Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankheitsbedingte Kündigung - Personalratsanhörung
Orientierungssatz
1. Krankheitsbedingte KÜndigung nach langanhaltender Arbeitsunfähigkeit (über 4 Jahre).
2. Keine erneute Personalratsanhörung erforderlich nach vergeblichem Zustellungsversuch (betr. Kündigung).
Normenkette
PersVG BY Art. 72, 77; KSchG § 1 Abs. 2; ZPO § 554 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin (geboren 1946) war aufgrund Arbeitsvertrages vom 22. Juli 1980, in dem auf die Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) verwiesen wird, seit dem 1. August 1980 bei der Beklagten als Krankengymnastin, zuletzt als Leiterin der Krankengymnastischen Abteilung, beschäftigt. Seit 31. August 1989 bis zu der am 16. Juli 1993 zugestellten Kündigung ist die Klägerin aufgrund eines Zeckenbisses sowie der Nachwirkungen einer medikamentösen Behandlung arbeitsunfähig erkrankt. Auf schriftliche Anfragen der Beklagten, wann wieder mit einer Arbeitsaufnahme zu rechnen sei, gab die Klägerin im März 1991 einen Zeitraum von drei bis vier Monaten und im August 1991 das Ende des Jahres 1991 an. Im Dezember 1991 verwies sie die Beklagte an ihren behandelnden Arzt, der sich jedoch auf eine entsprechende Anfrage nach eigener Aussage als nicht kompetent erwies und die Beklagte an Dr. H verwies, den die Klägerin jedoch nicht von seiner Schweigepflicht entbunden hatte. Dieser erstellte ein Gutachten für die Beklagte, das jedoch von dieser mangels Entbindung von der Schweigepflicht durch die Klägerin nicht verwertet wurde. Eine von Dr. H und dem ärztlichen Dienst der Beklagten zur diagnostischen Klärung für erforderlich gehaltene und von der Beklagten der Klägerin mit Schreiben vom 14. Juli 1992 vorgeschlagene fachärztliche Untersuchung lehnte die Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 30. Juli 1992 ab. Ein unter dem 18. August 1992 erteiltes Attest des Hausarztes Dr. D der Klägerin endet mit der Bemerkung, die voraussichtliche Arbeitsfähigkeit werde für Ende 1992 in Aussicht gestellt. Nachdem die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin auch über den Jahreswechsel 1992/1993 hinaus andauerte, erteilte Dr. D unter dem 26. Januar 1993 ein weiteres Attest, in dem davon die Rede ist, ein längerer Krankheitsverlauf sei vorprogrammiert; die voraussichtliche Arbeitsfähigkeit wird darin auf Herbst 1993 bestimmt.
Mit Einschreiben vom 17. Juni 1993 versuchte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 31. Dezember 1993 zu kündigen, nachdem zuvor der Gesamtpersonalrat beteiligt worden war. Das Kündigungsschreiben wurde der Klägerin nicht zugestellt, sondern von der Post an die Beklagte zurückgesandt. Mit Schreiben vom 9. Juli 1993, das der Klägerin am 16. Juli 1993 durch Boten zugeleitet wurde, übersandte die Beklagte der Klägerin nochmals das Kündigungsschreiben vom 17. Juni 1993 und kündigte gleichzeitig hilfsweise das Arbeitsverhältnis aus den im Schreiben vom 17. Juni 1993 angegebenen Gründen zum 31. März 1994.
