Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsanpassung nach Feststellung eines Arbeitsverhältnisses
Leitsatz (amtlich)
1. Haben sich die Parteien in einem beiderseitigen Rechtsirrtum befunden, als sie ihr Arbeitsverhältnis als freie Mitarbeit angesehen haben, so richtet sich die Anpassung des Vertrages nach den Grundsätzen über den Wegfall der (subjektiven) Geschäftsgrundlage.
2. Eine Anpassung des Vertrages unter den vorgenannten Voraussetzungen wird regelmäßig nur für noch nicht beendete Vertragsverhältnisse für die Zukunft in Betracht kommen.
3. Neben den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage findet § 812 Abs 1 Satz 2 BGB keine Anwendung (ebenso BGH Urteil vom 17. Januar 1975 - V ZR 105/73 = NJW 1975, 776).
Normenkette
BGB §§ 242, 812 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 15.11.1984; Aktenzeichen 4 Sa 97/84) |
ArbG Heilbronn (Entscheidung vom 26.06.1984; Aktenzeichen 3 Ca 9/84) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, einen Teil der Vergütungen, die sie als freie Mitarbeiterin erhalten hat, zurückzuzahlen, nachdem nach Beendigung der Zusammenarbeit rechtskräftig festgestellt worden ist, daß die Beklagte Arbeitnehmerin gewesen ist.
Der Kläger betreibt unter der Bezeichnung „Diplom-Ingenieur G Fahrlehrergemeinschaft selbständiger Fahrlehrer in H ” eine Fahrschule, in der die Beklagte ab 15. September 1976 zunächst als Fahrlehrerin im Angestelltenverhältnis tätig war. Daneben beschäftigte er Fahrlehrer in freier Mitarbeit aufgrund eines Gesellschaftsvertrages vom 23. Juni 1971. Durch Nachtrag vom 16. März 1979 trat die Beklagte ebenfalls in diese Gesellschaft ein; sie hat ihre Mitarbeit am 9. Februar 1981 fristlos beendet.
Danach hat sie in einem Vorprozeß erfolgreich auf Feststellung geklagt, daß sie vom 1. Oktober 1978 bis zum 9. Februar 1981 Arbeitnehmerin und nicht selbständige Fahrlehrerin beim Kläger gewesen ist (Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 26. Januar 1983 - 4 Sa 125/82 -).
Daraufhin fordert der Kläger jetzt von der Beklagten die Zahlung der Differenz zwischen dem von ihm tatsächlich gezahlten Verdienst für freie Mitarbeit und dem nach seiner Behauptung geringeren Arbeitsverdienst, den die Beklagte als angestellte Fahrlehrerin erhalten hätte. Hiernach habe er insgesamt 82.481,47 DM zuviel gezahlt; hiervon verlange er für die Zeit der rechtskräftigen Feststellung eines Arbeitsverhältnisses (vom 1. Oktober 1978 bis zum 9. Februar 1981) abschließend einen Teilbetrag von 45.424,26 DM nebst 4 % Zinsen hierauf seit dem 31. Dezember 1983 von der Beklagten. Er hat in der Vorinstanz einen dementsprechenden Klagantrag gestellt.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und geltend gemacht, sie habe während ihrer Beschäftigung als freie Mitarbeiterin nicht mehr verdient als im Angestelltenverhältnis; ihr Verdienst sei sogar geringer gewesen, weil der Kläger zusätzlich junge Fahrlehrer eingestellt habe und ihr dadurch weniger Fahrschüler zugewiesen habe als anderen Mitarbeitern. Außerdem hat die Beklagte sich auf die Einrede der Verjährung berufen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, und das Landesarbeitsgericht hat die Berufung hiergegen zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Forderung aus den Vorinstanzen weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Der Kläger verlangt aus einer Gesamtforderung von 82.481,47 DM einen Teilbetrag von 45.424,26 DM. Wenn ein Teilbetrag eingeklagt wird, ist er von der Gesamtforderung klar abzugrenzen, denn nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muß die Klagschrift den Gegenstand und den Grund des Anspruchs bestimmt bezeichnen, sonst ist die Klage als unzulässig abzuweisen (BGHZ 11, 181, 184; 20, 219, 221). Allerdings kann eine bisher unvollkommene Abgrenzung des Teilbetrages von der Gesamtforderung in der Revisionsinstanz noch behoben werden, weil dieser Mangel nur die Zulässigkeit der Klage und nicht die Zulässigkeit des Rechtsmittels selbst betrifft (BGHZ 11, 181, 185). Jedoch kann die Abgrenzung in der Revisionsinstanz nicht mehr nachgeholt werden, wenn der Kläger in der Berufungsinstanz schon erfolglos darauf hingewiesen worden ist (BGH NJW 1958, 1590).
