Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütungsautomatik bei Veränderung tatsächlicher Umstände. Wirksamkeit tariflicher Vorschriften, die bei Veränderung tatsächlicher Umstände automatisch zur Änderung der Vergütung führen? Umgehung zwingenden Kündigungsschutzes? Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG? Verwirkung
Leitsatz (amtlich)
Tarifvertragliche Vorschriften, nach denen sich die Höhe der Vergütung bei Änderung tatsächlicher Umstände ohne weiteres nach der Zahl der in der Regel unterstellten festangestellten Vollzeitbeschäftigten einschließlich der Auszubildenden richtet, verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht.
Orientierungssatz
1. Ändert sich die Vergütung bei Änderung tatsächlicher Umstände – Anzahl der unterstellten Arbeitnehmer – in Folge Tarifautomatik, bedarf es keiner Änderungskündigung.
2. § 315 BGB ist unanwendbar, wenn die tarifliche Vergütungsnorm dem Arbeitgeber keinen Spielraum bei der Festlegung der Vergütung beläßt.
Normenkette
TVG § 1; MTV für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 20. September 1996 § 10; Gehaltstarifverträge für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 29. Juni 1998 und vom 7. August 1999 jew. § 3 B Gehaltsgruppe IV Gehaltsstaffel b, Gehaltsstaffel c; KSchG § 2; GG Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1; BGB §§ 242, 315
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 26. Oktober 2000 – 5 Sa 870/00 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um Vergütungsdifferenzen. Dabei geht es um die Wirksamkeit tarifvertraglicher Vergütungsvorschriften.
Der Kläger ist seit dem 6. Oktober 1976 bei der Beklagten, einem Einzelhandelsunternehmen, beschäftigt. Er ist schwerbehindert iSd. Schwerbehindertengesetzes. Er ist als Leiter einer Filiale der Beklagten in K tätig.
Die für das Arbeitsverhältnis einschlägigen Bestimmungen des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 20. September 1996 (MTV) und die Gehaltstarifverträge für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 29. Juni 1998 und vom 7. August 1999 (GTV aF bzw. nF) sind für allgemeinverbindlich erklärt worden.
Bis Ende März 1999 erhielt der Kläger Vergütung nach § 3 B Gehaltsgruppe IV Gehaltsstaffel c nach dem fünften Tätigkeitsjahr GTV aF von zuletzt 6.404,00 DM brutto zuzüglich 1.601,00 DM brutto Mehrarbeitspauschale. Diese Pauschale beruht auf einer Betriebsvereinbarung und beträgt 25 % des Gehalts. Seit Mai 1999 wird die Tätigkeit des Klägers nach § 3 B Gehaltsgruppe IV Gehaltsstaffel b nach dem fünften Tätigkeitsjahr GTV nF vergütet. Der Kläger bezieht seit diesem Zeitpunkt wegen der Änderung der Zuordnung zur Gehaltsstaffel (b statt wie bisher c) monatlich 1.406,00 DM brutto weniger Gehalt.
Die Beklagte begründet die Gehaltseinbuße mit tariflichen Bestimmungen, die bei der Vergütung der Angestellten in leitender Stellung in der Gehaltsgruppe IV der Gehaltstarifverträge nach der Anzahl der in der Regel unterstellten Beschäftigten unterschiedliche Gehaltsstaffeln vorsehen. Die Gehaltsstaffeln b und c unterscheiden zwischen bis zu acht und mehr als acht unterstellten festangestellten Vollbeschäftigten.
Die Beklagte beobachtete die Entwicklung der Beschäftigtenzahl in der Filiale K über einen längeren Zeitraum. Bis August 1997 waren knapp acht Arbeitnehmer in der Filiale tätig. Bis Februar 1998 sank die Zahl auf sieben und stieg bis Mai 1998 wieder auf über acht. Nach zwischenzeitlichen Schwankungen stellte die Beklagte ab November 1998 eine tendenziell abnehmende Beschäftigtenzahl fest. Im Mai 1999 waren etwa 6,5 Arbeitnehmer beschäftigt, was die Beklagte zu einer Vergütungskorrektur veranlaßte. Im Januar 2000 war die durchschnittliche Beschäftigtenzahl auf 4,2 zurückgegangen.