Die Klägerin hält die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung für sozial ungerechtfertigt. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung habe eine positive Gesundheitsprognose vorgelegen; der nach Ausspruch der Kündigung noch andauernde Krankheitsverlauf könne nicht nachträglich zur Begründung einer negativen Prognose herangezogen werden. Die zweite Kündigung vom 9. Juli 1993 sei ohne vorherige Anhörung des Personalrats ausgesprochen worden.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch
die ordentlichen Kündigungen vom 17. Juni 1993
sowie 9. Juli 1993, beide zugegangen am 16. Juli
1993, nicht aufgelöst worden ist,
und im Wege der Klageerweiterung in der Berufungsinstanz,
die Beklagte zu verurteilen, sie, die Klägerin,
über den 31. Dezember 1993 bzw. 31. März 1994
hinaus weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, vor Ausspruch der mit Schreiben vom 9. Juli 1993 erfolgten Kündigung sei keine erneute Beteiligung der Personalvertretung erforderlich gewesen, weil vorher mangels Zugangs keine Kündigung in der Welt gewesen sei. Die Kündigung sei durch Gründe in der Person der Klägerin bedingt, insbesondere ergebe sich aus den vorgelegten Attesten keine positive Prognose hinsichtlich des künftigen Gesundheitszustandes der Klägerin, die zur Zeit der Kündigung bereits vier Jahre ununterbrochen arbeitsunfähig krank gewesen sei. Eine negative Prognose ergebe sich vielmehr aus der Indizwirkung der in der Vergangenheit liegenden langen Fehlzeit, ohne daß es auf den jedenfalls bis 1995 fortdauernden Krankheitsverlauf nach Ausspruch der Kündigung ankomme.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat unter Zurückweisung der Berufung auch den Weiterbeschäftigungsanspruch abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Feststellungs- und Weiterbeschäftigungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrages unzulässig, im übrigen unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, die Kündigung vom 17. Juni bzw. 9. Juli 1993 sei nicht sozialwidrig, § 1 Abs. 2 KSchG.
I. Die Revision ist nicht etwa schon deshalb insgesamt als unzulässig zu verwerfen, weil die Klägerin die Revisionsbegründungsfrist versäumt hat.
1. Nachdem das Urteil des Landesarbeitsgerichts der Klägerin am 29. Februar 1996 zugestellt und ihre Revision am 27. März 1996 beim Bundesarbeitsgericht eingegangen ist, hätte die Revisionsbegründung bis zum 29. April 1996 (montags) beim Bundesarbeitsgericht eingehen müssen, § 74 Abs. 1 ArbGG. Die Revision ist jedoch erst am 8. Mai 1996 beim Bundesarbeitsgericht eingegangen. Auf den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin ist ihr jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, §§ 233 f. ZPO.
a) Der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin ist zulässig; der Antrag wurde form- und fristgerecht gestellt, nachdem am 6. Mai 1996 durch Vorlage der Akte ihrem Prozeßbevollmächtigten ersichtlich wurde, daß die Frist zur Begründung der Revision gemäß §§ 72, 74 ArbGG, 554 ZPO versäumt war. Der Wiedereinsetzungsantrag und die Revisionsbegründung sind innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist nachgeholt worden, §§ 234, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO.
b) Der Antrag ist auch begründet, denn die Klägerin war unverschuldet an der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist verhindert (§ 233 ZPO), wobei auch ihren Prozeßbevollmächtigten kein Verschulden trifft (§ 85 Abs. 2 ZPO). Dabei ist davon auszugehen, daß ein Rechtsanwalt die Überprüfung und Berechnung der üblichen, in seiner Praxis häufig vorkommenden Fristen seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen darf (BAG Urteil vom 16. November 1992 - 3 AZR 393/92 - AP Nr. 5 zu § 85 ZPO, m.w.N.). Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, daß die auf der Revisionsschrift von ihrem Prozeßbevollmächtigten angebrachten Vorfristen und Fristen für die Begründung der Revision trotz ausreichender Organisationsvorsorge von der sonst zuverlässigen Rechtsanwaltsgehilfin R. nicht im Terminkalender eingetragen worden sind. Die Klägerin hat ferner durch entsprechende eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht, daß ihr Prozeßbevollmächtigter durch geeignete allgemeine Anweisungen Vorkehrungen getroffen hat, um eine Überprüfung der Fristen sicherzustellen und Fristversäumnisse zu vermeiden (vgl. BGH Beschluß vom 27. Februar 1985 - IV b ZB 153/84 - VersR 1985, 502). Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin durfte sich darauf verlassen, daß die von ihm mit Rotstift angebrachten Vorfristen und der Fristablauf weisungsgemäß im Termin- und Fristenkalender eingetragen wurden. Die weiter glaubhaft gemachte Tatsache, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin nach den Verfügungen Urlaub antrat und sich die Rechtsanwaltsgehilfin R. im Skiurlaub den Oberarm brach und deshalb bis Ende Mai arbeitsunfähig war, hat im Zusammenhang mit der Nichtübertragung der Fristen in den Terminkalender zu dem Versäumnis geführt, an dem die Klägerin mithin kein Verschulden trifft.
