Entscheidungsstichwort (Thema)
Status einer teilzeitbeschäftigten Vertragsärztin
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 611; HGB § 84 Abs. 1; ArbGG § 5 Abs. 1 S. 2; ZPO § 256
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 09.06.1989; Aktenzeichen 12 Sa 1866/88) |
ArbG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 15.09.1988; Aktenzeichen 1 Ca 271/88) |
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 9. Juni 1989 – 12 Sa 1866/88 – aufgehoben.
2. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 15. September 1988 – 1 Ca 271/88 – wird zurückgewiesen.
3. Der Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis oder ein freies Mitarbeiterverhältnis besteht.
Die Klägerin ist approbierte Ärztin und aufgrund des „Dienstvertrages” vom 14. Februar 1980 für das Gesundheitsamt des beklagten Landkreises tätig; vorher arbeitete sie in gleicher Weise für das Gesundheitsamt des Landkreises H. Die Vergütung wird nach Stunden berechnet, der Stundensatz beträgt nach dem Änderungsvertrag vom 17. Mai 1985 57,– DM. Der Dienstvertrag (DV) lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 1
Frau Dr. L. als nicht vollbeschäftigte Vertragsärztin des Gesundheitsamtes W. führt nach ihrer Übersiedlung von H. nach O. ab Monat August 1980 Mütterberatungen, Schuluntersuchungen und Schutzimpfungen zu den vom Gesundheitsamt festgesetzten Terminen durch.
§ 2
Frau Dr. L. verpflichtet sich, die übernommene vertragsärztliche Tätigkeit unter Aufsicht des jeweiligen Leiters des Gesundheitsamtes auszuführen, erforderliche Berichte dem Gesundheitsamt zu erstatten und sich auf eigene Kosten gegen Unfall und Haftpflicht zu versichern.
§ 3
…
§ 4
Bei Berechnung der Vergütung sind alle in einem Monat im einzelnen geleisteten Arbeitszeiten zusammenzuzählen. Ergeben sich bei dieser Schlußrechnung angefangene Stunden, so sind sie, wenn sie weniger als 30 Minuten betragen, nicht, wenn sie 30 Minuten und mehr betragen, als volle Arbeitsstunden zu vergüten.
§ 5
…
§ 6
Die Tätigkeit des Vertragsarztes darf in keiner Weise mit einer ärztlichen Praxis verbunden werden.
§ 7
Dieser Vertrag kann von beiden Parteien mit einmonatiger Kündigungsfrist zum 1. des folgenden Monats gekündigt werden. Abänderungen oder Nachträge zu diesem Vertrag bedürfen zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Form.”
Die Klägerin wird nach Bedarf des Gesundheitsamtes überwiegend bei Schuluntersuchungen und öffentlichen Impfungen tätig, ferner auch bei sozialhygienischen Stellungnahmen und ähnlichem. Daneben erstellt sie Gutachten für zwei Versorgungsämter. Seit Beginn ihrer Tätigkeit hat der Beklagte Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung und Ärzteversorgung sowie Lohn- und Kirchensteuer für die Klägerin abgeführt, nachdem die zuständige Ortskrankenkasse und das Finanzamt ihre Tätigkeit als abhängige Beschäftigung beurteilt hatten. Der Beklagte hat sich dieser Ansicht im Schreiben vom 15. Dezember 1980 angeschlossen und der Klägerin auch Urlaubsvergütung und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle gewährt. In gleicher Weise hat der Landkreis H. verfahren.
Mit Schreiben vom 30. Mai 1988 teilte der Beklagte der Klägerin jedoch mit, er habe auf Veranlassung des Rechnungsprüfungsamtes die die Klägerin betreffenden personalrechtlichen Fragen überprüft und dabei entgegen seiner früheren irrtümlichen Auffassung festgestellt, daß es sich bei ihrer Tätigkeit nicht um eine Arbeitnehmertätigkeit handele. Mit Wirkung vom 1. Juli 1988 gewährte der Beklagte der Klägerin nur noch die vereinbarte Stundenvergütung. Das hält die Klägerin für ungerechtfertigt. Mit ihrer Klage erstrebt sie die Feststellung, daß sie Arbeitnehmerin des beklagten Landkreises sei.
