Leitsatz (redaktionell)
1. Zum Alterssicherungsbetrag im Sinne von § 6 des Manteltarifvertrags der Metallindustrie für die Regierungsbezirke Nordwürttemberg und Nordbaden des Landes Baden-Württemberg (Verdienstsicherung für ältere Arbeitnehmer) gehören auch betrieblich vereinbarte freiwillige übertarifliche Zulagen.
2. Tarifliche Regelungen über die Verdienstsicherung älterer Arbeitnehmer wollen in der Regel die Arbeitnehmer vor altersbedingten Verdiensteinbußen schützen.
3. Durch die tarifliche Regelung wird die Rechtsnatur übertariflicher Zulagen nicht geändert. Der Arbeitgeber kann im Rahmen der allgemein anerkannten arbeitsrechtlichen Grundsätze diese Zulagen kürzen.
4. Dasselbe gilt für eine Betriebsvereinbarung, durch die eine übertarifliche "Ausgleichszulage" allgemein für alle Arbeitnehmer des Betriebs gekürzt wird. Diese Kürzung müssen auch ältere Arbeitnehmer mit Verdienstsicherung hinnehmen.
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe einer tariflichen Alterssicherung. Der Kläger will eine nach Eintritt der Verdienstsicherung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbarte Absenkung einer übertariflichen Ausgleichszulage von 272,00 DM auf 92,00 DM monatlich nicht hinnehmen.
Der im Jahre 1939 geborene Kläger ist seit 1964 bei der Beklagten als Zimmermann im Zeitlohn beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist kraft beiderseitiger Tarifbindung der seit dem 1. April 1990 gültige Manteltarifvertrag der Metallindustrie für die Regierungsbezirke Nordwürttemberg und Nordbaden des Landes Baden-Württemberg (MTV) anzuwenden. Dieser Tarifvertrag enthält in § 6 Bestimmungen über die Alterssicherung. Nach § 6.1 MTV bezieht sich die tarifliche Verdienstsicherung "auf den Effektivlohn". Ist nach Beginn der Verdienstsicherung der laufende Verdienst niedriger als der Alterssicherungsbetrag, hat der Arbeitgeber einen Ausgleich bis zur Höhe des Alterssicherungsbetrages zu bezahlen (§ 6.1.3 MTV). Die Verdienstsicherung beginnt mit Vollendung des 54. Lebensjahres (§ 6.2 MTV). Weiter enthält der MTV Bestimmungen über die Zusammensetzung und Errechnung des Alterssicherungsbetrages. Zum Alterssicherungsbetrag gehören die tariflichen Ansprüche, tarifliche Leistungszulagen, übertarifliche Zulagen und die durchschnittlichen in den letzten 12 Kalendermonaten vor Beginn der Verdienstsicherung erzielten Zuschläge. In einem besonderen Abschnitt sind die Folgen einer Änderung der individuellen Arbeitszeit und der Kurzarbeit geregelt.
Über Änderungen nach Beginn der Alterssicherung bestimmen die §§ 6.10 und 6.11 MTV:
"6.10 Fortschreibung des Alterssicherungsbetrags
Tarifbedingte Erhöhungen des Lohnes/Gehaltes nach Beginn der Verdienstsicherung erhöhen den Alterssicherungsbetrag.
...
Leistungsbedingte Änderungen der tariflichen Leistungszulage und der leistungsabhängigen variablen Bestandteile des Monatslohnes erhöhen den Alterssicherungsbetrag nicht.
Bei allgemeinen betrieblichen Lohn-/Gehaltserhöhungen (für den ganzen Betrieb, bestimmte Betriebsabteilungen oder Beschäftigungsgruppen) werden Beschäftigte mit Anspruch auf Verdienstsicherung - soweit sie dem betroffenen Personenkreis angehören gleich behandelt. Solche Lohn-/Gehaltserhöhungen steigern den Alterssicherungsbetrag nicht.
6.11 Übertarifliche Lohn- und Gehaltsbestandteile
Werden im Betrieb tarifliche Lohn-/Gehaltserhöhungen voll oder teilweise auf den Effektivlohn/das Effektivgehalt gegeben (errechnet auf der Basis des Effektivverdienstes), so erhöht sich dadurch der Alterssicherungsbetrag.
