Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehinderter Mensch. Beschäftigungsanspruch. Darlegungs- und Beweislast
Orientierungssatz
- Schwerbehinderte Menschen haben gegenüber ihrem Arbeitgeber nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen, so kann er Anspruch auf eine anderweitige Beschäftigung haben. Soweit der bisherige Arbeitsvertrag diese Beschäftigungsmöglichkeit nicht abdeckt, hat er einen Anspruch auf Vertragsänderung.
Macht der schwerbehinderte Arbeitnehmer den Anspruch auf eine behinderungsgerechte Beschäftigung gegen den Arbeitgeber geltend, hat er nach den allgemeinen Regeln grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen. Dagegen hat der Arbeitgeber die anspruchshindernden Umstände vorzutragen. Dazu gehören insbesondere diejenigen, aus denen sich die Unzumutbarkeit der Beschäftigung des Arbeitnehmers ergeben soll.
Welche Einzelheiten vom Arbeitgeber vorzutragen sind, bestimmt sich nach den Umständen des Streitfalles unter Berücksichtigung der Darlegungen des klagenden Arbeitnehmers. Da der Arbeitgeber einen umfassenden Überblick über die betrieblich eingerichteten Arbeitsplätze und die dort zu erfüllenden Anforderungen hat, muss er sich substantiiert mit den Vorstellungen des Arbeitnehmers über weitere Einsatzmöglichkeiten auseinander setzen.
Normenkette
SGB IX §§ 68, 81 Abs. 4; BGB § 611 Abs. 1; ZPO §§ 128, 138-139, 286
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 22. Juni 2005 – 2 Sa 11/05 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger als Flachschleifer zu beschäftigen.
Der am 1947 geborene Kläger ist seit dem 7. August 1978 bei der Beklagten zu einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt 2.492,00 Euro als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Bei ihm war ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt worden. Seit dem 28. Oktober 2002 ist er einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Die Beklagte beschäftigt im Werk H…, in dem der Kläger tätig ist, ca. 1.400 Arbeitnehmer.
Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung. Auf das Arbeitsverhältnis wenden die Parteien die Tarifverträge der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden an. Gemäß § 4 Nr. 4.4 des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden – gültig ab 1. Januar 1997 – (Kündigungsschutz für ältere Beschäftigte) darf dem Kläger nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden.
Von Dezember 1979 bis Februar 2003 wurde der Kläger als Flachschleifer eingesetzt. Er war zuletzt in der kleinmechanischen Abteilung an einer kleinen Flachschleifmaschine, der Flachschleifmaschine SF 4 beschäftigt. An dieser Maschine sind Werkstücke aus Stahlguss zu bearbeiten. Die bis zu 30 kg schweren Werkstücke werden auf Paletten am Arbeitsplatz angeliefert. Sie sind dann per Hand oder Hebekran auf die Arbeitsfläche der Schleifmaschine zu heben und von dort per Hand ca. 30 cm hoch zum Magneten zu führen. Die Schleifscheibe an der Flachschleifmaschine SF 4, die je nach Schleifgut einmal oder mehrmals am Tag ausgewechselt werden muss, wiegt etwa 9 kg.
Der Kläger hat Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule und in den Ellbogengelenken, wenn er die Wirbelsäule oder die Ellbogen belastende Tätigkeiten ausübt. Im Jahre 2000 war er an 30 Arbeitstagen, im Jahre 2001 an 36 Arbeitstagen und im Jahre 2002 an 26 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Vom 6. Februar 2003 bis zum 16. August 2004 war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig und bezog zuletzt Krankengeld.
In einer ärztlichen Bescheinigung vom 25. Mai 2000 heißt es:
“Herr L… sollte wegen seiner Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankungen schwere Arbeiten, insbesondere das Heben und Tragen von schweren Gegenständen vermeiden. Er sollte nicht mehr als 5 kg tragen.”
Nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Februar 2003 strukturierte die Beklagte die Arbeitsplätze an den Flachschleifmaschinen um. Bis zu diesem Zeitpunkt waren in einer Schicht acht Arbeitnehmer an jeweils einer Flachschleifmaschine beschäftigt. Seit Februar 2003 müssen nur noch vier Mitarbeiter in einer Schicht jeweils zwei Flachschleifmaschinen, und zwar eine große und eine kleine, gleichzeitig bedienen. Dem Flachschleifer der Flachschleifmaschine SF 4 wurde zusätzlich die große Schleifmaschine SF 20 zugeordnet. An dieser müssen bis zu 150 kg schwere Werkstücke gehoben und bewegt werden. Die Schleifscheibe wiegt zwischen 20 und 30 kg.
Im Zusammenhang mit diesen Umstrukturierungsmaßnahmen war der Kläger – während seiner Arbeitsunfähigkeit – ab dem 24. Februar 2003 für drei Tage als Gabelstaplerfahrer eingesetzt. Dieser Einsatz musste jedoch aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen werden. In einem vom Kläger der Beklagten vorgelegten ärztlichen Attest vom 11. März 2003 heißt es:
“Aufgrund der hier erhobenen Befunde am Stütz- und Bewegungsapparat mit im Vordergrund stehender Schmerzhaftigkeit am rechten Ellbogen, sowie immer wieder auftretender Beschwerdesymptomatik im Bereich der Lendenwirbelsäule bei Verschleiß- und Aufbrauchserscheinungen sollte zur Vermeidung längerer krankheitsbedingter Fehlzeiten eine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit sowie eine belastende Tätigkeit für das rechte Ellbogengelenk, wie beim dauernden Staplerfahren gefordert, unterlassen werden.”
Am 23. September 2003 beantragte die Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers mit sozialer Auslauffrist. Die Zustimmung wurde mit mittlerweile rechtskräftigem Bescheid vom 8. Oktober 2003 verweigert.
In einer Stellungnahme vom 8. Oktober 2003 stellte der Betriebsarzt fest, dass der Kläger im Hinblick auf die Forderungen der Atteste vom 25. Mai 2000 und 11. März 2003 für den Arbeitsplatz eines Flachschleifers nicht geeignet sei. In einer weiteren vom Kläger vorgelegten Bescheinigung vom 1. Juni 2004 hat der ihn behandelnde Arzt festgestellt:
“Bei o.g. Patienten besteht ab 1.6.2004 Arbeitsfähigkeit für mittelschwere körperliche Tätigkeit mit Ausschluß von körp. Zwangshaltung.”
Die Bundesagentur für Arbeit und das Integrationsamt wurden durch die Beklagte trotz der aufgetretenen Beschäftigungsprobleme bisher nicht hinzugezogen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass er auch nach der betrieblichen Umstrukturierung in der kleinmechanischen Abteilung als Flachschleifer arbeiten könnte. Er könnte an einer oder an zwei Flachschleifmaschinen bei Fertigungsstücken bis zu 10 kg eingesetzt werden. Im Übrigen müsse die Beklagte seinen Arbeitsplatz so mit geeigneten Hilfsmitteln, insbesondere Hebewerkzeugen, ausstatten, dass er daran arbeiten könne. Die Beklagte habe durch ihre Umorganisation den für ihn unstreitig tauglichen Arbeitsplatz beseitigt. Auch werde ein anderer Mitarbeiter, der einen Grad der Behinderung von 80 habe, als Flachschleifer an zwei Schleifmaschinen beschäftigt. Dieser könne nur Lasten bis zu 5 kg heben. Schwerere Lasten würden ihm von Arbeitskollegen zur Flachschleifmaschine getragen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Flachschleifer zu beschäftigen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, auf Grund der im Einverständnis mit dem Kläger erfolgten Versetzung zum Staplerfahrer sei dies die für die Frage der Weiterbeschäftigung maßgebende Tätigkeit. Diese könne er aus gesundheitlichen Gründen jedoch nicht ausüben. Ein Einsatz des Klägers als Flachschleifer sei unmöglich. Wegen der Umorganisation im Februar 2003 könne er in der kleinmechanischen Abteilung nicht mehr nur an einer kleinen Schleifmaschine beschäftigt werden. Die Zuständigkeit