Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaub. tariflicher Ausschluss der Übertragbarkeit in das Folgejahr bei Krankheit
Orientierungssatz
1. In Tarifverträgen kann von den Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes auch zum Nachteil der Arbeitnehmer abgewichen werden. Dies gilt nach § 13 Abs. 1 Satz 1 nicht für Abweichungen von den §§ 1, 2 und § 3 Abs. 1 BUrlG.
2. Bei unionsrechtskonformer Auslegung ergibt sich bereits aus den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch von 24 Werktagen grundsätzlich nicht am Ende des Urlaubsjahres verfallen darf, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich nicht die Möglichkeit hatte, ihn in Anspruch zu nehmen.
3. Eine Tarifnorm, nach der „der nicht gewährte Urlaub auf das nächste Jahr nur übertragen werden kann, wenn die Gewährung aus außergewöhnlichen betrieblichen Gründen bis zum Ablauf des alten Urlaubsjahres nicht möglich war”, ist gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 iVm. §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG insoweit unwirksam, als sie den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch trotz der Unmöglichkeit der Inanspruchnahme wegen Krankheit am Jahresende zum Erlöschen bringen soll.
4. Die unionsrechtlichen Vorgaben betreffen ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubsansprüche, die darüber hinausgehen, frei regeln.
5. Ist eine eigenständige Tarifregelung im Hinblick auf den gesetzlichen Mindesturlaub unwirksam, kann sie für den vom gesetzlichen Urlaub abtrennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den tariflichen Mehrurlaub, wirksam bleiben.
Normenkette
Manteltarifvertrag für die Beschäftigten einschließlich Auszubildenden in Betrieben des Bäckerhandwerks in Schleswig-Holstein und Hamburg vom 16. September 2005 (MTV) § 11 Ziff. 9; BUrlG §§ 1-2, 3 Abs. 1, § 7 Abs. 3 S. 2, § 13 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Urteil vom 19.11.2012; Aktenzeichen 7 Sa 16/12) |
ArbG Hamburg (Urteil vom 21.12.2011; Aktenzeichen 8 Ca 168/11) |
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 19. November 2012 – 7 Sa 16/12 – unter Zurückweisung der Revision im Übrigen teilweise aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 21. Dezember 2011 – 8 Ca 168/11 – teilweise abgeändert.
Es wird festgestellt, dass der Klägerin aus dem Jahr 2010 acht Urlaubstage als Ersatzurlaub zustehen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu 8/11, die Klägerin zu 3/11 zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin aus dem Jahr 2010 elf Urlaubstage als Ersatzurlaub zustehen.
Die Klägerin ist seit dem 15. Februar 2009 bei der Beklagten als Bäckereifachverkäuferin zu einer monatlichen Bruttovergütung von zuletzt ca. 1.586,00 Euro im Rahmen einer Sechstagewoche beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand bis zum 31. Mai 2013 kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten einschließlich der Auszubildenden in Betrieben des Bäckerhandwerks in Schleswig-Holstein und Hamburg vom 16. September 2005 Anwendung (im Folgenden: MTV), in dessen § 11 ua. geregelt ist: „…
9. Der Erholungsurlaub ist zusammenhängend zu gewähren, wenn nicht wichtige betriebliche oder persönliche Gründe entgegenstehen.
Wird der Urlaub in der Zeit vom 1. Juni bis 30. September genommen, können jedoch zusammenhängend nur 3 Wochen beansprucht werden.
Der in einem Urlaubsjahr nicht gewährte Urlaub kann auf das nächste Urlaubsjahr nur übertragen werden, wenn die Gewährung aus außergewöhnlichen betrieblichen Gründen bis zum Ablauf des alten Urlaubsjahres nicht möglich war.
Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht worden ist.
…”
Nach dem MTV hatte die Klägerin im Jahr 2010 einen Urlaubsanspruch von 27 Werktagen. Davon nahm sie im Urlaubsjahr 16 Tage in Anspruch. Die restlichen elf Tage konnte sie aufgrund einer Erkrankung in der Zeit vom 22. November 2010 bis zum 7. Januar 2011 nicht in Anspruch nehmen. Betriebliche Gründe standen der Gewährung des Urlaubsanspruchs nicht entgegen.