Werden übertarifliche Lohn-/Gehaltsbestandteile zulässigerweise auf tarifbedingte Erhöhungen des Lohnes/Gehaltes angerechnet, so kann eine solche Anrechnung bei den Beschäftigten mit Anspruch auf Verdienstsicherung nur im Einvernehmen mit dem Betriebsrat erfolgen. Eine solche Anrechnung wirkt sich auch auf den Alterssicherungsbetrag aus."
Zu Beginn der Verdienstsicherung im Juni 1993 (Vollendung des 54. Lebensjahres) teilte der Arbeitgeber dem Kläger mit, daß der Alterssicherungsbetrag eine Ausgleichszulage in Höhe von 272,00 DM umfasse. Das waren seinerzeit 9 % des Monatsgrundlohnes. 1994 vereinbarten Arbeitgeber und Betriebsrat für diese Ausgleichszulage:
"Die Ausgleichszulage wird ab 01.10.94 von 9 % um 6 %-Punkte reduziert auf 3 %.
...
Es herrscht Einvernehmen darüber, daß trotz dieser Vereinbarung die Ausgleichszulage den Charakter einer freiwilligen sozialen Leistung behält und demzufolge jederzeit einseitig gestrichen werden kann, wenn es die betriebliche Situation erfordert.
..."
Ab Oktober 1994 zahlte die Beklagte dem Kläger nur noch monatlich 92,00 DM als Ausgleichszulage; das waren 3 % seines monatlichen Grundgehaltes.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Betriebsvereinbarung über die Herabsetzung der Ausgleichszulage habe seine tariflichen Ansprüche nicht beeinträchtigen können. § 6 MTV verbiete jede Kürzung der einmal gesicherten Vergütung, und zwar unabhängig von den Änderungsgründen. Mit der Klage hat der Kläger die Differenz zwischen der gezahlten und der nach seiner Ansicht geschuldeten Verdienstsicherung gefordert. Er hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Monate Oktober 1994 bis einschließlich Juni 1995 1.540,00 DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der MTV habe nicht die Möglichkeit beseitigt, eine freiwillige, jederzeit widerrufliche Ausgleichszulage allgemein zu kürzen. Im vorliegenden Fall habe die Kürzung dazu gedient, den Standort Kirchheim zu erhalten. Alle dort tätigen Arbeitnehmer hätten für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes Opfer bringen müssen.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Beklagte schuldet dem Kläger keine höhere Vergütung. Der Kläger muß die allgemeine Kürzung der Ausgleichszulage nach § 6 MTV hinnehmen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat - vor allem gestützt auf den Wortlaut des § 6 MTV - angenommen, die übertarifliche Zulage ("Ausgleichszulage") gehöre zum Verdienst, der gesichert werde. Entscheidend komme es auf die Höhe des Verdienstes bei Beginn der Alterssicherung an. Der zu Beginn errechnete Betrag müsse fortlaufend weitergezahlt werden. Die Betriebsvereinbarung von 1994 habe die tariflichen Ansprüche des Klägers nicht wirksam beseitigen können.
II. Der Senat kann dieser Auslegung des Manteltarifvertrages nicht folgen. Er stellt maßgeblich auf den Sinn und Zweck der tariflichen Regelung ab.
1. Der Senat folgt dem Landesarbeitsgericht im Ausgangspunkt. Die tarifliche Verdienstsicherung bezieht sich auch auf die betrieblich vereinbarte "Ausgleichszulage". Das ergibt sich aus den §§ 6.1 bis 6.5 MTV.
2. Damit ist noch nicht entschieden, wie sich die spätere Änderung des Lohnbestandteils auf die Höhe des jeweils geschuldeten Alterssicherungsbetrages auswirkt. Dazu hat das Landesarbeitsgericht angenommen, geschuldet werde die übertarifliche Zulage in der Höhe, wie sie zu Beginn der Verdienstsicherung bestanden hat.
