Entscheidungsstichwort (Thema)
Anderes Vertragsverhältnis iSv. § 19 BBiG aF. Einstellungsbegriff
Leitsatz (amtlich)
Ein anderes Vertragsverhältnis iSv. § 19 BBiG aF liegt nur dann vor, wenn eine Person eingestellt wird, um berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen zu erwerben. Eine Einstellung in diesem Sinn setzt voraus, dass der von § 19 iVm. §§ 3 bis 18 BBiG aF zu schützende Vertragspartner durch ein Mindestmaß an Pflichtenbindung am Betriebszweck mitwirkt.
Orientierungssatz
1. Ein anderes Vertragsverhältnis iSv. § 19 BBiG aF kann jedes Vertragsverhältnis sein, das dem Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen der eingestellten Person dient, soweit es sich um keine Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf und um kein Arbeitsverhältnis handelt.
2. Eine Person wird nur dann eingestellt iSv. § 19 BBiG aF, wenn sie durch ein Mindestmaß an Pflichtenbindung an der Erreichung des Betriebszwecks mitwirken muss. Das folgt aus dem Schutzzweck der Vorschrift. Die teilweise Gleichstellung der anderen Vertragsverhältnisse in § 19 BBiG aF mit Berufsausbildungsverhältnissen durch Verweisung auf §§ 3 bis 18 BBiG aF soll die Konfliktlage zwischen den betrieblichen Interessen an der Erreichung des arbeitstechnischen Zwecks und den Ausbildungsbelangen des anderen Teils ausgleichen.
Normenkette
BGB §§ 123, 142, 812, 817
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 8. September 2006 – 3 Sa 1635/05 – aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 10. August 2005 – 1 Ca 43/05 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt noch darüber, ob der Beklagte zur Rückzahlung einer sog. Ausbildungsgebühr und verschiedener Kaufpreiszahlungen verpflichtet ist.
Der Beklagte betrieb ein Studio für Tätowierungen und Piercing. Die 1970 geborene Klägerin wandte sich Ende 2003 an ihn, weil sie Tätowierungs- und Piercingarbeiten erlernen wollte. Die Parteien schlossen einen “Lehrlingsvertrag”. Darin verpflichtete sich der Beklagte, der Klägerin innerhalb von zwölf Monaten theoretische und praktische Kenntnisse von Tätowierungs- und Piercingarbeiten zu vermitteln. Der sog. Lehrlingsvertrag der Parteien lautet auszugsweise und wörtlich zitiert wie folgt:
“…
3. Der Lehrling steht in einem Ausbildungsverhältnis mit P… Tattoo + Piercing. Der Lehrling darf nur das Erlernte unter Aufsicht und mit Einverständnis des Kunden ausüben. Die bei P… Tattoo + Piercing gesehenen Arbeitabläufe dürfen vom Lehrling ohne abgeschlossene Ausbildung mit Zertifikat nicht Ausgeübt Werden.
…
9. Der Lehrling darf im Umkreis von Fünfzig Kilometer von P… Tattoo und Piercing keine Selbstständige oder anderweitig Berufs bezogene Tätowier oder Piercing arbeiten ohne Schriftliche Einverständnis von P… Tattoo + Piercing ausüben, sonst tritt Punkt 7 dieses Vertrages ein.
10. Punkt 9 tritt ausser Kraft bei Abschluss der Ausbildung und erhalt des Abschluss Zertifikats.
…
12. Die Ausbildungs Gebühr in Höhe von 14000.- Euro in Worten Vierzehntausend Euro, ist bei Antritt zur Ausbildung zu Zahlen und beinhaltet die Theoretische Ausbildung mit Lehrbücher und Fachliteratur, Praktische Ausbildung inklusive Verbrauchsmaterialien zu Übungszwecke, Dozent Gebühren, und die Erstanschaffung aller benötigten Geräte und Instrumente um nach Abschluss sofort Selbstständig arbeiten zu können.”