Die Klägerin hat vorgetragen: Sie sei sowohl nach ihrem Vertrag selbst als auch nach dessen tatsächlicher Handhabung weisungsgebunden. Das Gesundheitsamt bestimme Art, Ort und Zeit ihrer Tätigkeit, insbesondere der Schuluntersuchungen und der öffentlichen Impfungen. Die Untersuchungs- und die Impftermine würden in einem Dienstplan festgesetzt. Sie habe lediglich 1985 oder 1986 darum gebeten, nicht an Montagen eingesetzt zu werden. In den acht Jahren ihrer Tätigkeit seien nur zweimal Termine auf ihren Wunsch verschoben worden, dreimal habe sie mit Kollegen getauscht. Größeren zeitlichen Spielraum habe sie nur bei Hausbesuchen, die etwa 10 % ihrer Gesamttätigkeit ausmachten.
Sie unterstehe der Aufsicht des Leiters des Gesundheitsamtes. Die grundsätzliche schulärztliche Beurteilung der regelmäßig vorkommenden medizinischen Befunde werde mit der Medizinaloberrätin Dr. F. abgestimmt; bei Problemkindern werde diese stets persönlich unterrichtet. Den jeweiligen Impfungen gehe im allgemeinen eine Dienstbesprechung voraus, in der alle denkbaren medizinischen und organisatorischen Fragen behandelt und von Frau Dr. F. entschieden würden. Der Arbeitsablauf bei den Schuluntersuchungen erfolge auf Weisung von Frau Dr. F. nach dem sog. „Bielefelder Modell”, einer standardisierten Untersuchungsmethode. Für die Untersuchungen habe sie vom Gesundheitsamt „Arbeitsrichtlinien für die jugendärztliche Untersuchung” erhalten, in denen krankhafte Befunde im einzelnen definiert seien. Nach diesen Richtlinien arbeiteten alle im jugendärztlichen Bereich des beklagten Landkreises tätigen Arzte. Bei von der Norm abweichenden Befunden habe sie ein besonderes Einschulungsgutachten zu erstatten, das den Briefkopf des beklagten Landkreises und die Schluß Zeichnung „im Auftrag/Dr. L./Jugenärztin” trage. Jedes dieser Gutachten müsse sie Frau Dr. F. vorlegen, die es inhaltlich kontrolliere, erforderliche Änderungen vornehme und es gegenzeichne. Sie sei auch in die Arbeitsorganisation des beklagten Landkreises eingegliedert. Bei Schuluntersuchungen und Impfterminen werde sie in der Regel von zwei Angestellten des Gesundheitsamtes begleitet. Es liege im Wesen ihrer Tätigkeit begründet, daß sie diese überwiegend außerhalb des Amtsgebäudes ausübe. Allerdings könne sie Diktate und Ausarbeitungen in ihrem häuslichen Arbeitszimmer ausführen. Das geschehe aber aus Gründen der Zweckmäßigkeit, denn eine andere Vorgehensweise sei unwirtschaftlich. Die Schreibarbeiten hätten in den letzten Jahren etwa zwischen 19 % und 25 % ihrer Gesamttätigkeit ausgemacht. Im übrigen stehe sie dem Gesundheitsamt auch außerhalb der im Dienstplan festgesetzten Zeiten für weitere Aufgaben zur Verfügung. Urlaub nehme sie nur in den Zeiten, in denen keine Termine anstünden, wie in den Schulferien.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht,
hilfsweise
festzustellen, daß der Beklagte sie als arbeitnehmerähnliche Person zu behandeln hat.
Der beklagte Landkreis hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat geltend gemacht, die Klägerin sei nicht in einem Umfange weisungsgebunden, der die Annahme eines Arbeitsverhältnisses rechtfertige. Die Untersuchungstermine würden vom Gesundheitsamt nach Rücksprache mit der Klägerin und unter besonderer Berücksichtigung ihrer persönlichen und privaten Belange mit Schulen und Kindergärten vereinbart. Hinsichtlich ihres zeitlichen Einsatzes könne die Klägerin Wünsche äußern, die in jedem Fall berücksichtigt würden.
