Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. einheitlich geplanter Personalabbau in mehreren „Wellen”/Stufen. Interessenausgleich mit Namensliste. Anhörung des Betriebsrats. alternativer Kündigungssachverhalt. Abgrenzung zur Unterrichtung „auf Vorrat”
Leitsatz (amtlich)
Die Wirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG treten nur ein, wenn die der Kündigung zugrunde liegende Betriebsänderung vollumfänglich Gegenstand einer Verständigung der Betriebsparteien iSv. § 111 Satz 1, § 112 BetrVG ist. Ein Interessenausgleich nur über Teile der Betriebsänderung reicht nicht aus.
Orientierungssatz
1. Ein bloßer Personalabbau, von dem eine größere Anzahl von Arbeitnehmern entsprechend § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG betroffen ist, kann eine wesentliche Einschränkung des Betriebs iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG sein. Beruht ein sukzessive durchgeführter Personalabbau auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung, sind die Personalabbaumaßnahmen, auch wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, grundsätzlich zusammenzurechnen und gelten bei Erreichen des maßgeblichen Schwellenwerts als „eine” Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 1, § 112 BetrVG.
2. Für das Eingreifen der Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 KSchG reicht es nicht aus, dass lediglich über Teile des geplanten Stellenabbaus ein Interessenausgleich mit Namensliste zustande kommt. Arbeitgeber und Betriebsrat müssen sich vielmehr über die gesamte geplante Betriebsänderung in einem Interessenausgleich verständigen.
3. Es widerspricht Sinn und Zweck des Beteiligungsverfahrens nach § 102 BetrVG, die Anhörung des Betriebsrats vor der abschließenden Willensbildung des Arbeitgebers, dh. zu einem Zeitpunkt einzuleiten, in dem seine Kündigungsüberlegungen noch unter dem Vorbehalt der weiteren Entwicklung stehen (sog. Vorratsanhörung). Das schließt es nicht aus, den Betriebsrat alternativ zu einer Beendigungs- oder Änderungskündigung anzuhören, wenn für beide Szenarien der Kündigungssachverhalt feststeht.
4. Der Wirksamkeit einer Anhörung nach § 102 BetrVG steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber die Erklärung der Kündigung von der Ablehnung eines dem Arbeitnehmer – nach feststehenden Modalitäten – unterbreiteten Angebots abhängig macht, in eine Transfergesellschaft zu wechseln.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 1, 2 Sätze 1, 4, Abs. 5; BetrVG § 102 Abs. 1, § 111 Sätze 1, 3 Nr. 1, § 112
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 25. Februar 2015 – 3 Sa 431/14 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.
Die im Jahr 1967 geborene Klägerin ist seit August 1996 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als Maschinenbedienerin beschäftigt.
Die Beklagte führte an ihrem Sitz in G zwei Betriebe. Im Betrieb „S/t”, der aus zwei Betriebsteilen bestand und für den ein Betriebsrat gewählt war, beschäftigte sie in den Jahren 2011 und 2012 mehr als 800 Arbeitnehmer. Die Klägerin war im Betriebsteil „S” tätig, in dem digitale Datenträger hergestellt wurden. Im Betriebsteil „t” wurden Booklets und Verpackungen produziert. In einer Entfernung von etwa 7 km führte die Beklagte den Betrieb „E” mit den Abteilungen „D” und „F”.
Am 9. August 2012 vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat „S/t” (im Folgenden: Betriebsrat) einen Interessenausgleich (IA 2012). Nach dessen Nr. 2, 3.1 bis 3.4 sollten aufgrund eines dort beschriebenen Umsatzrückgangs im Bereich der Herstellung von Datenträgern 38 Arbeitsplätze zum
31. Dezember 2012 entfallen. Außerdem heißt es im Interessenausgleich:
„3.5. |
Die Sozialauswahl erfolgt unter den vergleichbaren Mitarbeitern zu den Auswahlkriterien gem. Ziffer 4.1 des (Rahmen-)Sozialplan Umstrukturierung a vom 08. April 2011. |
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… |
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Die von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses betroffenen Mitarbeiter sind in der Anlage B … aufgelistet; Anlage B ist eine Namensliste gem. § 1 Abs. 5 KSchG. … |
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… |
5. |
Sozialplan/Transfergesellschaft |
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… |
5.2. |
Das Unternehmen wird den gem. Anlage B kündigungsbedrohten Mitarbeitern möglichst noch vor Ausspruch der Kündigung, spätestens jedoch mit Ausspruch der Kündigung, einen Wechsel in die B anbieten. …” |
Ebenfalls am 9. August 2012 wurde als Anlage B zum IA 2012 eine von der Beklagten und dem Betriebsrat unterschriebene Liste mit den Namen von 38 Arbeitnehmern erstellt. Unter der Rubrik „Produktion” sind – aufsteigend nach der Sozialpunktzahl geordnet – die Namen von 32 Arbeitnehmern aufgeführt. Der Name der Klägerin, neben dem eine Punktzahl von 61,5 vermerkt ist, steht an der Position 21.