eines Flachschleifers für jeweils ein Maschinenpaar habe den Zweck, dass eine komplette Baugruppe, bestehend aus großen und kleinen Werkstücken an einem Maschinenpaar bearbeitet werden könne. Wartezeiten und Verzögerungen würden so auf ein Minimum beschränkt. Eine solche Baugruppe würde zerstückelt, wenn der Kläger nur Werkstücke unter 10 kg Gewicht bearbeite. Die Ausstattung der Schleifmaschinen mit einem Hebekran, um die Werkstücke zu den Magneten zu führen oder die Schleifscheiben zu wechseln, sei ausgeschlossen. An den großen Schleifmaschinen liege die Gewichtsbelastung praktisch immer über 10 kg. Im Unterschied zum Kläger lägen bei dem Arbeitnehmer, den der Kläger als Vergleichsperson benannt habe, keine Atteste vor, aus denen sich dessen eingeschränkte Einsatzfähigkeit ergebe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Verurteilung der Beklagten zur Beschäftigung des Klägers als Flachschleifer hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
I. Der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Kläger hat nach § 611 Abs. 1 BGB iVm. § 68 Abs. 3, § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX Anspruch auf Beschäftigung als Flachschleifer.
1. Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Der Arbeitgeber erfüllt diesen Anspruch regelmäßig dadurch, dass er dem Arbeitnehmer die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeit zuweist. Kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer die damit verbundenen Tätigkeiten wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen, so führt dieser Verlust nach der Konzeption der §§ 81 ff. SGB IX nicht ohne weiteres zum Wegfall des Beschäftigungsanspruches. Der Arbeitnehmer kann Anspruch auf eine anderweitige Beschäftigung haben und, soweit der bisherige Arbeitsvertrag diese Beschäftigungsmöglichkeit nicht abdeckt, auf eine entsprechende Vertragsänderung (vgl. zu § 14 SchwbG: Senat 28. April 1998 – 9 AZR 348/97 – AP SchwbG 1986 § 14 Nr. 2 = EzA SchwbG § 14 Nr. 5; 10. Mai 2005 – 9 AZR 230/04 – AP SGB IX § 81 Nr. 8 = EzA SGB IX § 81 Nr. 7, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; 4. Oktober 2005 – 9 AZR 632/04 – DB 2006, 902, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Um eine behinderungsgerechte Beschäftigung zu ermöglichen, ist der Arbeitgeber nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet. So kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer verlangen, dass er nur mit leichteren Arbeiten beschäftigt wird, sofern im Betrieb die Möglichkeit zu einer solchen Aufgabenumverteilung besteht (Senat 28. April 1998 – 9 AZR 348/97 – aaO). Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen zudem Anspruch auf Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen.
Der Arbeitgeber ist jedoch dann nicht zur Beschäftigung des schwerbehinderten Menschen verpflichtet, wenn ihm die Beschäftigung unzumutbar oder eine solche nur mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden ist, § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX. Der Arbeitgeber ist auch nicht verpflichtet, für den schwerbehinderten Menschen einen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten (Senat 10. Mai 2005 – 9 AZR 230/04 – AP SGB IX § 81 Nr. 8 = EzA SGB IX § 81 Nr. 7, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; 4. Oktober 2005 – 9 AZR 632/04 – DB 2006, 902, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
2. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangt, eine Beschäftigung des Klägers an den Schleifmaschinen in der kleinmechanischen Abteilung sei nach wie vor möglich und zumutbar. Zutreffend hat es den Sachvortrag der Beklagten als nicht ausreichend für die Annahme angesehen, eine erforderliche Umorganisation der Arbeitsplätze sei nicht möglich oder für sie unzumutbar.
a) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass der Kläger gesundheitlich in der Lage ist, Werkstücke bis zu 10 kg Gewicht als Flachschleifer in Vollzeit zu bearbeiten. Dies hat die Beklagte letztlich auch nicht bestritten. Vielmehr hat sie bereits in ihrer Berufungserwiderung eingeräumt, dass der Kläger Werkstücke mit größeren Gewichten als 10 kg nicht heben und tragen kann.
b) Weiter ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass so viele Werkstücke von unter 10 kg Gewicht arbeitstäglich zu schleifen sind, dass der Kläger im Umfang einer Vollzeitarbeitskraft ausgelastet wäre.
Die gegen diese Feststellung erhobene Verfahrensrüge der Revision greift nicht durch. Die Beklagte rügt zu Unrecht, das Landesarbeitsgericht habe diese Feststellung unter Verstoß gegen den Beibringungsgrundsatz getroffen.
Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren anzuwendenden Beibringungsgrundsatz (§ 46 Abs. 2 ArbGG iVm. §§ 128, 138, 286 ZPO) darf das Gericht seiner Entscheidung nur die Tatsachen zugrunde legen, die von den Parteien vorgetragen worden sind. Der Beibringungsgrundsatz wird durch die Berücksichtigung abstrakter Möglichkeiten, die von keiner Partei behauptet worden sind und die sich auch nicht auf Grund allgemeiner Erfahrungen aufgedrängt haben, verletzt (Senat 26. August 1997 – 9 AZR 61/96 – BAGE 86, 240).
Der Kläger hat in seiner Berufungsbegründung vorgetragen, dass es möglich und zumutbar sei, ihn an einer oder zwei Flachschleifmaschinen mit Fertigungsstücken bis maximal 10 kg Gewicht einzusetzen. Hierin liegt die konkludente Behauptung, es sei ein ausreichendes Arbeitsvolumen von Werkstücken bis zu 10 kg Gewicht für einen vollen Arbeitsplatz vorhanden. Diesen von der Beklagten im Berufungsverfahren nicht konkret bestrittenen Tatsachenvortrag des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zulässigerweise seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Im Übrigen hat die Revision diese Annahme des Landesarbeitsgerichts auch im Revisionsverfahren nicht konkret als unzutreffend bestritten.
c) Ist eine behinderungsgerechte Umgestaltung der Arbeitsorganisation möglich, so ist der Arbeitgeber nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX dazu auch verpflichtet, um den Beschäftigungsanspruch des schwerbehinderten Menschen zu erfüllen. Im Streitfall bedeutet dies, dass die Beklagte den Kläger nicht – wie die anderen nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer – im Rahmen der Umstrukturierung auch der großen Schleifmaschine SF 20 zuordnen darf. Insoweit hat sie ihre Umstrukturierung im Hinblick auf den Kläger teilweise rückgängig zu machen. Sie hat den Kläger, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend aufgezeigt hat, wieder als Flachschleifer für Werkstücke mit Gewichten bis 10 kg einzusetzen. Dazu muss sie den Arbeitsablauf so umorganisieren, dass der Kläger aus verschiedenen Aufträgen nur die leichteren Werkstücke zugeteilt bekommt. Soweit die Beklagte vorgetragen hat, dadurch käme es zu einem Durcheinander oder einer Verzögerung, da der Kläger an verschiedenen Schleifmaschinen jeweils nur bis zu 10 kg schwere Werkstücke bearbeiten müsse, betrifft das nicht die Möglichkeit der Umorganisation, sondern deren Zumutbarkeit nach § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX.
d) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Umorganisation sei für die Beklagte nicht unzumutbar und auch nicht mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden (§ 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX), begegnet ebenfalls keinen revisionsrechtlichen Bedenken.