Auf den Hinweis des Berufungsgerichts hat der Kläger erklärt, der eingeklagte Teilbetrag sei seine „abschließende Forderung” für den gesamten Zeitraum vom 1. Oktober 1978 bis zum 9. Februar 1981. Damit hat er gleichzeitig klargestellt, daß er den darüber hinausgehenden Teil der Gesamtforderung nicht mehr geltend machen wird. Durch diese Einschränkung sind die Grenzen der Rechtskraft hier eindeutig zu bestimmen.
Außerdem setzt sich die eingeklagte Forderung nicht aus verschiedenen Streitgegenständen zusammen, sondern es handelt sich um einen einheitlichen Anspruch auf Rückzahlung der Vergütung, der sich aus verschiedenen Teilposten errechnet (unterschiedliche Stundensätze bzw. Stundenlöhne für die Vergütung einer Arbeitsleistung).
2. Das Arbeits- und das Landesarbeitsgericht haben die hiernach zulässige Klage im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen.
a) Der Kläger fordert die Differenz zwischen der tatsächlich gezahlten Vergütung nach den für einen freien Mitarbeiter maßgebenden Sätzen und dem geringeren Stundenlohn, den die Beklagte als Arbeitnehmerin von ihm erhalten hätte. Die Parteien seien übereinstimmend davon ausgegangen, daß die Beklagte freie Mitarbeiterin gewesen sei, denn sie hätte einen entsprechenden Gesellschaftsvertrag mit dem Kläger abgeschlossen. Erst nach Beendigung dieses Vertragsverhältnisses sei – entgegen der gemeinsamen Annahme der Parteien – rechtskräftig festgestellt worden, daß zwischen ihnen ein Arbeitsvertrag bestanden habe. Damit sei die Geschäftsgrundlage des Gesellschaftsvertrages entfallen.
b) Geschäftsgrundlage sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts die bei Abschluß des Vertrages zu Tage getretenen, dem anderen Teil erkennbar gewordenen und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen einer Partei oder die gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien hierauf aufbaut (BGHZ 25, 390, 392 m. w. N. und ähnlich auch BAG Urteil vom 14. Februar 1956 - 1 AZR 279/54 - AP Nr. 1 zu § 242 BGB Geschäftsgrundlage; BAG 38, 194 = AP Nr. 33 zu § 612 BGB; BAG Urteil vom 5. April 1960 - 5 AZR 197/57 - AP Nr. 3 zu § 242 BGB Geschäftsgrundlage). Hierzu rechnet auch ein beiderseitiger Irrtum in der Beurteilung der Rechtslage bei Abschluß eines Vertrages, wenn ohne diesen beiderseitigen Rechtsirrtum der Vertrag nicht, wie geschehen, geschlossen worden wäre (BGHZ 25, 390, 392, m. w. N.). Eine Vertragspartei, die nach Aufklärung des Irrtums den Vorteil behalten will, der ihr im Widerspruch zu der wirklichen Rechtslage zufließen würde, handelt regelmäßig gegen Treu und Glauben (BGHZ 25, 390, 393). Insoweit spricht man im Anschluß an Larenz auch vom Wegfall der gemeinsamen „subjektiven Geschäftsgrundlage” des Vertrages (Larenz, Allgem. Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 6. Aufl., § 20 III, S. 380 ff., insbes. S. 382 und 385 sowie Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. 1, Allgem. Teil, 13. Aufl., § 10 II d, S. 126; vgl. auch MünchKomm-Roth, § 242 Rz 626 und 651).