Die Klägerin machte mit dem Urlaubsantrag vom 15. Februar 2011 und mit den Schreiben vom 20. Februar 2011 und 1. März 2011 den Resturlaub von elf Tagen aus dem Jahr 2010 erfolglos geltend.
Mit ihrer am 13. April 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin die Gewährung von elf Urlaubstagen aus dem Jahr 2010 begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, § 11 Ziff. 9 MTV widerspreche den unionsrechtlichen Vorgaben zum Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub. Der nicht in Anspruch genommene Urlaub aus dem Jahr 2010 sei daher entsprechend § 7 Abs. 3 BUrlG in das Folgejahr übertragen worden.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass ihr restliche elf Urlaubstage aus dem Jahr 2010 zustehen,
hilfsweise
- die Beklagte zu verurteilen, ihr für das Jahr 2010 restliche elf Urlaubstage zu gewähren.
Zu ihrem Klageabweisungsantrag hat die Beklagte die Auffassung vertreten, Urlaubsansprüche der Klägerin aus dem Jahr 2010 seien mit Ablauf des 31. Dezember 2010 erloschen. Die Regelung in § 11 Ziff. 9 Abs. 3 MTV stehe zwar nicht im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben, dies sei aber nach dem deutschen Urlaubsrecht unerheblich. Eine richtlinienkonforme Auslegung des MTV oder des Bundesurlaubsgesetzes komme nicht in Betracht. Eine unmittelbare Geltung des Unionsrechts zwischen Privaten sei nicht gegeben.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist teilweise begründet. Soweit die Klägerin die Feststellung eines (Ersatz-)Urlaubsanspruchs aus dem Jahr 2010 im Umfang von acht Tagen begehrt, hat das Landesarbeitsgericht ihre Berufung zu Unrecht zurückgewiesen.
A. Der Hauptantrag ist zulässig und teilweise begründet.
I. Der Feststellungsantrag ist zulässig.
1. Er bedarf der Auslegung. Die Klägerin begehrt die Feststellung des Bestehens eines Urlaubsanspruchs aus einem in der Vergangenheit liegenden Urlaubsjahr. Ein solcher Antrag ist dahin gehend zu verstehen, dass von ihm sowohl der Urlaubsanspruch als Primäranspruch erfasst wird als auch ggf. ein Schadensersatzanspruch auf Gewährung von Urlaub (vgl. BAG 11. Juli 2006 – 9 AZR 535/05 – Rn. 15). Da die Beklagte den Anspruch auf Urlaubstage aus dem Jahr 2010 als Ersatzurlaub in Abrede stellt, besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.
2. Dem Feststellungsbegehren steht auch nicht der Vorrang der Leistungsklage entgegen. Zwar zeigt der Hilfsantrag, dass sich das Klagebegehren grundsätzlich auch in einen Leistungsantrag fassen lässt. Im Hinblick auf die voranschreitende Zeit lässt sich jedoch im Rahmen des Leistungsantrags der Zeitpunkt des Urlaubsbeginns nicht festlegen. Insofern ist ein solcher Leistungsantrag regelmäßig so zu verstehen, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Festlegung des Urlaubszeitraums überlässt (vgl. ErfK/Gallner 14. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 31 f. mwN). Dies steht jedoch im Widerspruch zum gesetzlichen Modell des § 7 Abs. 1 BUrlG. Der Arbeitnehmer darf auch nicht über das Prozessrecht dazu gezwungen werden, die Bestimmung der Lage des Urlaubs allein dem Arbeitgeber zu überlassen. Vor diesem Hintergrund ist der Leistungsantrag auf Gewährung einer bestimmten Anzahl von Urlaubstagen nicht vorrangig gegenüber dem Feststellungsantrag (vgl. BAG 12. April 2011 – 9 AZR 80/10 – Rn. 15, BAGE 137, 328).
II. Das Feststellungsbegehren ist im Umfang von acht Werktagen begründet. Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch wurde – soweit er nicht durch Urlaubsgewährung erfüllt worden ist – gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG in das Folgejahr übertragen. Insoweit konnten die Tarifvertragsparteien – anders als in Bezug auf den tariflichen Mehrurlaub – die gesetzliche Regelung zur Übertragungsfrist nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer abändern. Der übertragene Urlaubsanspruch ist nach der Genesung der Klägerin zwar am 31. März 2011 untergegangen, an seine Stelle trat jedoch ein entsprechender Schadensersatzanspruch auf Urlaub, der weiterhin besteht.
