Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristeter Arbeitsvertrag. Verwirkung
Orientierungssatz
Die Verwirkung tritt dann ein, wenn der Berechtigte mit der Geltendmachung seines Rechts längere Zeit zuwartet (Zeitmoment) und daneben besondere Umstände vorliegen, nach denen der Gegner nach Treu und Glauben annehmen und sich darauf einrichten durfte, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment).
Normenkette
BGB §§ 242, 611, 620
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 01.02.1985; Aktenzeichen 9 Sa 1030/84) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 20.08.1984; Aktenzeichen 17/11 Ca 4927/84) |
Tatbestand
Die Klägerin war seit dem 15. Juli 1972 bei dem beklagten Freistaat angestellt. Sie war zunächst Solotänzerin am Staatstheater Am Gärtnerplatz; seit dem 1. November 1973 war sie Solotänzerin mit Gruppenverpflichtung an der Bayerischen Staatsoper. Der letzte schriftliche Arbeitsvertrag wurde am 9. Juli 1981 für die Zeit vom 1. September 1981 bis zum 31. August 1982 abgeschlossen. In ihm heißt es u.a., der Normalvertrag Solo (NVS) und der Tarifvertrag über die Mitteilungspflicht (TVM) seien Bestandteil dieses Vertrages.
Mit Schreiben vom 30. Juni 1981 wurde die Klägerin unter Bezugnahme auf § 2 Abs. 5 TVM für den 8. Juli 1981 zu einem Gespräch mit Prof. S, dem neuen Intendanten, bestellt. Bei diesem Gespräch wurde der Klägerin erklärt, daß die Bayerische Staatsoper beabsichtige, ihr mitzuteilen, daß das bestehende Arbeitsverhältnis nicht über den 31. August 1982 hinaus fortgesetzt werde. Prof. S stellte hierbei fest, daß die beabsichtigte Nichtverlängerung nichts mit dem Wechsel des Intendanten zu tun habe. Mit Schreiben vom 16. Juli 1981, das der Klägerin am 25. Juli 1981 ausgehändigt wurde, wurde ihr mitgeteilt, daß das Vertragsverhältnis nicht über den 31. August 1982 hinaus verlängert werden könne.
Mit Schreiben ihrer Rechtsanwälte vom 21. November 1981 machte die Klägerin gegenüber der Intendanz der Bayerischen Staatsoper einen Abfindungsanspruch gemäß § 2 Abs. 7 TVM geltend. Nach Ablehnung dieses Antrages vom 30. November 1981 stellte die Klägerin hinsichtlich ihres Abfindungsanspruchs am 3. Dezember 1981 ein formelles Abhilfegesuch, das mit Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 9. Februar 1982 abgelehnt wurde.
Mit Abhilfegesuch vom 2. Juli 1982 machte die Klägerin geltend, die Nichtverlängerungsmitteilung sei unwirksam. Auch dieses Abhilfegesuch wurde mit Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 10. August 1982 abgelehnt.
