Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Arbeitgeberkündigung gegenüber einem Hochschuldozenten wegen Nichtbeantwortung von Fragen in einem Personalfragebogen nach früherer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2; PersVG Berlin §§ 84, 89 Abs. 1; BPersVG § 108 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 11. Mai 1995 – 7 Sa 146/94 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 22. September 1994 – 90 Ca 12357/94 – wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat auch die Kosten der Rechtsmittelinstanzen zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der am 20. November 1951 geborene Kläger war seit dem 1. August 1975 bei der Beklagten beschäftigt. Mit Wirkung vom 1. Februar 1988 wurde er zum Hochschuldozenten berufen.
Am 18. April 1991 unterschrieb der Kläger einen Personalfragebogen, in dem er zu den Fragen unter Nr. 1 bis Nr. 17 die erforderlichen Angaben machte, in dem er aber die Fragen unter Nr. 18 bis Nr. 20 nicht beantwortete. Unter Nr. 19 wäre zu den Fragen, ob der Arbeitnehmer für das frühere Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) tätig gewesen sei, ob er von dort finanzielle Zuwendungen erhalten habe und ob er eine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit dem MfS unterschrieben habe, jeweils ein Ja oder ein Nein anzukreuzen gewesen. Vor der Unterschrift enthält der Fragebogen folgende Erklärung: „Ich versichere nach bestem Wissen und Gewissen, vorstehende Angaben vollständig und wahrheitsgemäß gemacht zu haben. Es ist mir bekannt, daß falsche Angaben die Entlassung nach sich ziehen können.”
Mitte September 1992 erhielt die Beklagte einen Einzelbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vom 9. September 1992, aus dem sich ergab, daß der Kläger im September 1981 vom MfS als IMK (Inoffizieller Mitarbeiter für Sicherung der Konspiration) erfaßt worden war, daß der Kläger sich in einer von ihm am 8. September 1981 geschriebenen und unterschriebenen Erklärung zur Zusammenarbeit mit dem MfS bereit erklärt und sich für diese Zusammenarbeit den Decknamen Albert gegeben hatte, daß er am 22. September 1981 unter diesem Decknamen einen Bericht geschrieben hatte, daß der Führungsoffizier am 30. September 1982, 14. Oktober 1982 und 5. November 1982 je einen Treffbericht erstellt hatte und daß die Zusammenarbeit anschließend eingestellt worden war.
Auf den Bericht des Bundesbeauftragten hin wurde der Ehrenausschuß der Beklagten mit der Anhörung des Klägers und der Erstellung eines Votums über die Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses beauftragt. Der Ehrenausschuß hörte den Kläger Mitte November 1992 an und stellte sein Votum zurück, um beim Bundesbeauftragten durch eine erweiterte Recherche Unklarheiten des Einzelberichtes vom 9. September 1992 auszuräumen. Unter dem 5. Oktober 1993 teilte der Bundesbeauftragte mit, daß die erweiterte Recherche nicht zu weiteren Ergebnissen oder Erkenntnissen geführt habe.
Die Personalkommission der Beklagten stellte in ihrer 55. Sitzung am 16. September 1993 fest, daß sie als kündigungsberechtigtes Gremium erst jetzt von dem Verschweigen der Zusammenarbeit des Klägers mit dem früheren MfS im Personalfragebogen erfahren habe, und beschloß einstimmig, das Beschäftigungsverhältnis des Klägers zur Beklagten wegen mangelnder persönlicher Eignung und Verschweigens der Zusammenarbeit zu kündigen und die Präsidentin mit der Durchführung dieses Beschlusses zu beauftragen.
Nachdem die Beklagte noch im September 1993 das personalvertretungsrechtliche Beteiligungsverfahren eingeleitet und der Personalrat am 28. Oktober 1993 Einwände gegen die beabsichtigte Kündigung erhoben hatte, kam es nicht zum Ausspruch einer Kündigung – nach der Behauptung der Beklagten deswegen nicht, weil die Struktur- und Berufungskommission im Herbst 1993 die Übernahme des Klägers auf eine Dauerstelle empfohlen und weil es bis Mitte Februar 1994 Überlegungen und Verhandlungen über den Abschluß eines Aufhebungsvertrages und die befristete Weiterbeschäftigung des Klägers außerhalb der Humboldt-Universität gegeben hatte.
