Entscheidungsstichwort (Thema)
Lärmzulage bei alliierten Streitkräften
Orientierungssatz
1. Lärmzulage bei alliierten Streitkräften als ähnliche Erschwerniszulage.
2. Vergleiche BAG Urteil vom 03.09.1986 4 AZR 315/85.
Normenkette
ALTV § 21; ALTV 2 § 21
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 26.03.1985; Aktenzeichen 3 Sa 1099/84) |
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 25.10.1984; Aktenzeichen 1 Ca 1083/84) |
Tatbestand
Die Kläger, die Mitglieder der Gewerkschaft ÖTV sind, sind bei den amerikanischen Streitkräften mit Reparaturarbeiten an Verbrennungsmotoren von Militärfahrzeugen beschäftigt. Auf die Arbeitsverhältnisse findet der Tarifvertrag für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TVAL II) kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG).
Der Lärmpegel am Arbeitsplatz der Kläger beträgt ständig durchschnittlich 90 Dezibel. Er wird durch vorgeschriebene Gehörschutzmittel auf durchschnittlich 70 Dezibel herabgesetzt. Bis zum 30. September 1983 erhielten die Kläger wegen der Lärmbelästigung eine Erschwerniszulage nach Anhang S Ziff. II 1 TVAL II i.V.m. § 21 Ziff. 4 b (4) TVAL II in Höhe von 10 % ihres effektiven Stundenlohnes. Die Zahlung der Zulage wurde von der Beklagten mit der Begründung eingestellt, daß deren tarifliche Voraussetzungen irrtümlich angenommen worden seien.
Die Kläger haben die Auffassung vertreten, daß ihnen die Erschwerniszulage weiterhin zustehe, da der Lärm, dem sie ausgesetzt seien, eine ähnliche Erschwernis i.S. des Anhangs S Ziff. II 1 in Verbindung mit § 21 Ziff. 4 b (4) TVAL II sei. Durch den vorgeschriebenen Gehörschutz werde die Erschwernis nicht beseitigt.
Die Kläger haben beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist,
über den 30. September 1983 hinaus die bisher
gewährte Erschwerniszulage von 10 % auf den
effektiven Stundenverdienst unverändert weiterzuzahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, daß eine Lärmzulage tariflich nicht vorgesehen sei. Lärm stelle auch keine ähnliche Erschwernis wie die im Anhang S Ziff. II 1 TVAL II genannten dar und könne insbesondere nicht mit Erschütterungen im Sinne dieser tariflichen Bestimmung gleichgesetzt werden. Außerdem minderten die Gehörschutzmittel die Lärmbelästigung auf ein erträgliches Maß.
Das Arbeitsgericht hat den Klagen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen. Mit der Revision begehren die Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Urteile. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Wiederherstellung der Urteile des Arbeitsgerichts. Den Klägern steht eine Erschwerniszulage nach Ziff. II 1 des Anhangs S zum TVAL II zu, weil sie durch den Lärm an ihrem Arbeitsplatz in besonderem Maße ähnlichen Einflüssen wie Schmutz, Schlamm, Hitze, Kälte, Wasser, Rauch, Dämpfen, Gasen, Säuren, Ätzstoffen, Giftstoffen und Erschütterungen ausgesetzt sind.
Die Feststellungsklage ist nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig, da sie nicht nur in der Vergangenheit liegende, sondern auch zukünftige Zeiträume umfaßt, für die eine Bezifferung der Forderungen wegen der ständig wechselnden Höhe der Stundenlöhne, von denen die Höhe der Zulage abhängt, nicht möglich ist (BAG Urteil vom 20. Juni 1984 - 4 AZR 208/82 - AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel). Der Feststellungsantrag ist auch hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Zwar begehren die Kläger die Erschwerniszulage in Höhe von 10 % ihres "effektiven Stundenverdienstes", obwohl dieser Begriff in den tariflichen Bestimmungen des TVAL II nicht verwendet wird. Aus ihrem Sachvortrag, der zur Auslegung ihres Antrags heranzuziehen ist, wird jedoch deutlich, daß sie insoweit auf die nach Ziff. I 2 des Anhangs S in Verbindung mit § 16 Ziff. 1 a, 3 TVAL II zu zahlende Grundvergütung je Arbeitsstunde Bezug nehmen und wegen der ständigen Lärmbelästigung die Zahlung der Erschwerniszulage für die gesamte Arbeitszeit beanspruchen. Im übrigen streiten die Parteien auch nicht über die Höhe der Erschwerniszulage, die bis zum 30. September 1983 von der Beklagten gezahlt wurde.
Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß auf die Arbeitsverhältnisse der Parteien die Vorschriften des TVAL II kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend Anwendung finden (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Danach ist für den Anspruch der Kläger auf die begehrte Erschwerniszulage die Vorschrift des Anhangs S Ziff. II 1 zum TVAL II heranzuziehen, die wie folgt lautet:
Tätigkeiten, die in besonderem Maße den
Einflüssen von Schmutz, Schlamm, Hitze,
Kälte, Wasser, Rauch, Dämpfen, Gasen,
Säuren, Ätzstoffen, Giftstoffen, Erschütterungen
oder ähnlichem sowie Witterungseinflüssen
ausgesetzt sind 10 v. H.
Die von den Klägern geltend gemachte Lärmbelästigung bei den Reparaturarbeiten an Verbrennungsmotoren von Militärfahrzeugen ist unter den Erschwernissen der Ziffer II 1 des Anhangs S zum TVAL II zwar nicht ausdrücklich aufgeführt. Sie fällt aber, wie der Senat schon im Urteil vom 3. September 1986 - 4 AZR 315/85 - (zur Veröffentlichung bestimmt) ausgeführt hat, unter den Begriff "oder ähnlichem" im Sinne der Ziffer II 1. Was unter ähnlichen Arbeitserschwernissen wie die in Ziff. II 1 des Anhangs S zum TVAL II ausdrücklich aufgeführten zu verstehen ist, läßt sich nach dem tariflichen Gesamtzusammenhang der Vorschrift des § 21 Ziff. 4 TVAL II entnehmen. Unter der Überschrift "Erschwerniszulagen" enthält diese Tarifnorm folgende Regelungen:
a) Arbeitserschwernisse - siehe Abschnitt b) sind
grundsätzlich mit dem tarifvertraglich
vereinbarten Lohn oder Gehalt abgegolten,
soweit für sie nicht Erschwerniszulagen im
Anhang S besonders vereinbart sind.
b) Arbeitserschwernisse liegen vor, wenn die
Arbeiten
(1) den Körper oder die eigene Arbeitskleidung
des Arbeitnehmers außerordentlich beschmutzen,
oder
(2) besonders gefährlich, ekelerregend oder gesundheitsschädlich
sind, oder
(3) die Körperkräfte außerordentlich beanspruchen,
oder
(4) unter besonders erschwerenden Umständen ausgeführt
werden müssen.
§ 21 Ziff. 4 TVAL II verweist zwar für die Erschwerniszulagen auf den Anhang S, so daß nur dessen Vorschriften als Anspruchsgrundlage für einen Erschwerniszuschlag herangezogen werden können. Andererseits umschreibt aber § 21 Ziff. 4 b TVAL II, was unter Arbeitserschwernissen im tariflichen Sinne zu verstehen ist. Daher kann zur näheren Bestimmung des Begriffs der ähnlichen Arbeitserschwernisse in Ziff. II 1 des Anhangs S zum TVAL II auf die Bestimmungen des § 21 Ziff. 4 b TVAL II zurückgegriffen werden. Danach sind als Arbeitserschwernisse ausdrücklich genannt die außergewöhnliche Beschmutzung (Ziff. 1), die besondere Gefährlichkeit (Ziff. 2), die Gesundheitsschädlichkeit (Ziff. 2) und Arbeiten unter besonders erschwerenden Umständen (Ziff. 4). Daran knüpfen die Beispiele in Ziff. II 1 des Anhangs S zum TVAL II an. Die außergewöhnliche Beschmutzung ist angesprochen, wenn in Ziff. II 1 des Anhangs S zum TVAL II Tätigkeiten genannt werden, die in besonderem Maße den Einflüssen von Schmutz und Schlamm ausgesetzt sind. Die Gesundheitsschädlichkeit und Gefährlichkeit der Arbeit liegt nahe, wenn sie in besonderem Maße den Einflüssen von Rauch, Dämpfen, Gasen, Säuren, Ätzstoffen, Giftstoffen oder Erschütterungen ausgesetzt ist. Unter besonders erschwerenden Umständen wird die Arbeit ausgeführt, wenn sie in besonderem Maße den Einflüssen von Hitze, Kälte oder Wasser ausgesetzt ist. Danach können unter ähnlichen Erschwernissen wie die in Ziff. II 1 des Anhangs S zum TVAL II ausdrücklich genannten solche Arbeiten angesehen werden, die den Körper oder die eigene Arbeitskleidung des Arbeitnehmers außergewöhnlich beschmutzen oder gefährlich oder gesundheitsschädlich sind oder unter besonders erschwerenden Umständen ausgeführt werden müssen.