Mit ihrer am 19. August 1982 beim Bühnenschiedsgericht München eingegangenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Nichtverlängerungsmitteilung sei unwirksam, weil eine ordnungsgemäße Anhörung der Klägerin nicht vorliege. Bei dem Gespräch am 8. Juli 1981 seien trotz wiederholter Fragen nach Gründen für die beabsichtigte Nichtverlängerung keine Gründe genannt worden.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß die Nichtverlängerungsmit-
teilung vom 16. Juli 1981 unwirksam ist und
das Vertragsverhältnis über den 31. August
1982 hinaus fortbesteht,
hilfsweise
1. festzustellen, daß die Klägerin bei dem Be-
klagten auch für die Spielzeit 1982/83 in
der Bayerischen Staatsoper angestellt ist,
2. den Beklagten zu verurteilen, an die Kläge-
rin 400,-- DM Teilbetrag der Gagenforderung
für September 1982 zu bezahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat behauptet, bei dem Gespräch am 8. Juli 1981 sei der Klägerin durch den damaligen Generalmusikdirektor Prof. S gesagt worden, daß für die Nichtverlängerung ausschließlich künstlerische Gründe maßgebend seien; er sei bereit, diese Gründe nunmehr im einzelnen zu nennen. Die Klägerin habe jedoch darauf verzichtet, nähere Einzelheiten zu den künstlerischen Gründen zu erfahren und das Gespräch auf persönliche Fragen gebracht. Außerdem hat der Beklagte geltend gemacht, der Feststellungsanspruch der Klägerin sei verwirkt. Die Intendanz der Bayerischen Staatsoper sei gezwungen gewesen, frühzeitig Dispositionen für die Spielzeit 1982/83 zu treffen; dies sei der Klägerin auch bekannt gewesen. Der erste Einwand der Klägerin gegen die Wirksamkeit der Nichtverlängerungsmitteilung sei jedoch zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem der Beklagte nicht mehr mit einem solchen Einwand der Klägerin habe zu rechnen brauchen. Der von der Klägerin mit Schreiben vom 21. November 1981 geltend gemachte Abfindungsanspruch gemäß § 2 Abs. 7 TVM setze die Anerkennung der wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraus, weil anderenfalls ein Abfindungsanspruch gar nicht entstehen könne. Daher habe der Beklagte berechtigterweise den Eindruck gewinnen müssen, die Klägerin sei mit der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses einverstanden, zumal sie sich erstmals am 2. Juli 1982 auf die angebliche Unwirksamkeit der Nichtverlängerungsmitteilung berufen habe.
Das Bühnenschiedsgericht München hat durch Schiedsspruch vom 15. November 1982 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, das Arbeitsverhältnis sei im Einvernehmen aufgelöst worden. Der Antrag auf Abfindung gemäß § 2 Abs. 7 TVM habe nur unter der Voraussetzung einer beiderseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gestellt werden können; damit liege diesem Antrag eine konkludente Annahme des Auflösungsangebots des Beklagten, das in der Nichtverlängerungsmitteilung enthalten sei, zugrunde. Jedenfalls aber sei der Klageanspruch verwirkt. Bis zum zweiten Abhilfegesuch vom 2. Juli 1982 habe die Theaterleitung das Schweigen der Klägerin so verstehen können, daß diese sich mit der Nichtverlängerungsmitteilung einverstanden zeige, zumal sie nach dem auf ein anderes Ziel gerichteten ersten Abhilfegesuch wieder lange Zeit habe verstreichen lassen. Die Theaterleitung habe deshalb davon ausgehen dürfen, daß über die Planstelle der Klägerin ab Ende der Spielzeit 1981/82 neu verfügt werden könne. Für die Staatsoper sei es mit Schwierigkeiten und großem Aufwand verbunden, Spielplan und Besetzungslisten für die bereits angelaufene Spielzeit 1982/83 im nachhinein zu ändern.
Gegen diesen Schiedsspruch hat die Klägerin Berufung zum Bühnenoberschiedsgericht eingelegt und beantragt,
1. den Schiedsspruch des Bühnenschiedsgerichts auf-
zuheben,
2. festzustellen, daß die Nichtverlängerungsmitteilung
des Beklagten vom 16. Juli 1981 unwirksam ist und
das Vertragsverhältnis über den 31. August 1982
hinaus fortbesteht.
Das Bühnenoberschiedsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Gegen diesen Schiedsspruch hat die Klägerin Aufhebungsklage zum Arbeitsgericht Köln erhoben, die durch Urteil vom 20. August 1984 abgewiesen wurde. Die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil wurde vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Aufhebungsbegehren sowie ihren vor dem Bühnenoberschiedsgericht gestellten Sachantrag weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Aufhebungsklage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen, denn der Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts beruht nicht auf der Verletzung einer Rechtsnorm (§ 110 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG).