1. Der gesetzliche Mindesturlaub wurde im Umfang von acht Werktagen in das Jahr 2011 übertragen.
a) Der in einer Sechstagewoche beschäftigten Klägerin stand am 31. Dezember 2010 noch ein gesetzlicher Urlaubsanspruch in Höhe von acht Tagen zu. Die Klägerin hatte zu Beginn des Jahres 2010 gemäß den §§ 1, 3 Abs. 1, § 4 BUrlG einen Urlaubsanspruch im Umfang von 24 Werktagen erworben. Die Beklagte gewährte der Klägerin 16 Urlaubstage. Mit der Gewährung des Urlaubs wurde auch der gesetzliche Urlaubsanspruch in diesem Umfang erfüllt (vgl. BAG 7. August 2012 – 9 AZR 760/10 – Rn. 11 ff., BAGE 143, 1), sodass ein Resturlaubsanspruch von acht Tagen verblieb.
b) Diese acht Werktage gesetzlicher Urlaub sind nicht am 31. Dezember 2010 untergegangen, sondern wurden in das erste Quartal des Folgejahres übertragen. Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG wird der Urlaub in das nächste Kalenderjahr übertragen, wenn in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ist der typische Fall des personenbedingten Grundes, der der Inanspruchnahme von Urlaub entgegenstehen kann (vgl. BAG 13. Mai 1982 – 6 AZR 360/80 – zu II 4 b der Gründe, BAGE 39, 53; Arnold/Tillmanns/Arnold BUrlG 3. Aufl. § 7 Rn. 123). Die Klägerin konnte aufgrund einer Erkrankung in der Zeit vom 22. November 2010 bis zum 7. Januar 2011 den Urlaub nicht in Anspruch nehmen.
c) Der Übertragung des noch bestehenden gesetzlichen Urlaubsanspruchs in das Folgejahr steht der MTV nicht entgegen. § 7 Abs. 3 BUrlG ist durch § 11 Ziff. 9 Abs. 3 MTV nicht wirksam dahin gehend abgeändert worden, dass der nicht gewährte gesetzliche Urlaub auf das nächste Jahr nur übertragen werden kann, wenn die Gewährung aus außergewöhnlichen betrieblichen Gründen bis zum Ablauf des alten Urlaubsjahres nicht möglich war. Die Tarifnorm widerspricht § 13 Abs. 1 Satz 1 iVm. §§ 1, 2, 3 Abs. 1 BUrlG und ist insofern unwirksam.
aa) Zwar ist § 7 Abs. 3 BUrlG in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht bei den Normen genannt, von denen in Tarifverträgen nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden darf. Es ist jedoch in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkannt, dass auch von den anderen Vorschriften des BUrlG in Tarifverträgen nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden darf, soweit sich ihr Regelungsgehalt bereits unmittelbar aus den §§ 1, 2 und § 3 Abs. 1 BUrlG ergibt. So hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts mit Urteil vom 10. Februar 1987 (– 8 AZR 529/84 – zu 3 a der Gründe, BAGE 54, 184) entschieden, dass eine tarifliche Regelung, nach der Abgeltungsansprüche nur entstehen, wenn der Urlaub vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus betrieblichen Gründen nicht gewährt werden konnte, unwirksam ist, soweit durch sie der Urlaubsabgeltungsanspruch im Umfange des gesetzlichen Urlaubs nach den §§ 1, 3 BUrlG und § 44 SchwbG gemindert wird, obwohl auch § 7 Abs. 4 BUrlG in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht genannt ist (vgl. auch BAG 15. Dezember 2009 – 9 AZR 887/08 – Rn. 15 und 15. Januar 2013 – 9 AZR 465/11 – Rn. 20 mwN [zur Berechnung des Urlaubsentgelts]; 29. November 1984 – 6 AZR 238/82 – zu 2 a der Gründe, BAGE 47, 268 [zur Urlaubsabgeltung beim Übergang vom Ausbildungs – zum Arbeitsverhältnis]; 8. März 1984 – 6 AZR 442/83 – zu 1 b der Gründe, BAGE 45, 199 und zuletzt 18. Februar 2014 – 9 AZR 765/12 – Rn. 13 mwN [zur Zwölftelung des Urlaubs bei Ausscheiden in der zweiten Jahreshälfte]; vgl. zu weiteren Beispielen Arnold/Tillmanns/Zimmermann § 13 Rn. 53 ff.). In solchen Fällen greift die abweichende Tarifnorm im Ergebnis (mittelbar) in den Regelungsbereich der §§ 1, 2 und § 3 Abs. 1 BUrlG ein und ist damit insoweit unwirksam.
