Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsrechtlicher Status eines Theater-Fotografen
Orientierungssatz
1. Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters (Dienstvertrag) durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in welcher der zur Dienstleistung Verpflichtete jeweils steht. Danach ist Arbeitnehmer derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen hat.
2. Über die Einordnung des Rechtsverhältnisses (Dienstvertrag oder Arbeitsvertrag) entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine von ihnen gewählte Bezeichnung, die dem Geschäftsinhalt in Wahrheit nicht entspricht.
Normenkette
BGB § 611 Abs. 1; HGB § 84 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 16.07.1987; Aktenzeichen 13 Sa 472/87) |
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 18.02.1987; Aktenzeichen 6 Ca 6571/86) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht und in welchem Umfange die Beklagte den Kläger weiterbeschäftigen muß.
Der Kläger war über 16 Jahre für die beklagte Theatergemeinschaft als Fotograf tätig.
Zu seinen Aufgaben gehörten Aufnahmen einzelner Szenen bei den Proben, Porträtaufnahmen der mitwirkenden Künstler, Fotos von Bühnenbild- und Kostümentwürfen, Abbildung gestaltender Künstler und prominenter Besucher bei Premieren, Staatsempfängen, Jubiläen der Theatervorstände und sonstigen besonderen Anlässen, sowie Fotoserien bei Gastspielreisen.
Die Beklagte benötigte die Aufnahmen für Programmhefte, Presseveröffentlichungen, Aushänge in den Schaukästen und für das Archiv. Porträtaufnahmen waren auch Grundlage für Autogrammpostkarten. Die Fotos von Kostümentwürfen (sog. "Figurinen") dienten u.a. Maskenbildnern und Schneidern als Arbeitsunterlage.
Die Arbeiten führte der Kläger aufgrund von "Aufträgen" aus, die ihm meist von der Dramaturgie, gelegentlich aber auch von der Kostümabteilung erteilt wurden. Nach deren Ausführung erstellte der Kläger als "Theater- und Pressefotograf" regelmäßig eine "Rechnung". Sein Betrieb wird darin als "Fotostudio" bezeichnet.
Rechnungsposten waren meist Stückpreise für Fotoaufnahmen und Vergrößerungen. Daneben wurden Zeit- und Fahrtkosten für Aufnahmen im D Theater - alle zuzüglich Mehrwertsteuer - berechnet. Dagegen hat er Aufwendungen für Material oder Anschaffungen von Arbeitsgeräten nicht in Rechnung gestellt.
Mit Schreiben vom 11. November 1986 teilte die Beklagte dem Kläger u. a. folgendes mit:
"Wie bereits zwischen uns besprochen, möchten wir auch
weiterhin auf Ihre fotografischen Tätigkeiten zurück-
greifen.
Die Art der Auftragsvergabe und die übrigen Rahmenbedin-
gungen werden sich jedoch dahingehend ändern, daß wir im
Einzelfall inszenierungsbezogen entscheiden werden. Damit
ist auch die Aufhebung der in der Vergangenheit getroffenen
Vereinbarungen verbunden."
Daraufhin fanden Vertragsverhandlungen statt, die nicht zu einer Einigung führten. Der Kläger wendet sich gegen die Beendigung seines Vertragsverhältnisses, das er als Arbeitsverhältnis ansieht.
Der Kläger hat behauptet, er habe die Hälfte seiner Arbeitszeit für die Beklagte in deren Räumlichkeiten verbracht, während er die andere Hälfte der Zeit in seinem eigenen Fotostudio - insbesondere mit Laborarbeiten - beschäftigt gewesen sei.
Die Beklagte habe ihm zwar die künstlerische Gestaltung des szenischen Bereichs nicht vorgeschrieben, jedoch habe sie ihrem Bühnenbildner recht genaue Anweisungen erteilt, die naturgemäß auch für den Kläger bindend gewesen seien. Bei Aufnahmen von "Figurinen" habe er mit den Arbeitnehmern der Beklagten zusammenarbeiten müssen. Auf den "Ausstattungsbereich" entfalle 1/3 seiner Arbeitszeit.
Er habe für die Beklagte jederzeit zur Verfügung stehen müssen, wenn es darum gegangen sei, Probenfotos zu erstellen, Künstlerporträts anzufertigen oder eine Gastspielreise im Bild festzuhalten. Wegen der ständigen Dienstbereitschaft habe er seine ganze Arbeitskraft für die Beklagte eingesetzt und seit 1969 - unter Aufgabe der früheren Kunden - nur noch von den Arbeiten gelebt, die er im Auftrage der Beklagten durchgeführt habe.
Der Kläger ist der Auffassung, er sei weisungsgebunden sowie von der Beklagten persönlich abhängig und daher Arbeitnehmer der Beklagten.
