Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Arbeitnehmers
Normenkette
BGB §§ 611, 426, 823, 840, 249; StGB § 311; BRTV-Bau § 16; Bayerisches Gesetz über das öffentliche Versicherungswesen vom 7. Dezember 1933 (BayGVBl. S. 467) Art. 12 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Urteil vom 22.09.1987; Aktenzeichen 7 Sa 22/85) |
ArbG Nürnberg (Urteil vom 29.01.1985; Aktenzeichen 8 Ca 6447/83 A) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 22. September 1987 – 7 Sa 22/85 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin betreibt ein Bauunternehmen. Sie wurde am 2. Januar 1981 notariell errichtet und am 13. Oktober 1981 in das Handelsregister eingetragen. Die Klägerin hatte auf einem Hausgrundstück in R eine Grundstückseinfriedung zu erstellen. Der im Jahre 1936 geborene und seinerzeit zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtete Beklagte ist Maurermeister. Er war der Bauführer auf dieser Baustelle. Zum Ausbau des Fundaments mußten mit einem Bagger Gräben ausgehoben werden. Am 10. April 1981 wurde der Beklagte von dem Geschäftsführer der Klägerin im Beisein des Poliers S, eines Vorgesetzten des Beklagten, in die Baustelle eingewiesen. Hierzu verwendete der Geschäftsführer einen Lageplan, auf dem der Gas-Hausanschluß nicht eingezeichnet war.
Am 13. April 1981 begann der bei einer Subunternehmerin der Klägerin beschäftigte Baggerführer mit dem Aushub. Dabei beschädigte er die Gasleitung. Durch den Schaltfunken eines elektrischen Gerätes wurde die Explosion des in die Kellerräume des Hauses ausgeströmten Gases ausgelöst. Es kam zu einem Gebäudebrand. Die Gebäudeversicherung leistete den Hauseigentümern Ersatz in Höhe von 244.263,– DM. Sie forderte die Parteien dieses Rechtsstreits unter Berufung auf einen nach Art. 12 Abs. 1 des Bayerischen Gesetzes über das öffentliche Versicherungswesen vom 7. Dezember 1933 (BayGVBl. S. 467) eingetretenen Anspruchsübergang zur Erstattung der Versicherungsleistung auf. Art. 12 Abs. 1 dieses Gesetzes hat folgenden Wortlaut:
„Im Bereich der Brandversicherung und der Hagelversicherung gehen Ansprüche, die dem Versicherungsnehmer oder sonst Berechtigten auf Ersatz des Schadens gegen einen Dritten zustehen, bis zur Höhe der Entschädigungssumme auf die Anstalt über. Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers geltend gemacht werden.”
Der Beklagte leistete nicht. Die Betriebshaftpflichtversicherung der Klägerin zahlte an die Gebäudeversicherung 100.000,– DM. Darüber hinaus vereinbarte die Klägerin mit der Gebäudeversicherung die Zahlung monatlicher Raten in Höhe von 2.800,– DM beginnend am 1. Januar 1984. Bei fristgemäßer Zahlung von 80.000,– DM wollte die Gebäudeversicherung der Klägerin die Restschuld erlassen. Die Eigentümer des Hausgrundstücks haben die Klägerin gerichtlich auf Zahlung weiteren Schadensersatzes in Anspruch genommen.
Der Beklagte wurde rechtskräftig wegen fahrlässigen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit zwei rechtlich zusammentreffenden Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung verurteilt.
Die Klägerin hat behauptet, dem Beklagten sei am 10. April 1981 gezeigt worden, wo die von der Hauptgasleitung abzweigende Leitung zum Heizungskeller des Hauses verlegt war. Außerdem habe der Straßenaufbruch erkennen lassen, an welcher Stelle der Hausanschluß verlief. Der Beklagte sei darauf hingewiesen worden, daß im Bereich des Hausanschlusses der Aushub nur von Hand erfolgen dürfe. Gleichwohl habe der Beklagte nicht nur versäumt, den Baggerführer entsprechend anzuweisen, sondern diesem gesagt, er brauche nicht aufzupassen, weil im Arbeitsbereich keine Leitungen verlegt seien. Der am Gebäude entstandene Schaden habe 244.263,– DM überstiegen.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 80.000,– DM nebst 9,25 % Zinsen seit 26. Oktober 1983 zu zahlen,
hilfsweise,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 80.000,– DM in monatlichen Raten von 2.800,– DM beginnend mit dem 1. Januar 1984 zu zahlen, und zwar nebst 9,25 % Zinsen ab Fälligkeit der Raten auf jeweils 2.800,– DM,
festzustellen, daß der Beklagte auch für den weiteren Schaden haftet,
hilfsweise,
den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin von sämtlichen Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit der Gasexplosion am 13. April 1981 freizustellen, und zwar insbesondere von den Schadensersatzansprüchen der Bayerischen Versicherungskammer – Landesbrandversicherungsanstalt – in München.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat gerügt, nicht die Klägerin, sondern die S oHG sei sachbefugt. Bei dieser sei er seit 3. April 1959 beschäftigt gewesen, bis 31. Mai 1972 als Arbeiter, danach als Angestellter. Die oHG habe auch nach Errichtung der Klägerin noch bestanden und sei im Zeitpunkt des Schadensereignisses seine Arbeitgeberin gewesen. Der Beklagte hat die Schadenshöhe bestritten und geltend gemacht, er habe den Schaden nicht grob fahrlässig verursacht. Auf die Existenz einer Gasanschlußleitung sei er nicht hingewiesen worden. Vielmehr habe ihm der Polier S auf Nachfrage geantwortet: „Frag' nicht immer, die liegen doch alle tiefer!”. Jedenfalls sei ein etwaiger Schadensersatzanspruch nach § 16 BRTV-Bau verfallen.