Mit Schreiben vom 8. März 1994 bat der Leiter der Personalabteilung der Beklagten den Personalrat „im Rahmen der Mitwirkung um Zustimmung” zur Kündigung des Klägers. Der Personalrat nahm zu dem Antrag der Beklagten keine Stellung.
Mit Schreiben vom 28. März 1994 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 30. September 1994, hilfsweise zum nächstmöglichen Kündigungstermin. Zur Begründung gab sie an, die weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger sei ihr nicht zumutbar, weil er seine Kontakte mit dem MfS im Personalfragebogen nicht angegeben und damit seine Arbeitgeberin in einer entscheidungserheblichen Frage getäuscht habe.
Mit seiner am 18. April 1994 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die Abgabe der Verpflichtungserklärung und seine Betätigung für das MfS seien nach Zeit, Inhalt und sonstigen Umständen nicht geeignet, eine Kündigung zu begründen. Dies habe auch die Beklagte selbst so gesehen. Die bloße Nichtbeantwortung entsprechender Fragen im Personalfragebogen stehe einer Falschbeantwortung nicht gleich. Die Zulässigkeit derartiger Fragen sei damals streitig gewesen. Zudem habe die Beklagte ein etwaiges Kündigungsrecht verwirkt. Den Bericht des Bundesbeauftragten habe er im Kollegenkreis verteilt und sich öffentlich dazu geäußert. Ihm sei nicht mitgeteilt worden, daß ein weiteres Auskunftsersuchen an den Bundesbeauftragten gerichtet werde. Mit einer Kündigung habe er schon deswegen nicht mehr gerechnet und auch nicht zu rechnen brauchen, weil ihm mit Schreiben des Wissenschaftlichen Landesprüfungsamtes vom 30. Juli 1993 mitgeteilt worden sei, daß er als Prüfer bei Ersten Staatsprüfungen für das Fach Mathematik von Fall zu Fall bestellt werden würde.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 28. März 1994 – zugegangen am 31. März 1994 – nicht aufgelöst worden sei.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei sowohl aus Gründen in der Person als auch aus Gründen im Verhalten des Klägers sozial gerechtfertigt. Weder hinsichtlich der früheren MfS-Tätigkeit des Klägers noch hinsichtlich des Verschweigens dieser Tätigkeit im Personalfragebogen sei ihr Kündigungsrecht verwirkt. Die Anhörung des Klägers im November 1992 habe wegen des Widerspruchs zwischen den Angaben des Klägers und der Auskunft des Bundesbeauftragten eine erneute Antrage bei dem Bundesbeauftragten erforderlich gemacht. Erst als der weitere Bericht des Bundesbeauftragten bis zum September 1993 nicht eingetroffen gewesen sei, habe die Personalkommission den Beschluß über die ordentliche Kündigung gefaßt. Erst zu diesem Zeitpunkt könne ein Beginn der Verwirkungsfrist angenommen werden. Die von September 1993 bis zur Kündigung Ende März 1994 vergangene Zeit von etwa sechs Monaten reiche für eine Verwirkung nicht aus. Selbst wenn aber lediglich auf die Falschangabe im Personalfragebogen für eine (verhaltensbedingte) Kündigung abzustellen sei, sei keine Verwirkung ihres Kündigungsrechts anzunehmen, denn der Kläger habe seit seiner Anhörung vor dem Ehrenausschuß zu keinem Zeitpunkt darauf vertrauen dürfen, daß sie, die Beklagte, die frühere Betätigung des Klägers für das MfS nicht (mehr) zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses heranziehen werde. Im Anschluß an seine Anhörung vor dem Ehrenausschuß im November 1992 sei dem Kläger mitgeteilt worden, daß ein weiteres Auskunftsersuchen an den Bundesbeauftragten gerichtet worden sei und daß der Ehrenausschuß erst nach Eingang einer Antwort endgültig über die Frage einer Kündigung befinden werde. Ende 1993 habe sie dann zunächst davon ausgehen können, daß aufgrund von Bemühungen um einen Arbeitsplatz für den Kläger außerhalb der Universität und um den Abschluß eines Aufhebungsvertrages eine Kündigung vermeidbar sein werde.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen.
Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Die streitige Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und deshalb unwirksam (§ 1 Abs. 1 und 2 KSchG).
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt, weil der Kläger wegen der mangelhaften Beantwortung der zulässigen Fragen unter Nr. 19 des Personalfragebogens für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst persönlich nicht geeignet sei. Die Nichtbeantwortung stehe der Falschbeantwortung gleich, eine Verpflichtung oder Obliegenheit der Beklagten zur nochmaligen Beantwortungsaufforderung habe nicht bestanden. Daß er die Fragen schon damals für unzulässig gehalten habe, habe der Kläger nicht behauptet, im übrigen gehe insoweit ein etwaiger Irrtum zu seinen Lasten. Die Unaufrichtigkeit des Klägers habe das für ein Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauen in ihn zerstört und mache die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar.
Die Beklagte habe ihr Kündigungsrecht auch nicht verwirkt. Es fehle hierfür schon am Zeitmoment, weil die Personalkommission erst kurz vor dem 16. September 1993 von dem vorgenannten Kündigungsgrund Kenntnis erlangt habe. Im übrigen fehle es auch am Umstandsmoment, weil der Kläger nicht auf das Ausbleiben einer Kündigung habe vertrauen dürfen und weil er sich nicht nach außen erkennbar hierauf eingestellt habe. Insoweit könne er sich auf die Bestellung zum Prüfer nicht berufen, denn diese sei nicht durch die Beklagte erfolgt.
Schließlich hat das Landesarbeitsgericht auch die Beteiligung des Personalrats für ordnungsgemäß erachtet.
II. Dem folgt der Senat nur teilweise in der Begründung. Im Ergebnis hält das Urteil des Landesarbeitsgerichts den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Was die Nichtbeantwortung der einschlägigen Fragen im Personalfragebogen angeht, so hat das Landesarbeitsgericht die Beteiligung des Personalrats vor Ausspruch der streitigen Kündigung mit Recht für ordnungsgemäß angesehen. Seine Ausführungen hierzu lassen keinen Rechtsfehler erkennen und die Revision hat hierzu auch keine Rügen erhoben. Bedenklich könnte insoweit allenfalls sein, daß in dem Schreiben der Beklagten vom 8. März 1994 fälschlich angegeben wurde, der Kläger habe im Personalfragebogen eine frühere Tätigkeit für das MfS verneint. Die Beklagte hat jedoch, ohne daß der Kläger dies bestritten hätte, hinreichend vorgetragen, der Personalrat habe Kenntnis davon gehabt, daß es um die Nichtbeantwortung der Fragen im Fragebogen gehe.
