Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsrat. Schulungsveranstaltung. Erforderlichkeit
Orientierungssatz
Der Besuch einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG, auf der Grundkenntnisse im Betriebsverfassungsrecht, im allgemeinen Arbeitsrecht oder im Bereich der Arbeitssicherheit und Unfallverhütung vermittelt werden, kann für ein Betriebsratsmitglied nicht erforderlich sein, wenn die Schulung erst kurz vor dem Ende der Amtszeit des Betriebsrats stattfindet und der Betriebsrat zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung absehen kann, dass das zu schulende Mitglied bis zum Ablauf der Amtszeit die auf der Schulungsveranstaltung vermittelten Grundkenntnisse nicht mehr einsetzen kann.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 6
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 8. November 2006 – 10 Sa 1053/06 – unter Zurückweisung der Revision im Übrigen teilweise aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 11. Mai 2006 – 3 Ca 238/06 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 632,80 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Februar 2006 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 45,20 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27. Februar 2006 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche des Klägers für die Zeit seiner Teilnahme an einer Betriebsratsschulung.
Der Kläger ist seit dem 15. Juli 1990 bei der Beklagten als technischer Angestellter mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden und einem monatlichen Durchschnittsentgelt von 2.752,66 Euro beschäftigt. Er wurde im Jahr 2002 erstmals zum Mitglied des aus neun Personen bestehenden Betriebsrats bei der Beklagten gewählt. Die konstituierende Sitzung des Betriebsrats fand am 20. März 2002 statt.
Während seiner Amtszeit nahm der Kläger an folgenden Schulungsveranstaltungen teil:
“Interessenvertretung und Handlungsmöglichkeiten gemäß BetrVG” (BR I) vom 5. – 10. Oktober 2003;
“Aktuelle Rechtsprechung zum Kündigungsschutz” am 8. Januar 2004;
“Organisation und Planung der Betriebsratsarbeit” – Grundstufe vom 15. – 20. Februar 2004;
“Überblick über die aktuelle Gesetzgebung im Kündigungs-, Befristungs- und Abfindungsrecht ab dem 1. Januar 2004” am 16. Juni 2004.
Der Betriebsrat beschloss am 3. Februar 2005, den Kläger und das weitere Betriebsratsmitglied K… zu dem Wochenseminar “BR II (Teil 1)” vom 10. – 15. April 2005 und zu dem Wochenseminar “BR II (Teil 2)” vom 16. – 21. Oktober 2005 zu entsenden. Mit Schreiben vom 17. Februar 2005 unterrichtete der Betriebsrat die Geschäftsführung der Beklagten über den Entsendungsbeschluss. Die Beklagte zahlte dem Kläger für die Zeit seiner Teilnahme an der Schulungsveranstaltung “BR II (Teil 1)” das Arbeitsentgelt und übernahm die anfallenden Seminarkosten.
Nachdem der Betriebsrat die Beklagte mit Schreiben vom 16. August 2005 über den Zeitraum des Seminars “BR II (Teil 2)” unterrichtet hatte, teilte diese mit Schreiben vom 26. August 2005 mit, die Teilnahme des Klägers an der Schulungsveranstaltung sei auf Grund der im März 2006 anstehenden Betriebsratswahl nicht mehr erforderlich. Daraufhin bestätigte der Betriebsrat auf seiner Betriebsratssitzung vom 15. September 2005 den bereits am 3. Februar 2005 gefassten Beschluss über die Teilnahme des Klägers und des weiteren Betriebsratsmitglieds K… an der Schulungsveranstaltung “BR II (Teil 2)”. Der Kläger nahm in der Zeit vom 16. – 21. Oktober 2005 an dem von dem DGB NRW Bildungswerk e. V. veranstalteten Seminar teil. Schwerpunktthemen des Seminars waren die Mitwirkungsrechte in personellen Angelegenheiten nach den §§ 92 – 102 BetrVG, wobei am dritten und an einem Teil des Vormittags des vierten Seminartags das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG behandelt wurde.