Eine so weitreichende Rechtsfolge kann der Senat dem Tarifvertrag nicht entnehmen.
a) Die nach Beginn der Verdienstsicherung möglichen Änderungen einzelner Lohnbestandteile werden in den §§ 6.10 und 6.11 MTV geregelt. Nach § 6.11 können übertarifliche Lohn-/Gehaltsbestandteile auf tarifbedingte Erhöhungen des Lohnes auch zum Nachteil der älteren Arbeitnehmer angerechnet werden. Die Vorschrift geht davon aus, daß die arbeitsvertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten auch nach Beginn der Verdienstsicherung fortbestehen.
b) Die in § 6.11 Abs. 2 vereinbarten Rechtsfolgen bei Kürzung übertariflicher Lohn- und Gehaltsbestandteile müssen auch auf den vorliegenden Fall der Kürzung einer durch Betriebsvereinbarung eingeführten allgemeinen Ausgleichszulage angewendet werden. Auch dieser Lohnbestandteil ist ein übertariflicher Lohnbestandteil. Für diese Auslegung sprechen vor allem der Zweck der tariflichen Regelung. Er wird in der Überschrift der Bestimmung schlagwortartig umschrieben. Die Überschrift gehört zum Tarifwortlaut und ist bei der Auslegung zu berücksichtigen (BAG Urteil vom 16. Mai 1995 - 3 AZR 627/94 - AP Nr. 8 zu § 4 TVG Verdienstsicherung, zu 1 b der Gründe). Mit der Formulierung "Alterssicherung" haben die Tarifvertragsparteien den Zweck der tariflichen Regelung hinreichend beschrieben. Sie wollen die Arbeitnehmer vor altersbedingten Verdiensteinbußen schützen. Dieses Ziel ist für die Verdienstsicherung älterer Arbeitnehmer üblich und typisch (vgl. Urteil des Senats vom 7. Februar 1995 - 3 AZR 402/94 - AP Nr. 6 zu § 4 TVG Verdienstsicherung, zu II 2 b der Gründe; Urteil vom 16. Mai 1995 - 3 AZR 627/94 - AP Nr. 8 zu § 4 TVG Verdienstsicherung, zu 1 b der Gründe; Urteil vom 5. September 1995 - 3 AZR 124/95 - AP Nr. 18 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie, zu II 1 b der Gründe). Eine Besserstellung älterer Arbeitnehmer auch in Fällen des allgemeinen Widerrufs freiwilliger Zulagen würde über das Ziel der Verdienstsicherung hinausgehen. Bei jederzeit widerruflichen Zulagen besteht keine dauerhaft gefestigte Rechtsposition. Diesen Lohnbestandteil kann der Arbeitnehmer auch ohne altersbedingte Risiken für die Zukunft nicht fest verplanen. Im Zweifel soll die Verdienstsicherung die bisherige Einkommenssituation aufrechterhalten, nicht aber verbessern.
c) Durch die tarifliche Regelung wird die Rechtsnatur der Zulagen, die in die Verdienstsicherung eingehen, nicht geändert. Die Tarifvertragsparteien haben nur angeordnet, daß die übertariflichen Zulagen in die Berechnung der Alterssicherung einzubeziehen sind. Sie haben aber nicht die ursprünglich freiwillig gezahlte übertarifliche Zulage in einen tariflichen Lohnanspruch umwandeln wollen. Ein so weitreichender Regelungswille läßt sich dem Tarifvertrag nicht entnehmen. Die dem Arbeitgeber nach allgemeinem Arbeitsrecht zustehenden Gestaltungsmöglichkeiten werden nicht beeinträchtigt. Deshalb können auch einzelvertraglich vereinbarte Zulagen trotz einer Verdienstsicherung im Rahmen der allgemein anerkannten arbeitsrechtlichen Grundsätze ebenso wie bei den übrigen Arbeitnehmern abgebaut werden (vgl. BAGE 24, 279, 285 = AP Nr. 16 zu § 611 BGB Bergbau; BAGE 33, 83, 89 = AP Nr. 9 zu § 4 TVG Effektivklausel; BAG Urteil vom 6. Februar 1985 - 4 AZR 370/83 - AP Nr. 16 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn- u. Tariflohnerhöhung; BAGE 72, 376, 383 = AP Nr. 64 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu II der Gründe). Davon ist auch der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen (vgl. zuletzt Urteil vom 28. Mai 1980 - 4 AZR 351/78 - AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie). Das Urteil vom 28. Mai 1980 hat sich bereits mit der Alterssicherung in der Metallindustrie Nordwürttembergs/ Nordbadens befaßt. Die Alterssicherung wurde als besondere Vergütung angesehen, die ebenso wie z.B. Urlaubsentgelt, Weihnachtsgratifikation oder Überstundenvergütung nach dem Effektivlohn bemessen werden dürfe. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, daß dadurch die arbeitsvertraglichen Befugnisse nicht berührt würden. Eine arbeitsvertraglich zugelassene Änderung übertariflicher Lohnbestandteile führe zu einer entsprechenden Änderung der Sondervergütungen, die sich nach dem Effektivlohn bemessen.
