Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzanfechtung. Zwangsvollstreckung. inkongruente Deckung. Rückforderung unter dem Druck von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erlangter Entgeltzahlung. Verfassungskonformität der insolvenzanfechtungsrechtlichen Vorschriften. keine Anwendbarkeit tariflicher Ausschlussfristen auf den Rückforderungsanspruch des Insolvenzverwalters
Orientierungssatz
1. Leistet der Schuldner während der „kritischen Zeit” der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag oder in der Zeit nach Stellung des Insolvenzantrags unter dem Druck unmittelbar drohender Zwangsvollstreckung, begründet der bevorstehende hoheitliche Zwang eine inkongruente Deckung iSd. § 131 Abs. 1 InsO.
2. § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO verletzt Art. 3 Abs. 1 GG nicht. Die im Vergleich zu § 130 InsO erleichterte Anfechtungsmöglichkeit des § 131 Abs. 1 InsO gegenüber den Gläubigern, die Befriedigung durch Zwangsvollstreckung erlangen, ist sachlich gerechtfertigt. Der Einsatz von bzw. die Drohung mit staatlichen Zwangsmitteln nimmt der Leistung des Schuldners aus objektiver Sicht den Charakter der Freiwilligkeit.
3. § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung iSv. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG bzw. Art. 1 Abs. 2 des Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20. März 1952 idF des Protokolls Nr. 11.
4. Der insolvenzrechtliche Rückforderungsanspruch des § 143 Abs. 1 InsO unterfällt tariflichen Ausschlussfristen nicht.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20. März 1952 i.d.F. des Protokolls Nr. 11 Art. 1; InsO § 131 Abs. 1 Nr. 2, § 143 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Urteil vom 16.05.2012; Aktenzeichen 2 Sa 566/11) |
ArbG Nürnberg (Urteil vom 13.04.2011; Aktenzeichen 7 Ca 5452/10) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers und Widerbeklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 16. Mai 2012 – 2 Sa 566/11 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger und Widerbeklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Rückforderungsanspruch des beklagten Insolvenzverwalters hinsichtlich Arbeitsvergütung, die der Kläger durch den Druck unmittelbar bevorstehender Zwangsvollstreckung erlangt hat.
Der Beklagte ist Insolvenzverwalter in dem auf Antrag vom 10. Mai 2007 am 1. Juli 2007 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A GmbH + Co. KG (Schuldnerin). Das Verfahren ist masseunzulänglich. Der Kläger war bis zum 31. Oktober 2007 bei der Schuldnerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand nach Feststellung des Landesarbeitsgerichts der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der bayerischen Metallindustrie vom 1. Dezember 1973 in der Fassung vom 7. Mai 1991 Anwendung. Der Kläger bezog für April bis Juni 2007 Insolvenzgeld.
Die Schuldnerin verpflichtete sich in gerichtlichen Vergleichen vom 1. Dezember 2006, 16. Januar 2007 sowie vom 9. Februar 2007 gegenüber dem Kläger, das Entgelt für September bis einschließlich Dezember 2006 zu zahlen. Der Kläger erwirkte am 15. Februar und 12. März 2007 vorläufige Zahlungsverbote. Einschließlich Zinsen und Vollstreckungskosten überwies die Schuldnerin am 21. Februar 2007 4.838,88 Euro auf das Nettoentgelt für September bis einschließlich November 2006 und am 19. März 2007 1.471,30 Euro auf das Nettoentgelt für Dezember 2006 an die vom Kläger beauftragte Vollstreckungsstelle des DGB. Nach Feststellung des Landesarbeitsgerichts war sie im Zeitpunkt der Überweisung bereits zahlungsunfähig. Mit Schreiben vom 5. August 2008 machte der Beklagte den streitbefangenen Rückforderungsanspruch geltend. Der Kläger lehnte dies ab und erhob eine negative Feststellungsklage hinsichtlich des geltend gemachten Rückgewähranspruchs. Nach Rücknahme dieser Klage streiten die Parteien nur noch über die vom Beklagten erhobene Widerklage auf Rückgewähr der aus der Masse abgeflossenen Beträge.
Der Beklagte hat im Wege der Widerklage beantragt,
den Kläger zu verurteilen, an den Beklagten als Insolvenzverwalter über das Vermögen der A GmbH + Co. KG 6.310,18 Euro zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2007 zu zahlen.