Bei Vertragsschluss war der Klägerin bekannt, dass es keinen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf im Bereich Tätowierung und Piercing gibt. Um eine Ich-AG zu gründen, hatte sie im November 2003 einen Gewerbeschein zur Aufnahme einer Tätigkeit als Tätowiererin erlangt.
Die vereinbarte Ausbildungsgebühr setzte sich aus 9.000,00 Euro für die Lehrtätigkeit des Beklagten, 3.941,00 Euro für Ausbildungsmaterialien und 1.059,00 Euro für Verbrauchsmaterialien im Rahmen praktischer Übungen, für Fachliteratur, Tattoovorlagen und informationstechnologische Unterstützung zusammen. Art und Güte der Tätowiergeräte, die der Beklagte der Klägerin überließ, sind zwischen den Parteien zum Teil umstritten. Es handelte sich um die Maschinen “Flaming Dragon Liner” und “Celtic Art Shader” mit zugehörigem Netzgerät.
Der Ausbildungsplan des Beklagten sah Unterricht von insgesamt 1.120 Stunden vor. 220 Stunden sollten auf allgemeine medizinische Grundlagen entfallen, 150 Stunden auf allgemeine Notfallmedizin, 40 Stunden auf spezielle Notfallmedizin, 20 Stunden auf das Fach Herz, Lungen, Wiederbelebung und 60 Stunden auf Berufs-, Gesetzes- und Staatsbürgerkunde. Daneben waren eine praktische Schulung von 30 Stunden und eine Praktikumszeit von 600 Stunden vorgesehen, während derer die Klägerin 30 Fallberichte schreiben sollte. Am Ende der Ausbildung sollte die Klägerin eine Prüfung ablegen und bei ihrem Bestehen ein Zertifikat erhalten.
Nachdem sie die Ausbildungsgebühr entrichtet hatte, nahm die Klägerin Ende März 2004 ihre Ausbildung auf. Der Beklagte bildete sie etwa vier Stunden täglich in seinem Tattoo- und Piercing-Studio aus. Zunächst zeigte er ihr, wie sie Farben und Nadeln in die Tätowiermaschine einzusetzen und einzufüllen, Vorlagen zu erstellen und diese Vorlagen zu kopieren hatte. In der Folge assistierte die Klägerin dem Beklagten bei Tätowierungen und tätowierte zuletzt auch in geringerem Umfang selbst. Die zeitliche Lage der Ausbildung richtete sich nach ihren Wünschen. Sie war nicht verpflichtet, zu bestimmten Zeiten zu erscheinen.
Mit Schreiben vom 30. August 2004 focht die Klägerin ihre in dem “Lehrlingsvertrag” enthaltene Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung an und verlangte die Rückzahlung der Ausbildungsgebühr.
Die Klägerin hat in ihrer dem Beklagten im Februar 2005 zugestellten, zunächst vor dem Landgericht erhobenen Klage behauptet, der Beklagte habe sie durch die falsche Angabe, sie benötige das Zertifikat, um ein eigenes Studio zu eröffnen, zum Vertragsschluss bestimmt. Darüber hinaus seien die ihr übergebenen Tätowiermaschinen mit Ausnahme des Netzgeräts in mangelhaftem, zumindest nicht neuwertigem Zustand gewesen. Die Klägerin meint, für ihre Rechtsbeziehung mit dem Beklagten gelte § 19 BBiG aF. Die eingegangenen Verpflichtungen zur Zahlung einer Ausbildungsentschädigung und zum Kauf der Ausbildungsmaterialien seien deshalb nach § 5 Abs. 2 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 3 BBiG aF nichtig.
Die Klägerin hat beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 14.000,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem 16. September 2004 zu bezahlen;
2. festzustellen, dass zwischen der Klägerin und dem Beklagten keine vertragliche Beziehung im Sinne eines “Lehrlingsvertrags” besteht.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hält § 19 BBiG aF für nicht anwendbar. Zumindest müsse dem Beklagten der Kaufpreis von 5.000,00 Euro für die übereigneten Gegenstände verbleiben. § 6 Abs. 1 Nr. 3 BBiG aF erfasse einen solchen Fall nicht.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision und begehrt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. In der Revisionsverhandlung haben die Parteien den Feststellungsantrag in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
A. Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlung der sog. Ausbildungsgebühr von 9.000,00 Euro und des Kaufpreises für die Ausbildungs- und Verbrauchsmaterialien von insgesamt 5.000,00 Euro.