Mit Schreiben vom 18. September 2012 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin an. In diesem teilte die Beklagte mit, sie beabsichtige eine ordentliche Beendigungskündigung zum 31. März 2013 auszusprechen. „Vorsorglich” werde der Betriebsrat „zugleich” zu einer ordentlichen Änderungskündigung angehört, die zu dem genannten Termin bei Vorliegen der unter Nr. 3 des Anhörungsschreibens beschriebenen Voraussetzungen „anstelle der Beendigungskündigung” ausgesprochen werden solle. Dazu ist in dem Schreiben ausgeführt:
„3. |
Keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit |
a) |
Ein anderer gleichwertiger und freier Arbeitsplatz ist weder in diesem Betrieb noch in einem anderen Betrieb des Unternehmens vorhanden. |
b) |
Die Weiterbeschäftigung auf einem anderen nicht gleichwertigen Arbeitsplatz innerhalb dieses Betriebs oder in anderen Betrieben des Unternehmens wird fortlaufend in Absprache mit dem Betriebsrat geprüft. |
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Im Betriebsteil t können danach vier derzeit von Leiharbeitnehmern besetzte Stellen als ‚Maschinenhelfer Weiterverarbeitung t’ mit vom Arbeitsplatzwegfall betroffenen Mitarbeitern besetzt werden. Die Besetzung dieser Stellen erfolgt mit den betroffenen Mitarbeitern, die nach der Auswahlrichtlinie gem. Ziffer 4.1 des Sozialplans Umstrukturierung a vom 08.04.2011 die höchste soziale Schutzwürdigkeit genießen (höchste Punktzahl). Bis zum 26.09.2012 haben die vom Arbeitsplatzabbau betroffenen Mitarbeiter die Möglichkeit das Angebot auf Wechsel in die Transfergesellschaft anzunehmen. Welcher dieser Mitarbeiter von diesem Angebot Gebrauch macht, lässt sich derzeit nicht vorhersagen. Sollte sich nach Ablauf der Annahmefrist herausstellen, dass [die Klägerin] das Angebot für einen Wechsel in die Transfergesellschaft abgelehnt hat und nach der Auswahlrichtlinie die Weiterbeschäftigung auf einer der freien Stellen als ‚Maschinenhelfer Weiterverarbeitung t’ in Betracht kommt, so wird [der Klägerin] diese Stelle im Rahmen einer Änderungskündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum 01.04.2013 angeboten. |
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Das in der Änderungskündigung enthaltene Änderungsangebot ist diesem Anhörungsschreiben (…) beigefügt. |
c) |
Andere freie Stellen stehen im Unternehmen nicht zur Verfügung. |
4. |
Angebot zum Wechsel in die Transfergesellschaft |
[Die Klägerin] hat das Angebot erhalten, zum 01.01.2013 in die B „B”) zu wechseln. Das Angebot kann bis zum 26. September 2012 angenommen werden. Mit Annahme des Angebots würde das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2012 enden. … Diese Anhörung erfolgt somit vorsorglich für den Fall, dass bis zum Ablauf der Annahmefrist … das Vertragsangebot zum Wechsel in die B durch [die Klägerin] nicht angenommen wurde. In diesem Fall ist der Ausspruch einer ordentlichen betriebsbedingten Änderungs-/Beendigungskündigung unvermeidlich.”
Unter dem 20. September 2012 erklärte der Betriebsrat, dass er sich inhaltlich nicht äußere.
Die Klägerin lehnte das Angebot, in die Transfergesellschaft zu wechseln, ab. Mit Schreiben vom 27. September 2012, das der Klägerin am 28. September 2012 zuging, erklärte die Beklagte eine ordentliche Beendigungskündigung zum 31. März 2013. Dagegen erhob die Klägerin rechtzeitig die vorliegende Klage.