Die Beklagte zahlte dem Kläger das auf die Zeit seiner Seminarteilnahme entfallende Arbeitsentgelt iHv. 632,80 Euro brutto nicht. Daneben nahm sie auf Grund der Betriebsvereinbarung vom 3. Dezember 2004 einen Stundenabzug für fünf Fehltage iHv. insgesamt 2,5 Stunden von dem seinerzeit geführten Arbeitszeitkonto des Klägers vor.
Mit der am 1. Februar 2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Zahlung der Arbeitsvergütung für die Zeit seiner Seminarteilnahme geltend gemacht und sich gegen die Belastung seines Arbeitszeitkontos gewandt. Er hat gemeint, die Teilnahme an dem Seminar “BR II (Teil 2)” sei erforderlich gewesen. Bei dieser Schulungsmaßnahme habe es sich um den zweiten Teil des einheitlichen Grundseminars “BR II” gehandelt. Die Schulung sei auch nicht erst kurz vor dem Ende der Amtszeit des Betriebsrats erfolgt, da die Neuwahl des Betriebsrats erst am 17. Mai 2006 stattgefunden habe.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 632,80 Euro brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, 2,5 Stunden auf das Arbeitszeitkonto des Klägers gutzuschreiben,
hilfsweise zu 2.
an den Kläger 45,20 Euro brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat gemeint, die Betriebsratsbeschlüsse vom 3. Februar 2005 und vom 15. September 2005 seien nicht ordnungsgemäß zustande gekommen. Der Kläger habe überdies zum Zeitpunkt der streitigen Schulungsmaßnahme auf Grund der absolvierten Schulungsveranstaltungen und seiner Betriebsratsarbeit über ein ausreichendes Erfahrungswissen verfügt. Er habe als Betriebsratsmitglied im Jahr 2003 an der Anhörung von ca. 20 betriebsbedingten Kündigungen und im Mai 2004 an der Einstellung von 15 Leiharbeitnehmern mitgewirkt.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet und führt unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts. Die Klage ist mit dem Antrag zu 1. und mit dem zum Antrag zu 2. gestellten Hilfsantrag begründet. Der Kläger hat Anspruch auf die Zahlung der Vergütung für die Zeit vom 16. bis zum 21. Oktober 2005 für die Zeit seiner Teilnahme an dem Seminar “BR II (Teil 2)” in dieser Zeit nach § 611 BGB iVm. § 37 Abs. 2, Abs. 6 BetrVG.
I.1. Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind nicht freigestellte Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und so weit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Der Anspruch auf Vergütungsfortzahlung setzt voraus, dass das Betriebsratsmitglied während der Zeit der Arbeitsbefreiung gesetzliche Aufgaben des Betriebsrats wahrnimmt. Außerdem muss die Arbeitsbefreiung zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich sein. Nach § 37 Abs. 6 Satz 1 iVm. § 37 Abs. 2 BetrVG hat ein Betriebsratsmitglied für die Zeit der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung einen Anspruch auf bezahlte Freistellung von der nach dem Arbeitsvertrag geschuldeten Arbeitsleistung, soweit diese Kenntnisse vermittelt, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Sinn und Zweck des § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG ist es, dem Betriebsrat als Gremium die Kenntnisse zu verschaffen, die ihm die sachgerechte Wahrnehmung seiner Rechte und Pflichten ermöglichen.
2. Die Vermittlung von Kenntnissen ist für die Betriebsratsarbeit erforderlich iSd. § 37 Abs. 6 BetrVG, wenn diese Kenntnisse unter Berücksichtigung der konkreten Situation im Betrieb und im Betriebsrat benötigt werden, damit die Betriebsratsmitglieder ihre derzeitigen oder demnächst anfallenden gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen können. Für die Frage, ob die konkreten Aufgaben des einzelnen Betriebsratsmitglieds seine Schulung erforderlich machen, ist darauf abzustellen, ob nach den Verhältnissen des einzelnen Betriebs Fragen anstehen oder absehbar in naher Zukunft anstehen werden, die der Beteiligung des Betriebsrats unterliegen und für die im Hinblick auf den Wissensstand des Betriebsrats eine Schulung eines Betriebsratsmitglieds gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Aufgabenverteilung im Betriebsrat erforderlich erscheint, damit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben kann.
