Entscheidungsstichwort (Thema)
Verminderung der Jahressonderzahlung nach § 20 TV-L. Entgeltfortzahlung im Urlaubsfall
Orientierungssatz
Die Verminderung der Jahressonderzahlung nach § 20 Abs. 1 TV-L unterbleibt nicht bereits dann, wenn der Beschäftigte Urlaubsansprüche erworben hat. Bezogen auf den Urlaub besteht ein die Verminderung gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L ausschließender „Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts” nur, wenn dem Beschäftigten Urlaub gewährt wurde und er deshalb Anspruch auf Urlaubsentgelt hat.
Normenkette
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12. Oktober 2006 (TV-L) i.d.F. des 6. Änderungstarifvertrags vom 12. Dezember 2012 §§ 20, 21 S. 1, § 26 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 5. März 2014 – 11 Sa 885/13 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der tariflichen Jahressonderzahlung für das Jahr 2012.
Die Klägerin war seit 1996 bei dem beklagten Freistaat beschäftigt. Nach § 3 des Arbeitsvertrags vom 1. Februar 1996 bestimmte sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden und ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder jeweils geltenden Fassung. Die Klägerin war durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ohne Unterbrechung vom 26. Juli 2011 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 2. Januar 2013 an der Arbeitsleistung verhindert. Im Anschluss an die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erhielt sie bis zum 23. April 2012 einen Krankengeldzuschuss. Ihr Resturlaub aus dem Jahr 2011 wurde nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zusammen mit dem Jahresurlaub für das Jahr 2012 abgegolten.
Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12. Oktober 2006 (TV-L) lautet in der im Streitzeitraum maßgeblichen Fassung des 6. Änderungstarifvertrags vom 12. Dezember 2012 auszugsweise wie folgt:
„§ 20 |
Jahressonderzahlung |
(1) |
Beschäftigte, die am 1. Dezember im Arbeitsverhältnis stehen, haben Anspruch auf eine Jahressonderzahlung. |
(2) |
Die Jahressonderzahlung beträgt bei Beschäftigten in den Entgeltgruppen |
… |
… |
… |
… E 9 bis E 11 |
80 v. H. |
… |
… |
… |
… |
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der Bemessungsgrundlage nach Absatz 3. … |
(3) |
Bemessungsgrundlage im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 ist das monatliche Entgelt, das den Beschäftigten in den Kalendermonaten Juli, August und September durchschnittlich gezahlt wird; … |
(4) |
Der Anspruch nach den Absätzen 1 bis 3 vermindert sich um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, in dem Beschäftigte keinen Anspruch auf Entgelt oder Fortzahlung des Entgelts nach § 21 haben. Die Verminderung unterbleibt für Kalendermonate, für die Beschäftigte kein Tabellenentgelt erhalten haben wegen
- Ableistung von Grundwehrdienst oder Zivildienst, …
- Beschäftigungsverboten nach § 3 Absatz 2 und § 6 Absatz 1 Mutterschutzgesetz,
- Inanspruchnahme der Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz …
|
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Die Verminderung unterbleibt ferner für Kalendermonate, in denen Beschäftigten Krankengeldzuschuss gezahlt wurde oder nur wegen der Höhe des zustehenden Krankengelds oder einer entsprechenden gesetzlichen Leistung ein Krankengeldzuschuss nicht gezahlt worden ist. |
(5) |
Die Jahressonderzahlung wird mit dem Tabellenentgelt für November ausgezahlt. Ein Teilbetrag der Jahressonderzahlung kann zu einem früheren Zeitpunkt ausgezahlt werden. |
… |
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§ 21 |
Bemessungsgrundlage für die Entgeltfortzahlung |
In den Fällen der Entgeltfortzahlung nach § 22 Absatz 1, § 26 und § 27 werden das Tabellenentgelt sowie die sonstigen in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile weitergezahlt. …
(1) |
Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). …” |
Der beklagte Freistaat verminderte die Sonderzahlung für das Kalenderjahr 2012 unter Berufung auf § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L um acht Zwölftel, weil die Klägerin in den acht Monaten von Mai bis Dezember 2012 weder Anspruch auf Entgelt noch auf Fortzahlung des Entgelts nach § 21 TV-L gehabt habe.
Die Klägerin hat gemeint, ihr stehe die unverminderte Jahressonderzahlung 2012 und damit ein weiterer – rechnerisch unstreitiger – Betrag von 1.337,34 Euro brutto zu. Da eine Verminderung der Jahressonderzahlung nur für Kalendermonate in Betracht komme, in denen an keinem Tag Anspruch auf Entgelt(fortzahlung) bestanden habe, stehe ihr auch die anteilige Sonderzahlung für die Monate Mai bis Dezember 2012 zu, denn in dieser Zeit habe sie monatlich für jeweils 2,5 Arbeitstage einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Urlaubsfall erworben.
Die Klägerin hat zuletzt sinngemäß beantragt,
den beklagten Freistaat zu verurteilen, an sie 1.337,34 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. Dezember 2012 zu zahlen.
