Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusatzrente nach der Anordnung 54 – Abfindungsvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein im Jahre 1993 erklärter Verzicht auf etwaige Ansprüche auf Zusatzrente nach der Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben vom 9. März 1954 (GBl. DDR I 1954 Nr. 30, S. 301 [AO 54]) auf der Grundlage der Rahmenvereinbarungen zwischen der Treuhandanstalt und der Industriegewerkschaft Metall, der Industriegewerkschaft Chemie und der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie ist regelmäßig rechtswirksam.
2. Eine solche Vereinbarung ist auch dann nicht sittenwidrig, wenn der Abfindungsbetrag erheblich unterhalb des Kapitalwertes des Zusatzrentenanspruchs liegt. Bei der Bewertung der jeweils erbrachten Leistungen muß wesentlich mitberücksichtigt werden, wie bei Abschluß der Vereinbarung die Chance des Rentners einzuschätzen war, einen Anspruch auf Zusatzrente nach der AO 54 jetzt und auf Dauer durchzusetzen.
Normenkette
Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben vom 9. März 1954 (GBl. DDR I 1954 Nr. 30,S. 301 [AO 54]); BetrAVG § 3; BGB §§ 119, 123, 138, 142, 779; Einigungsvertrag Anlage II Kapitel VIII
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. September 1997 – 9 Sa 434/97 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger über den 31. Dezember 1991 hinaus Anspruch auf Zahlung einer Zusatzrente von 37,00 DM monatlich nach der Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben vom 9. März 1954 (GBl. DDR I 1954 Nr. 30 S. 301; im folgenden: AO 54) hat.
Der Kläger ist am 16. August 1907 geboren. Er war mehr als 20 Jahre lang bei dem VEB Filmfabrik W, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten, beschäftigt. Seine Arbeitsverhältnis endete mit Vollendung seines 65. Lebensjahres im Jahre 1972. Seither erhielt der Kläger auf der Grundlage der AO 54 zunächst vom volkseigenen Betrieb, später von dessen Rechtsnachfolgerin, der Filmfabrik W AG, eine monatliche Rente von 37,00 M bzw. 37,00 DM.
Die Filmfabrik W AG stellte die Zahlung der Zusatzrenten nach der AO 54 mit Ablauf des Jahres 1991 gegenüber allen ihren ehemaligen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein. Darauf hatte sie die Zusatzrentenbezieher durch ein Schreiben vom 24. September 1991 vorbereitet und darauf hingewiesen, mit dem 31. Dezember 1991 verliere die AO 54 aufgrund der Bestimmungen im Einigungsvertrag ihre Gültigkeit. Sie sei deshalb verpflichtet, die Zahlung der Werkzusatzrente ab 1. Januar 1992 einzustellen.
Der Kläger ist der Zahlungseinstellung nicht entgegengetreten.
Im Mai 1993 teilte die W Vermögensverwaltung AG, die Rechtsnachfolgerin der Filmfabrik W AG und Rechtsvorgängerin der Beklagten, dem Kläger mit, die Zusatzrente sei laut Einigungsvertrag mit dem 31. Dezember 1991 ersatzlos weggefallen. Zwischen der Industriegewerkschaft Chemie, Papier, Keramik und der Treuhandanstalt sei aber eine Vereinbarung zur Zahlung eines Ausgleichs für den Wegfall dieser Zusatzrente abgeschlossen worden. Wie hoch diese Zahlung sein werde, könne noch nicht mitgeteilt werden. Die Beklagte ersuchte den Kläger um die Bestätigung seiner persönlichen Angaben.
