Entscheidungsstichwort (Thema)
Heilpraktikeraufwendungen. Beihilfeanspruch
Leitsatz (redaktionell)
Vgl. zur Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Leistungen eines Heilpraktikers nach der Hessischen Beihilfeverordnung: Urteil des Senats vom 1. August 1991 (– 6 AZR 541/88 – AP Nr. 4 zu § 40 BAT)
Normenkette
BAT § 40; SGB V § 15; TVG § 4 Abs. 5
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 12.03.1992; Aktenzeichen 6 Sa 336/91) |
ArbG Kempten (Urteil vom 22.01.1991; Aktenzeichen 4 Ca 1791/90) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 12. März 1992 – 6 Sa 336/91 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kempten (Allgäu) vom 22. Januar 1991 – 4 Ca 1791/90 – abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger zustehenden Beihilfe für heilpraktische Aufwendungen.
Der Kläger ist seit Juli 1988 bei der Beklagten als Angestellter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) sowie die diesen ergänzenden Tarifverträge Anwendung. Der Kläger ist in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Der Kläger leidet an multipler Sklerose. Er nimmt zur Behandlung dieser Krankheit sowohl ärztliche Versorgung als auch die Dienste einer Heilpraktikerin in Anspruch.
Mit Anträgen vom 5. Juni 1989 und vom 10. Juni 1990 hat der Kläger von der Beklagten Beihilfe zu den Aufwendungen für die Leistungen der Heilpraktikerin in Höhe von 623,00 DM und 607,00 DM, insgesamt also 1.230,00 DM, begehrt. Die Beklagte hat den Anträgen in Höhe von insgesamt 265,00 DM entsprochen. Dabei hat sie den erstgenannten Betrag in Höhe von 455,00 DM und den zweiten Betrag voll als beihilfefähig anerkannt, die anerkannten Beträge jedoch um 50 vom Hundert gekürzt, was dazu führte, daß auf den ersten Betrag 113,00 DM und auf den zweiten Betrag 152,00 DM als an den Kläger auszuzahlende Beihilfe festgesetzt wurden.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die von der Beklagten vorgenommene Beschränkung der Beihilfe setze voraus, daß der Beihilfeberechtigte eine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse nicht in Anspruch genommen habe. Dieser Fall liege hier jedoch nicht vor, weil die gesetzliche Krankenversicherung die heilpraktische Behandlung als Leistung für Pflichtversicherte nicht vorsehe.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 965,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 1. Juli 1990 zu bezahlen,
festzustellen, daß eine 50 %ige fiktive Kürzung der Beihilfeleistungen zu den Aufwendungen für Heilpraktiker durch die Beklagte nicht zulässig ist, sondern die Beklagte ihm solche Aufwendungen zu 100 % zu erstatten hat.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, der Kläger sei als Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 3 Abs. 1 BhTV auf die Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung angewiesen, zu denen die Behandlung durch Heilpraktiker grundsätzlich nicht gehöre. Erst durch das Rundschreiben des BMI vom 24. Februar 1986 (– D III 1-220 220-2 c/12.4 –) seien Beihilfen zu den Aufwendungen für die Behandlung durch einen Heilpraktiker in dem dort genannten Umfang begründet worden. Danach seien aber die Aufwendungen des Klägers teilweise nicht in voller Höhe beihilfefähig und, soweit sie im Rahmen des § 5 Abs. 1 BhV zu berücksichtigen seien, gem. § 5 Abs. 3 BhV um 50 % zu kürzen. Auf diesen Betrag sei gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 BhV der Bemessungssatz von 50 % anzuwenden. Die so errechnete Beihilfe belaufe sich auf die dem Kläger gezahlten 265,00 DM.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 266,00 DM zu zahlen, und festgestellt, daß die weitere 50 %ige fiktive Kürzung der Beihilfeleistungen gem. § 5 Abs. 3 Satz 3 BhV nicht zulässig sei, sondern die Beklagte dem Kläger solche Aufwendungen in Höhe von 50 % des beihilfefähigen Betrages zu erstatten habe. Im übrigen hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage als unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Anspruch des Klägers ergebe sich aus § 40 BAT in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV. Danach seien die Aufwendungen für Leistungen eines Heilpraktikers beihilfefähig. Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 BhV betrage der Bemessungssatz 50 vom Hundert und unterliege keiner weiteren Kürzung. Die Beihilfefähigkeit sei nicht nach § 3 Abs. 1 BhTV ausgeschlossen. Dieser Tarifvertrag sei im Zeitpunkt der Begründung des Arbeitsverhältnisses gekündigt gewesen und später nicht neu vereinbart worden. Aus § 5 Abs. 3 Satz 2 BhV könne eine Kürzung der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen nicht hergeleitet werden. Zwar stehe dem Kläger gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung im Krankheitsfall ein Anspruch auf Leistungen zu. Dazu gehörten aber nicht die Leistungen von Heilpraktikern, so daß ein solcher Anspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung nicht bestanden habe.
