Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung. Sozialauswahl. Betriebsratsanhörung
Leitsatz (redaktionell)
Die in einer Änderungskündigung angebotenen Änderungen des Arbeitsvertrages dürfen sich nicht weiter vom bisherigen Inhalt des Arbeitsverhältnisses entfernen, als dies zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1, Abs. 3, § 2; BetrVG §§ 99, 102 Abs. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 25. Mai 2016 – 6 Sa 452/14 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung.
Die Beklagte betreibt ein Telekommunikationsunternehmen. Der Kläger war bei ihr bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit Mai 1999, zuletzt an ihrem Standort in E im Bereich Finance Controlling (FC) in der Abteilung Business Intelligence (FCR) als „Spezialist DataWareHouse” beschäftigt.
Die Beklagte und der in E gebildete Betriebsrat schlossen unter dem 21. März 2013 einen Interessenausgleich und Sozialplan nebst einer Zusatzvereinbarung. Nach dessen Anlage 1c sollten ua. die aus insgesamt vier Mitarbeitern bestehenden Gruppen FCRR und FCRS der Abteilung FCR dem Standort D zugeordnet werden. Der Kläger gehörte ausweislich der Anlage 5 zum Interessenausgleich zu diesen Mitarbeitern.
Nachdem der Kläger ein ihm unterbreitetes Angebot, mit Wirkung ab Dezember 2013 zu im Übrigen unveränderten Konditionen in D weiterbeschäftigt zu werden, nicht angenommen hatte, hörte die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 21. Mai 2013 zu einer auf dieses Ziel gerichteten Änderungskündigung zum 30. November 2013, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin, an. Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Änderungskündigung mit Schreiben vom 28. Mai 2013 und wies zur Begründung auf konkrete Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten am Standort in E hin sowie darauf, dass die Beklagte fehlerhaft keine Sozialauswahl durchgeführt habe.
Die Beklagte erklärte – hiervon gehen jedenfalls beide Parteien aus – mit Schreiben vom 31. Mai 2013 gegenüber dem Kläger eine Änderungskündigung mit dem ihm zuvor unterbreiteten Änderungsangebot.
Der Kläger hat dieses unter dem Vorbehalt seiner sozialen Rechtfertigung angenommen und die vorliegende Änderungsschutzklage erhoben. Er hat sich „die Widerspruchsgründe des Betriebsrates zu eigen gemacht” und eine nicht ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gerügt.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen im Wege der Änderung des Arbeitsorts durch die Änderungskündigung vom 31. Mai 2013 sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Änderungskündigung für wirksam gehalten. Der bisherige Arbeitsplatz des Klägers in E sei in Umsetzung der ausweislich des Interessenausgleichs getroffenen unternehmerischen Entscheidung weggefallen. Gleichzeitig sei ein äquivalenter Arbeitsplatz in D geschaffen worden. Andere freie Arbeitsplätze am Standort E seien nicht vorhanden gewesen. Eine Sozialauswahl sei nicht vorzunehmen gewesen. Die vom Kläger benannten Mitarbeiter seien nicht mit ihm austauschbar gewesen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger – sinngemäß – die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf der rechtsfehlerhaften Anwendung von § 1 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 2 KSchG. Die Abweisung der vom Kläger erhobenen Änderungsschutzklage wird von seinen Gründen nicht getragen. Ob die Änderung der Arbeitsbedingungen des Klägers sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 2 KSchG ist, steht noch nicht fest. Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht.
I. Eine betriebsbedingte Änderungskündigung ist sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 2 KSchG, wenn das Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer zu den bisherigen Vertragsbedingungen entfallen ist und der Arbeitgeber sich darauf beschränkt hat, solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Ob der Arbeitnehmer eine ihm vorgeschlagene Änderung billigerweise hinnehmen muss, ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu ermitteln. Die Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags an die verbliebenen Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Die angebotenen Änderungen dürfen sich nicht weiter vom bisherigen Inhalt des Arbeitsverhältnisses entfernen, als dies zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist (BAG 24. September 2015 – 2 AZR 680/14 – Rn. 13, BAGE 153, 9; 29. September 2011 – 2 AZR 523/10 – Rn. 28).
II. Diese Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht für seine Entscheidung nicht herangezogen. Das Landesarbeitsgericht hat bezogen auf den vom Kläger geltend gemachten Unwirksamkeitsgrund, die Änderung der Arbeitsbedingungen sei sozial ungerechtfertigt, ausschließlich geprüft, ob die Beklagte eine fehlerhafte Sozialauswahl iSd. § 1 Abs. 3 KSchG durchgeführt habe. Dieser materielle Rechtsfehler bei der Anwendung von § 1 Abs. 2 iVm. § 2 KSchG ist vom Senat gem. § 557 Abs. 3 Satz 1 ZPO iVm. § 72 Abs. 5 ArbGG unabhängig von einer darauf bezogenen Sachrüge der Revision zu prüfen.