bb) Indem der MTV keinen Übertragungszeitraum für den Fall vorsieht, dass der Arbeitnehmer den Urlaub im Urlaubsjahr ohne sein Verschulden nicht in Anspruch nehmen konnte, greift der Tarifvertrag in das durch § 1 BUrlG gewährte Recht auf bezahlten Jahresurlaub ein. Dies ergibt die richtlinienkonforme Auslegung der §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG (ähnlich Arnold/Tillmanns/Zimmermann § 13 Rn. 61; vgl. auch ErfK/Gallner § 13 BUrlG Rn. 13).
(1) Entgegen der Auffassung der Revision kann es offenbleiben, ob und ggf. wie der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Art. 31 Abs. 2 verankerte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub zwischen den Parteien unmittelbare Wirkung entfaltet (vgl. dazu Vorlage der Cour de cassation an den EuGH vom 10. Juni 2013, anhängig unter – C-316/13 – [Fenoll] mit Anm. Stiebert/Schmidt ZESAR 2013, 413, dazu Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 12. Juni 2014, wo unter Rn. 60 auf die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in der Sache – C-282/10 – [Dominguez] Bezug genommen wird). Die Frage, ob eine nationale Bestimmung wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht unangewendet bleiben muss, stellt sich nur dann, wenn eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist (EuGH 24. Januar 2012 – C-282/10 – [Dominguez] Rn. 23; BAG 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 30, BAGE 142, 371; vgl. Wißmann FS Bepler 2012 S. 649, 654). Ermöglicht es das nationale Recht durch Anwendung seiner Auslegungsmethoden, eine innerstaatliche Bestimmung so auszulegen, dass eine Kollision mit einer anderen Norm innerstaatlichen Rechts vermieden wird, sind die nationalen Gerichte verpflichtet, die gleichen Methoden anzuwenden, um das von der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (BAG 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – Rn. 58 mwN, BAGE 130, 119; vgl. auch EuGH 24. Januar 2012 – C-282/10 – [Dominguez] Rn. 24 mwN). Mehrere mögliche Auslegungsmethoden sind daher hinsichtlich des Richtlinienziels bestmöglich anzuwenden im Sinne eines Optimierungsgebots (BVerfG 26. September 2011 – 2 BvR 2216/06, 2 BvR 469/07 – Rn. 46, BVerfGK 19, 89). Allerdings unterliegt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts Schranken. Die Pflicht zur Verwirklichung eines Richtlinienziels im Auslegungsweg findet zugleich ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten (BVerfG 26. September 2011 – 2 BvR 2216/06, 2 BvR 469/07 – Rn. 47, aaO). Sie darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (EuGH 24. Januar 2012 – C-282/10 – [Dominguez] Rn. 25 mwN; BAG 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 31, BAGE 142, 371; 17. November 2009 – 9 AZR 844/08 – Rn. 26, BAGE 132, 247).
(2) Der Inhalt des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9, im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) ist, soweit vorliegend von Bedeutung, durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt (EuGH 22. November 2011 – C-214/10 – [KHS] Rn. 26, Slg. 2011, I-11757; 20. Januar 2009 – C-350/06 und C-520/06 – [Schultz-Hoff ua.] Rn. 43, Slg. 2009, I-179). Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie steht zwar grundsätzlich einer nationalen Regelung nicht entgegen, die für die Ausübung des mit dieser Richtlinie ausdrücklich verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub Modalitäten vorsieht, die sogar den Verlust dieses Anspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums umfassen. Allerdings hat der EuGH dieser grundsätzlichen Feststellung die Voraussetzung hinzugefügt, dass der Arbeitnehmer, dessen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erloschen ist, grundsätzlich tatsächlich die Möglichkeit gehabt haben muss, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch auszuüben. Das nationale Recht kann aber Übertragungszeiträume vorsehen, an deren Ende auch bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit der Urlaubsanspruch entfällt. Ein solcher Übertragungszeitraum muss die Dauer des Bezugszeitraums, für den er gewährt wird, deutlich überschreiten (EuGH 3. Mai 2012 – C-337/10 – [Neidel] Rn. 41; 22. November 2011 – C-214/10 – [KHS] Rn. 38, aaO). Die Regelung des § 11 Ziff. 9 Abs. 3 MTV steht nicht im Einklang mit diesen unionsrechtlichen Vorgaben. Dies sieht auch die Beklagte so.