Diesen Ausführungen vermag der Senat aus Rechtsgründen nicht zu folgen.
II. Der Kläger hat gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV keinen Anspruch auf Beihilfe zu den Aufwendungen, die durch die Inanspruchnahme der Heilpraktikerin entstanden sind. Diese Bestimmung, nach der aus Anlaß einer Krankheit auch die Aufwendungen für Leistungen eines Heilpraktikers beihilfefähig sind, findet auf das Arbeitsverhältnis des Klägers keine Anwendung.
1. Kraft einzelvertraglicher Bezugnahme gilt für das Arbeitsverhältnis der Parteien § 40 BAT. Nach dieser Tarifnorm werden für die Gewährung von Beihilfen im Krankheitsfall die bei dem Arbeitgeber jeweils geltenden Bestimmungen angewendet. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind dies im vorliegenden Fall nicht die Beihilfevorschriften der Beamten. § 40 BAT bezieht sich als reine Verweisungsnorm nur auf bereits vorhandene Beihilferegelungen des tarifgebundenen Arbeitgebers, ergreift dagegen nicht gleichzeitig auch die beamtenrechtlichen Grundvorschriften, aus denen das Beihilfenrecht als Konkretisierung der Fürsorgepflicht des öffentlich-rechtlichen Dienstherrn gegenüber seinen Beamten abgeleitet wird (BAG Urteil vom 18. Januar 1983 – 3 AZR 520/80 – AP Nr. 2 zu § 40 BAT). Die BhV sind vielmehr nur insoweit auf das Arbeitsverhältnis des Klägers anwendbar, wie der BhTV dies bestimmt. Auch dieser Tarifvertrag ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden.
Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der BhTV, nachdem er am 30. September 1970 gekündigt wurde (vgl. Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Stand Juni 1993, § 40 Anh. Nr. 1 § 5 Rz 4), nicht kraft Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG) auf das erst im Juli 1988 begründete Arbeitsverhältnis anzuwenden ist. Dennoch ist er als eine bei der Beklagten geltende Bestimmung i.S. des § 40 BAT anzusehen. Unstreitig gewährt die Beklagte an Angestellte Beihilfen im Krankheitsfall unabhängig davon, ob das Arbeitsverhältnis vor oder nach Ablauf des BhTV begründet wurde.
Daraus folgt, daß bei der Beklagten die Bestimmungen des BhTV auch auf Arbeitsverhältnisse tatsächlich angewendet werden, für die dieser Tarifvertrag nicht kraft Nachwirkung gilt. Damit ist der BhTV auch für diese Arbeitsverhältnisse eine bei der Beklagten „geltende Bestimmung” i.S. des § 40 BAT. Für diesen Begriff ist nicht die Rechtsqualität der Vorschrift, auf die verwiesen wird, entscheidend, sondern allein ihre rechtliche Geltung, die auch durch eine tatsächliche Anwendung begründet werden kann, die, wie hier, über den Gleichbehandlungsgrundsatz im Außenverhältnis Ansprüche entstehen läßt (vgl. Urteil des Senats vom 5. November 1992 – 6 AZR 311/91 – BB 1993, 863, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).
Dahingestellt bleiben kann somit, ob dem Landesarbeitsgericht darin zu folgen wäre, die Bezugnahme in § 2 des Arbeitsvertrags erfasse nicht den durch Kündigung außer Kraft getretenen BhTV.
2. Nach § 1 BhTV erhalten Angestellte in Krankheitsfällen Beihilfe in sinngemäßer Anwendung der Beihilfevorschriften (BhV), soweit sie für Beamte vorgesehen sind und im folgenden nicht Abweichungen bestimmt sind. Abweichend bestimmt § 3 BhTV aber, daß Pflichtversicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung ausschließlich auf die ihnen zustehenden Sachleistungen angewiesen sind (Abs. 1 Satz 1); Aufwendungen, die dadurch entstanden sind, daß der Pflichtversicherte die Leistung nicht in Anspruch nimmt, sind nicht beihilfefähig (Abs. 1 Satz 2). Die Sachleistungen, die dem Kläger als Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung zustehen, ergeben sich aus § 15 SGB V. Danach sind für in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Angestellte als Sachleistungen in Krankheitsfällen u.a. eine ärztliche Behandlung im Rahmen der für die Kasse verbindlichen Arztverträge und die Versorgung mit ärztlich verordneten Arzneimitteln vorgesehen (vgl. Höfler im „Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht”. Stand Januar 1993, § 15 SGB V Rz 5). Daraus folgt, daß die Behandlung durch Heilpraktiker nicht zu den Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehört (BAG Urteil vom 1. August 1991 – 6 AZR 541/88 – AP Nr. 4 zu § 40 BAT), weil dem Pflichtversicherten im Krankheitsfall ein Anspruch auf ärztliche Behandlung zusteht. Die von der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährenden Leistungen sollen damit voll ausgeschöpft werden. Lediglich in den Fällen, in denen die gesetzliche Krankenversicherung Leistungen ablehnt oder nur einen Zuschuß leistet, sind die geltend gemachten Aufwendungen beihilfefähig (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BAG Urteil vom 1. August 1991, a.a.O., m.w.N.).