Der beklagte Freistaat hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Verminderung der Jahressonderzahlung um acht Zwölftel sei zu Recht erfolgt. Die Klägerin habe im Zeitraum von Mai bis Dezember 2012 keinen Anspruch auf Urlaubsentgelt gehabt, weil ihr wegen der Arbeitsunfähigkeit kein Urlaub erteilt worden sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage – soweit vorliegend von Interesse – abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Klägerin kann von dem beklagten Freistaat nicht weitere 1.337,34 Euro brutto als Jahressonderzahlung für das Kalenderjahr 2012 verlangen. Der beklagte Freistaat war berechtigt, die Jahressonderzahlung nach § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L um diesen Betrag zu kürzen. Dies hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt.
I. Der TV-L findet in der hier maßgeblichen Fassung des 6. Änderungstarifvertrags vom 12. Dezember 2012 aufgrund der Bezugnahmeklausel in § 3 des Arbeitsvertrags vom 1. Februar 1996 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Gemäß § 2 Abs. 1 des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder) vom 12. Oktober 2006 iVm. Anlage 1 Teil A Nr. 1, Teil B Nr. 18 hat der TV-L den BAT vom 23. Februar 1961 und den Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte vom 12. Oktober 1973 ersetzt.
II. Die Klägerin hat gemäß § 20 Abs. 1 TV-L dem Grunde nach Anspruch auf eine Jahressonderzahlung für das Jahr 2012, weil sie am 1. Dezember 2012 in einem Arbeitsverhältnis stand. Der Anspruch in Höhe von 80 % der Bemessungsgrundlage (§ 20 Abs. 2 und Abs. 3 TV-L) vermindert sich jedoch nach § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L um acht Zwölftel, weil die Klägerin in acht der zwölf maßgeblichen Monate keinen Anspruch auf Entgelt oder Entgeltfortzahlung hatte.
1. Bereits der Wortlaut des § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L, von dem bei der Auslegung vorrangig auszugehen ist (st. Rspr., vgl. zB BAG 28. August 2013 – 10 AZR 701/12 – Rn. 13), spricht für ein solches Verständnis. Danach vermindert sich der Anspruch auf die Jahressonderzahlung für Monate ohne Entgeltoder Entgeltfortzahlungsansprüche. Der Klägerin standen für die betreffenden Monate keine derartigen Ansprüche zu.
a) Die Klägerin hat in dem Zeitraum von Mai bis Dezember 2012 nicht gearbeitet und folglich keine Entgeltansprüche erworben.
b) Entgeltfortzahlungsansprüche wegen Arbeitsunfähigkeit bestanden ebenfalls nicht. Die Klägerin war zwar in der Zeit von Mai bis Dezember 2012 arbeitsunfähig erkrankt, der Entgeltfortzahlungszeitraum nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG, § 22 Abs. 1 TV-L war jedoch ebenso abgelaufen wie der Zeitraum, in dem die Klägerin nach § 22 Abs. 2 und Abs. 3 TV-L einen Krankengeldzuschuss verlangen konnte (§ 20 Abs. 4 Satz 3 TV-L).
c) Die in der Zeit von Mai bis Dezember 2012 entstandenen Urlaubsansprüche haben auch keine „Ansprüche auf Entgeltfortzahlung” iSd. TV-L ausgelöst. Bei den Zeiträumen, für die sich der Anspruch auf die Jahressonderzahlung gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L jeweils um ein Zwölftel vermindert, handelt es sich um Kalendermonate ohne „Anspruch auf Entgelt oder Fortzahlung des Entgelts nach § 21”. Aus der Verweisung in § 21 Satz 1 auf § 26 TV-L ergibt sich, dass für den Fall des Erholungsurlaubs mit dem „Anspruch auf … Fortzahlung des Entgelts nach § 21” das Urlaubsentgelt gemeint ist. Denn nach § 26 Abs. 1 Satz 1 TV-L haben Beschäftigte in jedem Kalenderjahr „Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21)”. Notwendige Voraussetzung für den Anspruch auf Urlaubsentgelt ist jedoch, dass Erholungsurlaub gewährt und genommen wurde. Solange dies nicht der Fall ist, besteht auch kein Anspruch auf „Fortzahlung des Entgelts” iSv. § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L.