Er hat beantragt,
1. festzustellen, daß zwischen den Parteien ein
Arbeitsverhältnis besteht;
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger weiter
vertragsgemäß als Fotograf zu beschäftigen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Kläger sei nicht ihr Arbeitnehmer gewesen, denn er habe keine bestimmte Arbeitszeit einhalten müssen. Er sei nur im Rahmen einzelner Aufträge zeitweise anwesend gewesen. Er habe einzelne Aufträge ohne Nachteil für ihn ablehnen können.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. 1. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, zwischen den Parteien sei ein privatrechtliches Dienstverhältnis begründet worden. Ein privatrechtliches Dienstverhältnis kann ein Arbeitsverhältnis oder das Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters sein.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats unterscheidet sich ein Arbeitsverhältnis von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters (Dienstvertrag) durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in welcher der zur Dienstleistung Verpflichtete jeweils steht. Danach ist Arbeitnehmer derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen hat. Insoweit enthält § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB ein typisches Abgrenzungsmerkmal. Nach dieser Bestimmung ist selbständig, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbständig und daher persönlich abhängig ist der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Allerdings gilt die genannte Regelung unmittelbar nur für die Abgrenzung des selbständigen Handelsvertreters zum abhängig beschäftigten kaufmännischen Angestellten. Über diesen unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus enthält die Bestimmung jedoch eine allgemeine gesetzgeberische Wertung, die bei der Abgrenzung des Dienstvertrags vom Arbeitsvertrag zu beachten ist, zumal da sie die einzige Norm darstellt, die Kriterien hierfür aufzählt (vgl. BAGE 36, 77, 84 = AP Nr. 38 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 3 b der Gründe; sowie aus neuester Zeit BAGE 41, 247, 253 f. = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 1 der Gründe). Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation wird insbesondere dadurch deutlich, daß ein Arbeitnehmer hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Ausführung der versprochenen Dienste einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Häufig tritt auch eine fachliche Weisungsgebundenheit hinzu, sie ist andererseits für Dienste höherer Art - auch künstlerische Tätigkeit gehört dazu - nicht immer typisch (vgl. BAGE 41, 247, 253 f. = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 1 der Gründe, m.w.N.).
2. Über die danach vorzunehmende Einordnung des Rechtsverhältnisses (Dienstvertrag oder Arbeitsvertrag) entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge (z.B. Dienstvertrag ohne Kündigungsschutz) oder eine von ihnen gewählte Bezeichnung, die dem Geschäftsinhalt in Wahrheit nicht entspricht. Der jeweilige Vertragstyp kann nur aus dem wirklichen Geschäftsinhalt erkannt werden. Dieser Geschäftsinhalt kann sich aus den getroffenen Vereinbarungen wie auch aus der praktischen Durchführung des Vertrags ergeben. Widersprechen Vereinbarungen und tatsächliche Durchführung des Vertrags einander, ist die letztere maßgebend. Aus der praktischen Handhabung lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, von welchen Rechten und Pflichten die Parteien ausgegangen sind (vgl. statt vieler BAGE 41, 247, 258 f. = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 3 der Gründe, m.w.N.).
3. Das Landesarbeitsgericht hat sich bei der rechtlichen Bewertung des von ihm festgestellten Sachverhalts an diese Grundsätze gehalten. Das von ihm gefundene Subsumtionsergebnis ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. An die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Senat gebunden, weil die Revision diese nicht mit Verfahrensrügen nach § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO angegriffen hat (§ 561 Abs. 2 ZPO).
II. 1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger sei Unternehmer und nicht Arbeitnehmer der Beklagten, denn er habe auf eigenes Risiko und eigene Kosten unter Einsatz seiner Materialien einen Werkerfolg erbracht, über den er der Beklagten jeweils Rechnungen mit einem Stückpreis erstellt habe. Er sei nicht deshalb Arbeitnehmer der Beklagten, weil er naturgemäß seine Tätigkeit bei Anwesenheit der Schauspieler im Theater ausüben müsse. Er habe keine anderen Weisungen erhalten als ein selbständig tätiger Fotograf.
2. Die Revision macht demgegenüber geltend, zwar sei ein selbständig Gewerbetreibender an zeitliche Vorgaben seines Auftraggebers gebunden. Das Landesarbeitsgericht habe aber nicht berücksichtigt, daß der Kläger sich jederzeit auf Weisung der Dramaturgie habe bereithalten müssen. Der Kläger habe seine Tätigkeit zur vorbestimmten Zeit nicht nur im Haus der Beklagten ausgeübt, sondern er habe mit den technischen Mitarbeitern zusammengearbeitet und sei in den Arbeitsablauf eingeordnet gewesen.