I. Für den erhobenen Anspruch auf Rückzahlung der Ausbildungsentschädigung von 9.000,00 Euro fehlt eine Grundlage.
1. Ein Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. iVm. § 123 Abs. 1 1. Alt., § 142 Abs. 1 BGB scheidet aus. Die Klägerin hat ihre im Ausbildungsvertrag enthaltene Willenserklärung nicht wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten. Der Beklagte täuschte die Klägerin nicht. Ihr war bei Vertragsschluss unstreitig bewusst, dass es sich bei der Tätigkeit einer Piercerin und Tätowiererin nicht um einen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf iSv. § 1 Abs. 2, § 25 Abs. 1 BBiG aF handelte. Dafür spricht vor allem, dass sie bereits im November 2003 einen Gewerbeschein erlangt hatte. Er versetzte sie in die Lage, unabhängig von der Ausbildung beim Beklagten eine Tätigkeit als Tätowiererin auszuüben. Selbst wenn der Beklagte erklärt haben sollte, die Klägerin brauche das von ihm angebotene Zertifikat, um ein eigenes Studio zu eröffnen, konnte sie diese Äußerung wegen des erteilten Gewerbescheins nur dahin verstehen, dass eine derartige Bescheinigung fachlich sinnvoll sei. Weitere Aufklärungspflichten trafen den Beklagten nicht.
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Entschädigungsvereinbarung auch nicht wegen eines Gesetzesverstoßes nichtig. Der Beklagte muss das erlangte Geld nicht nach § 817 Satz 1 1. Alt. BGB herausgeben. Die vertraglich übernommene Verpflichtung der Klägerin, für die Ausbildung als Tätowiererin und Piercerin eine Entschädigung zu zahlen, verletzt das Verbot des § 5 Abs. 2 Nr. 1 BBiG in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung (aF, BGBl. I 1969 S. 1112, BGBl. I 2003 S. 2934 und S. 2954) nicht. Danach ist eine Vereinbarung über die Verpflichtung des Auszubildenden, für die Berufsausbildung eine Entschädigung zu zahlen, nichtig. § 5 BBiG aF ist auf das Vertragsverhältnis der Parteien nicht anwendbar.
a) § 5 BBiG aF gilt zunächst nicht unmittelbar. Bei der Rechtsbeziehung der Parteien handelte es sich nicht um eine Berufsausbildung nach § 1 Abs. 2 BBiG aF, obwohl die Klägerin eine systematische Fachausbildung erfuhr. Für die Tätigkeit eines Tätowierers und Piercers gibt es bislang keinen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf in einem geordneten Ausbildungsgang.
b) § 5 BBiG aF findet auch nicht über die Verweisung des § 19 BBiG aF Anwendung. Danach galten, soweit nicht ein Arbeitsverhältnis vereinbart war, für Personen, die eingestellt wurden, um berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen zu erwerben, ohne dass es sich um eine Berufsausbildung iSd. Berufsbildungsgesetzes handelte, die §§ 3 bis 18 BBiG aF mit den in § 19 BBiG aF geregelten Abweichungen. Das Rechtsverhältnis der Parteien war kein anderes Vertragsverhältnis iSv. § 19 BBiG aF. Zwar begründeten die Parteien weder ein Berufsausbildungsverhältnis noch ein Arbeitsverhältnis. Die Klägerin wurde aber nicht in den Betrieb des Beklagten eingestellt iSv. § 19 BBiG aF.
aa) Die Parteien begründeten kein Arbeitsverhältnis, das der Anwendung des § 19 BBiG aF entgegenstünde.