a) Der Senat unterscheidet in ständiger Rechtsprechung zwischen der Vermittlung von sog. Grundkenntnissen, durch die das Betriebsratsmitglied erst in die Lage versetzt werden soll, seine sich aus der Amtsstellung ergebenden Rechte und Pflichten ordnungsgemäß wahrzunehmen, und anderen Schulungsveranstaltungen, bei denen ein aktueller, betriebsbezogener Anlass für die Annahme bestehen muss, dass die auf der Schulungsveranstaltung zu erwerbenden Kenntnisse derzeit oder in naher Zukunft von dem zu schulenden Betriebsratsmitglied benötigt werden, damit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben kann. Hingegen ist bei Schulungsveranstaltungen, auf denen das für die Ausübung des Betriebsratsamts unverzichtbare Grundwissen vermittelt wird, wegen der mit der Betriebsratsarbeit typischerweise verbundenen Aufgabenstellung auch ohne besondere Darlegung davon auszugehen, dass sie vom Betriebsratsmitglied entweder alsbald oder zumindest demnächst benötigt werden, um seine Betriebsratsaufgaben sachgerecht wahrnehmen zu können. Zu diesen Grundschulungen zählen Schulungsveranstaltungen, bei denen Grundkenntnisse im Betriebsverfassungsrecht, im allgemeinen Arbeitsrecht oder im Bereich der Arbeitssicherheit und Unfallverhütung vermittelt werden (BAG 19. Juli 1995 – 7 ABR 49/94 – AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 110 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 126, zu B 2b der Gründe mwN).
b) Von der Entbehrlichkeit der Darlegung eines betriebsbezogenen Schulungsbedarfs bei den Grundschulungen hat der Senat zwei Ausnahmen anerkannt. Die Vermittlung eines Grundwissens ist für die ordnungsgemäße Betriebsratsarbeit nicht mehr erforderlich, wenn das zu schulende Betriebsratsmitglied auf Grund seiner bis zum Zeitpunkt des Betriebsratsbeschlusses erworbenen Vorkenntnisse bereits über das erforderliche Grundwissen für die Ausübung seiner sich aus dem Betriebsratsamt ergebenden Aufgaben verfügt. Zu den persönlichen Vorkenntnissen gehören auch die auf vorangegangenen Schulungen vermittelten Kenntnisse und das durch langjährige Tätigkeit im Betriebsrat erworbene Erfahrungswissen (BAG 16. Oktober 1986 – 6 ABR 14/84 – BAGE 53, 186 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 58 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 87, zu II 2c bb der Gründe).
An der Erforderlichkeit kann es daneben fehlen, wenn die Schulung erst kurz vor dem Ende der Amtszeit des Betriebsrats stattfindet und der Betriebsrat zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung absehen kann, dass das zu schulende Mitglied bis zum Ablauf der Amtszeit die auf der Schulungsveranstaltung vermittelten Grundkenntnisse nicht mehr einsetzen kann. Soweit der Senat in der Vergangenheit darüber hinaus eine besondere Darlegung der Erforderlichkeit bei der Vermittlung von Grundkenntnissen für notwendig gehalten hat, wenn die Schulungsveranstaltung erst kurz vor Ablauf der Amtszeit erfolgen soll (BAG 7. Juni 1989 – 7 ABR 26/88 – BAGE 62, 74 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 67 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 98, zu B I 2 der Gründe), hält er hieran nicht mehr fest. Eine solche Sichtweise trägt der Bedeutung der für die Betriebsratsarbeit notwendigen Grundkenntnisse und dem Beurteilungsspielraum des Betriebsrats bei der Beschlussfassung über die Teilnahme an einer Schulung iSd. § 37 Abs. 6 BetrVG, den der Senat in späteren Entscheidungen anerkannt hat (zB 15. Januar 1997 – 7 ABR 14/96 – BAGE 85, 56 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 118 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 