Der Kläger hat zur Begründung seines Antrags auf Abweisung der Widerklage das Vorliegen inkongruenter Deckung in Abrede gestellt. Die Rechtsordnung sehe die Durchsetzung von Forderungen im Wege der Zwangsvollstreckung ausdrücklich vor. Gläubiger, die aufgrund eines rechtmäßigen Titels Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durchführten, seien in ihrer Position nicht weniger schutzwürdig als Gläubiger, an die der Schuldner freiwillig gezahlt habe. Die Auslegung des § 131 InsO durch die höchstrichterliche Rechtsprechung verstoße gegen höherrangiges Recht. Jedenfalls seien diese Grundsätze nicht auf arbeitsrechtliche Konstellationen übertragbar. Ohnehin sei ein etwaiger Rückzahlungsanspruch erloschen, weil die tarifliche Ausschlussfrist verstrichen sei.
Die Vorinstanzen haben der Widerklage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren unter Vertiefung seines Vorbringens weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger muss die von der Schuldnerin am 21. Februar und 19. März 2007 gezahlten 6.310,18 Euro gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO iVm. § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO an die Masse zurückgewähren. Der Rückforderungsanspruch begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und unterfällt nicht der tariflichen Ausschlussfrist.
I. Die Widerklage ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Beklagte verlangt die durch die Zahlungen vom 21. Februar und 19. März 2007 erlangten Beträge zurück. Es kommt nicht darauf an, wie sich diese auf die Vergütungsforderung des Klägers verteilen.
II. Anfechtungsgegner ist der Kläger, obwohl die Zahlung nicht an ihn als Gläubiger, sondern an den von ihm bestellten Empfangsbeauftragten erfolgte (BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 11).
III. Die Zahlungen vom 21. Februar und 19. März 2007 sind nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar.
1. § 131 InsO gilt uneingeschränkt auch für die Anfechtung von Entgeltzahlungen. Der Gesetzgeber hat das Arbeitnehmerprivileg des § 59 KO bewusst abgeschafft und verfolgt mit der Insolvenzordnung das Ziel der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung. Das bedingt die Anwendung der anfechtungsrechtlichen Vorschriften der Insolvenzordnung auf alle betroffenen Gläubigergruppen einschließlich der Arbeitnehmer (vgl. für § 130 InsO: BAG 6. Oktober 2011 – 6 AZR 262/10 – Rn. 11, BAGE 139, 235).
2. Gegen die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, die Schuldnerin sei im Zeitpunkt der Zahlungen zahlungsunfähig gewesen, erhebt die Revision keine Angriffe. Die Zahlungen erfolgten am 21. Februar und 19. März 2007 und damit im zweiten bzw. dritten Monat vor dem Eröffnungsantrag.
3. Die von der Schuldnerin vorgenommenen Zahlungen bewirkten eine inkongruente Befriedigung des Klägers. Nach st. Rspr. des Senats wird Inkongruenz ua. dadurch begründet, dass die Zahlung durch den zumindest unmittelbar bevorstehenden hoheitlichen Zwang erreicht wird (vgl. BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 14; 24. Oktober 2013 – 6 AZR 466/12 – Rn. 24 ff.). Das ist bei den hier vorliegenden Zahlungen nach Vorpfändung der Fall (vgl. BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 16).
a) Entgegen der Annahme der Revision ist dieses Verständnis vom Wortsinn des § 131 Abs. 1 InsO gedeckt. Inkongruenz liegt danach ua. dann vor, wenn eine Rechtshandlung einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung gewährt, die er „nicht in der Art” zu beanspruchen hatte. § 131 InsO stellt – entgegen der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers – nicht auf eine Rechtshandlung des Schuldners ab. Damit werden auch Handlungen des Gläubigers erfasst, an denen der Schuldner nicht beteiligt ist, sowie Fälle, in denen der Schuldner zur Abwendung der Zwangsvollstreckung leistet (BGH 9. September 1997 – IX ZR 14/97 – BGHZ 136, 309). Der Gesetzgeber hat diese Auslegung des Begriffs „in der Art” durch die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung in seinen Willen aufgenommen (vgl. BAG 19. Mai 2011 – 6 AZR 736/09 – Rn. 14 f. [die gegen diese Entscheidung eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen: BVerfG 15. Januar 2014 – 2 BvR 1781/11 –]; 31. August 2010 – 3 ABR 139/09 – Rn. 23).