Aus den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ergibt sich nicht, daß die gesetzliche Krankenversicherung eine Heilbehandlung des Klägers abgelehnt oder nur einen Zuschuß geleistet hat. Damit sind die geltend gemachten Aufwendungen des Klägers für die heilpraktische Behandlung nicht beihilfefähig.
III. Der Kläger kann den Beihilfeanspruch auch nicht auf das Rundschreiben des BMI vom 24. Februar 1986 (GMBl. 1986, 158) stützen, in dem es wie folgt heißt:
„Aufwendungen für die Inanspruchnahme eines Heilpraktikers
Unbeschadet der Regelung in § 3 Abs. 1 der Beihilfetarifverträge vom 15. Juni 1959 …, nach der in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversicherte Arbeitnehmer auf die ihnen zustehenden Sachleistungen angewiesen und Aufwendungen nicht beihilfefähig sind, die dadurch entstanden sind, daß der Pflichtversicherte diese Leistung nicht in Anspruch nimmt, bin ich damit einverstanden, daß zu Aufwendungen, die einem in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversicherten Arbeitnehmer einschließlich seiner berücksichtigungsfähigen Angehörigen für die Behandlung durch einen Heilpraktiker entstehen, in folgendem Umfang Beihilfen gewährt werden:
Die Aufwendungen werden im Rahmen des § 5 Abs. 1 Satz 3 BhV als beihilfefähig anerkannt. Die hiernach beihilfefähigen Aufwendungen sind gem. § 5 Abs. 3 Satz 2 BhV in der in § 5 Abs. 3 Satz 3 BhV vorgesehenen Höhe zu mindern …”
1. Dieses Rundschreiben findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Auch bei ihm handelt es sich um eine bei der Beklagten als Arbeitgeber „geltende Bestimmung” i.S. des § 40 BAT (vgl. oben II 1). In diesem Rundschreiben werden in Abweichung von § 3 Abs. 1 BhTV die einem Pflichtversicherten für die Behandlung durch einen Heilpraktiker entstehenden Aufwendungen im Rahmen des § 5 Abs. 1 Satz 3 BhV als beihilfefähig anerkannt. Die hiermit beihilfefähigen Aufwendungen sind jedoch gem. § 5 Abs. 3 Satz 2 BhV in der in § 5 Abs. 3 Satz 3 BhV vorgesehenen Höhe zu mindern. Die Beihilfeleistung, die dem Kläger danach zusteht, entspricht dem Betrag von 265,00 DM, den der Kläger unstreitig erhalten hat.
2. Soweit das Landesarbeitsgericht zur Bestätigung seiner Auffassung auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. September 1989 (– 2 C 31.88 – ZBR 1990, 182) verweist, beruht dies auf dem unrichtigen rechtlichen Ausgangspunkt des Berufungsurteils. Das Bundesverwaltungsgericht hat zu der Frage entschieden, ob die Beihilfefähigkeit von Heilpraktikeraufwendungen, die einem Ruhestandsbeamten entstehen, der zugleich als Rentner in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert ist, durch § 5 Abs. 3 Satz 1 und 2 BhV eingeschränkt wird. Es kommt zu dem Ergebnis, daß dies nur der Fall sei, wenn dem Beihilfeberechtigten für diese Aufwendungen dem Grunde nach ein Anspruch auf Heilfürsorge, Krankenhilfe oder Kostenerstattung auf Grund von Rechtsvorschriften oder arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zusteht, weil andernfalls allein das Bestehen einer die Heilpraktikerbehandlung nicht umfassenden Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung zu einer Beihilfekürzung bei Beamten führen würde, und zwar für Krankheitsaufwendungen, die in den Beihilfevorschriften (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BhV) für grundsätzlich beihilfefähig erklärt sind. Es kann dahinstehen, ob diese Grundsätze auf einen Arbeitnehmer anzuwenden wären, dessen Beihilfeanspruch sich vereinbarungsgemäß allein nach den beamtenrechtlichen Bestimmungen richtet und für den daher die Einschränkungen nicht gelten, die im BhTV für in der gesetzlichen Krankenversicherung Pflichtversicherte geregelt sind. Für den Kläger gilt jedenfalls § 6 Abs. 1 BhV nicht, weil er, wie dargelegt, nach § 3 Abs. 1 BhTV auf die Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung angewiesen ist. Für die entsprechende Anwendung der Grundsätze der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist daher im Fall des Klägers kein Raum.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Kapitza, Schwarck
Fundstellen