(3) Im Hinblick auf die dargestellte Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH entspricht es der Rechtsprechung des Senats, dass tarifliche Regelungen, die bei fortbestehender Krankheit einen Verfall des unionsrechtlich geschützten Mindesturlaubsanspruchs vor Ablauf des gebotenen Übertragungszeitraums vorsehen, gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1, § 1 BUrlG unwirksam sind (vgl. BAG 12. November 2013 – 9 AZR 551/12 – Rn. 10; 12. April 2011 – 9 AZR 80/10 – Rn. 27, BAGE 137, 328). Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist § 13 Abs. 1 Satz 1 iVm. §§ 1, 2, 3 Abs. 1 BUrlG richtlinienkonform auszulegen. Zwar enthalten die §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG keine ausdrückliche Regelung zur Übertragbarkeit und zum Verfall von Urlaubsansprüchen. Diese nationalen Normen entsprechen jedoch weitgehend der Regelung des Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie, wonach die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind. Nach Auffassung des EuGH gehört die Festlegung eines Übertragungszeitraums zu den Voraussetzungen für die Ausübung und die Umsetzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub und fällt somit grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (EuGH 20. Januar 2009 – C-350/06 und C-520/06 – [SchultzHoff ua.] Rn. 42, Slg. 2009, I-179). Allerdings stellt es eine unzulässige Beeinträchtigung des Rechts auf bezahlten Urlaub dar, wenn der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder am Ende eines zu kurzen Übertragungszeitraums verfallen kann, ohne dass der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, ihn in Anspruch zu nehmen (EuGH 20. Januar 2009 – C-350/06 und C-520/06 – [Schultz-Hoff ua.] Rn. 45, aaO). Der durch die §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG gewährte Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub im Umfang von 24 Werktagen ist nach Inhalt und Umfang richtlinienkonform so zu verstehen wie der durch die Arbeitszeitrichtlinie in Art. 7 Abs. 1 gewährte Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen. Damit folgt im deutschen Recht aus § 13 Abs. 1 Satz 1 iVm. §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch von 24 Werktagen durch eine tarifliche Regelung grundsätzlich nicht am Ende des Urlaubsjahres verfallen darf, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich nicht die Möglichkeit hatte, ihn in Anspruch zu nehmen.
Eine solches richtlinienkonformes Verständnis von § 13 Abs. 1 Satz 1 iVm. §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG ist nicht contra legem. Zwar lässt sich aus § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG ableiten, dass die Tarifvertragsparteien grundsätzlich auch die Vorgaben des § 7 Abs. 3 BUrlG zulasten der Arbeitnehmer abändern können sollen. Der Gesetzgeber hat dieses sogenannte Vorrangprinzip der Tarifautonomie bewusst aufgestellt, ein Günstigkeitsvergleich ist nicht durchzuführen (vgl. BAG 9. Juli 1964 – 5 AZR 463/63 – zu II 2 b der Gründe, BAGE 16, 155). Jedoch ist nicht erkennbar, dass der gesetzgeberische Wille auch die Möglichkeit umfasste, die Übertragbarkeit des Urlaubs bei vom Arbeitnehmer unverschuldeter Unmöglichkeit der Inanspruchnahme des Urlaubs tarifvertraglich ausschließen zu können.