aa) Der für die Umstrukturierung verantwortlichen Beklagten hätte es oblegen, sich substantiiert mit den weiteren Einsatzmöglichkeiten des Klägers in der kleinmechanischen Abteilung auseinander zu setzen. Dazu hätte sie substantiiert vortragen müssen, weshalb die möglichen organisatorischen Veränderungen für sie unzumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wären. Hieran fehlt es.
bb) Entgegen der Revision hat das Landesarbeitsgericht nicht gegen die Hinweispflicht des § 139 ZPO verstoßen. Es hat den Sachvortrag der Beklagten zugrunde gelegt, es käme zu einem Durcheinander oder einer Verzögerung, wenn der Kläger an verschiedenen Schleifmaschinen jeweils nur bis zu 10 kg schwere Werkstücke bearbeiten müsse. Auf dieser Grundlage ist es zu dem Ergebnis gelangt, es sei nicht erkennbar, dass eine solche getrennte Bearbeitung von vornherein unzumutbar sei. Diese Schlussfolgerung ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Die Frage, ob und unter welchen organisatorischen Voraussetzungen eine Weiterbeschäftigung des Klägers, der unstreitig nur noch Werkstücke bis höchstens 10 kg Gewicht heben und tragen kann, in der kleinmechanischen Abteilung als Flachschleifer der Beklagten zumutbar wäre, war der entscheidende Teil der gerichtlichen Auseinandersetzung sowohl in der ersten als auch in der zweiten Instanz. Auch hatte der Kläger in seiner Berufungsbegründung ausdrücklich darauf hingewiesen, die Behauptung der Beklagten, eine Bearbeitung von Werkstücken bis zu 10 kg durch den Kläger führe zu einem “heillosen Durcheinander”, treffe nicht zu. Diese Behauptung sei im Übrigen auch nicht hinreichend substantiiert. Deshalb bestand für das Landesarbeitsgericht keine Veranlassung, die Beklagte nach § 139 ZPO darauf hinzuweisen, dass ihr Sachvortrag hinsichtlich des Vorliegens eines der Ausnahmetatbestände des § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX nicht ausreichend war.
3. Die Revision rügt schließlich ohne Erfolg, das Urteil des Landesarbeitsgerichts beruhe deshalb auf einem Verstoß gegen § 286 ZPO, weil es der Frage hätte nachgehen und Beweis erheben müssen, ob sich der Kläger und die Beklagte darauf geeinigt hatten, den Kläger nur noch als Staplerfahrer und nicht mehr als Flachschleifer einzusetzen.
Eine solche Vereinbarung hätte keine Auswirkungen auf den Beschäftigungsanspruch des Klägers als Flachschleifer. Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX kann der Arbeitnehmer Anspruch auf Versetzung oder sogar Vertragsänderungen haben, soweit sein Arbeitsvertrag eine Beschäftigungsmöglichkeit nicht abdeckt (Senat 10. Mai 2005 – 9 AZR 230/04 – AP SGB IX § 81 Nr. 8 = EzA SGB IX § 81 Nr. 7, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; 4. Oktober 2005 – 9 AZR 632/04 – DB 2006, 902, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger die Tätigkeit eines Staplerfahrers nicht ausüben kann, sondern nur die eines Flachschleifers unter bestimmten Voraussetzungen. Da nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichts die Beklagte den Kläger gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX als Flachschleifer unter veränderten organisatorischen Bedingungen weiterbeschäftigen kann, hätte der Kläger, auch wenn eine Einigung über seine Weiterbeschäftigung als Staplerfahrer erfolgt sein sollte, Anspruch auf Beschäftigung als Flachschleifer.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Unterschriften
Düwell, Böck, Krasshöfer, Kappes, Faltyn
Fundstellen
Haufe-Index 1543217 |
DB 2006, 1624 |