Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Abfindung - Auflösungsvertrag aus betriebsbedingten Gründen
Leitsatz (redaktionell)
Wird ein Arbeitsverhältnis in der öffentlichen Verwaltung im Beitrittsgebiet durch Auflösungsvertrag aus betriebsbedingten Gründen gemäß § 1 Abs 2 KSchG beendet, kann der Arbeitnehmer keine Abfindung nach § 2 Abs 1 Buchst a des Tarifvertrags zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 verlangen.
Normenkette
TVG § 1; EinigVtr Anlage I Kap. XIX A III Nr. 1 A
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Entscheidung vom 22.11.1993; Aktenzeichen 7 (1) Sa 152/93) |
ArbG Chemnitz (Entscheidung vom 25.03.1993; Aktenzeichen 9 Ca 7924/92) |
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten eine Abfindung nach dem Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 (TV SozSich), der kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist.
Die Klägerin war seit August 1968 im Schuldienst als Lehrerin beschäftigt. Mit Schreiben vom 27. November 1991 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31. März 1992 wegen mangelnder persönlicher Eignung nach Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Absatz 4 Ziff. 1 Einigungsvertrag (EV). In dem Rechtsstreit über die Rechtswirksamkeit dieser Kündigung schlossen die Parteien einen Vergleich. Danach wurde das Arbeitsverhältnis "durch ordentliche betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung zum 30. Juni 1992 beendet".
Die Klägerin hat gemeint, sie habe einen Anspruch auf Abfindung in Höhe von 10.000,-- DM nach § 2 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 2 TV SozSich, weil sie wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr im Schuldienst verwendbar gewesen sei.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 10.000,-- DM
netto nebst 4 % Zinsen seit dem 16. November 1992
zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, auch aufgrund des gerichtlichen Vergleichs könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Kündigung wegen mangelnden Bedarfs erfolgt sei. Dort sei ausschließlich im Interesse der beruflichen Zukunft der Klägerin als Beendigungsgrund eine betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung genannt und darüberhinaus das Arbeitsverhältnis zugunsten der Klägerin um drei Monate verlängert worden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Abfindung. Das Arbeitsverhältnis sei nicht gekündigt worden, weil die Klägerin wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr im Schuldienst verwendbar gewesen sei. Dies könne auch aus der Formulierung betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung im gerichtlichen Vergleich nicht geschlossen werden, weil nach der Tarifbestimmung eine Kündigung wegen mangelnden Bedarfs tatsächlich vorliegen müsse. Dies habe die Klägerin jedoch nicht behauptet.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
II. Die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Abfindung nach § 2 Abs. 1 Buchst. a TV SozSich. Danach erhält ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis gekündigt wird, eine Abfindung, weil er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist. Das gleiche gilt, wenn ein Arbeitnehmer bei Vorliegen dieser Voraussetzungen für eine Kündigung aufgrund eines Auflösungsvertrages ausscheidet.
1. Zwar gilt nach der Protokollnotiz zu § 2 TV SozSich diese Tarifbestimmung auch in Fällen, in denen, wie vorliegend, vor dem 15. Juni 1992 eine Kündigung ausgesprochen oder ein Auflösungsvertrag abgeschlossen wurde, das Arbeitsverhältnis jedoch erst nach dem 14. Juni 1992 endet. Jedoch erfolgte die Kündigung der Beklagten nicht, weil die Klägerin wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar war (Abs. 4 Ziff. 2 EV), sondern wegen mangelnder persönlicher Eignung gemäß Abs. 4 Ziff. 1 EV.
2. Auch aufgrund des gerichtlichen Vergleichs kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Parteien das Arbeitsverhältnis durch Auflösungsvertrag bei Vorliegen der Voraussetzung einer Kündigung wegen mangelnden Bedarfs der Beklagten beendet haben. Dies ergibt die Auslegung des Vergleichs.
a) Die Parteien haben sich über die Kernfrage des Kündigungsprozesses, ob die Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung der Klägerin rechtswirksam ist, im Wege gegenseitigen Nachgebens dahin geeinigt, daß diese Kündigung zwar das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien beendet, allerdings unter Austausch des Kündigungsgrundes und zu einem späteren Kündigungstermin. Der im Kündigungsschreiben genannte Kündigungsgrund "mangelnde persönliche Eignung nach Abs. 4 Ziff. 1 EV" ist aufgrund Parteivereinbarung durch den Kündigungsgrund "einer betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung" ersetzt worden. Damit ist ein Kündigungsgrund nach § 1 KSchG angenommen worden. Die Parteien haben somit den Kündigungsgrund nach dem EV beseitigt und folglich zugleich die Anwendbarkeit des TV SozSich ausgeschlossen, weil nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 TV SozSich für einen Anspruch auf Abfindung eine Kündigung nach Abs. 4 Ziff. 2 und 3 EV vorausgesetzt wird.
b) Die Abgrenzung zwischen einer Kündigung nach Abs. 4 Ziff. 2 u. 3 EV und der Abfindung nach § 2 Abs. 1 u. 2 TV SozSich einerseits und einer Kündigung nach § 1 Abs. 2 und 3 KSchG andererseits zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses im Beitrittsgebiet bestätigt dieses Ergebnis. Liegen die Voraussetzungen einer Kündigung nach Abs. 4 EV vor, kann sie wirksam ausgesprochen werden, ohne daß zusätzlich der Tatbestand des § 1 KSchG beachtet werden muß. Abs. 4 EV ersetzt dann in seinem Regelungsbereich § 1 KSchG (vgl. BAG Urteil vom 24. September 1992 - 8 AZR 557/91 - AP Nr. 3 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Daraus folgt, daß im Gegensatz zu einer betriebsbedingten Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG, die zur sozialen Rechtfertigung einer zutreffenden sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG bedarf, eine Sozialauswahl bei einer Kündigung nach Abs. 4 Ziff. 2 und 3 EV nicht zu treffen ist. Dafür wurde von den Tarifvertragsparteien mit dem TV SozSich für die Fälle der Kündigung nach dem EV eine vom Arbeitgeber zu zahlende Abfindung vereinbart. Die Voraussetzungen in Abs. 4 EV und des § 2 TV SozSich ergänzen sich somit. Daraus folgt, daß bei einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses unter dem Gesichtspunkt des KSchG eine Abfindung nach § 2 Abs. 1 TV SozSich nicht in Betracht kommt.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Jobs Dr. Armbrüster Reinecke
Buschmann W. Söller
Fundstellen
Haufe-Index 440780 |
DB 1995, 2322 (LT1) |
BetrVG, (82) (LT1) |
D-spezial 1995, Nr 49, 7 (T) |
NZA 1995, 1116 |
NZA 1995, 1116 (LT1) |
ZAP-Ost, EN-Nr 446/95 (L) |
ZTR 1995, 415 (LT1) |
AP § 1 TVG Tarifverträge DDR (LT1), Nr 19 |
AR-Blattei, ES 1010.13 Nr 35 (LT1) |
ArbuR 1996, 153 (LT1) |
RAnB 1995, 384 (L) |