In Durchführung der angesprochenen Vereinbarung schlossen der Vorstand der W Vermögensverwaltung AG und deren Betriebsrat am 16. Juli 1993 als Nachtrag zu einem Sozialplan eine Betriebsvereinbarung über die Behandlung der Zusatzrenten nach der AO 54. In dieser Betriebsvereinbarung heißt es u.a., sie solle zur endgültigen Regelung aller Fragen führen, die im Zusammenhang mit der „Anordnung 1954” und der Vereinbarung des Generaldirektors und der Kombinatsgewerkschaftsleitung des VEB Fotochemisches Kombinat über die Erweiterung der Zusatzrente aus Betriebsmitteln aufgetreten seien. Sie habe zum Ziel, alle bei ihrem Inkrafttreten noch vorhandenen etwaigen Anwartschaften auf Leistungen nach der AO 54 oder nach einer Folgeregelung durch einmalige Kapitalzahlungen abzufinden und so endgültig und unwiderruflich zum Erlöschen zu bringen. Sie erfasse die gesamten Rechte, also unabhängig davon, ob sie im Einzelfall derzeit umstritten oder unbestritten, zweifelhaft oder unzweifelhaft seien. Schließlich erklärten sich die Betriebspartner dahin einig, daß ein Anspruch auf die geregelte einmalige Kapitalleistung des Unternehmens erst dann entstehe, wenn dem Unternehmen die von dem Begünstigten unterzeichnete „Verbindliche Erklärung” zugehe. Ihr Wortlaut wurde in der Anl. 2 zu der Betriebsvereinbarung niedergelegt:
„Verbindliche Erklärung
im Zusammenhang mit der Betriebsvereinbarung zwischen dem Vorstand und dem Betriebsrat der W Vermögensverwaltung AG über die Behandlung der Zusatzrenten nach der Anordnung 1954 und der Vereinbarung des Generaldirektors und der Kombinatsgewerkschaftsleitung des VEB Fotochemisches Kombinat über die Erweiterung der Zusatzrente aus Betriebsmitteln vom 24.03.1975
Der/die Unterzeichner/-in erkennt an, daß mit Erhalt der Leistungen aus der Betriebsvereinbarung über die Behandlung der Zusatzrenten nach der „Anordnung 1954” und o. b. Vereinbarung des VEB FCK sämtliche bestandenen, bestehenden oder künftig bestehenden Ansprüche gegen das Unternehmen auf Gewährung einer Zusatzrente unabhängig von deren rechtlichem Bestand erfüllt und abgegolten sind.
Ansprüche auf Gewährung oder Abgeltung einer Zusatzrente bestehen auch aus keinem anderen Rechtsgrund mehr.
Der Unterzeichner erklärt, daß er über die ihm nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung gewährten Leistungen hinaus im Zusammenhang mit Zusatzrenten keine weiteren Forderungen geltend macht, keine Klage erhoben hat und erheben wird bzw. eine bereits erhobene Klage zurücknimmt.
…”
Im August 1993 erhielt der Kläger von der W Vermögensverwaltung AG ein Schreiben, in dem es u.a. wie folgt heißt:
„…
Uns liegt zwischenzeitlich die Richtlinie der Treuhandanstalt zur Zusatzrente gemäß Anordnung 1954 vor. Entsprechend der darin formulierten Prämissen haben wir eine Betriebsvereinbarung formuliert, die noch der Zustimmung durch die Treuhandanstalt bedarf. Für Sie würde sich die Berechnung der einmaligen Kapitalleistung nach der Formel … berechnen.
…
Die Richtlinie der Treuhandanstalt schreibt als zwingende Voraussetzung für die Zuführung der Mittel die Geltendmachung der individuellen Ansprüche jedes „Begünstigten” vor. Diese müssen durch die Rücksendung einer „verbindlichen Erklärung”, die wir diesem Schrieben als Anlage beigefügt haben, beantragt werden.
Wir bitten Sie, diese „verbindliche Erklärung” umgehend zurückzusenden, weil die Beantragung der Mittel gegenüber der Treuhandanstalt davon abhängig ist.
…”
Unter dem 25. August 1993 unterzeichnete der Kläger die diesem Schreiben beigefügte „Verbindliche Erklärung” und sandte sie an die Beklagte zurück. Er erhielt daraufhin die sich aus der Betriebsvereinbarung ergebende Abfindungszahlung von 500,00 DM.