Mit Schreiben vom 4. August 1999 machte der Kläger erfolglos Vergütung entsprechend der ursprünglichen tariflichen Zuordnung zur Gehaltsstaffel c geltend. Mit der am 9. Februar 2000 erhobenen Klage begehrt er die monatlichen Vergütungsdifferenzen für den Zeitraum Mai bis Dezember 1999 in Höhe von insgesamt 12.654,00 DM brutto nebst Zinsen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die tariflichen Vorschriften, die die Höhe der Vergütung von der Anzahl der unterstellten Mitarbeiter abhängig machten, seien gesetzes- und verfassungswidrig. Die Tarifnormen verstießen gegen § 622 BGB. Dem Arbeitgeber werde es ermöglicht, ohne Einhaltung von Kündigungsfristen den Inhalt bestehender Arbeitsverhältnisse zu verändern. Auch das Kündigungsschutzgesetz werde umgangen. Der Beklagten werde es gestattet, Arbeitsverhältnisse dergestalt zu verändern, wie es sonst nur mittels Änderungskündigungen erreichbar sei. Hierdurch räumten die tariflichen Vorschriften die Möglichkeit ein, durch Manipulationen Rückgruppierungen zu erreichen, die gerichtlich nicht nachprüfbar seien. Die Tarifvorschriften verstießen gegen Kündigungsschutzbestimmungen für schwerbehinderte Menschen und gegen das Anhörungsrecht des Betriebsrats vor Kündigungsausspruch. Ebenso liefe der besondere Kündigungsschutz nach § 11 Abs. 9 MTV leer. Außerdem könne die Beklagte die Rückgruppierung auch deshalb nicht wirksam vornehmen, weil sie in der Vergangenheit trotz entsprechender Überprüfungen der Mitarbeiterzahl selbst dann keine Rückgruppierung vorgenommen habe, wenn die tariflichen Voraussetzungen vorgelegen hätten. Dadurch habe die Beklagte einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Da die Mitarbeiterzahl schon seit längerem unter acht gesunken sei, habe die Beklagte die Möglichkeit einer „Rückgruppierung” verwirkt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 12.654,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Januar 2000 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die vergütungsrelevanten Tarifbestimmungen seien gesetzes- und verfassungskonform. Einen Vertrauenstatbestand habe sie nicht geschaffen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.
1. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf die geltend gemachten Vergütungsdifferenzen verneint. Der Kläger sei gem. § 10 Abs. 3 MTV iVm. § 3 GTV nF in Gehaltsgruppe IV Gehaltsstaffel b eingestuft. Die Gehaltsreduzierung müsse der Kläger hinnehmen. Die tariflichen Vorschriften verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Das hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
a) Für das Arbeitsverhältnis gelten kraft Allgemeinverbindlichkeit der MTV und die GTVe aF und nF unmittelbar und zwingend, § 5 Abs. 4 TVG. Die maßgeblichen tariflichen Bestimmungen haben – soweit für den vorliegenden Rechtsstreit von Interesse – folgenden Wortlaut:
MTV
§ 10 Gehalts- und Lohnregelung
(1) Die Festsetzung der Gehälter und Löhne erfolgt in einer besonderen tariflichen Regelung. Der Arbeitnehmer wird in die seiner überwiegend ausgeübten Tätigkeit entsprechende Gehalts- oder Lohngruppe eingeordnet.
…
(3) Bei Ereignissen, die nach den Tarifverträgen eine Veränderung des Entgelts zur Folge haben und vor dem 15. des Monats eintreten, wird die Veränderung ab 1. des Monats wirksam; tritt das Ereignis danach ein, wird die Veränderung mit dem 1. des folgenden Monats wirksam.