(4) § 11 Ziff. 9 MTV sieht eine Ausnahme für die Fälle der unverschuldeten Unmöglichkeit der Inanspruchnahme des Urlaubs im Urlaubsjahr nicht vor. Er ist damit jedenfalls insoweit unwirksam, als er „nur” dann eine Übertragung in das Folgejahr zulässt, wenn die Gewährung des Urlaubs aus außergewöhnlichen betrieblichen Gründen bis zum Ablauf des Urlaubsjahres nicht möglich war. Insofern haben die Tarifvertragsparteien die Regelung des § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG nicht wirksam zulasten der Arbeitnehmer abgeändert. Der am 31. Dezember 2010 noch bestehende gesetzliche Urlaubsanspruch konnte von der Klägerin daher noch bis zum 31. März 2011 in Anspruch genommen werden.
2. Der übertragene Urlaubsanspruch ist zwar am 31. März 2011 untergegangen. Der Klägerin steht jedoch ein Anspruch auf Gewährung von acht Tagen Urlaub unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes zu. Die Beklagte befand sich mit der Gewährung des Urlaubs in Verzug und ist gemäß § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB verpflichtet, der Klägerin acht Werktage Ersatzurlaub für verfallenen Urlaub aus dem Jahr 2010 zu gewähren. Die Klägerin hat den Urlaub rechtzeitig geltend gemacht. Die Beklagte hat die Gewährung des Urlaubs verweigert.
III. Soweit die Klägerin die Feststellung des Bestehens eines Anspruchs auf weitere drei Urlaubstage begehrt, ist die Klage unbegründet.
1. Zwar stand der Klägerin im Jahr 2010 ein tariflicher Urlaubsanspruch von 27 Werktagen zu, der nur im Umfang von 16 Tagen durch bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung erfüllt worden war, sodass über den gesetzlichen Urlaubsanspruch hinaus drei weitere Tage tariflicher Mehrurlaub am 31. Dezember 2010 bestanden.
2. Der tarifliche Mehrurlaubsanspruch ist – anders als der gesetzliche Urlaubsanspruch – mit dem 31. Dezember 2010 gemäß § 11 Ziff. 9 MTV untergegangen.
a) Die unionsrechtlichen Vorgaben betreffen ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubsansprüche, die darüber hinausgehen, frei regeln (vgl. EuGH 3. Mai 2012– C-337/10 – [Neidel] Rn. 34 ff. mwN; BAG 12. November 2013 – 9 AZR 551/12 – Rn. 10 mwN). Ihre Regelungsmacht schließt die Befristung des Mehrurlaubs ein. Unionsrecht steht einem tariflich angeordneten Verfall des Mehrurlaubs nicht entgegen. Eine Vorlage an den EuGH zwecks Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV ist deshalb nicht erforderlich.
b) Indem § 11 Ziff. 9 Abs. 3 MTV „nur” dann eine Übertragung in das Folgejahr zulässt, wenn die Gewährung aus außergewöhnlichen betrieblichen Gründen bis zum Ablauf des Urlaubsjahres nicht möglich war, ist klar zum Ausdruck gebracht, dass die gesetzliche Regelung des § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG insoweit nicht zur Anwendung kommen soll, als dort eine Übertragung auch für den Fall vorgesehen ist, dass der Urlaub aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen nicht in Anspruch genommen werden konnte. Nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien sollte (auch) der tarifliche Urlaubsanspruch untergehen, wenn er im Urlaubsjahr aus krankheitsbedingten Gründen nicht in Anspruch genommen werden konnte. Nach der Konzeption des MTV soll der Arbeitnehmer das Risiko tragen, dass der Anspruch auf Mehrurlaub infolge Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllbar ist.
c) Unerheblich ist, dass die eigenständige Tarifregelung im Hinblick auf den gesetzlichen Mindesturlaub unwirksam ist. Für den vom gesetzlichen Urlaub abtrennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den tariflichen Mehrurlaub, bleibt sie wirksam (st. Rspr., vgl. BAG 12. November 2013– 9 AZR 551/12 – Rn. 13; 22. Mai 2012 – 9 AZR 618/10 – Rn. 18, BAGE 141, 374).
B. Der Hilfsantrag ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Er ist nur für den Fall gestellt, dass der Hauptantrag als unzulässig abgewiesen wird. Dies hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Unterschriften
Brühler, Krasshöfer, Klose, Neumann, Mehnert
Fundstellen
Haufe-Index 7384324 |
BB 2014, 2803 |
BB 2015, 1337 |
DB 2014, 2899 |
DStR 2014, 12 |