Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufwandsentschädigung für freigestellten Vertrauensmann
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Vertrauensmann der Schwerbehinderten besitzt die gleiche persönliche Rechtsstellung wie ein Personalrat; die Gleichstellung beschränkt sich nicht nur auf den Kündigungs-, Versetzungs- und Abordnungsschutz.
2. Der von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellte Vertrauensmann der Schwerbehinderten hat ebenso wie ein freigestelltes Personalratsmitglied Anspruch auf eine monatliche Aufwandsentschädigung.
Normenkette
PersVEntV; SchwbG § 24 Abs. 6, § 23 Abs. 4, 8, 3, § 24 Abs. 1-2; BPersVG § 46 Abs. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger als freigestellter Vertrauensmann der Schwerbehinderten eine pauschale monatliche Aufwandsentschädigung wie einem freigestellten Personalratsmitglied in der Bundesverwaltung zusteht.
Der Kläger ist Vorsitzender des Bezirkspersonalrats beim Territorialkommando Nord, das aus dem Gebiet der Bundesländer Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen besteht. Er ist seit dem 1. November 1978 in seiner Eigenschaft als Bezirksvertrauensmann der Schwerbehinderten von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt.
Mit Schreiben vom 13. September 1984 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß die ihm seit November 1978 gezahlte Aufwandsentschädigung gemäß der Verordnung über die Aufwandsentschädigung für die vom Dienst freigestellten Personalratsmitglieder vom 18. Juli 1974 in Höhe von 50,-- DM zu Unrecht gezahlt worden sei. Ab November 1984 nahm die Beklagte Einbehaltungen vom Lohn des Klägers in Höhe von 900,-- DM vor. Nachdem auf die daraufhin vom Kläger erhobene Klage das Arbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung des einbehaltenen Lohns und zur künftigen Zahlung der monatlichen Aufwandsentschädigung verurteilt hatte, zahlte die Beklagte den einbehaltenen Betrag wieder aus. Der Kläger hat daraufhin in der Berufungsinstanz die Klage insoweit zurückgenommen und seine Zahlungsanträge den veränderten Umständen angepaßt, indem er nunmehr die Zahlung der fällig gewordenen Aufwandsentschädigung für die Monate September 1984 bis Mai 1985 verlangt.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
1. an den Kläger 450,-- DM netto nebst 4 % Zinsen
seit dem 1. Juni 1985 zu zahlen,
2. dem Kläger ab Juni 1985 fortlaufend je
50,-- DM Aufwandsentschädigung zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision wird die Abweisung der Klage begehrt. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat rechtlich zutreffend die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für den vom Kläger begehrten Anspruch auf Aufwandsentschädigung im Urteilsverfahren gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 a und Abs. 5 ArbGG bejaht.
Da die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen des Vertrauensmannes der Schwerbehinderten im Schwerbehindertengesetz nicht geregelt ist und es sich auch nicht um eine betriebsverfassungs- bzw. personalvertretungsrechtliche Angelegenheit handelt, ergibt sich die Zuständigkeit jeweils aus der Natur des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses (vgl. Wilrodt/Neumann, SchwbG, 6. Aufl., § 23 Rz 25; Jung/Cramer, SchwbG, 2. Aufl., § 23 Rz 23; vgl. auch BAG Beschluß vom 16. August 1977 - 1 ABR 49/76 - AP Nr. 1 zu § 23 SchwbG). Der Kläger ist als Arbeiter bei der Beklagten beschäftigt. Es handelt sich also um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG), die im Urteilsverfahren zu entscheiden ist (§ 2 Abs. 5 ArbGG).
II. Entgegen der Auffassung der Revision ist die angefochtene Entscheidung aus den vom Landesarbeitsgericht dargelegten Gründen in der Sache selbst rechtsfehlerfrei.
1. Gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 i.Verb. mit § 24 Abs. 6 SchwbG gilt für die persönliche Rechtsstellung des Klägers als freigestellter Bezirksvertrauensmann der Schwerbehinderten die Vorschrift des § 23 SchwbG entsprechend. Nach § 23 Abs. 3 SchwbG besitzt der Vertrauensmann der Schwerbehinderten gegenüber dem Arbeitgeber die gleiche persönliche Rechtsstellung, insbesondere den gleichen Kündigungs-, Versetzungs- und Abordnungsschutz wie ein Mitglied des Betriebs-, Personal- oder Richterrates, d.h. die Vorschriften des Vierten Abschnitts des Bundespersonalvertretungsgesetzes über die Rechtsstellung der Personalratsmitglieder (§§ 46 ff. BPersVG) gelten entsprechend auch für den Vertrauensmann der Schwerbehinderten. Da gemäß § 46 Abs. 5 Satz 1 BPersVG das von seiner dienstlichen Tätigkeit ganz freigestellte Personalratsmitglied eine monatliche Aufwandsentschädigung erhält, deren Höhe durch die Verordnung der Bundesregierung vom 18. Juli 1974 auf monatlich 50,-- DM festgesetzt ist, folgt daraus, daß somit auch dem freigestellten Vertrauensmann der Schwerbehinderten die pauschale Aufwandsentschädigung zu gewähren ist.
2. Der Senat vermag der Rechtsauffassung der Revision, die Rechtsstellung des von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellten Vertrauensmanns der Schwerbehinderten sei in § 23 Abs. 4 und 5 SchwbG abschließend geregelt, so daß mangels einer Verweisung auf § 46 Abs. 5 Satz 2 BPersVG ein Anspruch auf die pauschale Aufwandsentschädigung nicht in Betracht komme, nicht zu folgen.
a) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß sich die persönliche Rechtsstellung des Vertrauensmanns der Schwerbehinderten gemäß § 23 Abs. 3 SchwbG nicht auf den Kündigungs-, Versetzungs- und Abordnungsschutz beschränkt, sondern wie sich aus dem Wort "insbesondere" ergibt, umfassend ist. Es handelt sich um eine Generalklausel, durch die der Vertrauensmann der Schwerbehinderten den dort genannten Personen gleichgestellt wird (BT-Drucks. 7/1515 S. 4; vgl. auch Wilrodt/Neumann, aa0, § 23 Rz 1; Gröninger, SchwbG 1984, § 23 Anm. 4).
b) Wie sich aus der Entstehungsgeschichte und dem inneren Zusammenhang des § 23 SchwbG ergibt, sollte durch die Absätze 4 und 5 die persönliche Rechtsstellung des von seiner Tätigkeit freigestellten Vertrauensmannes der Schwerbehinderten nicht abschließend geregelt werden.
In § 23 Abs. 4 Satz 1 SchwbG ist abweichend von den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes und des Bundespersonalvertretungsgesetzes eine starre, nach der Anzahl der Beschäftigten geregelte Freistellungsstaffel vermieden worden. Die Vorschrift erlaubt vielmehr bei der Freistellung die konkreten Bedürfnisse der Dienststelle bzw. des Betriebes zu berücksichtigen und ermöglicht eine teilweise bis völlige Freistellung (vgl. Wilrodt/Neumann, aa0, § 23 Rz 10; Jung/Cramer, aa0, § 23 Rz 10). Wie sich aus der Entstehungsgeschichte des Schwerbehindertengesetzes ergibt, war die Sonderregelung der Freistellung in § 23 Abs. 4 SchwbG auch zwingend geboten, da im Unterschied zum bisherigen § 13 Abs. 3 Satz 2 SchwBeschG 1961 das neue Gesetz die vorher auf das Gebiet des Kündigungs-, Versetzungs- und Abordnungsschutzes beschränkte Gleichstellung bewußt zu einer umfassenden Generalklausel in § 23 Abs. 3 SchwbG ausgeweitet hat (vgl. BT-Drucks. 7/6569 S. 33). Wäre diese Sonderregelung nicht getroffen worden, so müßte über die Gleichstellungsklausel des § 23 Abs. 3 SchwbG der in § 46 Abs. 4 BPersVG festgelegte Grenzwert von 300 (Schwerbehinderten) schematisch für die Freistellung angewendet werden.