GTV aF und GTV nF wortgleich
§ 3
Beschäftigungsgruppen
…
B. Angestellte mit abgeschlossener kaufmännischer Ausbildung
…
Gehaltsgruppe IV
Angestellte in leitender Stellung mit Anweisungsbefugnissen und mit entsprechender Verantwortung für ihren Tätigkeitsbereich, und zwar in den Arbeitsbereichen
Gehaltsstaffel a) ohne oder mit in der Regel bis zu 4 unterstellten festangestellten Vollbeschäftigten einschließlich der Auszubildenden
Gehaltsstaffel b) mit in der Regel mehr als 4 bis zu 8 unterstellten festangestellten Vollbeschäftigten einschließlich der Auszubildenden
Gehaltsstaffel c) mit in der Regel mehr als 8 unterstellten festangestellten Vollbeschäftigten einschließlich der Auszubildenden sowie hauptamtliche Personalausbildungsleiter
…
GTV aF
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ab 1.4.1998 |
ab 1.6.1998 |
… |
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Gehaltsstaffel b) |
5170,00 DM |
5279,00 DM |
… |
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nach dem 5. Tätigkeitsjahr |
6272,00 DM |
6404,00 DM |
Gehaltsstaffel c) |
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… |
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nach dem 5. Tätigkeitsjahr |
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GTV nF
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ab 1.4.1999 |
ab 1.7.1999 |
… |
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Gehaltsstaffel b) |
5279,00 DM |
5437,00 DM |
… |
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nach dem 5. Tätigkeitsjahr |
6404,00 DM |
6596,00 DM |
Gehaltsstaffel c) |
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… |
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nach dem 5. Tätigkeitsjahr |
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…
b) Nachdem die Zahl der dem Kläger in der von ihm geführten Filiale unterstellten festangestellten Vollbeschäftigten einschließlich der Auszubildenden auf weniger als acht, aber mehr als vier gesunken war, hat der Kläger nur noch Anspruch auf Vergütung nach Gehaltsgruppe IV Gehaltsstaffel b nach dem 5. Tätigkeitsjahr (§ 10 Abs. 3 MTV iVm. § 3 GTV nF).
2. Die Tarifnormen sind nicht wegen vom Kläger behaupteter Verstöße gegen höherrangiges und zugleich zwingendes Gesetzesrecht unwirksam. Solche Verstöße liegen nicht vor, insbesondere verstoßen die Tarifbestimmungen nicht gegen zwingende gesetzliche Kündigungsschutzbestimmungen.
Die Tarifvertragsparteien haben bei der Regelung von Arbeitsbedingungen Gestaltungsfreiheit. Die Tarifverträge müssen aber zwingende Gesetze einhalten (Schliemann ZTR 2000, 198, 201). Das ist hier geschehen.
a) § 10 Abs. 3 MTV verstößt nicht gegen das Grundgesetz.
Soweit der Kläger die Einschränkung seines Grundrechts auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) rügt, fehlt es an jedweder Plausibilität seines Sachvortrages. Selbst wenn man bei Entgeltregelungen wie § 10 Abs. 3 MTV und § 3 B Gehaltsgruppe IV GTV einen Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) annehmen wollte, können für die Rechtfertigung bloßer Berufsausübungsregelungen im weiten Maße Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit ins Feld geführt werden(ständige Rechtsprechung BVerfG 11. Juni 1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377, 405 f.; BVerfG 15. Dezember 1987 – 1 BvR 563/85 ua. – BVerfGE 77, 308, 332).
Die Vergütung ist die im synallagmatischen Verhältnis zur Arbeitsleistung des Arbeitnehmers stehende Verpflichtung des Arbeitgebers. Die Arbeitsleistungen der Arbeitnehmer sind unterschiedlich. Bei Angestellten in Führungspositionen kann die Wertigkeit ihrer Arbeitsleistung ua. von der Anzahl der in der Regel unterstellten und damit anzuleitenden Arbeitnehmer abhängig gemacht werden. Es ist daher sachgerecht und zweckmäßig, bei der Bemessung der Vergütung für die Arbeitsaufgaben eines Arbeitnehmers mit solchen Führungsaufgaben (auch) darauf abzustellen, wie viele Arbeitnehmer ihm unterstellt sind, wie es § 3 B Gehaltsgruppe IV GTV vorsieht. § 10 Abs. 3 MTV ermöglicht dem Arbeitgeber eine sachgerecht zügige Reaktion auf schwankende Mitarbeiterzahlen in den Märkten. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht hierauf hingewiesen. Die Regelung ist im lohnintensiven Einzelhandelsbereich plausibel.
b) Einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) hat der Kläger nicht gerügt. Er ist auch nicht erkennbar.
