Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn und Ende der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst
Normenkette
BAT § 15 Abs. 7, § 17 Abs. 1, 5, § 35 Abs. 1, 3; ZPO §§ 139, 286, 554 Abs. 3 Nr. 3 Buchst.b, § 565a
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 04.03.1991; Aktenzeichen 5 (2) Sa 774/89) |
ArbG Koblenz (Urteil vom 05.09.1989; Aktenzeichen 6 Ca 860/89 N) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. März 1991 – 5 (2) Sa 774/89 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit.
Der Kläger ist seit dem Jahre 1985 als Krankenpfleger in der Landesnervenklinik … (LNK) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Dessen § 15 Abs. 7 lautete in der bis 31. März 1991 geltenden Fassung:
„Regelmäßige Arbeitszeit
(7) Die Arbeitszeit beginnt und endet an der Arbeitsstelle, bei wechselnden Arbeitsstellen an der jeweils vorgeschriebenen Arbeitsstelle oder am Sammelplatz.”
Protokollnotiz zu Absatz 7:
„Der Begriff der Arbeitsstelle ist weiter als der Begriff des Arbeitsplatzes. Er umfaßt z.B. die Dienststelle oder den Betrieb, während unter dem Arbeitsplatz der Platz zu verstehen ist, an dem der Angestellte tatsächlich arbeitet.”
Die Landesnervenklinik befindet sich auf einem von Zaun und Mauer umgebenen Gelände mit mehreren Eingängen und Einfahrten. Das Gelände grenzt im Norden an die R. Straße und an die V. Straße, im Osten an die A. Straße, im Süden an die K.-Straße und im Westen an die M. Straße und die Straße „A.”.
Der Kläger betritt das Gelände der LNK durch die am Parkplatz Vulkanstraße/Roonstraße gelegene Pforte. Für den Weg von dieser Pforte bis zum „Haus am Rennweg”, in dem sich die Station des Klägers befindet, benötigt der Kläger fünf Minuten. Dort und im nahegelegenen klinischen Zentrum arbeiten ca. 2/3 der Belegschaft der LNK.
Der Kläger begehrt mit seiner Klage Überstundenvergütung, weil er in der Zeit von Oktober 1988 bis März 1989 an 61 Arbeitstagen jeweils eine tägliche Wegezeit von zwanzig Minuten gehabt habe, die er mit 15,69 DM = 316,94 DM brutto berechne.
Der Kläger hat geltend gemacht, seine Arbeitszeit beginne mit dem Durchschreiten der Krankenhauspforte des umfriedeten Krankenhausgeländes. Der Kläger hat behauptet, daß es lediglich die vier Eingänge V. Straße, K.allee, M. Straße und den Haupteingang gebe. Der einzige unverschlossene Eingang befinde sich in der Verwaltung und werde auch nur von dieser benutzt.
Der Kläger hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, 316,94 DM brutto zu zahlen.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt.
Es hat behauptet, daß es mindestens 10 Eingänge zu dem Gelände der LNK gebe. Bei dem Eingang V. Straße handele es sich um eine Pforte, die mit einem Generalschlüssel, der im Altbereich der Klinik eingesetzt werde, auf- und zugeschlossen werden könne. Der Eingang M.straße sei seit etwa zwei Jahren geöffnet und werde selbst nachts nicht abgeschlossen. Außer den vom Kläger aufgeführten Zugängen gebe es noch weitere sechs Zugänge zu dem Gelände der LNK. Davon führten unstreitig drei Eingänge zu dem Bereich des Geländes, das jenseits des Rennweges gelegen sei. Ein Eingang sei ständig geöffnet. Ein zweiter Eingang sei während der Dienstzeit der Verwaltung und bei allen kirchlichen Veranstaltungen in der Kapelle geöffnet. Bei dem dritten Eingang handele es sich um ein Tor zum Rennweg hin, das von vier Mitarbeitern als Ein- und Ausgang benutzt werde. Dieser Eingang sei verschlossen. Die derzeitigen Benutzer hätten auf Antrag einen Schlüssel von der Verwaltung erhalten.
Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Das beklagte Land bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, Arbeitsstelle des Klägers sei das Gebäude „Haus am Rennweg”, in dem sich die Station befindet, auf der der Kläger tätig sei. Das Gelände der LNK könne nicht als Arbeitsstelle angesehen werden. In Anbetracht der Vielzahl von Zugangsmöglichkeiten lasse sich die durchlässige Umgrenzung nicht als Einfriedung qualifizieren, durch die in einer Vielzahl von Fällen die Arbeitnehmer gezwungen würden, längere Wege in Kauf zu nehmen. Außerdem komme es auch deshalb nicht in einer Vielzahl von Fällen zu längeren Wegen, weil sich das klinische Zentrum und das „Haus am Rennweg”, in denen etwa zwei Drittel der Arbeitnehmer tätig seien, in unmittelbarer Nähe des Haupteingangs befänden.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
II. Der Anspruch des Klägers auf Überstundenvergütung gem. § 17 Abs. 1 und 5, § 35 Abs. 1 und 3 BAT ist nicht begründet. Die Arbeit des Klägers beginnt und endet mit dem Betreten bzw. Verlassen des Gebäudes „Haus am Rennweg”, so daß keine weiteren Wegezeiten als Überstunden zu vergüten sind.
