Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Sonderzahlung ohne Arbeitsleistung
Leitsatz (redaktionell)
Bestätigung der Rechtsprechung des Zehnten Senats vom 17. Dezember 1992 (– 10 AZR 427/91 – AP Nr. 148 zu § 611 BGB Gratifikation) und vom 8. Dezember 1993 (– 10 AZR 66/93 – AP Nr. 159 zu § 611 BGB Gratifikation)
Normenkette
BGB § 611
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Urteil vom 08.12.1993; Aktenzeichen 8 Sa 90/93) |
ArbG Hamburg (Urteil vom 22.07.1993; Aktenzeichen 2 Ca 98/93) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 08. Dezember 1993 – 8 Sa 90/93 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung eines 13. Monatseinkommens für das Jahr 1992.
Der Kläger ist seit 1962 bei der Beklagten als Maurer beschäftigt.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 27. April 1990 (im folgenden: TV 13. ME-Baugewerbe) Anwendung.
§ 2 TV 13. ME-Baugewerbe lautet – soweit hier von Bedeutung – wie folgt:
„(1) Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am 30. November des laufenden Kalenderjahres (Stichtag) mindestens 12 Monate ununterbrochen besteht, haben Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen. Es beträgt … ab 1. Januar 1992 10,7 v.H. ihres in der Zeit vom 1. Dezember des Vorjahres bis zum Stichtag (Berechnungszeitraum) erzielten Arbeitsentgelts, mindestens jedoch das 102-fache ihres in der Lohntabelle ausgewiesenen Gesamttarifstundenlohnes (Mindestbetrag).
(2) …
(3) …
(4) Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers oder durch Fristablauf vor dem Stichtag endet und deren Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Ausscheidens mindestens 3 Monate ununterbrochen bestanden hat, haben gleichfalls auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen.
…
Es beträgt mindestens für jeden vollen Beschäftigungsmonat in diesem Arbeitsverhältnis seit dem 1. Dezember des Vorjahres 1/12 des Mindestbetrages gemäß Abs. 1. Der Anspruch besteht auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis von dem Arbeitnehmer gekündigt wird, um die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu schaffen, oder wenn es einvernehmlich aufgehoben wird.
(5) …”
Der Kläger war im Kalenderjahr 1992 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.
Er ist der Ansicht, ihm stehe für das Jahr 1992 ein 13. Monatseinkommen in Höhe von 102 Stundenlöhnen unabhängig davon zu, daß er während des ganzen Kalenderjahres nicht gearbeitet habe.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.267,46 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit (19. März 1993) zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der Kläger habe keinen Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen, weil er im Kalenderjahr 1992 nicht gearbeitet habe.
In der Revisionsinstanz hat die Beklagte vorgetragen, der Kläger sei seit 15. November 1991 durchgehend arbeitsunfähig krank gewesen. Sie habe am 12. Mai 1993 gegenüber dem Arbeitsamt auf das Direktionsrecht verzichtet. Der Kläger habe ab 13. Mai 1993 bzw. ab 1. Juli 1993 eine Rente bezogen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf das tarifliche 13. Monatseinkommen in Höhe des Mindestbetrags von 102 Stundenlöhnen zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die fehlende tatsächliche Arbeitsleistung des Klägers im Kalenderjahr 1992 schließe den Anspruch auf die Sonderzahlung nicht aus.
Der Senat folgt dem Landesarbeitsgericht im Ergebnis.
II. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zahlung des tariflichen 13. Monatseinkommens in der begehrten Höhe.
1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß auch ein Arbeitnehmer, der während des gesamten maßgeblichen Bezugszeitraumes vom 1. Dezember des Vorjahres bis zum 30. November des laufenden Kalenderjahres arbeitsunfähig krank ist, Anspruch auf das 13. Monatseinkommen in Höhe von 102 Tarifstundenlöhnen hat. Der Senat hat dies in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 1992 (– 10 AZR 427/91 – AP Nr. 148 zu § 611 BGB Gratifikation) gerade für den hier in Streit stehenden TV 13. ME-Baugewerbe vom 27. April 1990 entschieden. Eine bloß langandauernde Arbeitsunfähigkeit läßt den Anspruch allein noch nicht entfallen. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Die Ausführungen der Beklagten führen zu keiner anderen Beurteilung. Wie der Senat in der Entscheidung vom 8. Dezember 1993 (– 10 AZR 66/93 – AP Nr. 159 zu § 611 BGB Gratifikation) zum Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens für die Angestellten des Baugewerbes vom 27. April 1990 ausgeführt hat, kann nicht darauf geschlossen werden, die Tarifvertragsparteien hätten eine Regelung, wonach bei einer fehlenden tatsächlichen Arbeitsleistung im gesamten Bezugszeitraum der Anspruch auf die Sonderleistung entfallen soll, lediglich im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unterlassen. Daher führt auch die Änderung des Tarifvertrages über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens mit der Fassung vom 23. Juni 1993 vorliegend zu keinem anderen Ergebnis.
2. Allerdings hat der Senat in dem Urteil vom 28. September 1994 (– 10 AZR 805/93 – AP Nr. 168 zu § 611 BGB Gratifikation) im einzelnen ausgeführt und begründet, daß dem Arbeitnehmer die tarifliche Sonderzahlung auch in der Mindesthöhe nicht zusteht, wenn er nach langer Arbeitsunfähigkeit und Aussteuerung durch die Krankenkasse zunächst Arbeitslosengeld nach § 105 a AFG und später eine Rente beantragt und der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitsamt auf das Direktionsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer verzichtet hat, auch wenn das Arbeitsverhältnis rechtlich fortbesteht. Der Senat hat angenommen, daß in einem solchen Fall die durch das an sich fortbestehende Arbeitsverhältnis begründeten Bindungen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einer Weise gelockert sind, die es rechtfertigt anzunehmen, daß ein Arbeitsverhältnis im Sinne des TV 13. ME-Baugewerbe, das Grundlage für den Anspruch auf die Sonderzahlung ist, nicht mehr besteht.
Soweit die Beklagte im vorliegenden Fall – allerdings erst in der Revisionsinstanz – vorgetragen hat, daß sie am 12. Mai 1993 gegenüber dem Arbeitsamt auf das Direktionsrecht gegenüber dem Kläger verzichtet hat, führt dies jedoch zu keiner anderen Beurteilung. Dabei kann dahinstehen, ob das verspätete – bestrittene – Vorbringen der Beklagten in der Revisionsinstanz noch berücksichtigt werden könnte. Der Kläger kann den Mindestbetrag des tariflichen 13. Monatseinkommens von 102 Stundenlöhnen auch dann beanspruchen, wenn man den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt. Der Verzicht auf das Direktionsrecht gegenüber dem Arbeitsamt ist danach erst im Mai 1993 und damit außerhalb des hier maßgeblichen Bezugszeitraums (1. Dezember 1991 – 30. November 1992) erfolgt. Er steht daher auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Senats vom 28. September 1994 (– 10 AZR 805/93 –, a.a.O.) dem Anspruch des Klägers nicht entgegen.
Haben die Vorinstanzen den vom Kläger geltend gemachten Anspruch somit zu Recht zuerkannt, so ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Böck, Thiel, Tirre
Fundstellen