2. Auch der tarifliche Gesamtzusammenhang und der sich hieraus ergebende Sinn und Zweck des § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L zeigen, dass einer Verminderung der Jahressonderzahlung nur der Anspruch auf Urlaubsentgelt, nicht aber der Erwerb von Urlaubsansprüchen entgegensteht.
a) Bei der Jahressonderzahlung nach § 20 TV-L handelt es sich – auch – um eine Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung. Dies folgt aus § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L, wonach für Monate ohne Anspruch auf Entgelt oder Entgeltfortzahlung grundsätzlich kein Anspruch auf die Jahressonderzahlung besteht. Wie die Stichtagsregelung in § 20 Abs. 1 TV-L zeigt, wird mit der Jahressonderzahlung zugleich Betriebstreue honoriert. Schließlich sollen die Mitarbeiter durch die Jahressonderzahlung auch für die Zukunft zu reger und engagierter Mitarbeit motiviert werden (BAG 12. Dezember 2012 – 10 AZR 922/11 – Rn. 20 mwN, BAGE 144, 117). Dass – wie die Revision meint – die Jahressonderzahlung vor allem die Betriebstreue honoriere und eine lange Erkrankung, Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit nicht dazu führen könne, die Betriebstreue weniger zu belohnen, ist unzutreffend. Sowohl der Vergütungs- als auch der Motivationscharakter der Jahressonderzahlung würden ausgeblendet, wenn bereits der Erwerb von Urlaubsansprüchen einer Verringerung des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L entgegenstünde.
b) Weiter ist zu berücksichtigen, dass nach vollendeter Wartezeit (§ 4 BUrlG) für das Entstehen neuer Urlaubsansprüche zu Beginn des Kalenderjahres allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses Voraussetzung ist. Der Urlaubsanspruch nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG steht nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat (BAG 6. Mai 2014 – 9 AZR 678/12 – Rn. 11 mwN, BAGE 148, 115). Nach dem Verständnis der Revision käme die Verminderung des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung damit weder bei langzeiterkrankten noch bei solchen Beschäftigten in Betracht, die unbezahlten Sonderurlaub nach § 28 TV-L erhalten haben (vgl. dazu BAG 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 9, BAGE 142, 371). Die Ausnahmeregelung in § 20 Abs. 4 Satz 3 TV-L wäre überflüssig.
3. Die Verminderung des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung hat entgegen der Auffassung der Revision auch nicht dann zu unterbleiben, wenn die Urlaubsansprüche aus dem betreffenden Kalenderjahr zu einem späteren Zeitpunkt abgegolten werden. Auch in diesem Fall hat der Arbeitnehmer in dem für die Jahressonderzahlung maßgeblichen Bezugsjahr im Umfang der Urlaubsabgeltung keinen Anspruch auf Urlaubsentgelt und damit auch keinen Anspruch auf „Fortzahlung des Entgelts” iSd. § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L erworben.
4. Die Revision kann sich zur Stützung ihrer Auffassung nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG vom 4. November 2003 (Arbeitszeitrichtlinie) berufen.
a) Die Revision übersieht, dass die Frage, ob die Klägerin für das Kalenderjahr 2012 Urlaubsansprüche erworben hat, ausweislich der in § 20 TV-L tariflich normierten Anspruchsvoraussetzungen und Ausschlusstatbestände unerheblich ist. Danach ist die Jahressonderzahlung gemäß § 20 TV-L als urlaubsunabhängige Sonderzahlung ausgestaltet (vgl. zur Differenzierung BAG 22. Juli 2014 – 9 AZR 981/12 – Rn. 25 ff. mwN). Sie wird ohne Rücksicht darauf gezahlt, ob im jeweiligen Kalenderjahr ein Urlaubsanspruch bestand oder Urlaub gewährt oder abgegolten wurde. Auch ihre Höhe richtet sich weder nach dem Urlaubsentgelt noch nach einer etwa gezahlten Urlaubsabgeltung.
b) Das gewandelte Verständnis des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung, der nicht mehr als Äquivalent zum Urlaubsanspruch, sondern als ein Aliud in Form eines selbständigen Geldanspruchs anzusehen ist (vgl. dazu BAG 19. Mai 2015 – 9 AZR 725/13 – Rn. 18 mwN), wirkt sich im Streitfall nicht zugunsten der Klägerin aus, weil das Unionsrecht keine Vorgaben zur Ausgestaltung der Anspruchsvoraussetzungen für die tarifliche Jahressonderzahlung nach § 20 TV-L enthält. Ob die Klägerin, wie die Revision der Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen glaubt, in jedem Kalendermonat nach und nach einen anteiligen Urlaubsanspruch erworben hat, bedarf deshalb keiner Entscheidung. Selbst wenn das der Fall wäre, änderte dies nichts an der Verminderung des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung nach § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L, da nach dieser Tarifvorschrift bezogen auf den Urlaub ein „Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts” nur besteht, wenn dem Beschäftigten Urlaub gewährt wurde und er deshalb Anspruch auf Urlaubsentgelt hat. Ebenso kann dahinstehen, ob der Verminderung des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung auch ein im selben Kalenderjahr fällig gewordener Anspruch auf Urlaubsabgeltung entgegensteht. Im Streitfall ist der Abgeltungsanspruch der Klägerin erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Januar 2013 fällig geworden (vgl. BAG 9. August 2011 – 9 AZR 352/10 – Rn. 13) und damit nach Ablauf des für die Jahressonderzahlung 2012 maßgeblichen Bezugszeitraums.
III. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Linck, Schlünder, Brune, Diener, Fieback
Fundstellen
Haufe-Index 8977008 |
BB 2016, 308 |