d) Nach der vom Kläger und den Vorinstanzen vertretenen Auslegung würde der betrieblich vereinbarte Lohnbestandteil zum tariflichen Mindestentgelt erklärt. Er würde der Verfügung der Arbeitsvertragsparteien entzogen. Die tarifliche Regelung wäre eine Effektivgarantieklausel. Sie wäre nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht wirksam (vgl. BAGE 20, 308, 312 ff. = AP Nr. 7 zu § 4 TVG Effektivklausel; BAGE 56, 120, 125 ff. = AP Nr. 15 zu § 4 TVG Effektivklausel, m.w.N.).
Es steht den Tarifvertragsparteien selbstverständlich frei, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anzugreifen (zur Kritik vgl. u.a. Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 590 ff.; Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 4 Rz 221, jeweils m.w.N.). Im vorliegenden Fall läßt sich nicht erkennen, daß die Tarifvertragsparteien durch die Einführung einer Effektivklausel eine Überprüfung der Rechtsprechung herbeiführen wollten. Dies kommt nicht deutlich genug im Tarifvertrag zum Ausdruck. Vielmehr spricht der Abschluß des Tarifvertrages im Mai 1990 dafür, daß die Tarifvertragsparteien die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beachten wollten. Im Urteil vom 28. Mai 1980 hatte das Bundesarbeitsgericht auch auf die Unwirksamkeit von Effektivklauseln hingewiesen und diese Rechtsprechung auf die Alterssicherung in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden übertragen. Im Zweifel ist deshalb nicht von einer Effektivklausel auszugehen.
e) Die vom Kläger angeführten Vorschriften über die Auswirkung von Änderungen der individuellen Arbeitszeit oder bei Kurzarbeit auf die Höhe der Verdienstsicherung können das Auslegungsergebnis nicht in Frage stellen. Der Kläger zieht aus diesen Regelungen den Schluß, daß der Alterssicherungsbetrag in anderen Fällen keiner Änderung mehr unterliegen dürfe. Diesen Umkehrschluß hält der Senat nicht für richtig. Die Arbeitszeit kann der Arbeitgeber nicht einseitig ändern. Für Fälle der individuellen Verkürzung der Arbeitszeit bestand ein Regelungsbedürfnis, das mit dem Widerrufsvorbehalt bei freiwilligen Leistungen nichts zu tun hat. Auch aus der Regelung zur Kurzarbeit kann nicht geschlossen werden, daß ein allgemeiner Widerruf freiwilliger Zulagen nicht mehr zulässig sein soll. Eher läßt sich dieser Vorschrift die Wertung entnehmen, daß ein zur Sicherung von Arbeitsplätzen ausgesprochener allgemeiner Widerruf von übertariflichen Zulagen ebenso wie eine Verdienstkürzung bei Kurzarbeit von älteren Arbeitnehmern hingenommen werden muß.
3. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates wurden bei der Kürzung der Ausgleichszulage nicht verletzt. Die Kürzung der widerruflichen Zulage ist in einer Betriebsvereinbarung geregelt.
Fundstellen
Haufe-Index 438588 |
BAGE, 10 |
BB 1998, 847 |
DB 1998, 1336 |
FA 1998, 298 |
JR 1998, 395 |
NZA 1998, 608 |
RdA 1998, 250 |
ArbuR 1998, 252 |
AuA 1998, 357 |