Entscheidungsstichwort (Thema)
Gehaltsabstand bei frei vereinbarten Gehältern
Leitsatz (amtlich)
- Nach § 2 Abs. 3a des Gehaltstarifvertrags für Redakteure und Redakteurinnen an Zeitschriften in den alten und neuen Bundesländern müssen die frei zu vereinbarenden Gehälter u.a. der Chefredakteure und Ressortleiter angemessen über den Tarifgehältern liegen.
- Der angemessene Abstand ist bei Erhöhungen der Tarifgehälter zu überprüfen.
- Unterläßt der Arbeitgeber die Anpassungsprüfung oder lehnt er eine angemessene Anpassung ab, so kann der Arbeitnehmer hierüber eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen oder unmittelbar auf Zahlung klagen.
- Für die Angemessenheit des Gehaltsabstands i.S.d. § 2 Abs. 3 GTV kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an.
Normenkette
BGB § 315 Abs. 1, 3; Gehaltstarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Zeitschriften in den alten und neuen Bundesländern, § 2 Abs. 3a
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger ist seit 1981 als Ressortleiter im Zeitungsverlag der Beklagten tätig. Er verlangt von der Beklagten eine Gehaltserhöhung für die Zeit vom 1. April 1993 bis zum 30. April 1994.
Kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit wie auch kraft Vereinbarung im Arbeitsvertrag unterliegt das Arbeitsverhältnis der Parteien den Bestimmungen des Gehaltstarifvertrages für Redakteure an Zeitschriften (GTV). § 2 Abs. 3a GTV lautet:
“…
(3) a) Die Gehälter der Chefredakteurinnen/Chefredakteure, stellvertretenden Chefredakteurinnen/Chefredakteure, geschäftsführenden Redakteurinnen/Redakteure, Cheffinnen/Chefs vom Dienst, Ressortleiterinnen/Ressortleiter sowie von Redakteurinnen/Redakteuren mit vergleichbaren Funktionen sind frei zu vereinbaren. Ihre Gehälter müssen angemessen über den ihren Berufsjahren entsprechenden Tarifsätzen für Redakteurinnen/Redakteure der Gruppe I liegen bzw. über den Sätzen der Gruppe II, falls ihnen Redakteurinnen/Redakteure unterstehen, die in dieser Gruppe einzureihen sind. Im Falle von Änderungen der Tarifgehälter ist die Angemessenheit der frei zu vereinbarenden Gehälter in Relation zu den Gehaltssätzen der Gruppen I und II zu überprüfen.
…”
Nach § 2 Nr. (2) GTV zählen zu den Redakteuren der Gehaltsgruppe II solche in besonderer Stellung, insbesondere Redakteure, denen mindestens ein Redakteur der Gruppe I unterstellt ist. Die Gehälter der Gehaltsgruppe II ab 15. Berufsjahr betrugen bis zum 30. April 1993 7.292,00 DM brutto und ab 1. Mai 1993 bis zum 30. April 1994 7.533,00 DM brutto. Die Gehaltssätze für Redakteure der Gruppe I (Eingangsgruppe) betrugen im 15. Berufsjahr bis zum 30. April 1993 6.175,00 DM brutto, ab 1. Mai 1993 bis zum 30. April 1994 6.379,00 DM brutto (§ 2 Nr. ≪1≫ GTV).
Dem Kläger sind zwei Redakteure der Gehaltsgruppe I unterstellt. Seine Bezüge wurden im Jahre 1981 mit 5.600,00 DM brutto vereinbart. Das Tarifgehalt der Redakteure der Gehaltsgruppe I betrug damals 3.606,00 DM brutto. Der Kläger erhielt Gehaltserhöhungen, zuletzt ab 1. Juli 1992. Seitdem betragen seine Bezüge 7.600,00 DM brutto im Monat.
Der Kläger hat vorgetragen, der Abstand zwischen seinem Bruttogehalt und den Bruttogehältern für Redakteure der Gehaltsgruppe I habe anfangs 35,6 % betragen und in den Jahren 1982 bis 1989 zwischen 38,4 % und 28,11 % gelegen. Der Abstand sei dann ab Mai 1993 kontinuierlich auf 16,06 % gesunken. Insgesamt zeige die Entwicklung der Gehaltsunterschiede eine fallende Tendenz auf. Angemessen sei eine Gehaltsdifferenz von 25 % zu den Bezügen der Gehaltsgruppe I. Dies ergebe für die Zeit vom 1. April 1993 bis zum 30. April 1994 einen Erhöhungsbetrag von 4.630,00 DM brutto. Die tarifvertragliche Ausschlußfrist des § 5 MTV sei gewahrt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.630,00 DM nebst 4 % p.a. Zinsen hierauf zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe keinen Anspruch auf ein höheres Gehalt. Der Tarifvertrag nehme Ressortleiter ausdrücklich von den tariflichen Gehaltsregelungen aus, indem er bestimme, daß deren Gehalt frei zu vereinbaren sei. Vorgaben für die Angemessenheit des Abstandes zwischen dem zu vereinbarenden Gehalt zum festgelegten Tarifgehalt seien der tarifvertraglichen Regelung nicht zu entnehmen. Deshalb sei es auch den Gerichten verwehrt, die Höhe des Gehalts festzusetzen. Aus § 2 Abs. 3a GTV folge, daß ein angemessener Gehaltsabstand dann gewahrt sei, wenn dem Ressortleiter nur Redakteure der Gruppe I nachgeordnet seien und das Gehalt des Ressortleiters mindestens die Bezüge der Gehaltsgruppe II erreiche. Anderenfalls sei die zweistufige Differenzierung unnötig gewesen.