Im Frühjahr 1996 erhielt der Kläger aus der Presse Kenntnis vom Urteil des Senats vom 27. Februar 1996 (– 3 AZR 242/95 –). Er erklärte durch Schreiben seines Prozeßbevollmächtigten gegenüber der Beklagten zwischen dem 20. Mai und dem 27. August 1997 die Anfechtung seiner „Verbindlichen Erklärung” vom 25. August 1993 nach allen denkbaren Gesichtspunkten, insbesondere nach § 119 und § 123 BGB. Er forderte die Beklagte auf, die seit dem 1. Januar 1992 nach seiner Auffassung rückständigen Zusatzrenten unter Verrechnung der gezahlten Abfindung auszuzahlen. Die Beklagte kam dem nicht nach.
Der Kläger hat den Standpunkt vertreten, er habe den Inhalt und die Tragweite der von ihm am 25. August 1993 unterzeichneten „Verbindlichen Erklärung” nicht erkannt. Er sei davon ausgegangen, lediglich eine Leistung zu beantragen. Ihm sei nicht bewußt gewesen, daß er darüber hinaus auf entstandene Rechte verzichte. Anders als der Beklagten sei ihm der juristische Meinungsstreit über die Fortgeltung der AO 54 nicht bekannt gewesen. Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, ihn hierüber zu unterrichten. Dies habe sie bewußt und arglistig unterlassen. Nach Auffassung des Klägers hat seine „Verbindliche Erklärung” auch deshalb keine Rechtswirkungen, weil sie auf eine nichtige Betriebsvereinbarung Bezug genommen habe. Diese sei unwirksam, weil nach dem Einigungsvertrag eine Abweichung von der AO 54 durch Betriebsvereinbarung nur bis zum 31. Dezember 1991 gestattet gewesen sei. Außerdem sei die Geschäftsgrundlage der Übereinkunft weggefallen. Bei Vertragsschluß seien alle Beteiligten davon ausgegangen, daß der Anspruch auf die Zusatzrente nach der AO 54 ersatzlos weggefallen sei. Schließlich sei der von ihm verlangte Verzicht auch sittenwidrig, weil der Wert der Leistung den Wert der Gegenleistung um mehr als 200 % überstiegen habe.
Der Kläger hat beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Betriebsrente nach der Anordnung 1954 für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. August 1996 in Höhe von 56 Monatsraten zu je 37,00 DM abzüglich erhaltener Zahlung in Höhe von 500,00 DM zzgl. 4 % Zinsen seit dem 1. Mai 1994 zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab 1. September 1996 Betriebsrente in der in Ziff. 1 genannten monatlichen Höhe jeweils bis zum dritten Werktag eines jeden Monats zzgl. 4 % Zinsen nach Fälligkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach ihrer Auffassung hat der Kläger wirksam auf etwaige Ansprüche aus der AO 54 verzichtet.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seine Sachanträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben seine Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Zusatzrente nach der AO 54 über den 31. Dezember 1991 hinaus. Dies hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis und in der Begründung zutreffend erkannt.
I. Die Parteien haben im Sommer 1993 einen Vergleich (§ 779 BGB) geschlossen, wonach der im Jahre 1972 entstandene Anspruch des Klägers auf Zusatzrente nach der AO 54 nicht über den 31. Dezember 1991 hinaus fortbestehen, sondern statt dessen eine einmalige Abfindung von 500,00 DM gezahlt werden sollte.
1. Bei Abschluß ihrer Vereinbarung bestand zwischen den Parteien Ungewißheit darüber, ob der Kläger auch nach dem 31. Dezember 1991 Ansprüche auf die Zusatzrente nach der AO 54 hatte.
Der Kläger weist allerdings zu Recht darauf hin, daß diese Ungewißheit ihm gegenüber zunächst nicht zum Ausdruck gekommen ist. Sowohl in der Begründung für die Einstellung der Versorgungsleistungen mit dem 31. Dezember 1991 als auch in dem ersten Bericht über das Zustandekommen der Treunhandrichtlinie geht die Rechtsvorgängerin der Beklagten, offenbar aufgrund entsprechender Informationen durch die Treuhandanstalt, ohne weiteres davon aus, daß die Ansprüche aus der AO 54 seit dem 1. Januar 1992 nicht mehr bestünden.