1. Das Landesarbeitsgericht ist zwar ersichtlich davon ausgegangen, dass § 1 KSchG nach seinem betrieblichen Geltungsbereich gem. § 23 Abs. 1 KSchG im Zeitpunkt der Änderungskündigung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung fand. Der Kläger hat aber nicht allein eine fehlerhafte Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 iVm. § 2 KSchG gerügt, sondern auch eine mangelnde soziale Rechtfertigung der Änderung seiner Arbeitsbedingungen in Hinblick auf die vom Betriebsrat benannten Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in E. Er hat damit in Abrede gestellt, dass die Änderung seiner Arbeitsbedingungen aufgrund der Änderungskündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt war. Eine diesbezügliche Würdigung hat das Berufungsgericht nicht vorgenommen.
2. Sollte das Landesarbeitsgericht unausgesprochen das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG für die Änderung der Arbeitsbedingungen des Klägers bejaht haben, sind die hierfür erforderlichen Tatsachen nicht festgestellt. Das Landesarbeitsgericht hat weder Feststellungen dazu getroffen, ob der bisherige Beschäftigungsbedarf für den Kläger in E durch Verlagerung seines Arbeitsplatzes nach D mit Wirkung ab Dezember 2013 tatsächlich entfallen ist noch ob es andere, sich vom bisherigen Inhalt seines Arbeitsverhältnisses weniger weit entfernende Beschäftigungsmöglichkeiten gab. Selbst wenn Ersteres unstreitig gewesen sein sollte, ist dies bislang nicht festgestellt. Das Landesarbeitsgericht hat den entsprechenden Sachvortrag der Beklagten als streitig wiedergegeben. Zu konkret vorhandenen anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger in E haben die Parteien nach dem Tatbestand der angefochtenen Entscheidung ebenfalls widerstreitend vorgetragen. Es ist auch nicht festgestellt, dass die Voraussetzungen der Vermutungswirkung gem. § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG gegeben gewesen wären.
3. Hätte es demnach, wie vom Kläger behauptet, andere sich vom bisherigen Inhalt seines Arbeitsverhältnisses weniger weit entfernende Beschäftigungsmöglichkeiten gegeben, hätte das Landesarbeitsgericht die Klage nicht abweisen dürfen.
III. Dieser Rechtsfehler führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht, damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann. Für die neue Verhandlung und Entscheidung gibt der Senat die folgenden Hinweise:
1. In der Senatsrechtsprechung ist bereits geklärt, dass das Gebot der ausreichenden Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte gem. § 1 Abs. 3 KSchG auch für betriebsbedingte Änderungskündigungen gilt und dass es bei diesen für die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer darauf ankommt, ob die Arbeitnehmer auch für die Tätigkeit, die Gegenstand des Änderungsangebots ist, wenigstens annähernd gleich geeignet sind, ob eine Austauschbarkeit also auch bezogen auf den mit der Änderungskündigung angebotenen Arbeitsplatz gegeben ist (BAG 9. September 2010 – 2 AZR 936/08 – Rn. 44; 18. Januar 2007 – 2 AZR 796/05 – Rn. 26). Sollte das Landesarbeitsgericht auch nach dem fortgesetzten Berufungsverfahren zu der Feststellung gelangen, die vom Kläger benannten Arbeitnehmer der Gruppe „TIBF” könnten die von ihm in D auszuübende Tätigkeit nicht – und zwar auch nicht nach einer kurzen Einarbeitungszeit (vgl. BAG 31. Mai 2007 – 2 AZR 306/06 – Rn. 40, BAGE 123, 20; 18. Oktober 2006 – 2 AZR 676/05 – Rn. 30) – ausführen, hätte die Beklagte diese demnach zu Recht nicht in eine Sozialauswahl mit dem Kläger einbezogen.
2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe den Betriebsrat ordnungsgemäß nach § 102 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG angehört, lässt auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen keinen Rechtsfehler erkennen. Auch die Revision zeigt einen solchen nicht auf. Die Beteiligung des Betriebsrats gem. § 99 BetrVG im Falle einer Versetzung des Arbeitnehmers ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine mit diesem Ziel erklärte Änderungskündigung (BAG 8. Juni 1995 – 2 AZR 739/94 – zu II der Gründe; 30. September 1993 – 2 AZR 283/93 – zu B I 3 der Gründe, BAGE 74, 291).
Unterschriften
Koch, Niemann, Rachor, Grimberg, Brossardt
Fundstellen