2. Die Revision ist allerdings deshalb teilweise unzulässig, weil sie sich mit der Abweisung des in der Berufungsinstanz klageerweiternd gestellten Weiterbeschäftigungsantrages nicht auseinandersetzt. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision gehört die Angabe der Revisionsgründe unter Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm (§ 72 Abs. 5 ArbGG i. V. m. § 554 Abs. 3 Nr. 3 a ZPO). Dies erfordert grundsätzlich, daß sich die Revisionsbegründungsschrift mit der Begründung des angefochtenen Urteils auseinandersetzt (BAG Urteil vom 4. September 1975 - 3 AZR 230/75 - AP Nr. 15 zu § 554 ZPO, m.w.N.; Senatsurteil vom 20. Juli 1990 - 2 AZR 114/87 - BAGE 62, 256 = AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Sicherheitsbedenken). Dies wäre für das Weiterbeschäftigungsbegehren im Hinblick auf die mit der Revision angegriffene Entscheidung betreffend die Kündigungsschutzklage nur dann entbehrlich gewesen, wenn damit gleichzeitig auch ein zulässiger Angriff hinsichtlich der abgewiesenen Klage auf Weiterbeschäftigung vorläge. Das ist jedoch nicht der Fall.
Hier liegt nämlich die Besonderheit vor, daß der Weiterbeschäftigungsantrag nicht nur im Gefolge der abgewiesenen Feststellungsklage ebenfalls der Abweisung verfiel, sondern daß er vom Landesarbeitsgericht als unzulässig abgewiesen worden ist, weil es insofern schon an einer ausreichenden Klagebegründung im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO gefehlt habe und außerdem die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung über einen in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt hinaus unmöglich sei. Mit dieser Begründung hat sich die Revision nicht befaßt. Der Senat hat indessen entschieden, eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung im Sinne des § 554 Abs. 3 Nr. 3 ZPO setze im Falle eines sog. uneigentlichen Eventualverhältnisses für den Eventualanspruch (Weiterbeschäftigung) auch dann eine Auseinandersetzung mit den zweitinstanzlichen Entscheidungsgründen voraus, wenn das Berufungsgericht die Berufung insoweit als unzulässig verworfen habe (Senatsurteil vom 20. Juli 1990 - 2 AZR 114/87 - BAGE 62, 256, 270 f. = AP, aaO, zu III der Gründe). An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch für den vorliegenden Fall fest, soweit mit der Revisionsbegründung der Weiterbeschäftigungsantrag unverändert wie in der Berufungsinstanz - noch dazu für die zurückliegende Zeit - erneut ohne jede Begründung zur Entscheidung gestellt wird.