Außerdem sei die Ausschlußfrist des § 5 MTV nicht gewahrt. Mit der Klage habe der Kläger zunächst einen anderen Anspruch geltend gemacht, nämlich die Weitergabe einer Tarifgehaltserhöhöhung. Erst mit Schriftsatz vom 20. August 1993 habe der Kläger seinen Anspruch auf § 2 Abs. 3a GTV gestützt und einen angemessenen Gehaltsabstand verlangt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten im wesentlichen – bis auf die Korrektur eines Berechnungsfehlers – zurückgewiesen. Mit der Revision will die Beklagte die Abweisung der Klage insgesamt erreichen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Die Vorinstanzen haben angenommen, der Kläger habe Anspruch darauf, daß sein Gehalt 25 % über dem entsprechenden Gehalt der VergGr. I liege; dies sei der angemessene Abstand i.S.d. § 2 Abs. 3a GTV. Diese Auffassung ist nicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ist § 2 Abs. 3a GTV.
- Der Kläger fällt als Ressortleiter in den persönlichen Geltungsbereich dieser Vorschrift.
- Gemäß § 2 Abs. 3a Sätze 2 und 3 GTV müssen die frei zu vereinbarenden Gehälter dieses Personenkreises angemessen über den tariflich geregelten Gehältern der Redakteure der Tarifgruppe I bzw. der Tarifgruppe II liegen; bei Änderungen der Tarifgehälter ist die Angemessenheit der frei vereinbarten Gehälter zu überprüfen.
Hiernach hat der Kläger Anspruch auf die begehrte Gehaltserhöhung.
- Allerdings ergibt sich aus § 2 Abs. 3a GTV nicht unmittelbar ein Anspruch auf Zahlung eines Gehalts in einer bestimmten, betragsmäßig festgelegten Höhe. Die Vorschrift verlangt im Bereich der frei vereinbarten Gehälter nur einen “angemessenen” Abstand zu den nachgeordneten Mitarbeitern und eine Überprüfung der Angemessenheit des Abstands bei einer Änderung der tariflichen Bezüge.
Die Frage, welcher Gehaltsabstand i.S.d. tariflichen Norm als angemessen anzusehen ist, wird im Tarifvertrag selbst nicht beantwortet. Der Tarifvertrag bestimmt auch nicht, ob dem Arbeitgeber ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht zustehen soll, wenn nach einer Tariflohnänderung die (weitere) Angemessenheit des Gehalts zu überprüfen ist. Es spricht viel dafür, im Bereich der frei zu vereinbarenden Gehälter eine Verhandlungspflicht anzunehmen, da auch ein nach Tariflohnänderungen neu festgesetztes Gehalt ein frei zu vereinbarendes Gehalt ist.
Die Frage kann offenbleiben. Auch wenn jede Fixierung des Gehalts auf einen bestimmten Betrag der Vereinbarung, also eines vertraglichen Konsenses bedarf, darf sich der Arbeitgeber nicht verweigern, indem er die ihm nach dem TV obliegende Prüfung der weiteren Angemessenheit des frei vereinbarten Gehalts ablehnt. Da das frei vereinbarte Gehalt angemessen über dem der tariflich bezahlten Mitarbeiter liegen muß, ohne daß die absolute Höhe oder auch nur der Abstand zu den nachgeordneten Mitarbeitern bestimmt wäre, gilt hier nichts anderes als bei (einseitigen) Leistungsbestimmungen, die nach billigem Ermessen vorzunehmen sind (§ 315 Abs. 1 BGB).
- Verweigert sich in einem solchen Fall der eine Vertragsteil völlig oder läßt er sich auf eine Änderung der Gehaltsvereinbarung nur in einem Umfang ein, der den tariflich vorgeschriebenen angemessenen Abstand nicht wahrt, so kann der andere Teil eine der Billigkeit entsprechende, das heißt hier die Angemessenheit des Gehaltsabstands wahrende Entscheidung des Gerichts herbeiführen (vgl. § 315 Abs. 3 BGB), er kann auch sogleich auf eine der Billigkeit entsprechende Leistung klagen (BAGE 28, 279 = AP Nr. 4 zu § 16 BetrAVG; BAG Urteil vom 17. Oktober 1995 – 3 AZR 881/94 – AP Nr. 34 zu § 16 BetrAVG), d.h. ein höheres den angemessenen Abstand wahrendes Gehalt verlangen.