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Beklagten sei jedenfalls keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Deshalb entfalle jede Haftung. Abweichend von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung gelte dies auch bei nicht gefahrgeneigter Arbeit, wie sie hier gegeben sei. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klaganträge weiter.
Der erkennende Senat hat mit Beschluß vom 12. Oktober 1989 den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts angerufen. Dieser hat mit Beschluß vom 27. September 1994 entschieden, daß die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung für alle Arbeiten gelten, die durch den Betrieb veranlaßt sind und aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden, auch wenn diese Arbeiten nicht gefahrgeneigt sind.
Entscheidungsgründe
A.
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Sache ist zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO). Das Landesarbeitsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, der Beklagte hafte bei geringerer Schuld als Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit gar nicht, und hat deshalb wesentliche Feststellungen nicht getroffen.
B.
Die Klagansprüche könnten gemäß §§ 426 Abs. 2, 823 Abs. 1, 249 BGB wegen fahrlässiger Verletzung des Eigentums der Grundstückseigentümer sowie gemäß §§ 426 Abs. 2, 823 Abs. 2 BGB, § 311 StGB, § 249 BGB wegen fahrlässiger Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion begründet sein.
I. Nach dem unstreitigen Sachverhalt und dem streitigen Vorbringen der Klägerin ist der Beklagte den Grundstückseigentümern wegen unerlaubter Handlung nach § 823 Abs. 1 sowie § 823 Abs. 2 BGB dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet. Unterließ es der Beklagte, den Baggerführer am Morgen des 13. April 1981 auf die ihm selbst am 10. April 1981 gezeigte Gasanschlußleitung und das dort notwendige Arbeiten von Hand hinzuweisen, führte er fahrlässig sowohl eine Sprengstoffexplosion im Sinne von § 311 StGB als auch eine Verletzung des Eigentums der Grundstückseigentümer herbei. Damit wurde der Beklagte den Grundstückseigentümern dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet. Ausgehend von seiner Rechtsauffassung hatte das Berufungsgericht bislang keine Veranlassung, die vom Beklagten bestrittene Schadenshöhe festzustellen. Dies ist nachzuholen.
II. Durch die Ersatzleistung seitens der Bayerischen Versicherungskammer in Höhe von 244.263,– DM ging ein unterstellter Schadensersatzanspruch der Grundstückseigentümer in dieser Höhe auf den Träger der öffentlichen Gebäudeversicherung über (vgl. Art. 12 Abs. 1 des Bayerischen Gesetzes über das öffentliche Versicherungswesen). Dieser Anspruch wurde von der Bayerischen Versicherungskammer gegenüber dem Beklagten geltend gemacht, aber nicht erfüllt. Soweit die Klägerin diese Schadensersatzansprüche erfüllte, was tatsächlich noch nicht festgestellt ist, ging der Schadensersatzanspruch der Grundeigentümer über die Bayerische Versicherungskammer gemäß § 426 Abs. 2 BGB auf die Klägerin über, sofern keine von § 840 Abs. 2 BGB abweichende Bestimmung eingriff.
Gemäß § 840 Abs. 2 BGB haftet der Verrichtungsgehilfe im Innenverhältnis zum Arbeitgeber allein. Eine hiervon abweichende Bestimmung der Haftungsanteile kann sich aber aus den Grundsätzen über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung ergeben. Diese Grundsätze sind gegenüber § 840 Abs. 2 BGB vorrangig und führen gegebenenfalls zu einer Beschränkung des Gesamtschuldnerausgleiches zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
III. Demgegenüber greift die Rüge der mangelnden Sachbefugnis der Klägerin nicht durch. Der Beklagte war nach der Darlegung der Klägerin am 13. April 1981 Arbeitnehmer der am 2. Januar 1981 entstandenen Vorgesellschaft der heutigen Klägerin. Er hatte das Angebot des späteren Geschäftsführers der Vorgesellschaft vom 1. Dezember 1980, sein Arbeitsverhältnis bei der künftigen GmbH fortzusetzen, angenommen. Mit der Eintragung der Klägerin in das Handelsregister am 13. Oktober 1981 gingen die Rechte und Pflichten aus diesem Arbeitsverhältnis auf die Klägerin über. Anderenfalls könnten dem Beklagten im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleiches nicht die Vorteile der beschränkten Arbeitnehmerhaftung zugutekommen.
