114, 243). Eine Weiterbeschäftigung hat auch dann vorrangig zu erfolgen, wenn sie erst nach einer Einarbeitung des Arbeitnehmers auf einer freien Stelle, gegebenenfalls erst nach einer dem Arbeitnehmer anzubietenden zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme möglich ist (vgl. Senat 7. Februar 1991 – 2 AZR 205/90 – BAGE 67, 198).
b) Ist im Zeitpunkt des Kündigungszugangs eine Beschäftigungsmöglichkeit nicht mehr vorhanden, wurde also ein freier Arbeitsplatz vor dem Zugang der Kündigung besetzt, so ist es dem Arbeitgeber gleichwohl nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB verwehrt, sich auf den Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten im Kündigungszeitpunkt zu berufen, wenn dieser Wegfall treuwidrig herbeigeführt wurde (st. Rspr., vgl. Senat 24. November 2005 – 2 AZR 514/04 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 43 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 51; 25. April 2002 – 2 AZR 260/01 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 121 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 121; 6. Dezember 2001 – 2 AZR 695/00 – EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 115). Der Arbeitgeber hat es nicht in der Hand den Kündigungsschutz dadurch leerlaufen zu lassen, dass er zunächst einen freien Arbeitsplatz besetzt und erst später eine Beendigungskündigung wegen einer fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ausspricht. Eine treuwidrige Vereitelung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit kann dem Arbeitgeber aber nur dann vorgehalten werden, wenn sich ihm die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung aufdrängen musste (Senat 24. November 2005 – 2 AZR 514/04 – aaO).
c) Die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Arbeitsplatz im obengenannten Sinne muss für den Arbeitnehmer geeignet sein. Dies setzt voraus, dass ein freier vergleichbarer (gleichwertiger) Arbeitsplatz oder ein freier Arbeitsplatz zu geänderten (schlechteren) Arbeitsbedingungen vorhanden ist und der Arbeitnehmer über die hierfür erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt (Senat 24. Juni 2004 – 2 AZR 326/03 – AP KSchG 1969 § 1 Nr. 76 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 132; 25. April 2002 – 2 AZR 260/01 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 121 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 121). Der Arbeitnehmer muss unter Berücksichtigung angemessener Einarbeitungszeiten den Anforderungen des neuen Arbeitsplatzes entsprechen (Linck in v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 758). Dabei unterliegt die Gestaltung des Anforderungsprofils für den freien Arbeitsplatz der lediglich auf offenbare Unsachlichkeit zu überprüfenden Unternehmerdisposition des Arbeitgebers.
2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hält das Urteil des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
a) Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe nicht hinreichend substanziiert dargetan, dass die 2004 ausgeschriebenen Stellen für den Kläger nach einer angemessenen Einarbeitungszeit nicht geeignet gewesen seien, ist nicht zu beanstanden.
aa) Dies gilt zunächst bezüglich der Qualifikation des Klägers. Insoweit sind jedenfalls die im Ausbildungsberuf des Klägers (Chemielaborant) ausgeschriebenen Stellen, bei denen die Beklagte die Nichteignung allein auf Grund mangelnder Erfahrung und Kenntnis bezüglich vollautomatisierter Prozessleitsysteme behauptet hat, als für den Kläger objektiv geeignet anzusehen. Auch ist davon auszugehen, dass ein Einsatz des Klägers auf diesen Stellen der Beklagten jedenfalls nach einer Einarbeitung oder auch nicht übermäßig langen Fortbildung möglich gewesen wäre. Der Kläger hat durch die Vorlage konkreter auf seinen Ausbildungsberuf bezogener Stellenausschreibungen hinreichend deutlich gemacht, wie er sich die anderweitige Beschäftigung vorstellt. Daraufhin hätte die Beklagte darlegen müssen, warum der Kläger ihrer Meinung nach nicht in seinem Ausbildungsberuf eingesetzt werden kann. Es erscheint auch nicht einsichtig, weshalb es der Beklagten unzumutbar gewesen sein sollte, den Kläger nachträglich bei der Besetzung freier Stellen in der Weise einzuarbeiten bzw. fortzubilden, wie sie dies bei anderen Kollegen in der Produktion Pharma offenbar als zumutbar angesehen hat. Die Beklagte verhält sich widersprüchlich, wenn sie die übrige Belegschaft einarbeitet/fortbildet, dem damals nach einem Arbeitsunfall erkrankten Kläger fehlende Erfahrungen mit vollautomatisierten Prozessleitsystemen entgegenhält. Immerhin hatte die Beklagte den Kläger noch im Jahre 2002 als “Allround-Talent” für seinen langjährigen flexiblen Einsatz gewürdigt.