II. Das Landesarbeitsgericht hat im übrigen seine Entscheidung zur Kündigungsschutzklage im wesentlichen wie folgt begründet: In Übereinstimmung mit beiden Parteien sei davon auszugehen, daß nur eine Kündigung Streitgegenstand sei, nachdem die zunächst mit Schreiben vom 17. Juni 1993 versuchte Kündigung mangels Zugangs bei der Klägerin keine Rechtswirkungen gehabt habe. Vor Ausspruch der am 16. Juli 1993 zugegangenen Kündigung habe der Personalrat nicht erneut beteiligt werden müssen, weil es nicht um den Ausspruch einer zweiten Kündigung gegangen sei und vor dem Versuch der Übermittlung des Kündigungsschreibens vom 17. Juni 1993 eine ordnungsgemäße Beteiligung vorliege. Die Kündigung selbst sei durch Gründe in der Person der Klägerin bedingt, § 1 Abs. 2 KSchG, weil aufgrund der vierjährigen ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit der Klägerin von einer negativen Prognose auszugehen sei; diese werde auch dadurch gestützt, daß die Klägerin schon im Jahre 1991 die Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit angekündigt habe, die jedoch in der Folgezeit nicht eingetreten sei. Etwas anderes sei auch nicht den Attesten des Hausarztes zu entnehmen. Schließlich liege auch eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten darin, daß diese auf unabsehbare Dauer gehindert werde, ihr Direktionsrecht auszuüben und den Einsatz der Klägerin zu planen; deshalb könne die Beklagte nicht daran gehindert werden, mit der Tätigkeit der Klägerin auf Dauer einen anderen Arbeitnehmer zu beauftragen. Dabei sei im Rahmen der Interessenabwägung auch zu berücksichtigen, daß die Klägerin als Leiterin der krankengymnastischen Abteilung ersetzt werden müsse, zumal die Beklagte mit einer Entscheidung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses fast vier Jahre zugewartet habe.
III. Dieser Entscheidung tritt der Senat bei; die Revision rügt zu Unrecht eine Verletzung des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG und der Art. 72, 77 BayPersVG.
1. Bei der Frage, ob die Kündigung der Klägerin aufgrund krankheitsbedingter, langanhaltender Arbeitsunfähigkeit aus Gründen in der Person bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG), handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur dahin überprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (vgl. u. a. Urteil vom 28. Februar 1990 - 2 AZR 401/89 - AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu II 1 b aa der Gründe, m. w. N.). Unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs läßt das angefochtene Urteil bei der Beurteilung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler erkennen.
2. Das Berufungsgericht hat die Kündigung wegen der auf einer langanhaltenden Krankheit der Klägerin beruhenden Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen für sozial gerechtfertigt angesehen. Hierbei hat es zutreffend die Überprüfung in drei Stufen vorgenommen, und zwar nach Kriterien, die ihrer Struktur nach auch für andere Arten der krankheitsbedingten Kündigung gelten (vgl. für die hier einschlägige langanhaltende Krankheit BAGE 40, 361, 367 f. = AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu B I der Gründe und Urteil vom 11. August 1994 - 2 AZR 9/94 - AP Nr. 31, aaO, zu II 1 a der Gründe).
a) Danach ist zunächst eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes erforderlich. Die bisherigen und nach der Prognose zu erwartenden Auswirkungen des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers müssen weiter zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, wobei diese durch Störungen im Betriebsablauf oder wirtschaftliche Belastungen hervorgerufen werden können. In der dritten Stufe, bei der Interessenabwägung, ist dann zu prüfen, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen; die dauernde Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers führt dabei grundsätzlich zu einer für den Arbeitgeber nicht mehr tragbaren betrieblichen Beeinträchtigung; ähnliches gilt für die Ungewißheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nach langanhaltender Erkrankung.
b) Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht ausgegangen und hat mit revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Begründung angenommen, bereits nach der vier Jahre dauernden, ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit trotz mehrfacher Ankündigung einer Wiedergenesung zunächst zur Jahresmitte, dann zum Jahresende 1991, später zum Jahresende 1992, die indessen bis zum Ausspruch der Kündigung im Juni 1993 nicht eingetreten sei, sei von einer negativen Prognose auszugehen. Das Landesarbeitsgericht hat weiter ausgeführt, auch aus den im Prozeß vorgelegten ärztlichen Attesten des die Klägerin behandelnden Hausarztes ergebe sich nichts anderes, im Gegenteil: Dort sei davon die Rede, daß "ein längerer Verlauf vorprogrammiert" sei. Diese für den Senat nach § 561 ZPO verbindlichen Feststellungen sind von der Revision nicht angegriffen worden. Die Revision erschöpft sich insofern in der allgemeinen Behauptung, zum Zeitpunkt der Kündigung, auf welchen allein abzustellen sei, sei die negative Prognose nicht absehbar gewesen; es obliege nicht dem Landesarbeitsgericht, im Nachhinein eine zunächst als positiv bewertete Prognose umzukehren. Richtig ist lediglich, daß auf den Kündigungszeitpunkt abzustellen ist, was das Landesarbeitsgericht nach den vorstehenden Darlegungen praktiziert hat. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums den Umstand, daß sich die mehrfach angestellte Prognose einer baldigen Genesung in einem Zeitraum über knapp zwei Jahre fortlaufend als unzutreffend erwies, auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens dahin gewürdigt hat, zum Kündigungszeitpunkt sei von einer Negativprognose auszugehen. Es braucht daher auf den späteren Verlauf der Erkrankung gar nicht abgestellt zu werden.
Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Begründung einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen (als zweite Stufe der Prüfung) und zur Interessenabwägung (als dritte Stufe) sind revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden; die Revision hat sich damit auch nicht mit einem einzigen Wort auseinandergesetzt.
3. Die mit dem Schreiben vom 9. Juli 1993 erfolgte Kündigung durch Übersendung des vorher nicht zustellbaren Kündigungsschreibens vom 17. Juni 1993 ist auch nicht aus personalvertretungsrechtlichen Gründen unwirksam. Nach den wiederum für den Senat nach § 561 ZPO verbindlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist von einer einzigen Kündigung auszugehen, die mit der Zustellung des Schreibens vom 9. Juli 1993 am 16. Juli 1993 erfolgt ist. Vor dieser Kündigung hat die Beklagte den Personalrat gemäß Art. 72 Abs. 1, 77 Abs. 1 BayPersVG beteiligt, wie ebenfalls festgestellt ist. Der erstmalige Versuch einer Kündigung laut Schreiben vom 17. Juni 1993 hat mangels Zugangs bei der Klägerin nicht zu Rechtswirkungen geführt. Bei einer derartigen Fallkonstellation liegt eine "zweite Kündigung" im eigentlichen Sinne nicht vor, weil eine Kündigung empfangsbedürftig ist (ebenso KR-Etzel, 4. Aufl., § 102 Rz 57 a und Kraft in Anm. zu EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 78). Der Senat hat sogar bei einer Kündigung, deren Zugang streitig war, die Anhörung des Betriebsrats vor der alsbald nachfolgenden, zweiten Kündigung dann als nicht erforderlich angesehen, wenn der Betriebsrat zu der ersten, nicht nachweisbar zugegangen Kündigung ordnungsgemäß angehört worden war und derselben ausdrücklich zugestimmt hatte (Senatsurteil vom 11. Oktober 1989 - 2 AZR 88/89 - AP Nr. 55 zu § 102 BetrVG 1972). Da im vorliegenden Fall die fehlende Zustellung der "ersten Kündigung" vom Landesarbeitsgericht als unstreitig festgestellt ist, gilt dies umsomehr, zumal die Tatsache, daß die Kündigung infolge des späteren Zugangs erst zu einem späteren Termin wirksam werden konnte, an der ordnungsgemäßen Beteiligung der Personalvertretung - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend entschieden hat - nichts ändert (BAG Urteil vom 29. Januar 1986 - 7 AZR 257/84 - AP Nr. 42, aaO). Für die Personalvertretung war nämlich im Entscheidungsfall nicht zweifelhaft, daß die beabsichtigte ordentliche Kündigung unter Einhaltung der tariflich vorgeschriebenen Kündigungsfrist alsbald ausgesprochen werden sollte, was tatsächlich auch der Fall war.
Etzel Bitter Bröhl
Frey Röder
Fundstellen
RzK, III 2a Nr 36 (red. Leitsatz 1) |
EzA-SD 1997, Nr 8, 5-7 (red. Leitsatz 1 und Gründe) |
EzA § 102 BetrVG 1972, Nr 95 (red. Leitsatz 1 und Gründe) |
EzBAT § 53 BAT Beteiligung des Personalrats, Nr 12 (red. Leitsatz 1 und Gründe) |