133, zu B 2 der Gründe), nicht ausreichend Rechnung. Das durch die Grundschulungen vermittelte Wissen im Betriebsverfassungsrecht, im allgemeinen Arbeitsrecht und im Bereich der Arbeitssicherheit sowie der Unfallverhütung sollen das Betriebsratsmitglied in die Lage versetzen, die sich aus dem Gesetz ergebenden Betriebsratsaufgaben sachgerecht wahrzunehmen. Der Betriebsrat kann seine gesetzlichen Aufgaben nur erfüllen, wenn bei allen seinen Mitgliedern zumindest ein Mindestmaß an Wissen über die Rechte und Pflichten einer Arbeitnehmervertretung vorhanden ist. Deshalb überwiegt regelmäßig das Interesse des Betriebsrats an der Vermittlung des erforderlichen Grundwissens das Interesse des Arbeitgebers an einer effizienten und kostengünstigen Betriebsführung. Außerdem unterliegt es wegen des dem Betriebsrats bei der Beschlussfassung nach § 37 Abs. 6 BetrVG zustehenden Beurteilungsspielraums seiner Einschätzung, ob er die Vermittlung von Grundwissen für die Betriebsratsarbeit an ein erstmalig gewähltes Betriebsratsmitglied für erforderlich hält. Der Beurteilungsspielraum des Betriebsrats ist erst überschritten, wenn für ihn absehbar ist, dass das zu schulende Betriebsratsmitglied in seiner verbleibenden Amtszeit das vermittelte Wissen nicht mehr benötigt. Dies setzt eine hinreichend sichere Einschätzung des Betriebsrats über die bis zum Ende der Amtszeit noch anfallenden Betriebsratsaufgaben voraus. Kann der Betriebsrat Art und Umfang der beteiligungspflichtigen Angelegenheiten, die voraussichtlich bis zu dem Amtszeitende des zu schulenden Betriebsratsmitglieds anfallen werden, nicht beurteilen, kann er die Teilnahme eines erstmalig in den Betriebsrat gewählten Betriebsratsmitglieds – von Missbrauchsfällen abgesehen – als erforderlich iSd. § 37 Abs. 6 BetrVG ansehen.
3. Der durch § 37 Abs. 6 Satz 1 iVm. Abs. 2 Satz 1 BetrVG normierte Anspruch auf Entsendung von Betriebsratsmitgliedern zu Schulungs- und Bildungsveranstaltungen ist – anders als der Anspruch nach § 37 Abs. 7 BetrVG – nicht als Anspruch der einzelnen Betriebsratsmitglieder ausgestaltet (BAG 15. Mai 1986 – 6 ABR 64/83 – BAGE 52, 73 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 53 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 84, zu II 2a der Gründe). Die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds für eine Schulungsveranstaltung ist daher von einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung des Betriebsrats über die Entsendung des Betriebsratsmitglieds zu der Schulungsveranstaltung abhängig (BAG 16. Oktober 1986 – 6 ABR 14/84 – BAGE 53, 186 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 58 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 87, zu II 2 der Gründe). Die Wirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses setzt voraus, dass er in einer Betriebsratssitzung gefasst worden ist, zu der die Mitglieder des Betriebsrats gem. § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG rechtzeitig unter Mitteilung der Tagesordnung geladen worden sind (BAG 28. April 1988 – 6 AZR 405/86 – BAGE 58, 221 = AP BetrVG 1972 § 29 Nr. 2 = EzA BetrVG 1972 § 29 Nr. 1, zu II 3a der Gründe). Ist ein Betriebsratsmitglied verhindert, an der Sitzung teilzunehmen, ist ein Ersatzmitglied zu laden (§ 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Der Betriebsrat muss sich als Gremium mit dem entsprechenden Sachverhalt befasst und durch Abstimmung eine einheitliche Willensbildung herbeigeführt haben (BAG 14. Februar 1996 – 7 ABR 25/95 – AP BetrVG 1972 § 76a Nr. 5 = EzA BetrVG 1972 § 40 Nr. 76, zu B II 4 der Gründe).