2. Auch die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Frage der Verwirkung des Kündigungsrechts lassen keinen durchgreifenden Rechtsfehler erkennen. Zwar erscheint zweifelhaft, ob hinsichtlich des Zeitmoments allein auf die Kenntnis der Personalkommission abgestellt werden kann. Auch dürfte entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts eine Verwirkung hinsichtlich eines einzelnen von mehreren Kündigungsgründen durchaus möglich sein; so kann etwa einem Nachschieben von Kündigungsgründen Verwirkung entgegenstehen, wenn der Gekündigte die berechtigte Erwartung haben darf, der Kündigende wolle sich auf die zunächst angegebenen Kündigungsgründe beschränken (vgl. KR-Hillebrecht, 4. Aufl., § 626 BGB Rz 137a, m.w.N.). Im Ergebnis ist es jedoch nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht hier ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers auf das Unterbleiben einer Kündigung verneint hat.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 11. April 1995 unter Beweisantritt vorgetragen, dem Kläger sei unmittelbar nach seiner Anhörung vor dem Ehrenausschuß im November 1992 durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses mitgeteilt worden, daß der Ehrenausschuß über die Frage der Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Klägers noch kein Votum gefällt, sondern Nachrecherchen beim Bundesbeauftragten durch ein zweites Auskunftsersuchen veranlaßt habe. Der Kläger hatte zwar zuvor behauptet, ihm sei weder mitgeteilt worden, daß ein weiteres Auskunftsersuchen an den Bundesbeauftragten gerichtet werde, noch habe man ihm zur Kenntnis gegeben, daß ein zweiter Auskunftsbericht im Herbst 1993 vorgelegen habe. In seiner Erwiderung vom 8. Mai 1995 auf den Schriftsatz der Beklagten vom 11. April 1995 hat er aber das nunmehr unter Zeugenangaben präzisierte Vorbringen der Beklagten nicht mehr bestritten und er hat für das Gegenteil keinen Beweis angetreten, obgleich die Beweislast bei ihm lag (vgl. BAG Urteil vom 20. Mai 1988 – 2 AZR 711/87 – AP Nr. 5 zu § 242 BGB Prozeßverwirkung, unter II 4 c aa der Gründe; BGH Urteil vom 19. Mai 1958 – II ZR 53/57 – NJW 1958, 1188).
Davon, daß die Beklagte vor einem Votum des Ehrenausschusses über eine Kündigung entscheiden würde, konnte der Kläger nicht ausgehen; es besteht kein Anhaltspunkt und der Kläger hat nichts dafür vorgetragen, daß die Beklagte solches zu erkennen gegeben hätte. Der Kläger wußte auch aufgrund des ersten Auskunftsersuchens, daß eine Antwort des Bundesbeauftragten lange Zeit auf sich warten lassen konnte. Später konnte der Kläger aus dem Umstand, daß die Beklagte sich bemühte, ihn anderweitig unterzubringen und mit dem Ansinnen eines Aufhebungsvertrages an ihn herantrat, entnehmen, daß der Bestand seines Arbeitsverhältnisses weiterhin gefährdet war und aus der Sicht der Beklagten noch nicht sicher feststand. Der Kläger konnte demnach kein schutzwürdiges Vertrauen darauf entwickeln, die Beklagte werde seine frühere MfS-Betätigung nicht mehr zum Anlaß einer Kündigung nehmen. Er konnte dies auch nicht hinsichtlich der fehlenden Angaben im Personalfragebogen. Mag die Beklagte ursprünglich auch davon ausgegangen sein, auf diesen Vorwurf allein könne sie eine Kündigung nicht mit Erfolg stützen, so besteht doch kein hinreichender Anhaltspunkt dafür, daß die Beklagte einen Vertrauenstatbestand dahingehend gesetzt hat, sie werde speziell diesen Vorwurf bei einer späteren Kündigung nicht – auch nicht unterstützend – zur Begründung heranziehen. Der Verwirkungseinwand greift somit weder allgemein noch bezogen auf den speziellen Kündigungsgrund der Nichtbeantwortung der Fragen zu Nr. 18 bis 20 des Personalfragebogens durch.
3. Mit Recht rügt die Revision allerdings, das Landesarbeitsgericht habe § 1 Abs. 2 KSchG fehlerhaft angewendet, die soziale Rechtfertigung der streitigen Kündigung lasse sich nicht mit der Nichtbeantwortung jener Fragen begründen.
a) Die Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung unterliegt im Revisionsverfahren nur einer eingeschränkten Nachprüfung. Da es sich um die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs handelt, kann das Revisionsgericht nur nachprüfen, ob das Berufungsgericht den Begriff der Sozialwidrigkeit verkannt hat und ob die Unterordnung des Sachverhalts unter die Vorschrift des § 1 KSchG Denkgesetzen oder Erfahrungsregeln widerspricht; wenn das Berufungsgericht von dem richtigen Begriff der Sozialwidrigkeit ausgegangen ist, beruhen die Erwägungen, ob die dafür maßgeblichen tatsächlichen Voraussetzungen vorgelegen haben, nur dann auf einer Rechtsverletzung, wenn der Tatsachenrichter nicht alle maßgebenden Umstände berücksichtigt, den ihm vorbehaltenen Beurteilungsspielraum überschritten hat oder wenn ihm bei den tatsächlichen Feststellungen Verfahrensverstöße unterlaufen sind, die von der Revision ordnungsgemäß gerügt worden sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAGE 48, 314, 319 = AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu B I 1 der Gründe; KR-Etzel, 4. Aufl., § 1 KSchG Rz 225, m.w.N.). Auch dieser eingeschränkten Überprüfung hält das angegriffene Urteil aber nicht stand.