c) Es gibt keine gesetzliche Bestimmung, die für eine tarifvertraglich vorgesehene tatsächliche Änderung der Arbeitsbedingungen – hier: Änderung der Höhe der Vergütung bei Veränderung der Anzahl der unterstellten Mitarbeiter – zwingend den Ausspruch einer Änderungskündigung iSv. § 2 KSchG (mit der Konsequenz einer Betriebsratsbeteiligung nach § 102 Abs. 1 BetrVG und dem Erfordernis der Zustimmung durch die Hauptfürsorgestelle bei Schwerbehinderten nach § 15 SchwbG) vorschreibt. Vielmehr können Tarifverträge sogar vorsehen, daß der Arbeitgeber ohne Änderung des Arbeitsvertrages dem Arbeitnehmer andere, auch nach einer niedrigeren Vergütungsgruppe zu vergütende Tätigkeiten zuweist(Schaub Arbeitsrechts-Handbuch 9. Aufl. § 45 Rn. 25). Auch eine solche Regelung wäre mit der geltenden Rechtsordnung vereinbar und widerspricht nicht staatlichem Gesetzesrecht (BAG 22. Mai 1985 – 4 AZR 427/83 – BAGE 48, 351). Dem Kläger wurde von der Beklagten keine andere Tätigkeit zugewiesen. Im Rahmen der unverändert gebliebenen Tätigkeit als Filialleiter hat sich ein vergütungsrelevanter Umstand geändert. Dieser geänderte Umstand betrifft die arbeitsvertragliche Rechtsposition des Klägers. Diese war und ist unverändert: Er schuldet der Beklagten eine Tätigkeit als Filialleiter, und die Beklagte schuldet ihm eine Vergütung, deren Höhe sich nach den tariflichen Vorschriften richtet. Der Kläger schuldet gerade nicht ausschließlich eine Tätigkeit als Angestellter in leitender Stellung mit regelmäßig mehr als acht unterstellten Vollzeitbeschäftigten einschließlich Auszubildender gegen entsprechende Vergütung.
Wird der Arbeitsvertrag – wie hier – nicht geändert, bedarf es weder einer (Änderungs-) Kündigung noch der Einhaltung von Kündigungsfristen. Auf Kündigungsschutzvorschriften kommt es nicht an. Dies verkennt der Kläger.
d) Die Tarifbestimmungen stellen auch keine auflösende Bedingung dar, sie sind lediglich – soweit es um die Zahl der in der Regel unterstellten vollbeschäftigten Arbeitnehmer und Auszubildenden geht – Voraussetzungen, die sowohl im Fall der Erhöhung als auch im Fall der Verringerung der relevanten Zahl der Unterstellten zu anderen Vergütungen führen.
e) Der Manipulationseinwand des Klägers ist nicht nachvollziehbar. Die Beklagte würde sich als Arbeitgeberin selbst schaden, würde sie den Personalbestand, obwohl sie ihn für erforderlich hält, um optimale Umsätze und dementsprechende Gewinne zu erzielen, nur deswegen reduzieren, um beim Filialleiter eine Gehaltsstufe einzusparen, die etwa 20 % des sonst bezogenen Bruttogehalts ausmacht. Insoweit muß sich der Kläger auch entgegenhalten lassen, daß der Erfolg des von ihm zu leitenden Marktes der Beklagten und damit auch der Umfang der Personalausstattung auch von seiner Tätigkeit als Marktleiter wesentlich beeinflußt wird.
3. Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf einen Vertrauens- oder Verwirkungstatbestand berufen.
a) Die Verwirkung infolge Zeitablaufs wird in der Rechtsprechung als Unterfall der „unzulässigen Rechtsausübung”, eine Erscheinungsform des § 242 BGB, behandelt (zB BAG 18. Februar 1992 – 9 AZR 118/91 – EzA BUrlG § 1 Verwirkung Nr. 1 mwN). Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden. Die Verwirkung beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes. Ein Recht ist demnach verwirkt, wenn es der Berechtigte über einen Zeitraum hinweg nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre („Zeitmoment”), und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, daß dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde („Umstandsmoment”).
Die zutreffende Zuordnung der Tätigkeit des Klägers zu tariflichen Vergütungsmerkmalen ist kein „Recht” des Arbeitgebers. Die Vergütung des Klägers folgt „automatisch” aus den tariflichen Bestimmungen des GTV, ohne daß es eines auf die Vergütungsfestsetzung gerichteten Willens- oder Handlungsaktes der Beklagten bedarf. Allenfalls auf die Anwendung tariflicher Vorschriften durch die Beklagte kann sich der Verwirkungseinwand des Klägers beziehen.
b) Es liegen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, daß die Vergütungskorrektur auf Grund der Anwendung der Tarifnormen rechtsmißbräuchlich sei. Die Beklagte hat nicht zu erkennen gegeben, sie werde dem Kläger trotz der Unterschreitung der Anzahl von 8 unterstellten festangestellten Vollbeschäftigten weiter eine Vergütung nach der Gehaltsstaffel c des § 3 B Gehaltsgruppe IV GTV nF gewähren.