(1) Ein Arbeitsverhältnis ist anzunehmen, wenn die Leistung von Diensten nach Weisung des Dienstberechtigten und gegen Zahlung von Entgelt Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen (st. Rspr. vgl. BAG 5. Dezember 2002 – 6 AZR 216/01 – Rn. 35, AP BBiG § 19 Nr. 2 = EzA BBiG § 19 Nr. 4). Unter den Begriff des Arbeitsverhältnisses in § 19 BBiG aF ist ein “reines” Arbeitsverhältnis zu fassen, das von der Arbeitspflicht und der zu erbringenden Arbeitsleistung beherrscht wird, nicht von der Ausbildung (BAG 18. Dezember 1986 – 2 AZR 717/85 – Rn. 36).
(2) Die Klägerin schuldete weder aus dem “Lehrlingsvertrag” noch nach der tatsächlichen Handhabung Arbeitsleistungen.
(a) Der Vertrag ist ausdrücklich als “Lehrlingsvertrag” und nicht als Arbeitsvertrag bezeichnet. Im Text werden die Begriffe der Ausbildung, des Ausbildungsverhältnisses, der Ausbildungsgebühr und des Lehrlings verwandt. Der Vertrag enthält keine Weisungsrechte des Beklagten iSv. § 106 Satz 1 GewO. Gegen ein Arbeitsverhältnis sprechen auf vertraglicher Ebene entscheidend die fehlende Arbeitspflicht der Klägerin und der nicht bestimmte Tätigkeitsumfang. Auch die in Nr. 9 des “Lehrlingsvertrags” enthaltene Wettbewerbsvereinbarung, die außerhalb des Handelsrechts charakteristisch für ein Arbeitsverhältnis ist, begründet gegenüber den genannten überwiegenden Elementen persönlicher Unabhängigkeit der Klägerin kein ausreichendes Indiz für ein Arbeitsverhältnis.
(b) Die tatsächliche Praxis der Parteien entsprach den getroffenen Vereinbarungen. Soweit die Klägerin in der Folge der ersten beiden Einweisungsphasen selbst tätowierte, standen ausschließlich Lern- und Übungszwecke im Vordergrund. Ihre Berichtspflicht und ihre Verpflichtung zum Ablegen der Prüfung dienten ebenfalls nicht vorwiegend betrieblichen Interessen, sondern ihrem Lernerfolg. In der Gesamtschau bedeutsam ist vor allem der Umstand, dass die Ausbildungszeiten nach den Wünschen der Klägerin ausgestaltet wurden. Die örtliche Bindung an den Betrieb des Beklagten beruhte auf dem dort vorhandenen Anschauungsmaterial und der technischen Ausstattung. Ein solcher örtlicher Bezug ist nicht notwendig mit einem Weisungsrecht für den Arbeitsort verbunden. Er tritt ebenso häufig in anderen Rechtsbeziehungen als Arbeitsverträgen – etwa in Dienst- oder Werkverträgen – auf.
bb) Obwohl die Parteien weder ein Arbeitsverhältnis noch ein Berufsausbildungsverhältnis iSd. Berufsbildungsgesetzes begründeten, wurde die Klägerin nicht “eingestellt” iSv. § 19 BBiG aF, um berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen zu erwerben.
(1) Eine Einstellung nach § 19 BBiG aF setzt voraus, dass der Vertragspartner durch ein Mindestmaß an Pflichtenbindung am arbeitstechnischen Zweck des Betriebs des anderen Teils mitwirkt.
(a) Für die Auslegung des Einstellungsbegriffs iSv. § 19 BBiG aF führt der allgemeine Sprachgebrauch nicht weiter. Er setzt das Wort “einstellen” mit “in Arbeit oder in ein Arbeitsverhältnis nehmen”, “anstellen” oder “ein Arbeitsverhältnis begründen” gleich (Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden 19. Aufl. Bd. 6 S. 197; Die Zeit Das Lexikon in 20 Bänden Bd. 4 S. 85; Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden 3. Aufl. S. 983; Wahrig Deutsches Wörterbuch 8. Aufl. S. 430). Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses schließt die Anwendung des § 19 BBiG aF aus.
