Entscheidungsstichwort (Thema)
Einsicht in Personalakten
Normenkette
BGB § 611; BAT § 13
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 18.12.1990; Aktenzeichen 2 Sa 287/90) |
ArbG München (Urteil vom 13.12.1989; Aktenzeichen 30 Ca 10187/89) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 18. Dezember 1990 – 2 Sa 287/90 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses ein Einsichtsrecht in seine Personalakten und insbesondere in eine Verfahrensakte mit einer Sammlung von Patientenbeschwerden zusteht.
Der Kläger war gemäß Dienstvertrag vom 20. September 1985 bei dem Beklagten als Chefarzt der gynäkologischen Abteilung des von dem beklagten Zweckverband betriebenen Krankenhauses in I. tätig. Im Dienstvertrag wird auf die Anwendung einzelner Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages (u.a. §§ 13 und 70 BAT) hingewiesen.
Gegen seine Tätigkeit und im Zusammenhang mit behaupteten Kunstfehlern bei Operationen wurden im Laufe des Jahres 1988 schwere Vorwürfe erhoben, die auch in der Presse ihren Niederschlag fanden. Der beklagte Zweckverband beabsichtigte daher, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger aufzukündigen und legte zur Vorbereitung eines möglichen Rechtsstreits eine Sammlung von Unterlagen über die erhobenen Vorwürfe an. Zwischen den Parteien kam es schließlich zu einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1988 unter Freistellung des Klägers für die restliche Vertragsdauer. In dieser Vereinbarung vom 8. August 1988 verpflichtete sich der Beklagte zur Zahlung einer Abfindung sowie einer hohen Entschädigung für den Verlust des ambulanten und stationären Liquidationsrechts an den Kläger. Die Parteien vereinbarten darüber hinaus, „keine negativen Äußerungen oder Beurteilungen über die jeweils andere Seite in der Öffentlichkeit abzugeben und auch zur Verfolgung solcher Initiativen nichts zu veranlassen”.
Der Kläger hat mit einem Schreiben vom 30. Dezember 1988 (Freitag) den Beklagten aufgefordert, ihm kurzfristige Einsichtnahme in seine Personalakten zu gewähren. Er wollte damit einen Bevollmächtigten beauftragen. Dieses Schreiben hat der Kläger persönlich am 30. Dezember 1988 außerhalb der Öffnungszeiten für das Publikum in den Hausbriefkasten der Verwaltung eingeworfen (ob noch Büropersonal im Gebäude anwesend war und ob die Dienstzeit bereits beendet war, ist strittig).
Der Beklagte lehnte das Ersuchen des Klägers mit Telex vom 25. Januar 1989 ab, nachdem er zunächst mit Schreiben eines Sachbearbeiters vom 16. Januar 1989 eine Einsichtnahme in die Personalakten als „jederzeit möglich” bezeichnete und am 23. Januar 1989 fernmündlich eine Übersendung der Akten an den Vertreter des Klägers in Aussicht gestellt hatte. Später hat der Beklagte diese Bereitschaft widerrufen und die Einsichtnahme nur in den Räumen der Verwaltung angeboten.
In diesem Rechtsstreit verlangt der Kläger die Einsichtnahme in die vollständigen Personalakten einschließlich aller sein Arbeitsverhältnis oder dessen Beendigung betreffenden Verfahrens- und Beiakten. Er hat geltend gemacht, er wolle damit in Erfahrung bringen, welche Personen und mit welchen Behauptungen sich beschwerdeführend über ihn an den Beklagten gewandt hätten. Dadurch wolle er auch ermitteln, ob er zivilrechtliche Schadensersatzansprüche geltend machen oder strafrechtliche Schritte einleiten könne.
Der Kläger hat daher beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Einsicht in die vollständigen Personalakten einschließlich aller ihn, sein Arbeitsverhältnis oder dessen Beendigung betreffenden Verfahrens- und Beiakten zu gewähren und die auszugsweise Fertigung und Mitnahme von Ablichtungen von Unterlagen in diesen Akten zu gestatten.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und hat die Ansicht vertreten, dem Kläger stehe nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Recht auf Einsichtnahme in die Personalakten mehr zu. Der Kläger habe auch kein besonderes rechtlich geschütztes Interesse ausnahmsweise nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Einsicht in die Personalakten zu nehmen, nachdem die Parteien sich einvernehmlich über die Beendigung des Dienstverhältnisses geeinigt hätten und das Strafverfahren gegen den Kläger eingestellt worden sei. Außerdem erstrecke sich das Recht auf Einsicht in die Personalakten nicht in die zur Vorbereitung eines Kündigungsrechtsstreits geführten Verfahrensakten, weil sie Bestandteil der Prozeßakten seien und nicht in die Personalakten gehörten.