3. Diese zusammenfassenden Wertungen des Klägers ändern an den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nichts, aus denen das Berufungsgericht zutreffend entnimmt, daß zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis bestanden hat.
a) Der Kläger war - im Gegensatz zu einem Arbeitnehmer - nicht an eine regelmäßige Arbeitszeit gebunden. Er konnte selbst entscheiden, wann er die Laborarbeiten ausführte, die etwa die Hälfte seines gesamten Zeitaufwandes umfaßten. Zwar mußte er sich im übrigen danach richten, wann die zu fotografierenden Künstler und prominenten Besucher anwesend waren oder wann Aufnahmen von bestimmten Szenen zeitlich möglich waren. Insoweit unterscheidet sich seine Tätigkeit aber in keiner Weise von einem freischaffenden Fotografen, der zwangsläufig in seiner Zeiteinteilung davon abhängig ist, wann das zu fotografierende Objekt zur Verfügung steht. Das hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt. Darin liegt keine ständige Dienstbereitschaft, wie der Kläger geltend machen will, sondern eine zeitliche Vorgabe, die vom Spielplan, vom Zeitpunkt der Proben und der Bereitstellung technischer Hilfsmittel abhängt und nicht für ein Arbeitsverhältnis typisch ist. Die Dauer seines Zeitaufwandes wurde maßgeblich durch die Anzahl der bestellten Bilder und deren Format bestimmt. Die Beklagte hat ihm hierfür keinen bestimmten Zeitraum vorgeschrieben.
b) Ebensowenig war der Kläger an so enge Weisungen gebunden wie ein Arbeitnehmer. Nach seinem eigenen Vorbringen hat man ihm die künstlerische Gestaltung des szenischen Bereichs selbst überlassen. Allerdings behauptet er, daß die dem Bühnenbildner erteilten Anweisungen zwangsläufig auch für ihn maßgebend gewesen seien. Dabei übersieht er aber, daß dem Bühnenbildner - und nicht ihm - künstlerische Weisungen erteilt worden sind und er folglich nichts anderes fotografieren konnte, als der Bühnenbildner geschaffen hat. Soweit dem Kläger vorgegeben worden ist, welche Objekte er aufnehmen sollte, handelt es sich nur um die Abgrenzung des Vertragsgegenstandes (BAGE 39, 329, 335 = AP Nr. 32 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten, zu II 3 der Gründe). Eine persönliche Abhängigkeit folgt auch nicht daraus, daß er seine Tätigkeit nur in den Räumlichkeiten des Vertragspartners erbringen konnte (BAG Urteil vom 9. Mai 1984 - 5 AZR 195/82 - AP Nr. 45 zu § 611 BGB Abhängigkeit, unter 3 c der Gründe, m.w.N.). Der Kläger kann sowohl als freier Mitarbeiter wie auch als Arbeitnehmer seine Aufnahmen nur in den Gebäuden der Beklagten machen. Das ergibt sich nicht aus Anweisungen der Beklagten, sondern allein schon aus der Art der zu fotografierenden Objekte und aus dem Ablauf des Schauspielbetriebes.
Die Zusammenarbeit des Klägers mit technischen Mitarbeitern der Beklagten reicht in diesem Zusammenhang nicht aus, um eine Arbeitnehmereigenschaft des Klägers zu begründen. Der Kläger wirkt mit ihnen nicht zusammen, um eine gemeinsame künstlerische Zielsetzung zu verwirklichen, sondern er führt eigenschöpferisch eine künstlerische Aufgabe aus, die das Bühnengeschehen nur wiedergibt, ohne es zu beeinflussen. Über die Abwicklung einzelner Aufträge hinaus hat die Beklagte nicht über Arbeitszeit und Arbeitskraft des Klägers verfügt.
c) Gegen ein Arbeitsverhältnis spricht auch, daß der Kläger auf eigenes Risiko der Beklagten einen Werkerfolg schuldete, denn er hat hierfür das Unternehmerrisiko sowie die Kosten der Arbeitsausführung zu tragen (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 6. Aufl., § 36 I 4 g, S. 155). Die Beklagte hat dem Kläger unstreitig die Materialkosten nicht ersetzt. Wenn die Beklagte mit den von ihm hergestellten Aufnahmen im Einzelfall nicht zufrieden gewesen wäre, hätte er sie auf eigene Kosten wiederholen müssen, wie er selbst vorgetragen hat. Andererseits war ihm die künstlerische Gestaltung selbst überlassen. Dem schöpferisch tätigen Kläger verblieb unter diesen Umständen ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit, wie sie für ein Arbeitsverhältnis gerade nicht typisch ist.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Ehrenamtlicher Richter
Fischer ist durch Urlaub
an der Unterschrift ver-
hindert
Dr. Thomas Arntzen
Fundstellen