II. Diese Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht nicht genügend beachtet. Es ist zwar zutreffend von der Ordnungsmäßigkeit des für die Schulungsteilnahme maßgeblichen Betriebsratsbeschlusses am 15. September 2005 ausgegangen. Das Landesarbeitsgericht durfte die Erforderlichkeit des Seminars “BR II (Teil 2)” nach den von ihm getroffenen Feststellungen aber nicht mit ausreichenden Vorkenntnissen des Klägers aus dem Bereich der personellen Angelegenheiten verneinen. Die vom Berufungsgericht festgestellten Vorkenntnisse des Klägers betrafen nur das Anhörungsverfahren vor dem Kündigungsausspruch (§ 102 BetrVG) und die Einstellung von Leiharbeitnehmern iSd. § 99 Abs. 1 BetrVG, § 14 Abs. 3 Satz 1 AÜG. Auf dem Seminar “BR II (Teil 2)” wurden jedoch überwiegend Themen aus dem Bereich der personellen Angelegenheiten behandelt, für die das Landesarbeitsgericht keine Vorkenntnisse des Klägers festgestellt hat. Der Erforderlichkeit iSd. § 37 Abs. 6 BetrVG stehen auch die im Jahr 2006 im Betrieb der Beklagten anstehenden regulären Betriebsratswahlen nicht entgegen. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit den Beurteilungsspielraum des Betriebsrats nicht hinreichend beachtet. Für die Erforderlichkeit einer Schulungsveranstaltung ist es nicht maßgeblich, ob in der Zeit von der Schulungsveranstaltung bis zur Neuwahl des Betriebsrats von der Beklagten Entlassungen oder Einstellungen bzw. Versetzungen vorgenommen worden sind. Entscheidend ist vielmehr, dass der Betriebsrat bei seiner Beschlussfassung nicht ausschließen konnte, dass bis zum Ende der Amtszeit des Klägers Beteiligungssachverhalte in personellen Angelegenheiten anfallen, für die der Kläger die auf der Schulungsveranstaltung vermittelten Kenntnisse benötigen würde. Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Einer Zurückverweisung an die Vorinstanz bedarf es nicht, da der Senat auf Grund der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen über den mit der Klage geltend gemachten Anspruch selbst entscheiden kann (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der Betriebsrat durfte bei seiner Beschlussfassung am 15. September 2005 die Teilnahme des Klägers an der Schulungsveranstaltung “BR II (Teil 2)” in der Zeit vom 16. Oktober bis zum 21. Oktober 2005 für erforderlich iSd. § 37 Abs. 6 BetrVG halten. Die Klage ist daher mit dem Antrag zu 1. und mit dem zum Antrag zu 2. gestellten Hilfsantrag begründet.
1. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht von der Ordnungsmäßigkeit des Entsendungsbeschlusses für die Schulungsveranstaltung “BR II (Teil 2)” ausgegangen.
a) Allerdings ist für die Prüfung der Erforderlichkeit iSd. § 37 Abs. 6 BetrVG entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nur der Betriebsratsbeschluss vom 15. September 2005 maßgeblich. Mit diesem hat der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat erneut eine Sachentscheidung über die Entsendung des Klägers zu dem Seminar “BR II (Teil 2)” getroffen, nachdem die Beklagte die Erforderlichkeit der Schulung nie in Zweifel gezogen hatte.
b) Nach dem von der Beklagten nicht substantiiert bestrittenen Vorbringen des Klägers ist der Betriebsrat zu seiner Sitzung am 15. September 2005 unter Mitteilung des Tagesordnungspunkts “Nochmalige Beschlussfassung über die Seminarteilnahme der BR-Mitglieder K… und M…” geladen worden. An der Betriebsratssitzung haben neben sieben Betriebsratsmitgliedern zwei Ersatzmitglieder für die wegen Urlaub verhinderten zwei regulären Betriebsratsmitglieder teilgenommen und sich an der Abstimmung über die Teilnahme des Klägers an dem Seminar beteiligt, die zu der einstimmigen Annahme des Antrags geführt hat. Der Kläger hat zwar nicht vorgetragen, wann die Tagesordnung den Betriebsratsmitgliedern vor der Sitzung zugegangen ist. Dies war vorliegend nicht erforderlich, da sich nach dem Protokoll der Betriebsratssitzung kein Betriebsratsmitglied auf eine zu kurze Vorbereitungszeit berufen hat. Danach ist der Beschluss ordnungsgemäß gefasst worden.