(b) Obwohl eine Einstellung iSv. § 19 BBiG aF eine vertragliche Bindung voraussetzt (BAG 25. März 1981 – 5 AZR 353/79 – Rn. 11, BAGE 35, 173), genügt hierfür nicht jede vertragliche Beziehung, die auf den Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen gerichtet ist. Die Auslegung dieses besonderen Einstellungsbegriffs hat sich am Schutzzweck der auf §§ 3 bis 18 BBiG aF verweisenden Bestimmung zu orientieren.
(aa) Das Berufsbildungsgesetz dient hinsichtlich der Berufsausbildung iSv. § 1 Abs. 1 2. Alt. BBiG aF vor allem dem Schutz des Auszubildenden (BAG 23. Juni 1983 – 6 AZR 595/80 – Rn. 21, BAGE 43, 115). Dieser Schutz ist nötig, um die in § 1 Abs. 2 BBiG aF genannten Ziele der Berufsausbildung bei der Eingliederung des Auszubildenden in den Betrieb zu erreichen. Die Berufsausbildung hat nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BBiG aF eine breit angelegte berufliche Grundbildung und die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln. Zugleich muss die Berufsausbildung es dem Auszubildenden gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 BBiG aF ermöglichen, die erforderlichen Berufserfahrungen zu erwerben. Solche praktischen Erfahrungen kann der Auszubildende nur durch Mitwirkung am Betriebszweck erlangen. Das Berufsbildungsgesetz verfolgt also das Ziel, das Spannungsverhältnis auszugleichen, das zwischen den Ausbildungsinteressen des Auszubildenden und dem arbeitstechnischen Zweck des Ausbildungsbetriebs besteht. Das Ausbildungsverhältnis ist nach seiner Rechtsnatur auch als Erziehungsverhältnis zu verstehen (BFH 13. November 1986 – IV R 322/84 – Rn. 22, BFHE 148, 168). Das Berufsbildungsgesetz soll einen umfassenden und einheitlichen Rahmen für die berufliche Bildung schaffen (BSG 28. Februar 1990 – 10 RKg 28/88 – Rn. 14, SozR 3-5870 § 2 Nr. 3).
(bb) Die teilweise Gleichstellung der anderen Vertragsverhältnisse des § 19 BBiG aF mit Berufsausbildungsverhältnissen soll eine entsprechende Konfliktlage zum Schutz des Vertragspartners auflösen, der im Rahmen eines solchen Vertragsverhältnisses eingestellt wird, um berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen zu erwerben. § 19 BBiG aF sucht einen schonenden Ausgleich zwischen der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit und der von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Vertragsfreiheit (vgl. Schmidt NZA 2004, 1002, 1003). Der arbeitstechnische Zweck des Betriebs und der ihm zugrunde liegende Unternehmenszweck, der regelmäßig in Gewinnerzielung besteht, sollen keinen Vorrang vor den Ausbildungsinteressen im weiteren Sinn genießen.
Dieser Schutz ist jedoch nur geboten, wenn der Vertragspartner in irgendeiner Weise an den Betriebszweck gebunden ist und damit eingegliedert wird (vgl. Schmidt aaO). Der Einstellungsbegriff des § 19 BBiG aF setzt damit voraus, dass sich der Betriebsinhaber auf Grund eines Mindestmaßes an Pflichtenbindung auf die Mitwirkung des anderen Teils verlässt, dh. auf sie angewiesen ist, um den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs zu erreichen (vgl. ErfK/Schlachter 7. Aufl. § 26 BBiG Rn. 2; Wohlgemuth BBiG 2. Aufl. § 19 Rn. 4 und Wohlgemuth/Wohlgemuth/Pieper BBiG 3. Aufl. § 26 Rn. 4).