Der Beklagte hat sich bereit erklärt, die Verfahrensakten zu vernichten und die Stellungnahme des Herrn Prof. Dr. F. vom 3. Januar 1989 (Gutachten über die Patientenbeschwerden) zu den Personalakten zu nehmen und dem Kläger Einsicht in diese Akten zu gewähren.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger verfolgt mit der Revision sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, daß sich die Parteien nicht über das Recht auf Einsicht in die formellen Personalakten streiten, sondern der Kläger wolle Einsicht in die daneben geführte „Verfahrensakte”, in der sich die Sammlung der Patientenbeschwerden befinde. Zwar könne man darüber streiten, ob die Verfahrensakte Bestandteil der Personalakten sei oder nicht. Dem Kläger sei jedoch nach § 13 BAT das Einsichtsrecht verwehrt. Die Parteien hätten die Anwendung des § 13 BAT vereinbart, wonach das Recht auf Einsicht in die Personalakten nur während des Arbeitsverhältnisses bestehe. Der Kläger habe aber nicht während des Dienstverhältnisses Einsicht verlangt, sondern erst danach. Zwar habe er am letzten Werktag vor Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit einem Schreiben Einsicht in die Personalakten verlangt, dieses sei jedoch nicht mehr innerhalb der Öffnungszeiten der Verwaltung dem Beklagten zugegangen. Außerdem habe er in diesem Schreiben nicht die Einsicht während des Arbeitsverhältnisses, sondern erst danach gefordert.
Der Beklagte schulde dem Kläger auch nicht aus einer nachwirkenden Fürsorgepflicht aus besonderen Gründen die Einsicht in die Verfahrensakte. Denn die Bestimmung der Grenzen der Fürsorgepflicht setze stets die Abwägung der beiderseitigen-Interessen voraus. Der Beklagte habe ein berechtigtes und gewichtiges Interesse daran, daß Patienten, Bedienstete oder Gremiumsmitglieder, die ernsthafte Mängel des Klinikbetriebes geltend machen, sich vertrauensvoll an die Verwaltung wenden können, ohne für den Fall, daß der Beklagte die Beschwerde nicht für berechtigt erachtet und sie sich nicht zu eigen macht, nachträgliche Pressionen oder sonstige Nachteile befürchten zu müssen. Dem Kläger müßte es unter diesen Umständen genügen, daß der Beklagte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und nach Abschluß aller Verfahren gegen den Kläger bereit ist, diese gegenstandslosen Vorgänge zu vernichten. Das sei bisher nur an der fehlenden Einwilligung des Klägers gescheitert.
II. Die Revision macht geltend, daß der Kläger sein Schreiben mit dem Antrag auf Akteneinsicht noch während der Öffnungszeiten der Verwaltung abgegeben habe. Dafür habe er in den Vorinstanzen Beweis angetreten. Aber selbst wenn der Brief nach Ablauf der Öffnungszeiten in den Briefkasten gelangt sei, müßte sich der Beklagte den Zugang am selben Tag noch zurechnen lassen.
Der Beklagte könne dem Kläger nicht die Akteneinsicht verweigern mit der Begründung, er müsse vorher der Vernichtung der Verfahrensakte zustimmen.
Der Kläger stütze sein Recht auf Akteneinsicht auch auf die Zusage des Mitarbeiters der Verwaltung des Beklagten, wonach dem Kläger Akteneinsicht gewahrt werde. Diese Zusage habe der Beklagte nicht widerrufen dürfen. Der Kläger habe auch ein berechtigtes Interesse auf Einsicht in die vollständigen Personalakten, nachdem die gegen ihn erhobenen Vorwürfe in die Öffentlichkeit gelangt seien und in der Presse behandelt worden seien. Es müsse ihm möglich sein, gegen die Urheber dieser unberechtigten Vorwürfe vorzugehen, damit ihm in Zukunft keine beruflichen Schwierigkeiten entstünden.
III. Diese Ausführungen der Revision vermögen nicht zu überzeugen. Das Landesarbeitsgericht hat einen Antrag des Klägers auf Einsicht in die Personalakten zu Recht versagt.
1. Das Landesarbeitsgericht stellt zutreffend darauf ab, daß die Parteien sich nur über das Recht auf Einsicht in die „Verfahrensakte” (Sammlung von Patientenbeschwerden) streiten. In diesem Zusammenhang kommt es darauf an, ob diese Verfahrensakte Bestandteil der Personalakten ist oder nicht. Das ist aus nachfolgenden Gründen zu verneinen:
Das Recht auf Akteneinsicht beurteilt sich im Streitfall nach § 13 BAT, denn diese Vorschrift findet vereinbarungsgemäß im Arbeitsverhältnis Anwendung. In den Tarifverhandlungen zu § 13 BAT am 26./27. Juni 1956 haben die Tarifvertragsparteien dazu folgende Feststellung getroffen:
„Es besteht Einvernehmen darüber, daß das Recht auf Akteneinsicht nicht das Recht auf Einsicht in solche Prozeßakten einschließt, die Rechtsstreitigkeiten des Angestellten mit der Dienststelle betreffen” (zitiert nach Böhm/Spiertz/Steinherr/Sponer, BAT, Stand März 1992, § 13 Rz 65).