b) Dieses Normverständnis steht auch im Einklang mit dem Zweck der anfechtungsrechtlichen Vorschriften. Bei ihrer Argumentation, die Rechtsordnung sehe vor, dass Gläubiger ihre Ansprüche titulieren und im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen könnten, so dass diese Zahlung „in der Art” zu beanspruchen sei, übersieht die Revision, dass der Vertragsgläubiger nach dem ursprünglichen Pflichtenprogramm des Vertragsverhältnisses auf einen Vollstreckungserfolg unter Einschaltung staatlicher Vollstreckungsorgane gerade keinen Rechtsanspruch hat (Rendels/Frölich Anm. EWiR 2010, 369, 370). Im Dreimonatszeitraum des § 131 InsO muss nach dem Willen des Gesetzgebers das Interesse des einzelnen Gläubigers an der Durchsetzung seines Anspruchs – auch mit staatlichen Zwangsmitteln – dem Interesse einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung weichen. Nach Eintritt der Krise stellt der Gesetzgeber dem Gläubiger zur Durchsetzung seiner Ansprüche nur noch das Insolvenzverfahren zur Verfügung (vgl. BGH 9. September 1997 – IX ZR 14/97 – BGHZ 136, 309). Den vom Kläger reklamierten Vertrauensschutz in die Bestandsfestigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen im Fall eines späteren Insolvenzverfahrens gewährt der Gesetzgeber in der Krise gerade nicht.
4. Das Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO kommt dem Kläger entgegen der Auffassung der Revision nicht zugute, weil die Befriedigung inkongruent war (vgl. BAG 24. Oktober 2013 – 6 AZR 466/12 – Rn. 38).
5. Der von der Revision angenommene Widerspruch zur Regelung des Insolvenzgeldes besteht nicht.
a) Die Revision nimmt an, die Anwendung des § 131 InsO auf Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer in der Krise unter dem Druck der Zwangsvollstreckung erlangt habe, konterkariere das mit der Gewährung von Insolvenzgeld verfolgte Ziel, die Krise nicht noch dadurch zu verstärken, dass die Arbeitnehmer schon bei ersten Lohnrückständen den Arbeitgeber wechseln oder ihre Arbeitsleistung zurückhalten.
aa) Bereits der Ausgangspunkt dieser Argumentation trifft so nicht zu. Das Insolvenzgeld soll – in Umsetzung der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers – Arbeitseinkünfte sichern, auf die der Arbeitnehmer existentiell angewiesen ist. Es ist grundsätzlich nicht als Sanierungsinstrument für den Schuldner gedacht. Lediglich die Insolvenzgeldvorfinanzierung nach § 170 SGB III ermöglicht mit Zustimmung der Arbeitsverwaltung im Rahmen eines Sanierungsversuchs die Betriebsfortführung (Gottwald/Bertram Insolvenzrechts-Handbuch 4. Aufl. § 110 Rn. 3 f.; Uhlenbruck/Berscheid 13. Aufl. § 22 Rn. 169 f.). In der Praxis kommt dieses Instrument erst nach Stellen eines Insolvenzantrags auf Initiative des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Anwendung (vgl. Nr. 3.2 Abs. 3 und 5 zu § 170 SGB III der Insolvenzgeld-DA der Bundesagentur für Arbeit Stand 1. Mai 2013).
bb) Allerdings ist idR die Mehrzahl der Arbeitnehmer (nur) so lange trotz Zahlungsverzugs des Arbeitgebers zur Weiterarbeit bereit, wie sie ihre ausstehenden Entgeltansprüche noch als durch das Insolvenzgeld gesichert ansehen kann (vgl. BAG 6. Oktober 2011 – 6 AZR 262/10 – Rn. 18, BAGE 139, 235). Das Insolvenzanfechtungsrecht zwingt den vernünftigen Arbeitnehmer aber keineswegs, bereits bei ersten Lohnrückständen zu kündigen oder seine Arbeitsleistung zurückzuhalten. Es hindert ihn im Gegenteil nicht, den Insolvenzgeldzeitraum auszuschöpfen. Die Revision berücksichtigt bei ihrer Argumentation nicht, dass das Insolvenzgeld Entgeltausfälle für die letzten drei Monate vor dem Insolvenzereignis bzw. für die letzten drei Monate der Beschäftigung vor diesem Ereignis abdeckt. Ist das Arbeitsverhältnis vor dem Insolvenzereignis bereits beendet, ist für die Berechnung des Dreimonatszeitraums allein die Beendigung des Arbeitsverhältnisses maßgebend. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer, falls Insolvenzantrag gestellt ist, einen Vorschuss auf das Insolvenzgeld beantragen (§ 168 SGB III). Muss der Arbeitnehmer nach erfolgreicher Insolvenzanfechtung Entgelt zurückgewähren, entsteht insoweit Anspruch auf Insolvenzgeld, sofern der Insolvenzgeldzeitraum nicht bereits durch andere Entgeltrückstände ausgeschöpft ist (vgl. BAG 29. Januar 2014 – 6 AZR 345/12 –Rn. 33).