I. Das Bühnenoberschiedsgericht hat die Schiedsklage rechtsfehlerfrei mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe ihre Befugnis verwirkt, sich auf eine etwaige Unwirksamkeit der Nichtverlängerungsmitteilung vom 16. Juli 1981 zu berufen. Zur näheren Begründung dieser Würdigung hat es im wesentlichen ausgeführt, aufgrund der Beweisaufnahme sei es davon überzeugt, daß Prof. S der Klägerin in dem Anhörungsgespräch erklärt habe, daß ausschließlich künstlerische Gründe zu der Absicht geführt hätten, das Vertragsverhältnis nicht zu verlängern. Er sei zwar nicht verpflichtet, aber gerne dazu bereit, diese Gründe darzulegen. Dazu sei es dann jedoch nicht mehr gekommen, weil sich der Zeuge I an dieser Stelle in das Gespräch eingeschaltet und versucht habe, für die Klägerin eine anderweitige Beschäftigung zu erreichen. Dem Zeugen I, der bei dem Anhörungsgespräch in seiner Eigenschaft als Obmann der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger als Vertreter der solistischen Mitglieder anwesend gewesen sei und sich ausschließlich als Vertreter der Klägerin gefühlt habe, sei es im wesentlichen darum gegangen, der Klägerin nach Ablauf des Vertragsverhältnisses am 31. August 1982 eine neue Beschäftigung zu verschaffen. Damit sei die Klägerin auch nach der Überzeugung des Bühnenoberschiedsgerichts einverstanden gewesen. Da die Erhebung des Abfindungsanspruches voraussetze, daß das Bühnenmitglied die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Nichtverlängerungsmitteilung akzeptiere, habe die Klägerin mit ihren Abhilfegesuchen vom 21. November und 3. Dezember 1981 dokumentiert, daß sie bereit gewesen sei, die Nichtverlängerungsmitteilung vom 16. Juli 1981 ohne Widerspruch hinzunehmen. Hierauf habe sich der Beklagte einstellen dürfen und eingestellt. Die plötzliche Berufung der Klägerin auf die Unwirksamkeit der Nichtverlängerungsmitteilung im Schreiben vom 2. Juli 1982 sei deshalb als verwirkt anzusehen. Hierin liege ein Verstoß gegen Treu und Glauben, denn die Klägerin setze sich damit in Widerspruch zu ihren Ansprüchen aus dem ersten Abhilfegesuch vom 3. Dezember 1981.
II. Diese Würdigung ist frei von Rechtsfehlern.
1. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist in ständiger Rechtsprechung anerkannt; verwirken kann insbesondere auch die Befugnis, sich auf das Fortbestehen eines Arbeitsverhältnisses zu berufen (vgl. insbesondere Senatsurteil vom 7. März 1980 - 7 AZR 177/78 - AP Nr. 54 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag m.w.N.). Die Verwirkung tritt dann ein, wenn der Berechtigte mit der Geltendmachung seines Rechts längere Zeit zuwartet (Zeitmoment) und daneben besondere Umstände vorliegen, nach denen der Gegner nach Treu und Glauben annehmen und sich darauf einrichten durfte, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment).
2. Nach diesen Grundsätzen hat das Bühnenoberschiedsgericht zunächst das Vorliegen des Zeitmoments rechtsfehlerfrei bejaht, wenn es darauf abgestellt hat, daß sich die Klägerin, der die Nichtverlängerungsmitteilung am 25. Juli 1981 ausgehändigt wurde, erstmals im Schreiben vom 2. Juli 1982 auf deren angebliche Unwirksamkeit berief.
Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, daß der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit einer Befristung grundsätzlich nicht bereits innerhalb einer dem § 4 KSchG entsprechenden Drei-Wochen-Frist ab Zugang einer Mitteilung seines Arbeitgebers geltend machen muß, der Arbeitsvertrag solle nicht verlängert werden (vgl. BAG Urteil vom 24. Oktober 1979 - 5 AZR 851/78 - AP Nr. 49 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag). Indessen hat die Klägerin hier wesentlich länger, nämlich nahezu ein Jahr, zugewartet. Überdies handelt es sich bei der vorliegenden Nichtverlängerungsmitteilung nicht wie beim Regelfall einer Befristung lediglich um eine unverbindliche Absichtserklärung des Arbeitgebers ohne jegliche Gestaltungswirkung, sondern um einen tariflich geregelten, formalisierten Rechtsakt, der insoweit Gestaltungswirkung hat, als von ihm die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der vereinbarten Befristung abhängt. Die längere widerspruchslose Hinnahme dieses Gestaltungsakts ist also durchaus geeignet, in dem Arbeitgeber den Eindruck zu erwecken, der Arbeitnehmer finde sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab.