Eine veränderte Sicht der Dinge ergab sich aber deutlich erkennbar aus dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung zum 16. Juli 1993 und der von der Beklagten aufgrund dieser Betriebsvereinbarung an den Kläger übersandten „Verbindlichen Erklärung”. Die Beklagte rechnete hiernach zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Erlöschen aller Rechte aus der AO 54 zum 31. Dezember 1991. Sie war bereit, hierfür einen sozialen Ausgleich nach Maßgabe der zwischen der Treuhandanstalt und großen deutschen Einzelgewerkschaften ausgehandelten Richtlinie zu zahlen. Diesen Ausgleich wollten sie und die hinter ihr stehende Treuhandanstalt aber ersichtlich nur erbringen, wenn ihr dafür das in der „Verbindlichen Erklärung” deutlich angesprochene verbliebene Restrisiko genommen würde, wegen fortbestehender Rechte aus der AO 54 erfolgreich in Anspruch genommen zu werden. So heißt es in der Betriebsvereinbarung vom 16. Juli 1993 unter anderem, es gehe darum, alle bei Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung noch vorhandenen etwaigen Anwartschaften auf Leistungen nach der AO 54 durch einmalige Kapitalzahlungen abzufinden und so endgültig und unwiderruflich zum Erlöschen zu bringen. Dem entspricht die Formulierung in der dem Kläger übersandten „Verbindlichen Erklärung”, der Unterzeichner erkenne an, daß mit Erhalt der Leistungen aus der Betriebsvereinbarung „sämtliche bestandenen, bestehenden oder künftig bestehenden Ansprüche gegen das Unternehmen auf Gewährung einer Zusatzrente” erfüllt und abgegolten seien, Ansprüche auf Gewährung und Abgeltung einer Zusatzrente bestünden auch aus keinem anderen Rechtsgrund mehr. Aus der Sicht eines mit den Verhältnissen vertrauten Dritten in der Position des Klägers wurde durch diese Formulierung für jedermann deutlich gemacht, daß die beklagte Arbeitgeberin jedenfalls die Möglichkeit sah, wegen Rechten aus der AO 54 noch erfolgreich in Anspruch genommen werden zu können. Der Kläger mußte deshalb erkennen, daß es der Beklagten bei der Unterzeichnung der „Verbindlichen Erklärung” durch ihn auch darum ging, einen Verzicht auf etwaige Ansprüche und damit eine Beseitigung der bestehenden rechtlichen Ungewißheit zu erreichen, bevor sie einen Ausgleich für den Verlust des Versorgungsanspruches erbringen würde.
2. Die Parteien haben diese Ungewißheit durch wechselseitiges Nachgeben beseitigt. Der Kläger hat auf mögliche Rechte aus der AO 54 verzichtet und dafür eine Abfindung nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung vom 16. Juli 1993 erhalten.
Dem Zustandekommen des Vergleichs steht nicht entgegen, daß der Kläger zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der „Verbindlichen Erklärung” noch nicht genau wußte, wie hoch der Abfindungsbetrag sein würde. Ihm war im Begleitschreiben lediglich der Basisbetrag von 500,00 DM und ein für ihn nicht durchschaubarer Berechnungsfaktor mitgeteilt worden. Gleichwohl ist mit der Unterzeichnung der „Verbindlichen Erklärung” und deren Zugang bei der Beklagten ein Vergleich zwischen den Parteien zustande gekommen. Dem Kläger, der sich offenbar keine Hoffnungen mehr darauf machte, weiterhin Anspruch auf eine Zusatzrente zu haben, ging es darum, den Ausgleichsbetrag, wie hoch er auch immer sei, zu erhalten. Wegen der Höhe des Abfindungsbetrages haben die Parteien deshalb eine Vereinbarung entsprechend §§ 315, 317 BGB geschlossen. Der Kläger hat sich mit der Unterzeichnung der „Verbindlichen Erklärung” insoweit den Festlegungen unterworfen, welche die Betriebspartner im Anschluß an die Treuhandrichtlinie vorgenommen hatten. Den dementsprechend berechneten Abfindungsbetrag hat der Kläger dann auch rügelos entgegengenommen.
