Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilzeitbeschäftigte Postarbeiterin. Tariflohnerhöhung
Leitsatz (amtlich)
§ 9 Abs. 1 TV Arb Bundespost ist nichtig, soweit darin bei der Postdienstzeit Zeiten einer Beschäftigung mit weniger als der Hälfte der jeweils geltenden regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Arbeiters nicht berücksichtigt werden.
Leitsatz (redaktionell)
(vgl. auch BAG Urteil vom 5. November 1992 – 6 AZR 420/91 – EzA § 2 BeschFG 1985 Nr. 24)
Normenkette
BeschFG 1985 Art. 1 § 2 Abs. 1; BeschFG 1985 § 6 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; EWGVtr Art. 119 Abs. 1; BGB § 134
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 11.11.1992; Aktenzeichen 3 Sa 71/92) |
ArbG Karlsruhe (Urteil vom 21.05.1992; Aktenzeichen 3 Ca 470/91) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 11. November 1992 – 3 Sa 71/92 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin einen um 5 v. H. höheren tariflichen Monatslohn zu zahlen.
Die Klägerin, Jahrgang 1946, ist seit 1974 als ständige, nicht vollbeschäftigte Arbeiterin bei der Beklagten mit einer Wochenarbeitszeit von 12,5 Stunden tätig. Sie erhält Monatslohn nach Lohngruppe 2 a des Tarifvertrags für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb), der kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit gilt. In § 10 Abs. 6 TV Arb ist bestimmt:
„Der Monatslohn gemäß Absatz 1 erhöht sich für vollbeschäftigte ständige Arbeiter der Lohngruppen 2 bis 9 um 5 v. H., wenn sie
eine Postdienstzeit von 15 Jahren
und
das 40. Lebensjahr
vollendet haben; er erhöht sich mit Beginn des Monats, in dem die Voraussetzungen nach a) und b) erfüllt werden.”
Der Begriff der Postdienstzeit ist in § 9 TV Arb wie folgt geregelt:
„(1) Postdienstzeit ist die bei der Deutschen Bundespost/Deutschen Post und der Landespostdirektion Berlin in einem Ausbildungs-, Arbeits- oder Beamtenverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist; dies gilt auch für eine als Postjungbote zugebrachte Zeit. Zeiten einer Beschäftigung mit weniger als der Hälfte der jeweils geltenden regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Arbeiters werden nicht berücksichtigt.
Die Klägerin hat gemeint, durch die Beschränkung des Anspruchs auf vollbeschäftigte Arbeiter und der weiteren Voraussetzung, daß als Postdienstzeit nur diejenige Zeit angerechnet werde, die mindestens die Hälfte der jeweils geltenden regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers betragen habe, werde sie als Teilzeitkraft unzulässig benachteiligt.
Die Klägerin hat beantragt,
- festzustellen, daß die Dienstzeit der Klägerin der Postdienstzeit gem. § 9 TV Arb DBP gleichsteht,
- festzustellen, daß die Beklagte ab 22. Mai 1992 – bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien – an die Klägerin monatlich 5 v. H. des tariflichen Monatslohns zusätzlich zum tariflichen Monatslohn zu zahlen hat und
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Zeitraum vom 1. November 1989 bis 21. Mai 1992 1.563,– DM nebst 4 % Prozeßzinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die in den §§ 9 Abs. 1 und 10 Abs. 6 TV Arb vorgenommene Ausgrenzung teilzeitbeschäftigter Arbeiter sei wirksam.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und den Feststellungsantrag zu 1) abgewiesen. Im übrigen hat es die Berufung unter Korrektur des Zinsanspruchs zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter, während die Klägerin um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen festgestellt, daß die Beklagte ab November 1989 zur Zahlung eines um 5 v. H. höheren Monatslohns verpflichtet ist und sie dementsprechend zur Zahlung verurteilt.
I. Die Klägerin hat Anspruch darauf, mit vollbeschäftigten Arbeitern gleichbehandelt zu werden. Soweit § 10 Abs. 6 TV Arb den Anspruch auf vollbeschäftigte Arbeiter beschränkt, ist er nichtig (vgl. BAG Urteil vom 5. November 1992 – 6 AZR 420/91 – EzA § 2 BeschFG 1985 Nr. 24 = NZA 1993, 511 = ZTR 1993, 294).
II. Die gleichen Rechtsgrundsätze gelten für die von der Klägerin wegen § 9 Abs. 1 Satz 2 TV Arb nicht erbrachte Postdienstzeit von 15 Jahren. Auch diese Anspruchsbeschränkung, nach der Zeiten einer Beschäftigung mit weniger als der Hälfte der jeweils geltenden Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Arbeiters nicht berücksichtigt werden, ist nichtig.
