Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung des Vorruhestandsgeldes
Leitsatz (amtlich)
- Nach dem Vorruhestandsänderungstarifvertrag für das Baugewerbe vom 17. Dezember 1985 sind bei der Berechnung des Vorruhestandsgeldes Überstundenvergütungen nicht zu berücksichtigen, wenn der Vorruhestand nach dem 31. März 1986 beginnt (§ 5 Abs. 2 Satz 4 VRTV-Bau).
- Der Vorruhestandstarifvertrag für das Baugewerbe und das VRG schließen nicht aus, daß ein Arbeitnehmer, der in mehreren Arbeitsverhältnissen beschäftigt wird, mehrfach Vorruhestandsgeld erhält. Dies setzt aber voraus, daß der Arbeitnehmer hinsichtlich aller Arbeitsverhältnisse, aus denen er Ansprüche auf Vorruhestandsgeld herleitet, die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt.
Normenkette
TVG § 1; VRG §§ 2-3; AFG §§ 112, 168; Vorruhestandstarifvertrag Bau vom 26. September 1984 §§ 2, 5; Vorruhestandsänderungstarifvertrag vom 17. Dezember 1985 § 5
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 09.05.1989; Aktenzeichen 12 Sa 53/89) |
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 29.11.1988; Aktenzeichen 5 Ca 4970/88) |
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Mai 1989 – 12 Sa 53/89 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen einschließlich der Kosten der Streithilfe.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Berechnung von Vorruhestandsleistungen.
Der am 27. April 1929 geborene Kläger war seit dem 29. Juni 1961 zunächst als Baumaschinenführer, später als Kraftfahrer beschäftigt. Am 1. August 1988 trat er in den Vorruhestand.
Die Beklagte, die ein Bauunternehmen betreibt, unterhält auf dem Gelände ihres Fuhrparks ein Wohnheim. Seit etwa 1970 hatte der Kläger den für das Wohnheim eingesetzten Hausmeister in Zeiten urlaubs- oder krankheitsbedingter Abwesenheit vertreten. Zum 1. Juni 1985 übertrug die Beklagte dem Kläger die Hausmeistertätigkeit. In der Folgezeit rechnete sie die als Überstunden bezahlte Vergütung aus der Hausmeistertätigkeit zusammen mit jener aus der Kraftfahrertätigkeit ab und trug die Gesamtvergütung jeweils auf einer Lohnsteuerkarte ein.
Unter dem 6. Mai/1. Juni 1987 schlossen die Parteien über die Beschäftigung des Klägers als Hausverwalter eine schriftliche Vereinbarung. Hierin wurden die dem Kläger obliegenden Tätigkeiten im einzelnen beschrieben. Es wurde vereinbart, daß der Kläger neben seiner Vergütung als Kraftfahrer zusätzlich pauschal zwei Stundenlöhne für die Hausverwaltertätigkeit erhält. Die Vereinbarung sollte mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende schriftlich gekündigt werden können.
In einem gerichtlichen Vergleich vom 1. Juli 1988 erklärte sich der Kläger bereit, ab 1. August 1988 zu den tariflichen Bedingungen in Vorruhestand zu gehen. Die Beklagte errechnete und bezahlte dem Kläger ab dem 1. August 1988 ein monatliches Vorruhestandsgeld in Höhe von 2.588,51 DM. Sie hat die auf die Hausmeistertätigkeit des Klägers entfallene Arbeitszeit als Überstunden angesehen und das dafür gezahlte Entgelt als Überstundenvergütung nicht bei der Berechnung des Vorruhestandsgeldes berücksichtigt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß bei der Berechnung des Vorruhestandsgeldes neben seiner Tätigkeit als Kraftfahrer auch die von ihm zusätzlich übernommenen und vergüteten Arbeiten als Hausverwalter zu berücksichtigen seien. Bei der Tätigkeit als Kraftfahrer und als Hausmeister habe es sich um zwei unterschiedliche Tätigkeitsbereiche gehandelt, die zudem auf unterschiedlichen Arbeitsverträgen beruhten. Werde das Entgelt für die Hausmeistertätigkeit berücksichtigt, stehe ihm ein um 906,33 DM höheres Vorruhestandsgeld zu.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ab August 1988 monatlich 906,33 DM höheres Vorruhestandsgeld zu zahlen und festzustellen, daß das monatliche Vorruhestandsgeld zukünftig 3.494,84 DM betrage.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Der Kläger kann kein höheres Vorruhestandsgeld verlangen.
1. Nach dem Antrag des Klägers und seiner Begründung geht es in diesem Verfahren ausschließlich um die Frage, ob der Kläger deshalb mehr Vorruhestandsgeld verlangen kann, weil sein Arbeitsentgelt aus seiner Tätigkeit als Hausverwalter bei der Berechnung des Vorruhestandsgeldes zu berücksichtigen sei.
2. Soweit die Hausmeistertätigkeit des Klägers als Überstundentätigkeit angesehen wird, ist sie nicht zu berücksichtigen, weil Überstundenbezüge nicht zum Bruttoarbeitsentgelt gehören, aus dem das Vorruhestandsgeld zu berechnen ist (§ 5 Abs. 2 Satz 4 des Tarifvertrages über den Vorruhestand im Baugewerbe in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 17. Dezember 1985 und § 3 Abs. 2 VRG i.V. mit § 112 Abs. 2 und 4 AFG).
a) Die Parteien haben 1985, als der Kläger die Hausmeistertätigkeit regelmäßig aufnahm, die hierfür notwendige Arbeitszeit als Überstunden zur Beschäftigung des Klägers als Kraftfahrer angesehen. Die Beklagte hat die Hausmeistertätigkeit als Überstunden vergütet und die Gesamtvergütung auf einer Lohnsteuerkarte eingetragen.
