Entscheidungsstichwort (Thema)
Wechselschichtzulage - Pförtner
Leitsatz (redaktionell)
§ 29a Abs 3 Buchst a MTL 2, wonach Pförtner keinen Anspruch auf eine Wechselschichtzulage haben, verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG.
Normenkette
TVG § 1; MTL § 29a; MTL 2 § 29a
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung des beklagten Landes, an den Kläger eine Wechselschichtzulage zu zahlen.
Der Kläger ist beim beklagten Land im Klinikum der Universität H als Pförtner beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Manteltarifvertrag für die Arbeiter der Länder (MTL II) in seiner jeweiligen Fassung Anwendung.
Der Kläger wird in wöchentlichem Wechsel dienstplanmäßig in der Frühschicht (7.00 bis 14.00 Uhr bzw. 8.00 bis 13.00 Uhr, an Wochenenden 7.00 bis 19.00 Uhr), in der Spätschicht (14.00 bis 21.00 Uhr) und in der Nachtschicht (21.00 bis 7.00 Uhr) eingesetzt. In der Frühschicht ist ein weiterer Pförtner tätig.
Der Kläger vertritt die Auffassung, ihm stehe ab 1. April 1991 ein Anspruch auf Wechselschichtzulage nach § 29 a MTL II zu. Diese tarifliche Bestimmung hat, soweit vorliegend von Interesse, folgenden Wortlaut:
"§ 29 a
Wechselschicht- und Schichtzulagen
(1) Der Arbeiter, der ständig nach einem Schicht-
plan (Dienstplan) eingesetzt ist, der einen
regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeits-
zeit in Wechselschichten (§ 15 Abs. 8 Unter-
abs. 6 Satz 2) vorsieht, und der dabei in je
fünf Wochen durchschnittlich mindestens
40 Arbeitsstunden in der dienstplanmäßigen
oder betriebsüblichen Nachtschicht leistet,
erhält eine Wechselschichtzulage von
200,-- DM monatlich.
(2) ...
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für
a) Pförtner, Wächter, Feuerwehrpersonal,
b) Arbeiter, in deren regelmäßige Arbeitszeit
eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich
mindestens drei Stunden täglich fällt,
c) Arbeiter auf Schiffen und schwimmenden Gerä-
ten,
d) Arbeiter, bei denen die Besonderheit der
Wechselschicht- und Schichtarbeit ausdrück-
lich durch die Einreihung in eine höhere
Lohngruppe abgegolten ist.
(4) ... ."
§ 15 Abs. 8 Unterabs. 6 MTL II lautet:
"Wechselschichtarbeit ist die Arbeit nach einem
Schichtplan (Dienstplan), der einen regelmäßigen
Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechsel-
schichten vorsieht, bei denen der Arbeiter durch-
schnittlich längstens nach Ablauf eines Monats
erneut zur Nachtschicht (Nachschichtfolge) heran-
gezogen wird. Wechselschichten sind wechselnde
Arbeitsschichten, in denen ununterbrochen bei Tag
und Nacht, werktags, sonntags und feiertags gear-
beitet wird."
Der Kläger meint, der Ausschluß von Pförtnern vom Anspruch auf die Wechselschichtzulage nach § 29 a Abs. 3 Buchst. a MTL II verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Belastungen durch die Wechselschichtarbeit seien für ihn in gleicher Weise gegeben, wie bei Arbeitern, denen ein Anspruch auf die Zulage gewährt werde. Da er die tariflichen Voraussetzungen nach § 29 a Abs. 1 MTL II erfülle, stehe ihm deshalb der Anspruch auf die Wechselschichtzulage zu.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet
ist, ihm Wechselschichtzulage nach § 29 a des
Manteltarifvertrages für Arbeiter der Länder
- MTL II - zu gewähren.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es vertritt die Auffassung, die tarifliche Bestimmung des § 29 a Abs. 3 Buchst. a MTL II, die Pförtner vom Anspruch auf die Wechselschichtzulage ausnehme, verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da sie sachlich gerechtfertigt sei. Für Pförtner sei die Leistung von Wechselschichtarbeit berufstypisch. Mit der Wechselschichtzulage solle ferner eine erhöhte Arbeitsbelastung ausgeglichen werden, die durch eine in allen Schichten gleichmäßig zu erbringende Arbeitsleistung eintrete. Diese werde bei der Tätigkeit von Pförtnern nicht gefordert, da die Arbeitsbelastung während der Nachtschicht geringer als während der übrigen Schichten sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Dabei hat er klargestellt, daß sich der Feststellungsantrag auf die Zeit ab 1. April 1991 bezieht. Das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht erkannt, daß der Ausschluß von Pförtnern vom Anspruch auf die Wechselschichtzulage nach § 29 a Abs. 3 Buchst. a MTL II nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, durch die tarifliche Bestimmung des § 29 a Abs. 3 Buchst. a MTL II, soweit sie Pförtner vom Anspruch auf die Wechselschichtzulage ausnehme, werde der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. Zwar sei die Regelung nicht deshalb sachlich gerechtfertigt, weil Wechselschichtarbeit für Pförtner berufstypisch sei. Die Tarifvertragsparteien hätten jedoch zulässigerweise berücksichtigen dürfen, daß die Arbeitsintensität bei Pförtnern während der Nachtschicht generell geringer sei als bei Arbeitern, die während aller Schichten gleichmäßig belastet würden. Deshalb sei es sachlich gerechtfertigt, Pförtner vom Anspruch auf die Wechselschichtzulage auszunehmen.