Die Termine der Hausbesuche würden im Einzel fall mit der Klägerin abgesprochen. Sie habe zwar jeden ihr angebotenen Termin angenommen, eine Verpflichtung hierzu habe aber nicht bestanden, im näheren Arbeitsablauf und in der Pausenregelung sei die Klägerin frei. Die Untersuchungen führe sie selbständig nach den Regeln der ärztlichen Kunst durch. Gegen eine Eingliederung in den Betrieb des Gesundheitsamtes spreche, daß sie kein eigenes Dienstzimmer oder Telefon habe. Eine enge Zusammenarbeit mit dem Amt bestehe nur insoweit, als Angestellte sie bei den Terminen unterstützten und begleiteten. Auch bei ihren Urlaubswünschen sei die Klägerin frei. Es entspreche ihrem eigenen Interesse, ihren Urlaub in die Schulferien zu legen, in denen keine Schuluntersuchungen oder öffentliche Impfungen stattfinden.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision mit der die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung erstrebt.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Das zulässige Feststellungsbegehren (§ 256 Abs. 1 ZPO; vgl. BAGE 41, 247, 250 f. = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu A. der Gründe) der Klägerin ist sachlich gerechtfertigt. Die Klägerin ist Arbeitnehmerin des beklagten Landkreises.
I.1. Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters (Dienstvertrag) durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in welcher der zur Dienstleistung Verpflichtete seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen hat. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation wird insbesondere dadurch deutlich, daß ein Arbeitnehmer hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Ausführung der versprochenen Dienste einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Häufig tritt auch eine fachliche Weisungsbundenheit hinzu (vgl. BAGE 41, 247, 253 f. = AP, a.a.O., zu B II 1 der Gründe, m.w.N.).
2. Über die danach vorzunehmende Einordnung des Rechtsverhältnisses (Dienstvertrag oder Arbeitsvertrag) entscheidet der wirkliche Wille der Parteien, nicht dagegen eine von den Parteien gewählte, dem Geschäftsinhalt in Wahrheit nicht entsprechende Bezeichnung und auch nicht eine von den Parteien gewünschte, von der Rechtsordnung aber nicht gebilligte Rechtsfolge (z.B. Dienstvertrag ohne Kündigungsschutz). Der wirkliche Geschäftsinhalt folgt aus den getroffenen Vereinbarungen oder aus der praktischen Durchführung des Vertrages. Widersprechen Vereinbarung und tatsächliche Durchführung des Vertrages einander, ist die letztere maßgebend (vgl. BAGE 41, 247, 258 f. = AP, a.a.O., zu B II 3 der Gründe, m.w.N.). Im Streitfall stimmen Parteiwille und Vertragsdurchführung überein. Sie ergeben ein Arbeitsverhältnis. Ob es sich bei den von der Klägerin wahrgenommenen Aufgaben um solche hoheitlicher Art handelt, die einem freien Mitarbeiter möglicherweise überhaupt nicht übertragen werden dürfen, braucht in diesem Zusammenhang nicht erörtert zu werden.
II. Das Landesarbeitsgericht ist zwar von den Grundsätzen ausgegangen, die der Senat für die Abgrenzung des Arbeitsverhältnisses von dem eines freien Mitarbeiters entwickelt hat. Es hat dann aber den Vertragswortlaut und das Abwicklungsverhalten der Parteien nicht richtig gewürdigt und ist damit unter Verletzung der gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB zu einem unrichtigen Ergebnis gelangt.