IV. Nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. September 1994 (GS 1/89 (A) – NZA 1994, 1083, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt) finden die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung auf alle Arbeiten Anwendung, die durch den Betrieb veranlaßt sind und aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden. Die Anwendung dieser Grundsätze ist nicht davon abhängig, daß die den Schaden verursachenden Arbeiten gefahrgeneigt sind. Diese Voraussetzungen einer beschränkten Haftung liegen vor. Der Vorwurf fahrlässigen Verhaltens betrifft den Inhalt der vom Beklagten dem Baggerführer gegebenen Anweisungen. Diese Einweisung des Baggerführers am Morgen des 13. April 1981 gehörte nach dem unstreitigen Sachverhalt zu den vom Beklagten aufgrund seines Arbeitsverhältnisses zu erbringenden Arbeitsleistungen.
V. Im Beschluß des Großen Senats vom 27. September 1994 sind die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung wie folgt zusammengefaßt worden:
Bei grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen, bei leichtester Fahrlässigkeit haftet er dagegen nicht, während bei normaler Fahrlässigkeit der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal zu verteilen ist. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Arbeitnehmer an den Schadensfolgen zu beteiligen ist, richtet sich im Rahmen einer Abwägung der Gesamtumstände, insbesondere von Schadensanlaß und Schadensfolgen, nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten. Zu den Umständen, denen je nach Lage des Einzelfalles ein unterschiedliches Gewicht beizumessen ist und die im Hinblick auf die Vielfalt möglicher Schadensursachen auch nicht abschließend bezeichnet werden können, gehören der Grad des dem Arbeitnehmer zur Last fallenden Verschuldens, die Gefahrgeneigtheit der Arbeit, die Höhe des Schadens, ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes oder durch Versicherung deckbares Risiko, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Höhe des Arbeitsentgelts, in dem möglicherweise eine Risikoprämie enthalten ist. Auch können unter Umständen die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers, wie die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, sein Lebensalter, seine Familienverhältnisse und sein bisheriges Verhalten, zu berücksichtigen sein.
VI. Danach ist eine Haftung des Beklagten weder ausgeschlossen noch dem Grunde oder der Höhe nach durch das Revisionsgericht bestimmbar.
1. Daß der Beklagte seine Pflichten nicht grob fahrlässig verletzt hat, ist vom Berufungsgericht festgestellt worden. Revisionsrechtlich erhebliche Rügen sind hiergegen von der Klägerin nicht vorgebracht worden.
2. Für das Berufungsgericht bestand aufgrund seiner vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts nicht geteilten Rechtsauffassung, ein Arbeitnehmer hafte ausschließlich bei vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachten Schäden, keine Veranlassung zu klären, ob dem Beklagten nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein Verschulden, leichteste Fahrlässigkeit oder mittlere Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist. Nach den vorstehend zusammengefaßten Grundsätzen über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung kommt es hierauf aber entscheidend an. Die Feststellung des den Beklagten treffenden Verschuldensvorwurfs ist deshalb nachzuholen.
3. Sollte das Landesarbeitsgericht aufgrund der anderweiten Verhandlung zu dem Ergebnis gelangen, dem Beklagten falle mittlere Fahrlässigkeit zur Last, wird es entsprechend den vom Großen Senat in ihrer Bedeutung gewichteten Abwägungskriterien die vom Beklagten zu tragende Haftungsquote zu bestimmen haben. Dabei wird es insbesondere berücksichtigen müssen, daß das eingetretene Schadensrisiko für die Klägerin versicherbar und auch tatsächlich versichert war. Es wird zu würdigen sein, daß die Haftpflichtversicherung der Klägerin lediglich Schäden bis zu 100.000,– DM absicherte. Andererseits ist bei der Bemessung der Haftungsquote des Beklagten zu berücksichtigen, daß die Haftpflichtversicherung der Klägerin nicht den Gesamtschaden, sondern allein die Haftungsrisiken minderte.
VII. Kommt das Berufungsgericht aufgrund der anderweiten Verhandlung zu dem Ergebnis, daß der Beklagte im Verhältnis zur Klägerin anteilig für den eingetretenen Schaden haftet, ist dieser Ersatzanspruch der Klägerin nicht gemäß § 16 BRTV-Bau verfallen. § 16 des allgemeinverbindlichen Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV-Bau) vom 3. Februar 1981, in Kraft getreten am 1. Januar 1981, ist auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht anzuwenden, weil der Kläger als Angestellter keine nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über die Rentenversicherung der Arbeiter versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt hat (§ 1 Abs. 3 BRTV-Bau). § 14 des Rahmentarifvertrages für Poliere und Schachtmeister des Baugewerbes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin vom 12. Juni 1978 findet keine Anwendung, denn die Parteien waren nicht kraft Organisationszugehörigkeit tarifgebunden und hatten die Geltung des Tarifvertrages nicht einzelvertraglich vereinbart.
C. Sollte die Klägerin die Ansprüche der Bayerischen Versicherungskammer noch nicht erfüllt haben, stünde ihr unter den gleichen Voraussetzungen nach § 426 Abs. 1 BGB ein entsprechender Freistellungsanspruch zu, was zur Begründetheit des Hilfsantrages zu 2. führen würde.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Schömburg, R. Iskra
Fundstellen