II. Der Vergleich ist rechtswirksam zustande gekommen.
1. Das Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG steht dem nicht entgegen. Das Betriebsrentengesetz findet auf Ansprüche aus der AO 54 keine Anwendung. Solche Ansprüche rühren aus der Zeit vor dem 1. Januar 1992 her (vgl. Einigungsvertrag Anl. I Kap. VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 16). Nur klarstellend ist darauf hinzuweisen, daß § 3 BetrAVG ohnehin weder einen Verzicht auf einen bereits entstandenen betrieblichen Versorgungsanspruch noch dessen Abfindung ausschließt. § 3 BetrAVG beschränkt nur die Möglichkeit, mit einem Arbeitnehmer während dessen aktiven Arbeitslebens Abfindungsvereinbarungen über Versorgungsanwartschaften zu treffen.
2. Die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung ist nicht wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB nichtig.
Es fehlt bereits an einem groben Mißverhältnis der Leistungen des Klägers im Verhältnis zu dem, was er dafür von der Beklagten erhalten hat. Es kommt dabei nicht nur auf einen Vergleich des wirtschaftlichen Wertes des Zusatzrentenanspruchs des Klägers mit der von der Beklagten gezahlten Abfindung an. Bei der Bewertung der jeweils erbrachten Leistungen muß wesentlich mit berücksichtigt werden, wie bei Abschluß der Vereinbarung die Chance des Klägers einzuschätzen war, einen Anspruch auf Zusatzrente nach der AO 54 jetzt und auf Dauer durchzusetzen. Eine solche Gesamtbetrachtung ergibt, daß die Abfindungszahlung durch die Beklagte im August 1993 in Höhe von 500,00 DM nicht in einem grobem Mißverhältnis zu dem Verzicht des Klägers auf Zahlung einer Zusatzrente nach der AO 54 in Höhe von monatlich 37,00 DM stand.
Im August 1993 haben nur wenige den Standpunkt eingenommen, daß Rechte aus der AO 54 trotz der Bestimmung des Einigungsvertrages über den 31. Dezember 1991 hinaus fortbestünden. Für die Gegenauffassung sprach aus der Sicht der damals Betroffenen neben dem Wortlaut des Einigungsvertrages auch eine amtliche Verlautbarung aus dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Merkblatt 30; 1/92), wonach die Rechte aus der AO 54 mit dem 31. Dezember 1991 erloschen seien.
Neben dieser aus damaliger Sicht für den Kläger überwiegend negativ einzuschätzenden Rechtslage sprachen weitere Umstände dafür, eine Abfindung für etwa verbliebene Ansprüche aus der AO 54 auch dann zu vereinbaren, wenn der Abfindungsbetrag erheblich unterhalb des Kapitalwertes solcher Versorgungsansprüche lag: Durch den Vergleichsschluß erhielt der damals 86 Jahre alte Kläger sofort einen Abfindungsbetrag. Er mußte einen Anspruch auf monatliche Auszahlung einer Zusatzrente nicht in einem möglicherweise mehrjährigen und aus damaliger Sicht sehr riskanten Prozeß durchsetzen. Mit der Zahlung entfiel für den Kläger auch das bei fortlaufendem Bezug der Zusatzrente verbleibende Risiko, daß der frühere Arbeitgeber insolvent wird und keine Leistungen nach der AO 54 mehr erbringen kann. In einem solchen Fall wäre der Kläger nämlich als Rentenbezieher leer ausgegangen, weil die Zusatzrente nach der AO 54 nicht dem Betriebsrentengesetz unterfällt und damit auch nicht gegen Insolvenz des Arbeitgebers gesichert ist.