1. Nach § 15 Abs. 7 BAT beginnt und endet die Arbeitszeit an der Arbeitsstelle. Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. Beschluß vom 29. April 1982 – 6 ABR 54/79 – AP Nr. 4 zu § 15 BAT; Urteile vom 15. September 1988 – 6 AZR 637/86 – BAGE 59, 335 = AP Nr. 12 zu § 15 BAT und vom 18. Januar 1990 – 6 AZR 386/89 – BAGE 65, 1 = AP Nr. 16 zu § 15 BAT und – 6 AZR 551/88 – n.v.) den Begriff der Arbeitsstelle dahingehend konkretisiert, daß dieser nicht mit dem Begriff des Arbeitsplatzes identisch ist, sondern einen weiteren räumlichen Bereich umfaßt. Als Arbeitsstelle kann ein Gebäude in Betracht kommen. Die Arbeitsstelle kann aber auch das gesamte Dienststellengelände mit einem oder mehreren Gebäuden umfassen. Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitgeber aufgrund seiner Organisationsbefugnis die Dienststelle mit einer Umfriedung umgibt und die Arbeitnehmer auf diese Weise zwingt, bestimmte Eingänge zu benutzen, so daß in einer Vielzahl von Fällen längere Wege in Kauf genommen werden müssen.
Bei dem Tarifbegriff „Arbeitsstelle” i. S. des § 15 Abs. 7 BAT handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen richtige Anwendung in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden kann, ob das Tatsachengericht den Rechtsbegriff selbst verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände bei der Beurteilung übersehen hat (vgl. z.B. BAG Urteil vom 7. Dezember 1988 – 7 AZR 138/88 – AP Nr. 8 zu § 543 ZPO 1977, zu II 2 c der Gründe; vgl. zuletzt Urteil vom 26. November 1992 – 6 AZR 600/90 – n.v., zu II 1 der Gründe).
2. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung den Tarifbegriff der Arbeitsstelle zugrunde gelegt, wie er vom Senat verstanden wird (vgl. II 1) und zutreffend das Gebäude „Haus am Rennweg” als Arbeitsstelle des Klägers angesehen. Es ist weder ersichtlich, noch wird von der Revision dargetan, daß das Landesarbeitsgericht dabei Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände bei der Beurteilung übersehen hat.
3. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landesarbeitsgericht zutreffend das Gelände der LNK als Arbeitsstelle des Klägers verneint.
a) Der Begriff der Arbeitsstelle als räumlich-organisatorische Einheit stellt inhaltlich auf die Organisationsbefugnis des Arbeitgebers ab. Dieser bestimmt durch die räumliche Gestaltung und die Organisation der Arbeitsstelle Beginn und Ende der Arbeitszeit der Arbeitnehmer. Entscheidend ist somit, daß der beklagte Arbeitgeber das Gelände räumlich-organisatorisch, z.B. durch Umfriedung, als Arbeitsstelle gestaltet hat (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 18. Januar 1990, BAGE 65, 1 = AP, a.a.O.). Im vorliegenden Fall hat das Landesarbeitsgericht aufgrund seines Bewertungsspielraums angenommen, daß nicht eine Vielzahl von Arbeitnehmern längere Wege in Kauf nehmen müssen, da nach den getroffenen Feststellungen eine Vielzahl von Zugangsmöglichkeiten zum Gelände der LNK bestehe, so daß sich die durchlässige Umgrenzung der LNK nicht als Einfriedung qualifizieren lasse. Darüber hinaus hat es festgestellt, daß das klinische Zentrum und das „Haus am Rennweg”, in dem 2/3 der Arbeitnehmer beschäftigt sind, in unmittelbarer Nähe des Haupteingangs liegen. Wenn das Landesarbeitsgericht daraus gefolgert hat, daß das Klinikgelände nicht als Arbeitsstelle anzusehen ist, so ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat damit Tatsachenfeststellungen getroffen, die den Schluß zulassen, daß nicht eine Vielzahl von Arbeitnehmern längere Wege in Kauf nimmt. Wenn 2/3 der Arbeitnehmer in Gebäuden tätig sind, die in unmittelbarer Nähe des Haupteingangs liegen und die übrigen Arbeitnehmer eine solche Vielzahl von Zugangsmöglichkeiten haben, daß nach der Beurteilung des Landesarbeitsgerichts nicht von einem eingefriedeten Gelände ausgegangen werden kann, dann verstößt die getroffene Bewertung weder gegen Denk- noch Erfahrungssätze.
b) Soweit die Revision rügt, das Landesarbeitsgericht habe § 139 ZPO verletzt, weil es den Kläger nicht darauf hingewiesen habe, daß er für die Verlängerung der Wegezeit einer Vielzahl von Arbeitnehmer darlegungspflichtig sei, ist diese Rüge unzulässig. Prozeßrügen müssen nach § 554 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b ZPO die Bezeichnung der den Mangel ergebenden Tatsachen enthalten, den die Revision geltend machen will. Dabei sind an den Vortrag des Rechtsmittelklägers strenge Anforderungen zu stellen. Soweit es sich um die Rüge der Verletzung des § 139 ZPO handelt, muß im einzelnen angegeben werden, welche Fragen hätten gestellt werden müssen und was die Partei darauf erwidert hätte (vgl. BAG Urteil vom 7. September 1983 – 7 AZR 101/82 –, zu II 1 der Gründe, insoweit n.v.). Die Revision hat nicht dargetan, was sie auf den von Ihr vermißten Hinweis zur Darlegungslast erwidert hätte. Der Vortrag, es sei nicht auszuschließen, daß vom Kläger Tatsachen vorgetragen worden wären, aus denen sich im konkreten Fall ergeben hätte, daß tatsächlich eine Vielzahl von Arbeitnehmern durch die örtlichen Verhältnisse zu längeren Wegen gezwungen werden, ist unsubstantiiert und reicht daher nicht aus.
c) Auch die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe § 286 ZPO verletzt, ist unzulässig. Der Senat sieht insoweit nach § 565 a ZPO von der Begründung seiner Entscheidung ab.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Spiegelhalter, Wax
Fundstellen