b) Entgegen der Auffassung der Revision trägt die Rechtslage auch dem Umstand noch hinreichend Rechnung, dass das Arbeitsentgelt die Existenzgrundlage des Arbeitnehmers ist. Den von ihr insoweit herangezogenen Gedanken des Pfändungsschutzes von Arbeitsentgelt nach §§ 850 ff. ZPO hat der Senat in seiner Entscheidung vom 29. Januar 2014 (– 6 AZR 345/12 – Rn. 20 ff.) berücksichtigt. Er hat für kongruente Deckungen erwogen, in verfassungskonformer Auslegung der §§ 129 ff. InsO das Existenzminimum anfechtungsfrei zu stellen. Bei einer inkongruenten Deckung wie der hier vorliegenden scheidet eine solche Auslegung dagegen aus, weil die Arbeitnehmer die zur Absicherung des Existenzminimums vorgesehenen und geeigneten staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen können (BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 34).
c) Mit dem Insolvenzgeldanspruch hat der Gesetzgeber die Ansprüche der Arbeitnehmer weiter gehend abgesichert als die anderer Gläubiger. Letztlich muss der Arbeitnehmer bei Entgeltrückständen, die drei Monate erreichen oder übersteigen, abwägen, ob er ein Arbeitsverhältnis, dessen Hauptpflichten vom Arbeitgeber in erheblichem Ausmaß nicht erfüllt worden sind, gleichwohl noch als erhaltenswert ansieht. Entscheidet er sich für den Erhalt des Arbeitsverhältnisses, nimmt er in Kauf, mit Entgeltrückständen, die vom Insolvenzgeld nicht mehr abgedeckt sind, auszufallen, falls der Arbeitgeber in Insolvenz gerät. Mit seiner Annahme, die Arbeitnehmer würden sich interessengerecht verhalten, hat der Gesetzgeber seine Einschätzungsprärogative noch nicht überschritten (vgl. BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 31).
6. Dieses Verständnis des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und steht auch im Einklang mit Art. 1 des Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20. März 1952 in der Fassung des Protokolls Nr. 11.
a) § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO verletzt in seiner Auslegung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung Art. 3 Abs. 1 GG nicht (vgl. BAG 24. Oktober 2013 – 6 AZR 466/12 – Rn. 35). Zu Unrecht nimmt die Revision an, Gläubiger, die ihren Anspruch erst durch Zwangsvollstreckung realisieren könnten, würden ohne sachliche Rechtfertigung schlechter gestellt als Gläubiger, die der Schuldner in der Krise freiwillig befriedige. Zwar unterliegen freiwillige Zahlungen des Schuldners in der Dreimonatsfrist und nach Stellen des Eröffnungsantrags nicht der Anfechtung nach § 130 InsO, wenn der Gläubiger von der Zahlungsunfähigkeit bzw. dem Eröffnungsantrag weder Kenntnis hatte noch aus den Umständen darauf schließen musste. Dann – und nur dann – sind freiwillige Zahlungen anfechtungsfrei. Die erleichterte Anfechtungsmöglichkeit des § 131 Abs. 1 InsO gegenüber den Gläubigern, die Befriedigung durch Zwangsvollstreckung erlangen, ist jedoch sachlich gerechtfertigt. Der Einsatz von bzw. die Drohung mit staatlichen Zwangsmitteln nimmt der Leistung des Schuldners aus objektiver Sicht den Charakter der Freiwilligkeit. Muss der Gläubiger den Schuldner durch Zwangsvollstreckung oder die Drohung damit zur Leistung zwingen, liegt bei typisierender Betrachtung der Verdacht nahe, dass der Schuldner nicht mehr alle Gläubiger zu befriedigen vermag, sondern zahlungsunfähig und insolvenzreif ist (vgl. BAG 24. Oktober 2013 – 6 AZR 466/12 –Rn. 25). Der Erfahrung, dass viele Schuldner in der Krise geneigt sind, bestimmte, ihnen näherstehende Gläubiger bevorzugt zu bedienen, hat der Gesetzgeber mit § 130 Abs. 3 und § 131 Abs. 2 Satz 2 InsO in typisierender Weise ausreichend Rechnung getragen (vgl. LG Köln 21. Juli 2010 – 13 S 89/10 – zu II 2 a bb der Gründe; MünchKommInsO/Kayser 3. Aufl. § 131 Rn. 26a).
b) § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO steht in seiner Auslegung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung auch mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG sowie dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem durch Art. 20 Abs. 1 GG gewährleisteten Sozialstaatsprinzip im Einklang (vgl. BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 19 ff., 27 ff.).
c) Entgegen der Auffassung der Revision ist auch Art. 1 des Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20. März 1952 in der Fassung des Protokolls Nr. 11 (im Folgenden: Zusatzprotokoll) nicht verletzt. Zwar gewährt Art. 1 Abs. 1 dieses Zusatzprotokolls jeder natürlichen oder juristischen Person das Recht auf Achtung ihres Eigentums und untersagt dessen Entzug. Dies gilt jedoch ua. dann nicht, wenn das öffentliche Interesse eine Beeinträchtigung des Eigentums verlangt, sofern dies gesetzlich geregelt ist. Gemäß Art. 1 Abs. 2 des Zusatzprotokolls wird das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er ua. für die Regelung der Benutzung des Eigentums für erforderlich hält, nicht beeinträchtigt. Der Eigentumsschutz der EMRK enthält in Art. 1 Abs. 2 des Zusatzprotokolls damit eine Inhalts- und Schrankenbestimmung, die nicht enger ist als die des Art. 14 GG. Ein Gesetz iSd. Art. 1 Abs. 2 des Zusatzprotokolls, das das Eigentumsrecht aus Art. 1 Abs. 1 des Zusatzprotokolls einschränkt, muss einen angemessenen Ausgleich zwischen den Erfordernissen des Allgemeininteresses und den Anforderungen an den Schutz der Rechte des Einzelnen herbeiführen. Erforderlich ist ein angemessenes Verhältnis zwischen den eingesetzten Mitteln und dem angestrebten Ziel. Bei der Überprüfung, ob dem genügt ist, gewährt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem Gesetzgeber einen großen Ermessensspielraum. Dieser umfasst sowohl die Auswahl der Durchführungsmodalitäten als auch die Beurteilung der Frage, ob deren Folgen im Allgemeininteresse durch das Bemühen gerechtfertigt sind, das Ziel der in Rede stehenden Rechtsvorschriften zu erreichen (EGMR 26. Juni 2012 – 9300/07 –Rn. 574). Diesen Anforderungen genügt § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO.
7. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend gemacht hat, die Schuldnerin habe gezielt Entgeltrückstände gegenüber Nichtgewerkschaftsmitgliedern ausgeglichen und Gewerkschaftsmitglieder wie ihn benachteiligt, hat das Landesarbeitsgericht eine derartige Zahlungspraxis nicht festgestellt. Verfahrensrügen sind insoweit nicht erhoben.
IV. Der Umstand, dass die Masse unzulänglich ist, ist für die Anfechtung bedeutungslos. Die für alle Anfechtungstatbestände erforderliche Gläubigerbenachteiligung iSd. § 129 InsO entfällt deswegen nicht (BGH 28. Februar 2008 – IX ZR 213/06 – Rn. 13 f.; 19. Juli 2001 – IX ZR 36/99 – zu II 1 a der Gründe).
V. Der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch aus § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO unterfällt tariflichen Ausschlussfristen nicht. Das hat der Senat in seiner jüngeren Rechtsprechung ausführlich begründet und verweist darauf (vgl. BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 35 ff.; 24. Oktober 2013 – 6 AZR 466/12 – Rn. 18 ff.; zust.: Hamann/Böing jurisPR-ArbR 7/2014 Anm. 1; Froehner Anm. NZI 2014, 133, 134). Der Kläger führt keine Argumente an, die Anlass zu einer abweichenden Würdigung geben.
VI. Der Kläger hat den Rückgewähranspruch seit dem Folgetag der Insolvenzeröffnung, dh. ab dem 2. Juli 2007, in der beantragten Höhe zu verzinsen (vgl. BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 39 f.). Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
VII. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Fischermeier, Gallner, Spelge, Koch, Wollensak
Fundstellen
Haufe-Index 7012495 |
BB 2014, 1780 |