b) Maßgebend für die Berechnung des Vorruhestandsgeldes sind die Bestimmungen des Tarifvertrages über den Vorruhestand im Baugewerbe (VRTV-Bau). Nach der ursprünglichen Fassung des VRTV-Bau vom 26. September 1984 war das für die Höhe des Vorruhestandsgeldes maßgebliche Bruttoarbeitsentgelt das in den letzten zwölf Monaten erzielte Arbeitsentgelt. Überstundenvergütungen waren nicht ausgenommen. Durch Änderungstarifvertrag vom 17. Dezember 1985 war durch Einfügung des § 5 Abs. 2 Satz 4 VRTV-Bau bestimmt worden, daß für Überstunden gezahltes Entgelt nicht zum Bruttoarbeitsentgelt gehört, wenn der Vorruhestand nach dem 31. März 1986 beginnt.
c) Diese Änderung war wirksam. Sie galt für den Kläger, der am 1. August 1988 in Vorruhestand trat. Die Tarifvertragsparteien haben grundsätzlich Gestaltungsfreiheit. Es ist nicht Sache der Gerichte zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen haben. Sie haben lediglich zu kontrollieren, ob die bestehende Regelung die Grenzen der Tarifautonomie überschreitet (BAG Urteil vom 1. Juni 1983 AP Nr. 3 zu § 611 BGB Deputat). Diese Grenzen sind, entgegen der Ansicht der Revision, nicht dadurch überschritten, daß die Überstundenvergütung bei der Berechnung des Vorruhestandsgeldes außer Ansatz bleibt, obwohl aus ihr Sozialversicherungsbeiträge gezahlt wurden. Als Vorruhestandsleistungen soll der Arbeitnehmer nur die Bezüge erhalten, die auf die regelmäßig zu leistende Arbeitszeit entfallen. Weitergezahlt wird nur die Grundvergütung. Auch bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes werden Überstunden grundsätzlich nicht berücksichtigt (§ 112 Abs. 2 und 4 AFG). Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot als vereinbar angesehen (BVerfGE 51, 115).
3. Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß er in zwei voneinander unabhängigen Arbeitsverhältnissen gearbeitet habe, so daß er aus seiner Tätigkeit als Hausverwalter einen Anspruch auf ein zusätzliches Vorruhestandsgeld habe. Als Hausverwalter hat er die Anspruchsvoraussetzungen für das tarifliche Vorruhestandsgeld nicht erfüllt.
Die Parteien haben durch die schriftliche Vereinbarung vom 6./1. Juni 1987 die Hausverwaltertätigkeit gegenüber der Kraftfahrerbeschäftigung rechtlich selbständig geregelt. Sie haben in einem schriftlichen Vertrag die Hausverwalterpflichten unabhängig von der Kraftfahrertätigkeit bestimmt, sie haben eine besondere (Pauschal-) Vergütung vereinbart und für die Hausverwaltertätigkeit besondere Kündigungsfristen vorgesehen.
VRTV-Bau und VRG gehen zwar vom Regelfall aus, daß ein Arbeitnehmer aus einem Arbeitsverhältnis in den Vorruhestand geht. Sie schließen aber nicht aus, daß ein Arbeitnehmer, der in mehreren Arbeitsverhältnissen beschäftigt wird, mehrfach Vorruhestandsgeld erhält. Dies setzt jedoch voraus, daß der Arbeitnehmer hinsichtlich aller Arbeitsverhältnisse, aus denen er Ansprüche auf Vorruhestandsgeld herleitet, die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt.
Der Kläger hat hinsichtlich der Zweitbeschäftigung als Hausmeister ab 1. Juli 1987 nicht “mindestens 1080 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung i.S. des § 168 AFG” gestanden (§ 2 Abs. 1 Buchst. c VRTV-Bau, § 2 Abs. 1 Nr. 2 VRG). Er erfüllte daher als Hausmeister nicht die Anspruchsvoraussetzungen für ein Vorruhestandsgeld. Die Zeit vom 1. Juni 1985 bis 30. Juni 1987 kann als beitragspflichtige Zeit nicht berücksichtigt werden, da für diesen Zeitraum lediglich eine Überstundenregelung und kein Zweitarbeitsverhältnis bestand.
4. Die Klage ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Schadenersatzanspruchs wegen fehlerhafter Auskunft über die Berechnung des Vorruhestandsgeldes begründet.
Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe auf die Richtigkeit der von der Beklagten Anfang 1985 im Betrieb verteilten Broschüre zum Vorruhestand vertraut. Diese Broschüre war an die im Jahre 1985 vorruhestandsberechtigten Mitarbeiter gerichtet. Zu diesen gehörte der Kläger nicht, weil er damals das Mindestalter von 58 Jahren (§ 2 Abs. 2 Buchst. a VRTV-Bau a.F.) noch nicht erreicht hatte.
Nach der Mitteilung der Beklagten vom 8. Februar 1988, der Kläger habe ein tarifliches Vorruhestandsgeld von 2.461,34 DM zu erwarten, konnte der Kläger nicht auf ein erheblich höheres Vorruhestandsgeld vertrauen, das sich nur unter Einbeziehung der Überstundenvergütung in die Berechnung ergeben konnte. Erst nach dieser Auskunft erklärte er sich in einem gerichtlichen Vergleich bereit, zu den tariflichen Bedingungen in den Vorruhestand zu treten. Mit den tariflichen Bedingungen sind die jeweils geltenden Bestimmungen gemeint.
Unterschriften
Dr. Heither, Kremhelmer, Dr. Wittek, Mattes, Jesse
Fundstellen
BB 1991, 841 |
RdA 1991, 125 |