1. Bestimmte Wendungen im Dienstvertrag deuten auf den Willen der Parteien hin, ein Teilzeitarbeitsverhältnis zu begründen. So wird die Klägerin als „nicht vollbeschäftigte Vertragsärztin” bezeichnet, die bestimmte Tätigkeiten „zu den vom Gesundheitsamt festgesetzten Terminen” durchführt (§ 1 DV). Es wird klargestellt, daß die Klägerin ihre Aufgaben „unter Aufsicht des jeweiligen Leiters des Gesundheitsamtes” auszuführen und daß sie dabei „die erforderlichen Berichte zu erstatten” hat (§ 2 DV). Schließlich ist – entsprechend der arbeitsrechtlichen Bestimmung des § 622 Abs. 1 Satz 2 BGB – zur Lösung der Rechtsbeziehungen der Parteien eine einmonatige Kündigungsfrist zum Schluß des folgenden Kalendermonats vereinbart (§ 7 Abs. 1 DV). Daß der Dienstvertrag den genauen zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung der Klägerin nicht festlegt, bleibt unerheblich, weil sich dieser aus dem Umfang der übertragenen Aufgaben ergibt. Der Klägerin kommt überdies für die Zeit ab 1. Mai 1985 die gesetzliche Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 BeschFG 1985 und des § 4 Abs. 1 BeschFG 1985 zu Hilfe.
2. Die Parteien haben ihre Rechtsbeziehungen als Arbeitsverhältnis angesehen und entsprechend behandelt. So hat der beklagte Landkreis sich der Ansicht des Finanzamtes über die Lohnsteuerpflicht der Klägerin und der Auffassung der Krankenkasse über die Pflicht der Parteien zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen angeschlossen und der Klägerin in zutreffender Konsequenz Urlaubsentgelt und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle gewährt. An diese rechtlich zulässige Beurteilung bleibt der Beklagte gebunden. Der Beklagte hat sich nicht über den Rechtscharakter seiner Beziehungen zur Klägerin geirrt, diese Beziehungen vielmehr als arbeitsrechtliche gewollt. Die Tätigkeiten der Klägerin können auch in einem Arbeitsverhältnis erbracht werden.
III. Die Klägerin leistet Dienste in persönlicher Abhängigkeit. Sie unterliegt Aufsicht und Weisungen hinsichtlich Zeit, Ort und Art der zu erbringenden Leistungen. Das gilt besonders für die von ihr überwiegend wahrzunehmenden Aufgaben bei Schuluntersuchungen und öffentlichen Impfungen.
Das Gesundheitsamt setzt fest, wieviele Kinder an welchen Tagen, an welchem Ort zu untersuchen sind. Weiter erhält die Klägerin für diese Tätigkeiten inhaltliche Vorgaben. Ihr wird nicht nur vorgeschrieben, welche Impfstoffe zu verwenden sind, sondern auch, nach Maßgabe der „Arbeitsrichtlinien für die jugendärztliche Untersuchung und Dokumentation”, bei welcher Anzahl von Symptomen welche Diagnose zu stellen ist. Vor allem aber ergibt sich eine Eingliederung der Klägerin in die Arbeitsorganisation des Gesundheitsamtes dadurch, daß sie sich nach den Dienstplänen richten muß. Unstreitig legt das Gesundheitsamt die monatlichen Dienstpläne fest. Daß die Klägerin an Montagen nicht arbeiten will, bleibt demgegenüber ohne Bedeutung. Mit der Aufstellung der Dienstpläne verfügt das Gesundheitsamt über die Arbeitskraft der Klägerin hinsichtlich Ort, Zeit und Art der Tätigkeit. Es übt damit die typischen Rechte des Arbeitgebers aus. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob gelegentlich Termine auf Wunsch der Klägerin verlegt oder getauscht werden.
Schließlich folgt eine Weisungsgebundenheit der Klägerin auch aus der Aufsicht, Kontrolle und letzten Entscheidungsbefugnis der Medizinaloberrätin Dr. F. bei Schuluntersuchungen und Impfungen. Die gilt nach unbestrittenem Vortrag der Klägerin auch für ihre sonstige ärztliche Tätigkeit, die sie nach Einzelauftrag und Weisung durchführt.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Liebsch, Schwitzer
Fundstellen
Haufe-Index 1073824 |
AusR 1992, 16 |