Darüber hinaus fehlt es auch an den subjektiven Voraussetzungen dafür, den zwischen den Parteien abgeschlossenen Vergleich als sittenwidrig einzustufen. Der Kläger, der auf seine Unerfahrenheit und auf sein Vertrauen zu den bei der Beklagten beschäftigten Auskunftspersonen verweist, übersieht, daß der massenhaft abgeschlossene Vergleich auf der Grundlage einer Richtlinie zustande gekommen ist, welche drei große deutsche Einzelgewerkschaften mit der Treuhandanstalt ausgehandelt hatten, und nach Maßgabe einer von den Betriebspartnern getroffenen Regelung. Der Beklagten kann angesichts dessen nicht vorgeworfen werden, sie habe die Unerfahrenheit, einen Mangel an Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche des Klägers ausgenutzt.
3. Der Vergleich ist nicht deshalb unwirksam, weil er auf der Grundlage der Betriebsvereinbarung vom 16. Juli 1993 abgeschlossen worden ist.
Nach der Anl. II Kap. VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 4 zum Einigungsvertrag konnte für die Zeit bis zum 31. Dezember 1991 von der AO 54 durch Betriebsvereinbarung abgewichen werden. Es mag sein, daß damit nach dem 31. Dezember 1991 Regelungen der Betriebspartner, durch die von der AO 54 abgewichen werden sollte, untersagt waren. Darauf kommt es nicht an. Die Betriebsvereinbarung vom 16. Juli 1993 hat zum Anspruch auf Zusatzrente nach der AO 54 keine von dieser Anordnung abweichende Neuregelung mit unmittelbarer und zwingender Wirkung im Sinne von § 77 Abs. 4 BetrVG getroffen. Sie hat lediglich für frühere Mitarbeiter der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerinnen die Möglichkeit eröffnet, anstelle von unsicheren und im Zweifel erst in einem langwierigen Rechtsstreit durchsetzbaren Ansprüchen auf eine Zusatzrente einen Anspruch auf eine einmalige Abfindungszahlung zu erwerben. Damit sind die Betriebspartner weder vom Regelungsinhalt der AO 54 abgewichen, noch haben sie den Versuch unternommen, die Rechtsverhältnisse zwischen der Beklagten und ihren Betriebsrentnern unmittelbar und zwingend zu regeln.
III. Der Vergleich der Parteien ist durch das Urteil des Senats vom 27. Februar 1996 (– 3 AZR 242/95 – BAGE 82, 203 = AP Nr. 4 zu Einigungsvertrag Anlage II Kap. VIII) nach § 779 Abs. 1 BGB nicht unwirksam geworden.
Nach § 779 Abs. 1 BGB ist ein Vergleich dann unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrages als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewißheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde. An dem von den Parteien übereinstimmend zugrunde gelegten Sachverhalt hat sich durch die Erkenntnis des Senats nichts geändert, daß einmal entstandene Rechte aus der AO 54 trotz der Regelungen im Einigungsvertrag über den 31. Dezember 1991 hinaus fortbestanden. Hierdurch wurde lediglich die bei Vergleichsschluß bestehende erhebliche Unsicherheit über die Rechtslage, welcher beide Parteien durch den Vergleichsschluß angemessen Rechnung getragen hatten, nachträglich beseitigt.
IV. Der von den Parteien abgeschlossene Vergleich ist nicht nach § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen. Der Kläger hat den Vergleich nicht wirksam angefochten. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
1. Die Voraussetzungen für eine wirksame Anfechtung wegen Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 BGB liegen nicht vor.
Der Kläger hat nicht hinreichend dafür vorgetragen, daß er sich bei der für das Zustandekommen des Vergleichs maßgeblichen Unterzeichnung der „Verbindlichen Erklärung” in einem Irrtum über den Inhalt der von ihm abgegebenen Erklärung befunden hat. Hierfür reicht der Hinweis auf die Schreiben der Beklagten vom 24. September 1991 und Mai 1993 nicht aus. Angesichts des eindeutigen Wortlautes der „Verbindlichen Erklärung” mußte für den Kläger im August 1993 deutlich sein, daß die Beklagte von ihm für die in Aussicht gestellte Abfindung den Verzicht auf einen – wenn auch in seinem Bestand zweifelhaften – Anspruch verlangte. Soweit der Kläger bei der Unterzeichnung der „Verbindlichen Erklärung” davon ausgegangen sein sollte, er habe keine Chance, einen Anspruch auf Zusatzrente nach der AO 54 durchzusetzen, könnte er hierauf eine Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB nicht stützen. Darin läge kein Inhaltsirrtum, sondern allenfalls ein unbeachtlicher Motivirrtum.