b) Schon den Prüfungsmaßstab nach § 1 Abs. 2 KSchG dürfte das Landesarbeitsgericht verkannt haben, wenn es im Rahmen seiner Würdigung der ordentlichen Kündigung mehrfach auf die einschlägige Rechtsprechung des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts zu Art. 20 Anl. I Kapitel XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 und 5 des Einigungsvertrages Bezug nimmt, obwohl die Vorschriften über die ordentliche Kündigung nach dem Einigungsvertrag zur Zeit der hier ausgesprochenen Kündigung nicht mehr galten. Der Senat hat bereits in anderem Zusammenhang (vgl. Urteil vom 11. Mai 1995 – 2 AZR 683/94 – AP Nr. 50 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX) darauf hingewiesen, daß wegen des langen zeitlichen Abstandes seit der Wende sogar die Anforderungen, die an eine nach dem 2. Oktober 1992 ausgesprochene Kündigung gemäß Abs. 4 EV zu stellen sind, den – höheren – Voraussetzungen des § 1 KSchG weitgehend anzunähern sind. Der Senat hat das damit begründet, es dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, daß der öffentliche Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum hinweg die Möglichkeit gehabt habe, die persönliche Eignung des Arbeitnehmers für eine Weiterbeschäftigung selbst zu erproben (vgl. auch Senatsurteil vom 13. Juni 1996 – 2 AZR 483/95 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung läßt sich die Kündigung des beklagten Landes nach § 1 KSchG weder unter personenbedingten noch unter verhaltensbedingten Gesichtspunkten rechtfertigen.
c) Die Nichtbeantwortung von Fragen im Personalfragebogen ist entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts kein Verhalten, das auf Unehrlichkeit als charakterlichen Mangel und damit auf einen Kündigungsgrund in der Person des Klägers schließen lassen könnte. Die Nichtbeantwortung der Fragen steht der wahrheitswidrigen Verneinung nicht gleich. Sie zeigt eher im Gegenteil, daß der Kläger vor Lügen zurückschreckte und, wenn auch indirekt, einen Hinweis darauf gab, daß hinsichtlich früherer MfS-Kontakte „etwas gewesen sein könnte”. Anderes läßt sich auch der abschließenden Versicherung des Klägers nicht entnehmen, „vorstehende Angaben vollständig und wahrheitsgemäß gemacht zu haben”. Diese Versicherung ist auslegungsfähig. Da die Nichtbeantwortung der Fragen Nr. 18 bis 20 offensichtlich war, kann die Versicherung sich erkennbar nur auf die Angaben beziehen, die der Kläger in dem Personalfragebogen tatsächlich gemacht hatte.