c) Zwar kann man mit der Revision davon ausgehen, daß die Parteien einem beiderseitigen Rechtsirrtum erlegen waren, als sie ihr Rechtsverhältnis als Gesellschaftsvertrag angesehen haben, obwohl es sich in Wirklichkeit um ein Arbeitsverhältnis gehandelt hat. Ein solcher Wegfall der Geschäftsgrundlage führt aber nur dann zur Abänderung des Vertrages, wenn das Festhalten an ihn für den Schuldner zu einem unzumutbaren Opfer wird (BAG Urteil vom 14. Februar 1956 - 1 AZR 279/54 - AP Nr. 1 zu § 242 BGB Geschäftsgrundlage). Eine Störung der Geschäftsgrundlage ist rechtlich nur von Bedeutung, wenn das Festhalten am bisherigen Vertrag ein Verstoß gegen Treu und Glauben wäre (BGH, WIM 1969, 496, 499), wenn also dem Schuldner die Erfüllung des Vertrages auf der bisherigen Grundlage nicht mehr so zugemutet werden könnte (BAG 38, 194 = AP Nr. 33 zu § 612 BGB).
d) Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, selbst wenn man mit dem Kläger davon ausgeht, daß er der Beklagten für ihre Arbeitsleistung einen höheren Stundensatz gewährt haben sollte, als wenn er sie weiter im Arbeitsverhältnis beschäftigt hätte. Es ist nämlich auf der anderen Seite zu berücksichtigen, daß die Beklagte – als die Parteien noch von einer freien Mitarbeit ausgegangen waren – einen eigenen Fahrschulwagen stellen und alle Fahrzeugunterhaltungs- und Betriebskosten einschließlich der Kraftfahrzeughaftpflicht und Kraftfahrzeugsteuer selbst tragen mußte. Im Arbeitsverhältnis hätte sie diese Kosten nicht zu bezahlen. Außerdem ist der Vergleich zwischen einem höheren Stundensatz für einen freien Mitarbeiter und einem geringeren Stundenlohn für einen Arbeitnehmer allein nicht aussagekräftig, denn während ein Arbeitnehmer Bezahlung verlangen kann, wenn der Inhaber der Fahrschule ihn nicht einsetzen kann (§ 615 BGB), konnte die Beklagte nur Bezahlung für die tatsächlich durchgeführten Unterrichtsstunden beanspruchen.
Gerade hieraus hat die Beklagte Gegenansprüche hergeleitet, denn nach ihrer Behauptung soll der Kläger in verstärktem Umfang junge Fahrlehrer im Angestelltenverhältnis eingesetzt und dadurch die Vergütung der Beklagten zwangsläufig verringert haben. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Behauptung zutrifft, jedoch hatte er die Möglichkeit hierzu. Daraus ergibt sich dann aber das eigene Verdienstrisiko der Beklagten, das sie als Arbeitnehmerin nicht gehabt hätte.
Soweit der Kläger geltend macht, er werde zur Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen, nachdem rückwirkend die Arbeitnehmereigenschaft der Beklagten festgestellt worden sei, kann das in diesem Rechtsstreit nicht berücksichtigt werden, denn hier streiten sich die Parteien nur über eine nachträgliche Kürzung des Verdienstes und nicht über eine Beteiligung der Beklagten an dem Aufwand des Klägers für die Nachentrichtung von Beiträgen für die Beklagte.
e) Aber selbst wenn man unterstellt, daß die Voraussetzungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage hier erfüllt sind und der Kläger der Beklagten tatsächlich eine höhere Vergütung als im Arbeitsverhältnis gezahlt hat, so ergibt sich daraus für ihn noch kein Rückforderungsanspruch gegen die Beklagte. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage hat nämlich in erster Linie die Anpassung des Vertrages an die veränderten Verhältnisse zur Folge (BGHZ 58, 355, 363). Eine Anpassung wird aber regelmäßig nur für noch nicht abgewickelte Vertragsverhältnisse in Frage kommen, insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen und dort auch nur regelmäßig für die Zukunft (BGHZ 58, 355, 363). In einem Dauerschuldverhältnis – also auch in einem Arbeitsverhältnis – werden bei Wegfall der Geschäftsgrundlage zugleich die Voraussetzungen für eine Kündigung aus wichtigem Grund gegeben sein (§ 626 BGB), wobei in zahlreichen Fallgestaltungen die Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung das Recht der Geschäftsgrundlage verdrängt (BGHZ 24, 91, 96; BGH, DB 1980, 1163, 1164, m. w. N.).