II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Zwar erfüllt der Kläger die tariflichen Voraussetzungen für den Anspruch auf die Wechselschichtzulage nach § 29 a Abs. 1 MTL II. Die Tarifvertragsparteien haben jedoch ohne Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG Pförtner nach § 29 a Abs. 3 Buchst. a MTL II vom Anspruch auf die Wechselschichtzulage ausgeschlossen.
1. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß auch die Tarifvertragsparteien bei der tariflichen Regelung von Arbeitsbedingungen an den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sind. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 50, 137, 141 = AP Nr. 136 zu Art. 3 GG; BAGE 67, 265, 272 = AP Nr. 9 zu § 63 BAT). Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG wird durch eine Tarifnorm dann verletzt, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen. Aufgabe der Gerichte ist es allerdings nicht zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien jeweils die sachgerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen haben. Sie haben lediglich zu kontrollieren, ob die bestehende Regelung die Grenzen des Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien und damit die Grenzen der Tarifautonomie überschreitet (BAGE 67, 265, 272 = AP Nr. 9 zu § 63 BAT m.w.N.; BAG Urteil vom 6. Oktober 1993 - 10 AZR 477/92 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
2. Nach diesen Grundsätzen verstößt der Ausschluß von Pförtnern vom Bezug der Wechselschichtzulage nach § 29 a Abs. 3 Buchst. a MTL II nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Mit der Gewährung der Wechselschichtzulage sollen die besonderen Erschwernisse abgegolten werden, die mit dem fortwährenden Wechsel der Arbeitszeit und der dadurch bedingten Umstellung des Arbeits- und Lebensrhythmus sowie mit dem beträchtlichen Anteil an Nachtarbeit verbunden sind (vgl. BAG Urteil vom 8. Juni 1988 - 4 AZR 798/87 - AP Nr. 20 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel). Diese besonderen Erschwernisse liegen auch bei Erfüllung der tariflichen Voraussetzungen nach § 29 a Abs. 1 MTL II bei der Tätigkeit von Pförtnern nicht in gleicher Weise vor wie bei sonstigen Arbeitern, die die tariflichen Voraussetzungen nach § 29 a Abs. 1 MTL II erfüllen. Die Tarifvertragsparteien konnten im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums nämlich mit Recht berücksichtigen, daß Arbeiter, die Wechselschichtarbeit i.S. v. § 15 Abs. 8 MTL II leisten, generell in allen Arbeitsschichten in gleicher Weise belastet werden, während die arbeitsmäßige Belastung von Pförtnern während der Nachtschicht generell erheblich geringer als während der Tagschicht ist. Dies begründet das Landesarbeitsgericht zutreffend damit, daß Publikumsverkehr, Postverteilung und weitgehend auch die Telefonvermittlung während der Nachtzeit nur in erheblich geringerem Umfang als am Tage anfallen. Somit fehlt es an einer gleichbleibenden Arbeitsintensität, die bei sonstigen Arbeitern, die Wechselschichtarbeit leisten, in der Regel gefordert wird.
Mit Recht verweist das Landesarbeitsgericht auch darauf, daß die Tarifvertragsparteien an den generellen Zuschnitt der Arbeitsbelastung von Pförtnern im Vergleich zu sonstigen Arbeitern anknüpfen konnten. Folglich kommt es nicht darauf an, ob die Arbeitsbelastung während der Nachtschicht im Einzelfalle möglicherweise derjenigen während der Tagschicht entspricht. Im übrigen ist der Kläger nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts während der Nachtschicht auch erheblich weniger belastet als während der Tagschicht.
Dem steht entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht der Umstand entgegen, daß in der Tagschicht ein weiterer Pförtner eingesetzt wird. Maßgeblicher Gesichtspunkt für die tarifliche Differenzierung ist nicht der Umfang der insgesamt in einem bestimmten Bereich anfallenden Tätigkeiten, sondern allein die generell geringere Arbeitsbelastung von Pförtnern während der Nachtschicht im Vergleich zur Arbeitsbelastung während anderer Schichtzeiten. Diese unterschiedliche Arbeitsbelastung während der Wechselschichtzeiten ist ein Umstand, der so bedeutsam ist, daß die Tarifvertragsparteien die Gruppe der Pförtner ohne Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vom Bezug der Wechselschichtzulage ausnehmen konnten.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Matthes Dr. Freitag Böck
Thiel Großmann
Fundstellen
BB 1994, 1016 |
DB 1994, 1682-1683 (Leitsatz 1 und Gründe) |
NZA 1994, 852 |
NZA 1994, 852-853 (Leitsatz 1 und Gründe) |
ZTR 1994, 295 (Leitsatz 1 und Gründe) |
AP § 29a MTL II (Leitsatz 1 und Gründe), Nr 1 |
AuA 1996, 432-433 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EzBAT § 33a BAT, Nr 5 (Leitsatz 1 und Gründe) |