Unter besonders erschwerenden Umständen wird eine Arbeit auch dann ausgeführt, wenn der Arbeitnehmer hierbei einer Lärmbelästigung ausgesetzt ist, die den nach den einschlägigen Arbeitsschutzvorschriften höchstzulässigen Schallpegel übersteigt. In diesem Sinne hat der Senat Arbeiten mit hoher Lärmbelästigung als Arbeiten angesehen, die "unter besonders starken Umgebungseinflüssen auszuführen sind, die über die normalen Erschwernisse erheblich hinausgehen" (BAG Urteil vom 14. März 1984 - 4 AZR 433/81 -, AP Nr. 23 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie).
Der Senat hat schon im Urteil vom 3. September 1986 - 4 AZR 315/85 - (zur Veröffentlichung bestimmt) ausgeführt, daß aus der Tarifgeschichte nicht hergeleitet werden kann, daß die Tarifvertragsparteien für Lärmbelästigung keine Erschwerniszulage nach Ziff. II 1 des Anhangs S zum TVAL II gewähren wollten. Den Tarifvertragsparteien war bei der Vereinbarung des Anhangs S zum TVAL II bekannt, daß viele Arbeiten in besonderem Maße Lärm ausgesetzt sind. Wenn sie dann gleichwohl den Lärm nicht als besondere Arbeitserschwernis in Ziff. II 1 des Anhangs S zum TVAL II ausdrücklich erwähnten, kann daraus ohne weiteren Anhaltspunkt jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß damit für Lärm keine Erschwerniszulage in Betracht kommen sollte. Die in Ziff. II 1 erwähnten besonderen Erschwernisse sind nur Beispiele. Gerade durch den Zusatz "oder ähnlichem" in Ziff. II 1 des Anhangs S zum TVAL II haben die Tarifvertragsparteien deutlich zum Ausdruck gebracht, daß bei allen ähnlichen Erschwernissen die Zulage gezahlt werden soll. Irgendwelche Einschränkungen enthält der TVAL II insoweit nicht. Die Tarifvertragsparteien konnten deshalb bei der Auswahl von Beispielen, die sie in Ziff. II 1 nannten, willkürlich verfahren, da durch die Einbeziehung von ähnlichen Erschwernissen die entsprechenden Erschwernisse miterfaßt waren. Zu diesen ähnlichen Erschwernissen gehören auch starke Lärmbelästigungen. Insoweit handelt es sich um einen besonders erschwerenden Umstand bei der Arbeitsausführung, der Hitze und Kälte vergleichbar ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten werden von Ziff. II 1 des Anhangs S zum TVAL II auch nicht nur Arbeiten im Sinne von § 21 Ziff. 4 b (4) TVAL II erfaßt, bei denen die die Arbeit besonders erschwerenden Umstände nicht durch Hilfsmittel verringert werden können. Denn die Einflüsse von Hitze und Kälte, die in Ziff. II 1 ausdrücklich genannt sind, können auch durch entsprechende Kleidung verringert werden.
Die Arbeit der Kläger an Verbrennungsmotoren von Militärfahrzeugen war in besonderem Maße den Einflüssen von Lärm ausgesetzt. Der Schallpegel von ständig durchschnittlich 90 Dezibel, der zwischen den Parteien unstreitig ist, überschreitet deutlich den nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 Arbeitsstättenverordnung höchstzulässigen Schallpegel von 85 Dezibel. Entgegen der Auffassung der Beklagten änderte das Tragen von Gehörschutzmitteln durch die Kläger nichts daran, daß ihre Tätigkeit einer starken Lärmbelästigung ausgesetzt ist. Durch den Ohrenschutz wird zwar der Lärmpegel für das Ohr vermindert. Die Tarifnorm stellt aber auf die Tätigkeit ab. Diese ist nach wie vor in besonderem Maße der Lärmbelästigung ausgesetzt. Damit trägt die Tarifnorm auch dem Umstand Rechnung, daß starker Lärm durch das Tragen von Gehörschutzmitteln nur teilweise abgemildert wird und auch außerhalb der Ohren auf den ganzen menschlichen Organismus als Umgebungseinfluß einwirkt (vgl. BAG Urteil vom 14. März 1984 - 4 AZR 433/81 -, AP Nr. 23 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie). Entgegen der Auffassung der Beklagten erfordert die Tarifnorm auch nicht, daß die Tätigkeit der Kläger gesundheitsschädlich ist, sondern stellt nur darauf ab, ob sie unter besonders erschwerenden Umständen ausgeführt wird. Das ist bei einem Lärmpegel von ständig durchschnittlich 90 Dezibel auch beim Tragen von Gehörschutzmitteln zu bejahen. Die Revision mußte damit Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Dr. Neumann Dr. Etzel Dr. Freitag
Wehner Dr. Reinfeld
Fundstellen