(2) In der Vertragsbeziehung der Parteien stand der Ausbildungspflicht des Beklagten keinerlei Anwesenheits- und Mitwirkungspflicht der Klägerin gegenüber. Sie war insbesondere nicht verpflichtet, dem Ausbildungsziel dienende Verrichtungen auszuführen (vgl. § 9 Satz 2 Nr. 1 BBiG aF). Die Klägerin wäre ohne Vertragsverstoß berechtigt gewesen, dem Betrieb des Beklagten während der vereinbarten Vertragsdauer fernzubleiben. Da schon diese Mindesterfordernisse einer Pflichtenbindung nicht gewahrt sind, kann offenbleiben, ob mit der Revision davon auszugehen ist, dass sich die Einstellungsbegriffe des § 19 BBiG aF und des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG decken, also jeweils eine vollständige Eingliederung in den Betrieb zur Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks durch – ihrer abstrakten Art nach – weisungsgebundene Tätigkeit meinen (zum Einstellungsbegriff des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG: BAG 13. Dezember 2005 – 1 ABR 51/04 – Rn. 12, AP BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 50 = EzA BetrVG 2001 § 99 Einstellung Nr. 4).
cc) Die zwischen den Parteien vereinbarte Ausbildungsdauer von zwölf Monaten ist dagegen nicht entscheidend. Die Tätigkeit der Klägerin unterfiel schon nicht dem Einstellungsbegriff des § 19 BBiG aF. Deshalb kann auf sich beruhen, ob ein anderes Vertragsverhältnis nur anzunehmen ist, wenn die Dauer der Ausbildung der in § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BBiG aF enthaltenen Mindestanforderung für staatlich anerkannte Ausbildungsberufe von zwei Jahren entspricht (in diesem Sinn BAG 1. Dezember 2004 – 7 AZR 129/04 – Rn. 19, EzA BetrVG 2001 § 78a Nr. 1 mwN; aA 23. Juni 1983 – 6 AZR 595/80 – Rn. 25, BAGE 43, 115).
c) Die Parteien vereinbarten die Anwendung der Schutzvorschriften der §§ 3 bis 18 BBiG aF auch nicht konstitutiv. Das folgt nicht aus den gewählten Bezeichnungen des “Lehrlingsvertrags”, des “Lehrlings”, der “Ausbildung”, des “Ausbildungsverhältnisses” und der “Ausbildungsgebühr”. Die dem Berufsbildungsgesetz bzw. der Begrifflichkeit vor seinem Inkrafttreten entsprechenden vertraglichen Bezeichnungen allein machen nicht deutlich, dass die Parteien für die Klägerin den gesetzlich nicht bestehenden Schutz der §§ 3 bis 18 BBiG aF begründen wollten, zumal das Vertragswerk ersichtlich nicht von einem Muttersprachler verfasst wurde.
d) Der Beklagte verstieß durch die Annahme der Vergütung daher nicht gegen § 5 Abs. 2 Nr. 1 BBiG aF. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist auch die absolute Höhe der Vergütung des Beklagten für die Unterrichtung in Tätowierungs- und Piercingarbeiten von 9.000,00 Euro nicht zu beanstanden. Bei geplanten 1.120 Unterrichtsstunden errechnet sich ein Stundensatz von 8,03 Euro. Ein solcher Stundensatz erreicht nicht die Grenze des § 138 Abs. 2 BGB.
II. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises von 5.000,00 Euro für die Ausbildungs- und Verbrauchsmittel.
1. Ein solcher Anspruch folgt nicht aus § 817 Satz 1 1. Alt. BGB, § 6 Abs. 1 Nr. 3 BBiG aF. Die §§ 3 bis 18 BBiG aF sind auf das Vertragsverhältnis der Parteien weder unmittelbar noch über die Verweisung des § 19 BBiG aF anzuwenden.