Da die Parteien ihr Vertragsverhältnis aber schon am 9. Februar 1981 beendet haben, scheidet eine Anpassung des Vertrages an die Grundsätze eines Arbeitsverhältnisses oder eine Kündigung von vornherein aus. Dieser Fall gibt auch keine Veranlassung, ausnahmsweise von dem Grundsatz der nur zukünftigen Vertragsänderung- und anpassung abzuweichen. Anders könnte es sein, wenn das Vertragsverhältnis noch bestände und die Anpassung an veränderte Verhältnisse zwangsläufig auch in die Vergangenheit zurückwirkt. Aber hieran fehlt es im vorliegenden Fall.
3. Der Kläger kann seine Rückforderung auch nicht aus § 812 BGB herleiten. Ein Rückgriff auf Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung wegen Nichterreichung des mit einer Leistung bezweckten Erfolgs (§ 812 Abs. 1 Satz 2 2. Fall BGB) – worauf der Kläger seine Forderung ebenfalls stützen will – kommt aber selbst dann nicht in Betracht, wenn die Geschäftsgrundlage eines Vertrages weggefallen ist, dies aber weder zu einer Lösung noch zu einer sonstigen Anpassung des Vertragsverhältnisses an veränderte Umstände führt (BGH Urteil vom 17. Januar 1975 - V ZR 105/73 - NJW 1975, 776). Vertragliche Ansprüche haben nämlich stets den Vorrang vor solchen aus ungerechtfertigter Bereicherung. Dieser Vorrang der vertraglichen Ansprüche besteht unabhängig davon, welche Rechtsfolgen sich im konkreten Fall aus der Anwendung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage ergeben. Ein Rückgriff auf Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung wegen Nichterreichens des mit einer Leistung bezweckten Erfolgs bleibt, wenn die Geschäftsgrundlage weggefallen ist, auch dann ausgeschlossen, wenn nach § 242 BGB keine Lösung des Vertragsverhältnisses mit entsprechenden Rückgewähransprüchen in Betracht kommt, sei es, daß lediglich eine anderweitige Anpassung des Vertrages an die veränderten Umstände vorzunehmen ist, oder sei es, daß sich die Parteien trotz der Veränderung der Umstände in vollem Umfang an dem Vertrag festhalten lassen müssen (BGH Urteil vom 17. Januar 1975 - V ZR 105/73 - NJW 1975, 776). Das trifft auch auf diesen Rechtsstreit zu, denn – wie schon dargelegt (vgl. 2 d der Gründe) – ist es trotz der Annahme einer freien Mitarbeit den Parteien zumutbar, an der auf dieser Grundlage vereinbarten Vergütung festzuhalten.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Scherer, Dr. Schönherr
Fundstellen
Haufe-Index 60157 |
BAGE 52, 273-279 (LT1-3) |
BAGE, 273 |
BB 1987, 1812 |
BB 1987, 1812-1814 (LT1-3) |
DB 1986, 2676-2677 (LT1-3) |
NJW 1987, 918 |
NJW 1987, 918-919 (LT1-3) |
NZA 1987, 16-17 (LT1-3) |
RdA 1986, 406 |
AP, Geschäftsgrundlage (LT1-3) |
AR-Blattei, ES 1790 Nr 1 (LT1-3) |
AR-Blattei, Wegfall der Geschäftsgrundlage Entsch 1 (LT1-3) |
EzA, Geschäftsgrundlage Nr 1 (LT1-3) |
JZ 1986, 1124 |
JZ 1986, 1124-1124 (LT1-3) |
MDR 1987, 167-168 (LT1-3) |