bb) Auch die gesundheitliche objektive Eignung des Klägers für die ausgeschriebenen Stellen musste das Landesarbeitsgericht nicht verneinen bzw. Beweis darüber erheben. Die Beklagte hat bereits nicht substanziiert und konkret bezogen auf die einzelnen ausgeschriebenen Stellen vorgetragen, aus welchen Gründen dem Kläger jeweils die Ausübung gerade dieser Stelle gesundheitlich nicht möglich sein sollte. Die Beklagte hat nur bezüglich der bisher ausgeübten Tätigkeit im sog. “Plasma-Wareneingang” und im Übrigen pauschal die gesundheitliche Eignung des Klägers in Abrede gestellt.
b) Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte müsse sich nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB die zwischenzeitlich besetzten Stellen als im Zeitpunkt der Kündigung “frei” entgegenhalten lassen, enthält keinen revisiblen Rechtsfehler. Nach Darstellung der Beklagten fiel die Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger bereits Ende 2003 weg. Dieser Personalüberhang hielt als dauerhafter Tatbestand unverändert bis zum Ausspruch der jetzigen Kündigung an. Die Beklagte hat dabei sehenden Auges die freien Arbeitsplätze anderweitig besetzt, und zwar bereits beginnend zur Zeit der ersten Kündigung und insbesondere noch im Rahmen der laufenden Kündigungsfrist. Das “Auslaufen” der Beschäftigungsmöglichkeit war im Zeitpunkt der Stellenbesetzungen für die Beklagte nicht nur absehbar, sondern es stand aus ihrer Sicht durchgehend seit Ende 2003 sogar fest, dass der Arbeitsplatz des Klägers entfallen war.
c) Entgegen der Auffassung der Revision entfällt die Treuwidrigkeit nicht deshalb, weil die Beklagte auf die Wirksamkeit der ersten Kündigung vertrauen durfte. Immerhin hatte der Betriebsrat in seinem Widerspruchsschreiben vom 19. Februar 2004 bereits auf den Sonderkündigungsschutz des Klägers verwiesen. Schon vor Ausspruch der Kündigung hätte die Beklagte daher deren Unwirksamkeit erkennen können. Jedenfalls war für die Beklagte ersichtlich, dass der Ausgang des Rechtsstreits zumindest offen war. Die Wirkungen eines rechtskräftigen Urteils können nicht dadurch beiseitegeschoben werden, dass der Unterlegene geltend macht, er habe “im Vorgefühl des sicheren Sieges” über den Streitgegenstand anderweitig verfügt (Senat 1. Februar 2007 – 2 AZR 710/05 – AP BGB § 162 Nr. 6 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 153).
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die streitgegenständliche Kündigung auch nicht auf personenbedingte Gründe im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG gestützt werden kann. Die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, dass beim Kläger mit erheblichen Fehlzeiten nicht zu rechnen ist, trägt die rechtliche Würdigung, dass die Voraussetzungen einer Kündigung aus Krankheitsgründen nicht vorliegen. Die Revision hat das Berufungsurteil insoweit nur pauschal angegriffen und insbesondere nicht dargelegt, inwiefern die nach einem Arbeitsunfall aufgetretene Arbeitsunfähigkeit über den 30. September 2003 hinaus fortbestanden haben soll.
II. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht dem Kläger die verlangten Vergütungsansprüche zugesprochen.