d) Die Nichtbeantwortung der Fragen stellte auch keinen Grund im Verhalten des Klägers dar, der die streitige Kündigung bedingt hätte. Zwar war die Nichtbeantwortung pflichtwidrig (vgl. BAG Urteil vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – BAGE 74, 120, 125 f. = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag, unter B II 5 der Gründe; Urteil vom 7. September 1995 – 8 AZR 828/93 – AP Nr. 24 zu § 242 BGB Auskunftspflicht, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die Beantwortung hätte aber auf eine entsprechende Aufforderung der Beklagten hin nachgeholt werden können, ohne daß dies die Kündigungsentscheidung der Beklagten erheblich verzögert oder sonst einen schwerwiegenden Nachteil für die Beklagte verursacht hätte. Nach dem das gesamte Kündigungsrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit war die Beklagte deshalb gehalten, den Kläger abzumahnen, bevor sie das genannte Fehlverhalten des Klägers zum Anlaß für eine Kündigung nahm. Dies gilt um so mehr, als die Zulässigkeit der Fragen zur damaligen Zeit streitig und höchstrichterlich ungeklärt war. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger auch in seinem Schriftsatz vom 21. März 1995, auf den das Landesarbeitsgericht wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens im Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen hat, ausdrücklich vorgetragen, er sei damals davon ausgegangen, daß er das Recht habe, die Antwort auf die entsprechenden Fragen zu verweigern. Die Beklagte hätte mit einer Abmahnung deutlich machen müssen, daß sie diese Auffassung nicht teile, um dem Kläger vor Augen zu führen, daß er die Kündigung des Arbeitsverhältnisses riskiere, wenn sich seine Rechtsansicht als unzutreffend erweisen sollte. Daß eine derartige Abmahnung den Kläger nicht dazu hätte bewegen können, die Beantwortung der Fragen – sei es auch unter Protest – nachzuholen, ist nicht ersichtlich, zumal er mit einem Auskunftsersuchen der Beklagten an den Bundesbeauftragten rechnen mußte.
4. Nicht auseinandergesetzt hat sich das Landesarbeitsgericht mit der früheren Betätigung des Klägers für das MfS als (personenbedingtem) Kündigungsgrund. Insoweit wäre jedoch zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, daß seine MfS-Betätigung lange zurücklag, daß dem einzigen vom Kläger gefertigten Bericht kein denunziatorischer Charakter beigemessen werden kann, sondern daß dieser Bericht – insbesondere unter Berücksichtigung der subjektiven Sicht des Klägers – nichtssagend und harmlos war und wohl kaum geeignet gewesen sein dürfte, seinem Vetter oder anderen Personen zu schaden. Ferner spricht für den Kläger, daß er sich nach relativ kurzer Zeit einer weiteren Betätigung für das MfS verweigerte, daß aus dem weiteren Verhalten des Klägers vor und nach der Wende nichts bekannt ist, was seiner Beschäftigung im öffentlichen Dienst entgegenstehen könnte, daß nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers seine Kollegen nach dem Bekanntwerden seiner früheren Betätigung für das MfS seine Integrität nicht in Zweifel zogen und schließlich, daß die Beklagte selbst – wenn auch in dem Bestreben, den Kläger anderweitig unterzubringen – in den Schreiben vom 26. Oktober 1993 und vom 6. Januar 1994 zum Ausdruck brachte, die Auskünfte des Bundesbeauftragten stünden einer Beschäftigung des Klägers im öffentlichen Dienst nicht entgegen. Daß trotz dieser Umstände das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegen könnte, erscheint kaum vorstellbar.
Davon abgesehen ist eine Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht gemäß § 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO schon deshalb nicht geboten, weil sich die Beklagte auf die frühere Betätigung des Klägers für das MfS aus personalvertretungsrechtlichen Gründen nicht berufen kann (§§ 84, 89 Abs. 1 PersVG Berlin, § 108 Abs. 2 BPersVG, vgl. BVerfG Beschluß vom 27. März 1979 – 2 BvL 2/77 – BVerfGE 51, 43, 54 = AP Nr. 1 zu § 108 BPersVG, zu B I der Gründe und Senatsurteil vom 25. April 1996 – 2 AZR 609/95 – DB 1996, 1780, auch zur Veröffentlichung auch in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 4 der Gründe, m.w.N.); zu diesem Kündigungsgrund hat sie nämlich den Personalrat nicht beteiligt, vielmehr hat sie im Anhörungsschreiben vom 8. März 1994 nur die „Fehlangabe im Fragebogen” als Kündigungsgrund angegeben, und auch aus dem im Entwurf beigefügten Kündigungsschreiben mußte der Personalrat entnehmen, daß dem Kläger nicht wegen seiner früheren MfS-Betätigung gekündigt werden sollte.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Fischermeier, Piper, Nipperdey
Fundstellen