2. Der Betriebsrat durfte die Teilnahme des Klägers an dem Seminar “BR II (Teil 2)” für erforderlich iSd. § 37 Abs. 6 BetrVG halten. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt.
a) Nach der von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Annahme des Landesarbeitsgerichts handelt es bei der Schulungsveranstaltung “BR II (Teil 2)” um die Vermittlung von Grundkenntnissen in Bereich der personellen Mitbestimmung des Betriebsrats, für deren Erforderlichkeit nach der Senatsrechtsprechung eine besondere Darlegung nicht erforderlich ist.
b) Das Landesarbeitsgericht durfte die Erforderlichkeit der Schulungsveranstaltung “BR II (Teil 2)” nach den von ihm getroffenen Feststellungen nicht mit ausreichenden Vorkenntnissen des Klägers verneinen. Bei der Veranstaltung wurden überwiegend Themen aus dem Bereich der personellen Angelegenheiten behandelt, bei denen der Betriebsrat nicht von ausreichenden Vorkenntnissen des Klägers ausgehen konnte.
aa) Es ist schon fraglich, ob der Kläger – wie das Landesarbeitsgericht meint – durch seine Mitwirkung an dem Anhörungsverfahren für den Ausspruch von 20 betriebsbedingten Kündigungen im Jahr 2003 und an dem Zustimmungsverfahren für die Einstellung von 15 Leiharbeitnehmern im Jahr 2004 ausreichendes Erfahrungswissen erworben hat, das einer systematischen Wissensvermittlung im Rahmen einer Grundschulung entspricht. Zu einer solchen Annahme hätte das Landesarbeitsgericht nur kommen können, wenn es sich näher mit den Inhalten der im Jahr 2004 vom Kläger besuchten Tagesveranstaltungen und den von der Beklagten nur pauschal vorgetragenen Abläufen der Beteiligungssachverhalte befasst hätte, woran es im Streitfall fehlt. Aber selbst wenn der Kläger durch seine bisherige Seminarteilnahme und seine Mitwirkung an den Beteiligungsverfahren zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Betriebsrats am 15. September 2005 über ausreichende Vorkenntnisse im Bereich der betriebsbedingten Kündigung und der Einstellung von Leiharbeitnehmern verfügt haben sollte, konnte der Betriebsrat den Besuch der Schulungsveranstaltung “BR II (Teil 2)” dennoch für erforderlich halten. Diese hatte nämlich überwiegend Themen zum Gegenstand, bei denen der Betriebsrat auch unter Berücksichtigung der bisher vom Kläger besuchten Schulungsveranstaltungen nicht von vorhandenem Erfahrungswissen des Klägers ausgehen musste.
bb) Grundsätzlich ist die Erforderlichkeit für eine Schulungsveranstaltung einheitlich zu bewerten. Eine nur teilweise erforderliche Schulung für die Tätigkeit eines Betriebsratsmitglieds kommt nur dann in Betracht, wenn die unterschiedlichen Themen so klar voneinander abgegrenzt sind, dass ein zeitweiser Besuch der Schulungsveranstaltung möglich und sinnvoll ist. Ist eine Aufteilung der Schulungsveranstaltung und ein zeitweiser Besuch praktisch nicht möglich, entscheidet über die Erforderlichkeit der Gesamtschulung, ob die erforderlichen Themen mit mehr als 50 % überwiegen (BAG 28. Mai 1976 – 1 AZR 116/74 – AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 24 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 49, zu 3a der Gründe). Dies ist der Fall.