aa) Die Tarifvertragsparteien haben in § 3 B der Gehaltstarifverträge die Festlegung der Gehaltsstaffeln von der Anzahl der dem Angestellten in leitender Stellungin der Regel unterstellten Arbeitnehmern abhängig gemacht. Verwenden die Tarifvertragsparteien einen Begriff, der in der Rechtsterminologie eine bestimmte vorgegebene Bedeutung hat, so wollen sie den betreffenden Begriff in seiner allgemeinen rechtlichen Bedeutung verstanden und angewendet wissen, soweit sich nicht aus dem Tarifvertrag selbst etwas anderes ergibt (BAG 27. April 1983 – 4 AZR 506/80 – BAGE 42, 272, 277). Zur Bestimmung des Begriffs derin der Regel unterstellten Vollbeschäftigten können damit die Grundsätze herangezogen werden, die zur Auslegung dieses in zahlreichen arbeitsrechtlichen Bestimmungen verwendeten Begriffs entwickelt worden sind (BAG 25. Februar 1987 – 4 AZR 209/86 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 16).
bb) Die Anzahl derin der Regel beschäftigten Arbeitnehmer ist nicht nach der zufälligen, tatsächlichen Beschäftigtenzahl im jeweils maßgebenden Zeitpunkt zu bestimmen, sondern nach der normalen Beschäftigtenzahl. Es ist die Personalstärke entscheidend, die im allgemeinen kennzeichnend ist (zB KR-Weigand 5. Aufl. § 23 KSchG Rn. 37). Eine lediglich vorübergehende Verringerung oder Erhöhung der Anzahl der unterstellten Arbeitnehmer läßt daher den Gehaltsanspruch unberührt. Nur eine Veränderung der Anzahl der unterstellten Vollbeschäftigten, die im allgemeinen für den Arbeitsbereich kennzeichnend ist, führt zu einer veränderten Zuordnung zu einer der Gehaltsstaffeln in der Gehaltsgruppe § 3 B IV GTV (BAG 25. Februar 1987 – 4 AZR 209/86 – aaO; Decruppe/Rzaza Tarifverträge des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen/Kommentar für die betriebliche Praxis 1992 GTV G III Rn. 5).
cc) Die Beklagte war daher gehalten, unter Rückblick auf die bisherige personelle Stärke des Arbeitsbereichs die künftige Entwicklung einzuschätzen. Diese Einschätzung mußte notwendig über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgen. Der Kläger hat keine Umstände über den bloßen Zeitablauf hinaus vorgetragen, auf Grund derer er sich auf den Nichtvollzug der tariflichen Vergütungsvorschriften eingerichtet haben will. Zum Zeitablauf müssen nämlich besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzukommen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen (BAG 30. Januar 1991 – 7 AZR 497/89 – BAGE 67, 124; 17. Februar 1988 – 5 AZR 638/86 – BAGE 57, 329, 332). Solche Umstände sind nicht ersichtlich.
3. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht § 315 BGB herangezogen. Auf diese Bestimmung käme es nur an, wenn die tariflichen Vergütungsvorschriften es der Beklagten ermöglichen, die Vergütung der tarifunterworfenen Arbeitnehmer – wenigstens in einem gewissen Maße – einseitig zu bestimmen. Das ist nicht der Fall. §§ 3 GTV aF/nF und 10 Abs. 3 MTV regeln, bei welcher Anzahl der unterstellten Vollzeitbeschäftigten die Tätigkeit des Angestellten in leitender Stellung ab welchem Zeitpunkt nach welcher Gehaltsstaffel zu vergüten ist. Damit ist kein Ermessen eröffnet, das im Rahmen des § 315 BGB gerichtlich überprüft werden könnte.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schliemann, Bott, Friedrich, Fieberg, Jürgens
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 07.11.2001 durch Freitag, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 706951 |
BAGE, 295 |
BB 2002, 1046 |
BB 2002, 684 |
DB 2002, 746 |
ARST 2002, 189 |
FA 2002, 155 |
NZA 2002, 860 |
SAE 2002, 249 |
ZTR 2002, 286 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 16 |
EzA |
ZMV 2003, 94 |
ZfPR 2002, 141 |
AUR 2002, 158 |
SPA 2002, 7 |