1. Zweifeln unterliegt allerdings die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die geltend gemachten Ansprüche fänden ihre Grundlage in § 611 Abs. 1 BGB iVm. einer “Freistellungsvereinbarung” zwischen den Parteien. Immerhin hatte der Kläger mit Schreiben vom 24. Februar 2004 seine Arbeitskraft angeboten, was kaum auf ein Einverständnis mit der Freistellung schließen lassen dürfte.
2. Letztlich kann diese Frage aber auf sich beruhen. Der zugesprochene Vergütungsanspruch für den Zeitraum von Oktober 2004 bis September 2005 ist aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges (§ 611 Abs. 1, § 615 Satz 1 BGB) geschuldet.
a) Nach § 615 Satz 1 BGB hat der Arbeitgeber in einem bestehenden Arbeitsverhältnis die vereinbarte Vergütung fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Die Voraussetzungen des Annahmeverzuges richten sich nach den §§ 293 ff. BGB; regelmäßig ist ein Angebot erforderlich. Ist aber für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, bedarf es nach § 296 Satz 1 BGB keines Angebots des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber die Handlung nicht rechtzeitig vornimmt. Die nach dem Kalender bestimmte Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers liegt darin, dem Arbeitnehmer für jeden Arbeitstag einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Nach einer unwirksamen Kündigung muss deshalb der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, wenn er nicht in Annahmeverzug geraten will, die Arbeit wieder zuweisen. Kommt der Arbeitgeber dieser Obliegenheit nicht nach, gerät er in Annahmeverzug, ohne dass es eines Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer bedarf (ständige Rechtsprechung des BAG, etwa 19. Januar 1999 – 9 AZR 679/97 – BAGE 90, 329). Voraussetzung für den Annahmeverzug ist weiterhin, dass der Arbeitnehmer gemäß § 297 BGB leistungsfähig und leistungswillig ist. An der Leistungsfähigkeit mangelt es insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugszeitraumes arbeitsunfähig krank ist. Der für die Leistungsunfähigkeit (ebenso wie für die Leistungsunwilligkeit) darlegungs- und beweispflichtige Arbeitgeber muss zunächst ausreichende Indiztatsachen für diese Tatbestände vortragen und unter Beweis stellen (BAG 5. November 2003 – 5 AZR 562/02 – AP BGB § 615 Nr. 106 = EzA BGB 2002 § 615 Nr. 2).
b) Die danach maßgeblichen Anspruchsvoraussetzungen liegen vor. Unzweifelhaft hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien im streitgegenständlichen Zeitraum fortbestanden. Eines Angebots der Arbeitsleistung des Klägers bedurfte es nach den genannten Grundsätzen – unabhängig von der einseitigen Freistellung – nach Ablauf der Kündigungsfrist der ersten Kündigung am 30. September 2004 nicht. Auch ist davon auszugehen, dass der Kläger leistungsfähig und leistungswillig im Sinne des § 297 BGB war. Die Beklagte hat keine ausreichenden Indiztatsachen vorgetragen, auf Grund derer das Landesarbeitsgericht eine Leistungsunfähigkeit (erst recht eine Leistungsunwilligkeit) des Klägers hätte in Erwägung ziehen müssen. Das Vorbringen der Beklagten bezieht sich auf September/Oktober 2003. Warum er über ein Jahr später und nachdem die Beklagte ihn – unter Fortzahlung der Vergütung – freigestellt hatte, nicht arbeitsfähig oder -bereit gewesen sein sollte, erschließt sich daraus nicht.
c) Auch der Höhe nach sind die vom Landesarbeitsgericht dem Kläger zugesprochenen Beträge zu Recht zuerkannt worden. Insoweit erhebt die Revision auch keine Rügen.
III. Die Kosten der erfolglos gebliebenen Revision fallen der Beklagten nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.
Unterschriften
Rost, Eylert, Schmitz-Scholemann, Krichel, F. Löllgen
Fundstellen
Haufe-Index 2035818 |
DB 2009, 1078 |