cc) Einen Abgleich des Themenplans der Veranstaltung mit den Vorkenntnissen des Klägers hat das Landesarbeitsgericht nicht vorgenommen. Es hat nicht ausgeführt, welche Teile der Schulungsveranstaltung “BR II (Teil 2)” der Betriebsrat wegen der Vorkenntnisse des Klägers als nicht erforderlich ansehen durfte. Einer solchen Auseinandersetzung hätte es jedoch bedurft, weil in dem Seminar “BR II (Teil 2)” auch Themen behandelt worden sind, die nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts weder Inhalt der bisherigen Betriebsratsarbeit noch Gegenstand der vom Kläger besuchten Schulungsveranstaltungen gewesen sind. Dies betrifft zB die Beteiligungsrechte aus den §§ 92 – 95 BetrVG. Selbst wenn zu Gunsten der Beklagten unterstellt würde, dass der Kläger auf Grund seiner Mitwirkung an den Anhörungsverfahren bei den betriebsbedingten Kündigungen und seiner Teilnahme an den Tagesseminaren am 8. Januar 2004 bzw. 16. Juni 2004 über ein hinreichendes Erfahrungswissen über das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG verfügt haben sollte, wäre allenfalls die am dritten Seminartag und an einem Teil des Vormittags am vierten Seminartag erfolgte Behandlung der Beteiligung des Betriebsrats als nicht erforderlich anzusehen. Die an den verbleibenden Tagen vermittelten Inhalte und damit den überwiegenden Teil der Veranstaltung “BR II (Teil 2)” durfte der Betriebsrat hingegen als erforderlich iSd. § 37 Abs. 6 BetrVG ansehen. Dies gilt auch für den Seminarteil, der sich mit den personellen Einzelmaßnahmen iSd. § 99 BetrVG befasst hat. Das Landesarbeitsgericht hat bei seinen Feststellungen zu den Vorkenntnissen des Klägers über die Mitwirkung des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen nicht genügend beachtet, dass es sich bei der Einstellung nur um einen von vier Beteiligungstatbeständen des § 99 Abs. 1 BetrVG handelt.
c) Der bevorstehende Ablauf der Amtszeit steht der Erforderlichkeit der Schulungsveranstaltung “BR II (Teil 2)” nicht entgegen. Auch dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt.
Das Berufungsgericht hat insoweit den Beurteilungsspielraum des Betriebsrats nicht genügend beachtet. Für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Schulungsveranstaltung iSd. § 37 Abs. 6 BetrVG ist maßgeblich, ob der Betriebsrat bei seiner Beschlussfassung am 15. September 2005 davon ausgehen konnte, dass der Kläger die auf der Veranstaltung “BR II (Teil 2)” erworbenen Kenntnisse voraussichtlich bis zum Ablauf seiner Amtszeit im Jahr 2006 noch benötigt. Deshalb ist es ohne Bedeutung, dass die Beklagte von Oktober 2005 bis zum Ende der Amtszeit des Betriebsrats keine Kündigungen oder Einstellungen bzw. Versetzungen vorgenommen hat. Dieser Umstand hätte vom Landesarbeitsgericht nur dann berücksichtigt werden können, wenn der Betriebsrat bei seiner Beschlussfassung am 15. September 2005 davon ausgehen konnte, dass entsprechende Beteiligungssachverhalte und auch andere personelle Angelegenheiten bis zu dem Amtszeitende des Klägers voraussichtlich nicht anfallen werden. Dies hat aber selbst die Beklagte nicht vorgetragen.
3. Danach ist die Klage mit dem Antrag zu 1. und mit dem zum Antrag zu 2. gestellten Hilfsantrag begründet. Die Höhe der mit den Klageanträgen geltend gemachten Vergütung hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt. Beide Parteien haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt, dass ein Arbeitszeitkonto, auf dem die mit dem Antrag zu 2. verfolgte Stundengutschrift erfolgen könnte, gegenwärtig nicht besteht, weshalb dem zum Antrag zu 2. gestellten Hilfsantrag zu entsprechen war.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Unterschriften
Dörner, Gräfl, Koch, Willms, Bea
Fundstellen
Haufe-Index 2068579 |
BB 2008, 2457 |
DB 2008, 2659 |