Die Klägerin hat die Kündigung vom 27. September 2012 für sozial ungerechtfertigt gehalten. Ihr Arbeitsplatz sei nicht weggefallen. In der „Abteilung F” habe eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf der Stelle eines Vorarbeiters bestanden. Die soziale Auswahl sei grob fehlerhaft erfolgt. Die Beklagte habe den kündigungsschutzrechtlichen Betriebsbegriff verkannt.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 27. September 2012 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Kündigung sei am Maßstab des § 1 Abs. 5 KSchG zu messen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift lägen vor. Die Kündigung sei aufgrund eines Personalabbaus erfolgt, der die Voraussetzungen einer Betriebseinschränkung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG erfülle. Die im Interessenausgleich vereinbarten Maßnahmen seien Bestandteil eines „in Wellen” durchgeführten Stellenabbaus, dem eine einheitliche unternehmerische Planung aus dem Jahr 2011 zugrunde liege. Danach sei zu vermuten, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage zu Recht entsprochen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 27. September 2012 nicht aufgelöst worden. Diese ist zwar nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG, wohl aber nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG unwirksam.
I. Die Kündigung ist nicht schon deshalb unwirksam, weil es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats fehlte. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es handele sich um eine unzulässige Anhörung „auf Vorrat”, verletzt § 102 Abs. 1 BetrVG. Dies rügt die Revision mit Recht.
1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gemäß Satz 2 der Bestimmung hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Diese Verpflichtungen bestehen auch bei Vorliegen eines Interessenausgleichs iSd. § 1 Abs. 5 KSchG (BAG 5. November 2009 – 2 AZR 676/08 – Rn. 37). Nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam.
2. Eine Kündigung ist iSv. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht nur dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt zu beteiligen. Sie ist es auch dann, wenn er ihn nicht ordnungsgemäß beteiligt hat, vor allem seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht ausreichend nachgekommen ist. Für die Mitteilung der Kündigungsgründe gilt dabei der Grundsatz der „subjektiven Determinierung”. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt (BAG 16. Juli 2015 – 2 AZR 15/15 – Rn. 15 f.).
3. Die Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG soll dem Betriebsrat Gelegenheit geben, die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung zu bilden, um ggf. auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen (BAG 16. Juli 2015 – 2 AZR 15/15 – Rn. 14). Diesem Zweck widerspricht es, das Verfahren zu einem Zeitpunkt einzuleiten, in dem der Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluss noch nicht abschließend gefasst hat. Die Anhörung des Betriebsrats erfolgt dann vorzeitig, nämlich in einer Phase, in der die Kündigungsüberlegungen noch unter dem Vorbehalt der weiteren Entwicklung stehen. Eine solche Anhörung „auf Vorrat” ist unzulässig. Der Betriebsrat könnte sich lediglich gutachterlich zu einem fiktiven Sachverhalt äußern (BAG 22. April 2010 – 2 AZR 991/08 – Rn. 14).
4. Davon zu unterscheiden sind Anhörungen, die lediglich offen lassen, ob der Arbeitgeber eine Änderungs- oder eine Beendigungskündigung erklären wird, der Kündigungssachverhalt für beide Alternativen im Zeitpunkt der Anhörung aber feststeht und jedenfalls eine der beiden Kündigungen definitiv ausgesprochen werden soll. Eine solche Anhörung widerspricht nicht dem Schutzzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG. Die Willensbildung des Arbeitgebers, auf die dem Betriebsrat die Einflussnahme ermöglicht werden soll, ist dann regelmäßig abgeschlossen (BAG 22. April 2010 – 2 AZR 991/08 – Rn. 16).