2. Der Beklagte hat den Kaufpreis auch nicht aus anderen Rechtsgründen zurückzuzahlen.
a) Soweit die Klägerin geltend macht, nicht die geschuldeten Tätowierungsgeräte erhalten zu haben, bleibt sie auf den Erfüllungsanspruch des § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Übereignung der Sachen verwiesen. Im Hinblick auf die behaupteten Sachmängel sind grundsätzlich Gewährleistungsansprüche denkbar. Die Vorinstanzen haben jedoch keine Tatsachen festgestellt, die auf einen Rücktritt der Klägerin nach § 437 Nr. 2 1. Alt., § 440 Satz 1 BGB oder eine Minderung gemäß § 437 Nr. 2 2. Alt., § 441 Abs. 1 Satz 1 BGB schließen lassen.
b) Die Anfechtungserklärung vom 30. August 2004 kann nicht als Rücktritt ausgelegt oder in einen Rücktritt umgedeutet werden. Mit der Anfechtungserklärung wollte die Klägerin die rechtsgeschäftliche Grundlage des “Lehrlingsvertrags” rückwirkend beseitigen und sich nicht nur für die Zukunft von einem wirksam geschlossenen Vertrag lösen. Im Unterschied hierzu gestaltet ein Rücktritt iSv. § 437 Nr. 2 1. Alt. BGB einen rechtsgeschäftlich wirksamen, noch bestehenden Kaufvertrag wegen eines mangelhaften Kaufgegenstands in ein Abwicklungsverhältnis um (Palandt/Weidenkaff 66. Aufl. § 437 Rn. 21 und 22, § 441 Rn. 7).
c) Im Übrigen wäre in einem Rücktritt ein anderer Klagegrund iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu sehen, auf den sich die Klägerin nicht beruft.
d) Selbst wenn der Beklagte nicht alle Kaufgegenstände übereignet haben sollte, wie die Klägerin behauptet, kämen allenfalls Ansprüche auf Nacherfüllung nach § 437 Nr. 1, § 439 Abs. 1 BGB in Betracht. Eine Pflicht zur Rückzahlung des Kaufpreises folgte hieraus nicht.
B. Die Klägerin hat nach § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG, § 91 Abs. 1 Satz 1, § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Auch hinsichtlich des in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärten Feststellungsantrags fallen ihr die Kosten in vollem Umfang zur Last. Bei Anhängigkeit der Klage im Januar 2005 und Rechtshängigkeit im Februar 2005 bestand zwischen den Parteien noch die vertragliche Beziehung des sog. Lehrlingsvertrags. Die negative Feststellungsklage war zu diesem Zeitpunkt unbegründet. Ende März 2005 erlosch das Rechtsverhältnis der Parteien durch Zeitablauf. Damit wurde die Klage unzulässig. § 256 Abs. 1 ZPO erfordert grundsätzlich ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis (BAG 6. Mai 2003 – 1 AZR 340/02 – Rn. 9, AP ZPO 1977 § 256 Nr. 80). Ein vergangenes Rechtsverhältnis kann nur Gegenstand einer Feststellungsklage sein, wenn sich aus ihm nach dem Klagevortrag noch Rechtsfolgen für Gegenwart oder Zukunft ergeben (st. Rspr. vgl. BAG 15. Dezember 1999 – 5 AZR 457/98 – Rn. 11, AP ZPO 1977 § 256 Nr. 59 = EzA ZPO § 256 Nr. 52; Senat 21. September 1993 – 9 AZR 580/90 – Rn. 13, BAGE 74, 201). Das gilt auch für eine negative Feststellungsklage, die den Bestand des Rechtsverhältnisses verneint. Aus dem fehlenden Bestand eines Vertragsverhältnisses ergaben sich hier mit dem Ende des vereinbarten Ausbildungsjahrs nicht länger Wirkungen. Die Klägerin musste objektiv betrachtet nicht befürchten, durch ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot gebunden zu sein.
Unterschriften
Krasshöfer, Gallner, Bruse, Starke
Richterin am Bundesarbeitsgericht Reinecke ist wegen Erkrankung an der Unterschrift verhindert.
Krasshöfer
Fundstellen
Haufe-Index 1848568 |
BAGE 2009, 255 |
DB 2008, 587 |