Danach kann der Kläger sein Recht auf Einsicht in die Verfahrensakte nicht auf § 13 BAT stützen, gleichgültig, ob diese Vorschrift ihm überhaupt nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch ein Einsichtsrecht gewährt oder nicht. Bei der „Verfahrensakte” handelt es sich um eine Sammlung von Patientenbeschwerden mit dem Ziel, einen Rechtsstreit gegen den Kläger zu führen. Diese Sammlung war Grundlage der an den Kläger gerichteten Abmahnung vom 7. Juli 1988 und führte schließlich dazu, mit dem Kläger zur Vermeidung eines Rechtsstreits eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu vereinbaren.
2. Wenn man hingegen ein Recht auf Einsicht in die Verfahrensakte aus § 13 BAT herleiten will, so muß der Kläger sich entgegenhalten lassen, daß ein solches Einsichtsrecht nur während des Arbeitsverhältnisses besteht (allgemeine Meinung: vgl. u.a. Böhm/Spiertz/Steinherr/Sponer, a.a.O., § 13 Rz 104 f.). In diesem Zusammenhang wird zutreffend auf folgendes hingewiesen: Hätten die Tarifvertragsparteien gewollt, daß das Einsichtsrecht nach dem Ausscheiden aus dem Dienst fortbesteht, hätten sie dies auch vereinbart, wie z.B. in § 9 Abs. 4 hinsichtlich der Schweigepflicht. Insofern weicht § 13 BAT auch von den beamtenrechtlichen Bestimmungen ab. Das in mancher Hinsicht vergleichbare Recht auf Einsicht in die Personalakten gemäß § 83 BetrVG wird ebenfalls auf die Zeit vom Beginn bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses beschränkt (vgl. u.a. Fabricius/Kraft/Thiele/Wiese/Kreutz, BetrVG, 4. Aufl., § 83 Rz 28; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 83 Rz 22 f.). Allerdings ist die Anwendung der §§ 81 ff. BetrVG schon deswegen ausgeschlossen, weil der Kläger bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes tätig war (§ 130 BetrVG). Abgesehen davon ist streitig, ob die §§ 81 ff. BetrVG auf den Kläger anzuwenden sind, weil er als leitender Angestellter angesehen werden muß (Fabricius/Kraft/Thiele/Wiese/Kreutz, BetrVG. 4. Aufl., vor § 81 Rz 21).
Selbst wenn er kurz vor Dienstschluß seinen Antrag auf Akteneinsicht noch in den Briefkasten der Verwaltung eingeworfen haben sollte, wie er behauptet, so hätte er erst nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Einsicht in seine Personalakten nehmen können, worauf er im Streitfall keinen Anspruch hat.
3. Das Landesarbeitsgericht hat ebenso zutreffend aus der von einem Mitarbeiter bekundeten Bereitschaft, dem Kläger Einsicht in die Personalakten zu gewähren, nicht entnommen, daß der Kläger noch nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Einsicht in die Verfahrensakte beanspruchen kann. Die Zusage des Mitarbeiters hat sich ersichtlich nur auf die formellen Personalakten bezogen und nicht auf die Verfahrensakte erstreckt, die nach Auffassung des Beklagten gar nicht Bestandteil der Personalakten sind. Deswegen ist diese Erklärung des Mitarbeiters ebenso unerheblich wie der Streit der Parteien darüber, ob der Kläger noch am letzten Werktag vor Beendigung des Dienstverhältnisses vor oder nach Dienstschluß einen Antrag auf Einsicht in die Personalakten gestellt hat oder nicht, auf den dieser Mitarbeiter geantwortet hat.
4. Ebenso scheidet nach richtiger Auffassung des Landesarbeitsgerichts ein Anspruch des Klägers auf Einsicht in die Verfahrensakte aus einer nachwirkenden Fürsorgepflicht aus. Das Landesarbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend hervorgehoben, daß die Patienten sich vertrauensvoll an den Krankenhausträger mit ihren Beschwerden wenden dürften, ohne eine Rechtsverfolgung befürchten zu müssen, wenn der Beklagte diesen Beschwerden nachgeht. Andererseits hat der Kläger von diesen Beschwerden nichts mehr zu befürchten, nachdem er mit einer hohen Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist und die Parteien sich gegenseitig versichert haben, daß sie aus den Vorfällen gegeneinander nichts herleiten wollten. Dem Kläger ist in vollem Umfang damit gedient, daß der Beklagte bereit ist, die Verfahrensakte zu vernichten und nur das Gutachten des Herrn Prof. Dr. F. vom 3. Januar 1989 zu den Personalakten zu nehmen. Da der Kläger in diesem Zusammenhang bereits Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hatte, muß ihm der wesentliche Teil der Beschwerden bekannt geworden sein.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Werner, Dr. Florack
Fundstellen