3. Auch die Bejahung des Umstandsmoments durch das Bühnenoberschiedsgericht läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Bei den diesbezüglichen Einwendungen der Klägerin, der Beklagte habe aus ihrer langen Untätigkeit nicht auf ihr Einverständnis mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses schließen dürfen bzw. eine frühere Geltendmachung der Unwirksamkeit der Nichtverlängerungsmitteilung sei ihr unzumutbar gewesen, läßt die Klägerin außer Acht, daß das Bühnenoberschiedsgericht nicht lediglich auf diese U n t ä t i g k e i t, sondern zu Recht entscheidend darauf abgestellt hat, daß die Klägerin durch ein p o s i t i v e s H a n d e l n den Eindruck erweckte, sich gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses nicht wehren zu wollen (zu dieser Unterscheidung vgl. insbes. Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 351). Denn die Klägerin hat vom Beklagten eine Abfindung gemäß § 2 Abs. 7 TVM begehrt; eine solche Abfindung setzt jedoch die wirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraus. In diesem positiven Verhalten der Klägerin liegen mithin ausreichende besondere Umstände, aufgrund derer der Beklagte nach Treu und Glauben davon ausgehen durfte, die Klägerin werde die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses nicht mehr infrage stellen. Daß sich der Beklagte auch hierauf eingerichtet hat, hat das Bühnenoberschiedsgericht unangefochten festgestellt. Gerade zu einer solchen Feststellung sind die Bühnenschiedsgerichte kraft ihrer Sachkunde im Bühnenbereich in besonderem Maße berufen. Mangels konkreter Einwendungen seitens der Klägerin sieht der Senat deshalb keinen Anlaß, diese Würdigung in Zweifel zu ziehen.
III. Entgegen der Annahme der Klägerin steht auch § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG der Annahme der Verwirkung nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die Verwirkung tariflicher Rechte ausgeschlossen. Bei der Berufung der Klägerin auf das Fortbestehen ihres Arbeitsverhältnisses handelt es sich indessen schon deshalb nicht um ein tarifliches Recht im Sinne dieser Vorschrift, weil der Tarifvertrag die einverständliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht verbietet, also den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht zwingend anordnet. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses ist vielmehr individualrechtliche Voraussetzung für die Anwendbarkeit tariflicher Vorschriften überhaupt. Hat das Arbeitsverhältnis, wie im Entscheidungsfall, gemäß § 242 BGB als beendet zu gelten, so fehlt mithin bereits eine Grundvoraussetzung für das Bestehen tariflicher Rechtspositionen, deren Verwirkung durch § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG ausgeschlossen werden könnte. Davon abgesehen steht § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG gerade dem hier vorliegenden (siehe oben II 3) Sonderfall der Verwirkung, dem venire contra factum proprium als treuwidrigem Verstoß gegen ein früheres positives Verhalten, nicht entgegen (vgl. Wiedemann/Stumpf, aaO, Rz 350 ff.).
IV. Hat die Klägerin mithin ihre Befugnis verwirkt, sich auf ein etwaiges Fortbestehen ihres Arbeitsverhältnisses zum Beklagten zu berufen, so ist nicht mehr zu prüfen, ob die Nichtverlängerungsmitteilung vom 16. Juli 1981 tatsächlich unwirksam gewesen ist. Die Klage ist deshalb zu Recht abgewiesen worden.
Dr. Seidensticker Dr. Becker Dr. Steckhan
Stappert Schmalz
Fundstellen