Darüber hinaus war die Anfechtungserklärung des Klägers verfristet. Nach eigenem Vortrag erkannte er Ende Februar/Anfang März 1996 im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Senatsurteils vom 27. Februar 1996 in der Tagespresse, daß die Rechtslage anders war, als er sie bei der Unterzeichnung der „Verbindlichen Erklärung” zugrunde gelegt hatte. Hierauf hätte er nach § 121 Abs. 1 BGB unverzüglich reagieren müssen. Dies ist durch eine Anfechtungserklärung zwischen dem 20. Mai und dem 27. August 1996 – eine genauere zeitliche Festlegung ist dem Kläger nach seinem eigenem Vortrag nicht möglich – nicht geschehen. Umstände, aufgrund derer er gehindert gewesen wäre, sich gegenüber der Beklagten rechtzeitig auf seinen angeblichen Irrtum zu berufen, hat der Kläger nicht dargetan.
2. Der Kläger konnte den abgeschlossenen Vergleich auch nicht wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB anfechten.
Der Kläger ist bei Vergleichsschluß nicht getäuscht worden. Die Beklagte hat nicht erklärt, es stehe völlig außer Streit, daß Ansprüche aus der AO 54 mit dem 31. Dezember 1991 erloschen seien. Durch den Hinweis in der „Verbindlichen Erklärung”, es werde auf sämtliche möglichen Rechte auf eine Zusatzrente verzichtet, hat sie vielmehr deutlich gemacht, daß es jedenfalls nicht ausgeschlossen war, daß der Kläger noch Ansprüche aus der AO 54 hatte. Eine darüber hinausgehende Aufklärungspflicht bestand für die Beklagte nicht. Auch wenn man von einem besonderen Vertrauen des Klägers darauf ausgeht, daß er von seiner früheren Arbeitgeberin vollständig informiert werde, ist die Beklagte doch nicht verpflichtet, im einzelnen und betont auf Rechtsauffassungen hinzuweisen, die sie selbst und die hinter ihr stehende Treuhandanstalt für verfehlt halten. Ein Hinweis auf die Möglichkeit verbleibender Ansprüche in der Form, wie es in der „Verbindlichen Erklärung” erfolgt ist, reicht aus.
Im übrigen schließt es der Meinungsstand zur Fortgeltung von Ansprüchen aus der AO 54 im Spätsommer 1993 aus, der Beklagten oder ihren Mitarbeitern Arglist vorzuwerfen. Die Beklagte selbst ging davon aus, daß für sie nur ein geringes Risiko bestand, wegen verbleibender Rechte aus der AO 54 mit Erfolg in Anspruch genommen zu werden.
V. Nach alledem ist der entstandene Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Zusatzrente nach der AO 54 aufgrund des wirksam zustande gekommenen und wirksam gebliebenen Vergleichs zwischen den Parteien mit Wirkung zum 1. Januar 1992 erloschen. Anhaltspunkte dafür, daß der Anspruch wieder aufgelebt sein könnte, sind nicht ersichtlich. Auch für einen an die Stelle des Erfüllungsanspruchs tretenden Schadensersatzanspruch des Klägers spricht nichts. Er scheitert jedenfalls daran, daß der Beklagten bei ihrer dem Kläger mitgeteilten Einschätzung der Rechtslage nicht der Vorwurf gemacht werden kann, schuldhaft gehandelt zu haben.
Unterschriften
Kremhelmer, Bepler, Kreft, Furchtbar, Lohre
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 11.05.1999 durch Kaufhold Reg.-Obersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436226 |
BB 1999, 2568 |
DB 2000, 99 |
FA 1999, 411 |
NZA 2000, 99 |
ZTR 2000, 140 |
AP, 0 |
AuA 2000, 93 |
NJ 2000, 218 |
AUR 2000, 36 |