5. Gemessen an diesen Grundsätzen liegt im Streitfall keine Anhörung „auf Vorrat” vor.
a) Die Beklagte hatte im Zeitpunkt der Anhörung den endgültigen und ernsthaften Entschluss gefasst, den Personalbestand im Arbeitsbereich der Produktionsmitarbeiter dem verbliebenen Auftragsvolumen anzupassen. Nach den Mitteilungen im Kündigungsschreiben stand aus ihrer Sicht überdies fest, dass ein gleichwertiger freier Arbeitsplatz nicht zur Verfügung gestanden hat. Vor diesem Hintergrund hat die Beklagte erklärt, sie werde das Arbeitsverhältnis bei Ablehnung des der Klägerin unterbreiteten Angebots, in die Transfergesellschaft zu wechseln, in jedem Fall kündigen. Gleichzeitig stand für sie fest, dass im Betriebsteil „t” vier freie Arbeitsplätze verfügbar waren. Diese Stellen sollten Arbeitnehmern angeboten werden, die nach der dem IA 2012 beigefügten Namensliste zur Kündigung anstanden und die nach Nr. 4.1 des im IA 2012 in Bezug genommenen Sozialplans vom 8. April 2011 die jeweils höchste Sozialpunktzahl erreicht hatten. Die Klägerin sollte eine Änderungskündigung statt einer Beendigungskündigung erhalten, falls eine hinreichende Zahl der ihr im Rahmen der Sozialauswahl vorgehenden Arbeitnehmer das Angebot, in die Transfergesellschaft zu wechseln, annehmen werde.
b) Die subjektiven Kündigungsüberlegungen der Beklagten waren danach abgeschlossen. Der mitgeteilte Kündigungssachverhalt bedurfte weder bei Ablehnung noch bei Annahme des Angebots einer Neubewertung. Der in der vorsorglichen Anhörung liegende Vorbehalt, von der Kündigung abzusehen, wenn sich die Kündigung aufgrund anderweitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht als erforderlich erweisen sollte, steht ihrer Wirksamkeit nicht entgegen. Er hindert den Betriebsrat nicht, ggf. Bedenken gegen die Kündigung zu äußern oder – ebenso vorsorglich – seine Widerspruchsrechte wahrzunehmen (wie hier LAG Hamm 25. Oktober 2005 – 4 Sa 1163/04 – Rn. 172; ähnlich ErfK/Kania 16. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 3; GK/Raab 9. Aufl. § 102 BetrVGRn. 40; aA LAG Rheinland-Pfalz 18. Oktober 2007 – 2 Sa 458/07 – Rn. 44).
c) Die Anhörung ist ebenso wenig deshalb unwirksam, weil sie sowohl zu einer Beendigungs- als auch zu einer – alternativ – auszusprechenden Änderungskündigung erfolgte. Zwar hing die Wahl der Kündigungsart davon ab, ob andere in der Namensliste zum IA 2012 aufgeführte Arbeitnehmer, die eine höhere Sozialpunktzahl als die Klägerin erreicht hatten, das Angebot zum Wechsel in die Transfergesellschaft annähmen. Im Anhörungsschreiben wurde aber unter Einbeziehung der Regelungen im Interessenausgleich exakt festgelegt, in welcher Reihenfolge die freien Stellen zu besetzen seien. Die dargestellte Zwangsläufigkeit ließ der Beklagten keinen Spielraum bezüglich des Ausspruchs einer Beendigungs- oder Änderungskündigung. Damit handelte es sich auch insoweit um einen feststehenden Sachverhalt. Dem Betriebsrat standen sämtliche die Entscheidung der Beklagten beeinflussenden Informationen zur Verfügung. Er war durch das Anhörungsschreiben in die Lage versetzt, sich ohne zusätzliche eigene Nachforschungen selbst ein Bild zu machen und die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen.
II. Einer hierauf gestützten Zurückverweisung (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO) bedarf es indes nicht. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung vom 27. September 2012 sei (auch) nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG unwirksam, ist frei von Rechtsfehlern. Die Kündigung, auf die das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet (§ 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 KSchG), ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt. Die angefochtene Entscheidung stellt sich damit aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
1. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Betriebsbedingtheit der Kündigung nicht gemäß § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG zu vermuten.
a) Nach dieser Vorschrift wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist, wenn die Arbeitnehmer, denen aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind. Dies gilt nicht, soweit sich die Sachlage nach dem Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat (§ 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG).
b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutung (Vermutungsbasis) hat der Arbeitgeber substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen. Zu diesen gehören das Vorliegen einer Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 1 BetrVG, die für die Kündigung des Arbeitnehmers kausal war, sowie dessen ordnungsgemäße Bezeichnung in einem Interessenausgleich (BAG 27. September 2012 – 2 AZR 516/11 – Rn. 16, BAGE 143, 177).
c) Danach fehlt es im Streitfall bereits an einer hinreichenden Vermutungsbasis.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, als Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG komme nur der von der Beklagten angeführte, auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung beruhende Personalabbau in mehreren „Wellen”/Stufen gemäß des im April 2011 beschlossenen Konzepts in Betracht. Diese Würdigung lässt einen revisiblen Rechtsfehler nicht erkennen.