1. Der Ausschluß der teilzeitbeschäftigten Arbeiter vom Anspruch auf den erhöhten Monatslohn verstößt gegen Art. 1 § 2 Absatz 1 BeschFG. Die Beklagte darf die Klägerin nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, daß sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen (ständige Rechtsprechung vgl. Senatsurteile vom 7. November 1991 – 6 AZR 392/88 – AP Nr. 14 zu § 62 BAT und vom 17. Juni 1993 – 6 AZR 620/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Die unterschiedliche Behandlung erfolgt hier wegen der Teilzeitarbeit. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Bestimmung des § 9 Abs. 1 Satz 2 TV Arb.
2. Sachliche Gründe, die die unterschiedliche Behandlung der Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten rechtfertigen, bestehen nicht.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist das unterschiedliche Arbeitspensum des Teilzeitbeschäftigten und des Vollzeitbeschäftigten kein ausreichender sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung (vgl. Senatsurteile vom 6. Dezember 1990 – 6 AZR 159/89 – BAGE 66, 314 = AP Nr. 12 zu § 2 BeschFG 1985; vom 7. November 1991 – 6 AZR 392/88 – AP Nr. 14 zu § 62 BAT; vom 5. November 1992 – 6 AZR 420/91 – a.a.O. und vom 17. Juni 1993 – 6 AZR 620/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Menge der Arbeitsleistung stellt daher für sich genommen keinen sachlichen Grund dar, um den Teilzeitbeschäftigten von der Gewährung einer tariflichen Leistung auszuschließen.
b) Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung der Klägerin kann entgegen der Auffassung der Revision auch nicht darin gesehen werden, daß durch § 10 Abs. 6 TV Arb ursprünglich die Löhne der älteren und schon länger beschäftigten Arbeiter an die Besoldung der entsprechenden Beamten angeglichen werden sollten. Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 5. November 1992 (– 6 AZR 420/91 – a.a.O.) festgestellt hat, ist es Aufgabe der Tarifvertragsparteien und nicht des Gerichts, eine tarifpolitisch als überholt angesehene tarifliche Regelung aufzuheben oder zu ändern.
c) Der Ausschluß der Klägerin von der Lohnerhöhung ist auch nicht deshalb wirksam, weil die unterschiedliche Behandlung tariflich geregelt ist.
Art. 1 § 6 Abs. 1 BeschFG gestattet es den Tarifvertragsparteien nicht, vom Grundsatz der Gleichbehandlung, wie er in Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG konkretisiert und niedergelegt ist, abzuweichen. Der erkennende Senat hat sich insoweit der Entscheidung des Dritten Senats vom 29. August 1989 (BAGE 62, 334, 338 = AP Nr. 6 zu § 2 BeschFG 1985) angeschlossen (vgl. Senatsurteile vom 7. November 1991 – 6 AZR 392/88 – AP Nr. 14 zu § 62 BAT, zu I 3 d der Gründe; vom 5. November 1992 – 6 AZR 420/91 – a.a.O., – 6 AZR 421/91 und 550/91 – n.v. und vom 17. Juni 1993 – 6 AZR 620/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
3. Der Verstoß gegen Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG führt nach § 134 BGB zur Nichtigkeit der die Klägerin als Teilzeitbeschäftigte diskriminierenden Tarifregelung. Dies hat zur Folge, daß die Klägerin in Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes einen Anspruch auf die Leistung hat, die die Beklagte den Vollzeitbeschäftigten gewährt (BAG Urteil vom 24. Oktober 1989 – 8 AZR 5/89 – BAGE 63, 181, 187 = AP Nr. 29 zu § 11 BUrlG, zu II 4 der Gründe und Senatsurteil vom 7. November 1991 – 6 AZR 392/88 – AP Nr. 14 zu § 62 BAT, zu I 4 der Gründe), so daß das Feststellungsbegehren und der in der Höhe unstreitige Zahlungsantrag begründet sind.
III. Da die Revision der Beklagten bereits aus den vorstehenden Gründen in der Sache keinen Erfolg hat, kommt es nicht darauf an, ob die Benachteiligung der Klägerin auch gegen Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag verstößt.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Dr. Reinecke, Soltau, Dr. Steinhäuser
Fundstellen
Haufe-Index 1065106 |
BB 1994, 1432 |
NZA 1994, 900 |
AP, 0 |