Wie Wilrodt/Neumann, aa0, § 23 Rz 10, überzeugend unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 7/1515 S. 13) dargelegt haben, ist in der Diskussion eines Antrages der CDU/-CSU-Fraktion, bereits bei der Betreuung von 200 Schwerbehinderten eine völlige Freistellung zu regeln, der jetzigen gesetzlichen Formulierung wegen der Möglichkeit einer Einzelfallentscheidung der Vorzug gegeben worden. Für die Erfüllung der Aufgaben des Vertrauensmannes kann nämlich trotz gleicher Anzahl von Schwerbehinderten z.B. wegen der unterschiedlichen Weite des Betreuungsbereiches, der Arbeitsplatzanforderungen oder der unterschiedlichen Häufigkeit von höheren Graden der Behinderung in einer Dienststelle mehr Zeit als in einer anderen benötigt werden. Desgleichen wurde die Regelung über die Teilnahme des freigestellten Vertrauensmanns der Schwerbehinderten an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1 SchwbG auf Grund der Ausschußberatungen deshalb eingefügt, um die Generalklausel des § 23 Abs. 3 SchwbG auch in diesem Punkt zu verdeutlichen (vgl. BT-Drucks. 7/1515 S. 6 und 12). Aus den gleichen Erwägungen wurde schließlich auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion die Freistellung gemäß § 23 Abs. 5 SchwbG eingefügt, um durch die dem § 38 Abs. 4 BetrVG entsprechende Regelung auch diesen Anwendungsfall der Generalklausel des § 23 Abs. 3 SchwbG klarzustellen (BT-Drucks. 7/1515 S. 12, 13), weil sonst mangels einer gleichartigen Vorschrift im Bundespersonalvertretungsgesetz Zweifel hinsichtlich der Anwendbarkeit des im öffentlichen Dienst tätigen Vertrauensmannes hätten bestehen können.
Nach allem hat der Gesetzgeber durch § 23 Abs. 4, 5 SchwbG keine abschließende Sonderregelung für die Rechtsstellung des freigestellten Vertrauensmanns der Schwerbehinderten geschaffen, so daß gemäß der Generalklausel des § 23 Abs. 3 SchwbG die Rechtsstellung des Vertrauensmannes, den dort genannten Personen ansonsten gleichgestellt ist.
Die Rechtslage ist auch nicht durch das am 1. August 1986 in Kraft getretene erste Gesetz zur Änderung des Schwerbehindertengesetzes vom 24. Juli 1986 (BGBl. I, 1110) für die Zukunft geändert worden. Die dort vorgenommenen Änderungen des § 23 betreffen nur eine partielle Ausweitung der Gleichstellung auf den Stellvertreter des Vertrauensmannes.
3. Schließlich spricht auch der Sinn und Zweck einer monatlichen Aufwandsentschädigung für eine Gewährung an einen von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellten Vertrauensmann. Die in der Verordnung vom 18. Juli 1974 festgesetzte Entschädigung soll dem Personalratsmitglied die Aufwendungen ersetzen, die in typischer Weise infolge des Umfanges seiner Amtstätigkeit entstehen (vgl. Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl., § 46 Rz 69). Das gilt gleichermaßen für einen freigestellten Vertrauensmann; denn auch dieser verrichtet ein gleiches Maß an Beratungs- und Betreuungstätigkeit.
4. Besteht somit ein Anspruch des Klägers auf Zahlung der monatlichen Aufwandsentschädigung gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1, § 24 Abs. 6, § 23 Abs. 3 SchwbG i. Verb. m. § 46 Abs. 5 Satz 1 BPersVG und § 1 der Verordnung über die Höhe der Aufwandsentschädigung für vom Dienst freigestellte Personalvertretungsmitglieder vom 18. Juli 1974, so hat die Beklagte den fällig gewordenen Anspruch des Klägers für die Zeit von September 1984 bis Mai 1985 nebst Verzugszinsen und gemäß § 257 ZPO auch den ab Juni 1985 fällig werdenden Anspruch des Klägers - solange dieser als Bezirksvertrauensmann von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt ist - zu erfüllen.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Röhsler Dr. Jobs Schneider
Wendlandt Rose
Fundstellen
Haufe-Index 440887 |
BAGE 52, 335-339 (LT1-2) |
BAGE, 335 |
BB 1987, 542 |
DB 1986, 2682-2683 (LT1-2) |
NZA 1986, 667 |
NZA 1987, 277-278 (LT1-2) |
RdA 1986, 407 |
AP § 23 SchwbG (LT1-2), Nr 2 |
AR-Blattei, ES 1440 Nr 87 (LT1-2) |
AR-Blattei, Schwerbehinderte Entsch 87 (LT1-2) |
ArbuR 1986, 346-347 (T) |
EzA § 23 SchwbG, Nr 4 (LT1-2) |
PersR 1987, 39-40 (LT1-2) |
PersV 1991, 190 (K) |