(1) Eine Betriebseinschränkung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG, die als Betriebsänderung (§ 111 Satz 1 BetrVG) gilt, kann auch in einem bloßen Personalabbau liegen, wenn erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind. Richtschnur sind die Zahlen und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG. Für Großbetriebe wird diese Staffel eingeschränkt – dort ist eine Betriebseinschränkung iSd. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG erst bei einem Personalabbau von 5 vH der Gesamtbelegschaft gegeben (BAG 19. Juli 2012 – 2 AZR 352/11 – Rn. 17,BAGE 142, 339).
(2) Wie in diesem Zusammenhang zeitversetzte Personalabbaumaßnahmen zu beurteilen sind, hängt maßgeblich von den Planungsvorstellungen des Arbeitgebers ab. Beruht der sukzessive Personalabbau auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung, sind die Abbaumaßnahmen grundsätzlich zusammen zu betrachten (BAG 27. September 2012 – 2 AZR 516/11 – Rn. 19, BAGE 143, 177). Eine enge zeitliche Nähe der Entlassungswellen ist dabei nicht zwingend vorausgesetzt, kann aber eine einheitliche Planung indizieren. Eine spätere Entlassungswelle kann auch das Ergebnis einer neuen Planung sein. Dies gilt insbesondere, wenn nach der ersten Entlassungswelle neue, vom Arbeitgeber ursprünglich nicht vorhergesehene und eingeplante Umstände eingetreten sind (BAG 28. März 2006 – 1 ABR 5/05 – Rn. 19, BAGE 117, 296). In solchen Fällen sind die aufgrund neuer Planung ergriffenen Maßnahmen grundsätzlich unabhängig von einem bis dahin durchgeführten Personalabbau zu betrachten, auch wenn sie möglicherweise auf derselben wirtschaftlichen Entwicklung beruhen (BAG 6. Juni 1978 – 1 AZR 495/75 –; Gillen NZA 2005, 1385).
(3) Die Beklagte hat behauptet, sie habe im April 2011 einen Personalabbau von insgesamt 192 Vollzeitkräften in den Jahren 2011 bis 2013 geplant, dessen sukzessive Durchführung in mehreren, zahlenmäßig konkret umrissenen Schritten erfolgen sollte, und an dieser Planung in der Folgezeit festgehalten. Vor Abschluss des IA 2012 habe sie keine neuen Planungen vorgenommen, sondern lediglich die ursprünglich gefasste Absicht, den nicht durch freiwillige Maßnahmen erreichten Stellenabbau durch Kündigungen zu realisieren, zahlenmäßig konkretisiert.
bb) Der IA 2012 und die diesem beigefügte Namensliste sind in Bezug auf die vom Landesarbeitsgericht festgestellte Betriebsänderung nicht geeignet, die Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG auszulösen.
(1) Ist über eine Betriebsänderung, die auf einer einheitlichen Planung beruht, ein wirksamer Interessenausgleich zustande gekommen, ist nach der Senatsrechtsprechung für das Eingreifen der Vermutungswirkung iSv. § 1 Abs. 5 KSchG nicht erforderlich, dass die Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer in einer einheitlichen Namensliste zusammengefasst sind. Die Betriebspartner können vielmehr zeitlich gestaffelt entsprechend den geplanten „Entlassungswellen” jeweils eine vollständige Namensliste aufstellen. Ist in einem solchen Fall der gekündigte Arbeitnehmer von der zweiten „Welle” betroffen und liegt hinsichtlich der beiden ersten Stufen jeweils eine abschließende Einigung der Betriebspartner über den durchzuführenden Personalabbau und insoweit vollständige Namenslisten vor, bildet dies eine ausreichende Vermutungsbasis iSv. § 1 Abs. 5 KSchG (BAG 19. Juli 2012 – 2 AZR 386/11 – Rn. 22; 22. Januar2004 – 2 AZR 110/02 – zu C III 5 der Gründe).
(2) Mit dieser Konstellation ist der vorliegende Streitfall nicht vergleichbar. Nach dem Vorbringen der Beklagten lag im Kündigungszeitpunkt lediglich für einen nicht abgrenzbaren Teil der behaupteten Betriebsänderung ein Interessenausgleich vor, der sich an vorausgehende, bereits durchgeführte Maßnahmen anschloss. Für diese haben die Betriebsparteien keinen Interessenausgleich abgeschlossen. Dies genügt den Anforderungen des § 1 Abs. 5 KSchG nicht. Dessen Vermutungswirkungen treten nur ein, wenn die der Kündigung zugrunde liegende Betriebsänderung vollumfänglich Gegenstand einer Verständigung der Betriebsparteien iSd. § 111 Satz 1, § 112 BetrVG ist. Ein Interessenausgleich nur über Teile eines geplanten Stellenabbaus reicht hingegen nicht aus. Das ergibt die Auslegung.
(a) Der Wortlaut der Bestimmung gibt kein eindeutiges Ergebnis vor. § 1 Abs. 5 KSchG verlangt eine (betriebsbedingte) Kündigung „aufgrund” einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG und die namentliche Benennung des betroffenen Arbeitnehmers in einem Interessenausgleich. Das schließt das Verständnis, ausreichend sei auch ein über Teile der Betriebsänderung geschlossener Interessenausgleich, nicht aus.
(b) Einer solchen Sichtweise widersprechen aber Sinn und Zweck von § 1 Abs. 5 KSchG. Die dort normierten Erleichterungen verfolgen das Ziel, bei betriebsbedingten Kündigungen einer größeren Zahl von Arbeitnehmern eine erhöhte Rechtssicherheit zu erreichen (vgl. BT-Drs. 15/1204 S. 11). Der Eintritt der Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 Satz 1 und 2 KSchG beruht auf der Erwägung des Gesetzgebers, dass von der übereinstimmenden Beurteilung der Betriebsparteien, die sich in einem Interessenausgleich auf die Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer verständigt haben, eine hohe Gewähr für die Richtigkeit ihrer Einschätzung ausgeht. Nach seiner Vorstellung sollen die Betriebsräte verstärkt in die Verantwortung für Betriebsänderungen iSv. § 111 BetrVG einbezogen werden sowie im Rahmen eines nicht durch Spruch der Einigungsstelle erzwingbaren Interessenausgleichs einen erhöhten Einfluss auf die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung und über die Einzelheiten der Betriebsänderung gewinnen (BAG 19. Juli 2012 – 2 AZR 386/11 – Rn. 29). Die durch § 1 Abs. 5 KSchG bewirkten nachteiligen Folgen der Namensliste für die kündigungsrechtliche Stellung der von ihr betroffenen Arbeitnehmer ist verfassungsrechtlich nur durch die Einflussnahmemöglichkeit des Betriebsrats auf die gesamte unternehmerische Maßnahme und ihre Folgen für die davon betroffenen Arbeitnehmer zu rechtfertigen (BAG 27. September 2012 – 2 AZR 516/11 – Rn. 27, BAGE 143, 177). An einer solchen Einflussnahmemöglichkeit fehlt es aber, wenn der Arbeitgeber nach dem Scheitern eines Interessausgleichs über Teile der betriebsändernden Maßnahmen diese ohne Mitwirkung des Betriebsrats durchführen kann.
(c) Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob bei einem in mehreren „Wellen”/Stufen geplanten Personalabbau den Anforderungen des § 1 Abs. 5 KSchG Genüge getan ist, wenn die Betriebsparteien vor Durchführung der Abbaumaßnahmen verabreden, einen Interessenausgleich über die gesamte Maßnahme „stufenweise” – äquivalent zu den „Wellen” – herbeizuführen, und diesem Regelungsplan entsprechend handeln. Einen solchen Sachverhalt behauptet die Beklagte selbst nicht.
2. Die Kündigung ist nicht losgelöst vom Eingreifen der Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte sei ihrer Darlegungslast aus § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG nicht nachgekommen. Die Würdigung lässt einen revisiblen Rechtsfehler nicht erkennen. Auch die Revision macht Gegenteiliges nicht geltend.
III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Koch, Niemann, Berger, Torsten Falke, Sieg
Fundstellen
Haufe-Index 9679492 |
BAGE 2017, 303 |
BB 2016, 2100 |
BB 2016, 2169 |
DB 2016, 2610 |
DB 2016, 7 |