Die Annahme der Vorinstanzen, der Gehaltsabstand sei angemessen, wenn die Bezüge des Klägers das entsprechende Gehalt der Gehaltsgruppe I (15. Berufsjahr) um 25 % übersteigen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls. Einen festen, auch im Zeitablauf unveränderlichen Abstand haben die Tarifvertragsparteien gerade nicht festgelegt.
- Zur Angemessenheit des Gehaltsabstands des Klägers zu den tariflich entlohnten Mitarbeitern haben die Vorinstanzen ausgeführt: Die Beklagte selbst habe dem Kläger über Jahre hinweg Gehälter gezahlt, die um 30 % und mehr über denen der Gehaltsgruppe I gelegen haben. Erst ab 1990 sei der Abstand gesunken, zuletzt auf 16,06 %. Auch wenn nicht von einer Selbstbindung der Beklagten auszugehen sei, ergebe sich daraus ein Anhaltspunkt dafür, was die Beklagte selbst als angemessenen Abstand angesehen habe. Berücksichtige man zudem, daß der Kläger eine gesteigerte Verantwortung trage und Vorgesetztenfunktionen zu erfüllen habe, sei ein Absinken des Gehaltsabstands unter 25 % nicht (mehr) angemessen. Dies entspreche auch einem angemessenen Abstand zur Gehaltsgruppe II.
- Der Senat schließt sich diesen Erwägungen an. Mit dem Landesarbeitsgericht ist davon auszugehen, daß zumindest in den Fällen, in denen – wie hier – mehr als nur ein Mitarbeiter der Gehaltsgruppe I GTV unterstellt sind, die angemessenen Bezüge nicht nur oberhalb der entsprechenden Gehaltssätze der Gruppe I liegen müssen, sondern auch oberhalb der Gehaltssätze der Gehaltsgruppe II. Denn damit ist bereits der Fall geregelt, daß einem Redakteur mit der dort beschriebenen Leitungsfunktion ein anderer Redakteur der Gehaltsgruppe I unterstellt ist. Sind einem Ressortleiter aber mehr als nur ein Redakteur der Gehaltsgruppe I unterstellt, so ist es grundsätzlich angemessen, daß sein Gehalt – sofern keine sonstigen Besonderheiten vorliegen – auch angemessen über dem maßgeblichen Gehalt der Gehaltsgruppe II liegt. Das ist vorliegend der Fall, wenn dem Kläger für den Monat April 1993 ein Gehalt von 7.718,75 DM brutto zugebilligt wird und für die Monate Mai 1993 bis April 1994 ein Gehalt von 7.973,75 DM brutto, wie es die Vorinstanzen angenommen haben. Der Gehaltsabstand zu den Gehaltssätzen der Gruppe II beträgt dann etwa 7 bzw. 6 %; gegenüber den Gehältern der Gruppe I beträgt der Abstand 25 %. Besonderheiten, die zu einer anderen Bemessung der Bezüge des Klägers führen könnten, liegen nicht vor.
Entgegen der Auffassung der Revision ist die Klageforderung weder ganz noch teilweise verfallen. Auch dies haben die Vorinstanzen richtig erkannt.
Nach § 5 GTV müssen tarifvertragliche Ansprüche binnen drei Monaten nach ihrer Fälligkeit schriftlich und nach Ablehnung durch den Verlag innerhalb eines halben Jahres gerichtlich geltend gemacht werden.
Bei dem Anspruch des Klägers auf Gehaltserhöhung handelt es sich um einen tarifvertraglichen Anspruch. Seiner Verpflichtung zur rechtzeitigen Geltendmachung für den hier interessierenden Streitzeitraum ist der Kläger dadurch nachgekommen, daß er in seiner Klageschrift vom 21. April 1993, der Beklagten zugegangen am 11. Mai 1993, den Antrag angekündigt hat festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm ab 1. April 1993 ein Effektivgehalt von 8.369,33 DM zu zahlen. Damit hatte der Kläger die Beklagte eindeutig zur Zahlung höherer Bezüge aufgefordert, und zwar in einem Maß, das die sodann im Wege eines Leistungsantrags weiterverfolgte Klageforderung überschritt.
Der Klageanspruch ist auch rechtzeitig gerichtlich geltend gemacht worden. Der Kläger hat die Klage für den Streitzeitraum rechtzeitig, nämlich in dem Monat erhoben, für welchen er erstmals die erhöhten Bezüge (April 1993) mit seinem Leistungsantrag (Antrag zu Protokoll vom 20. Dezember 1994) verfolgt hat.
- Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang rügt, dem Kläger stehe kein Recht auf Gehaltserhöhung mehr zu, weil er nicht rechtzeitig verlangt habe, daß die Beklagte die Angemessenheit seiner Bezüge überprüfe, übersieht sie, daß der Anspruch auf Überprüfung der Gehälter bereits mit Schreiben vom 7. Juni 1991 von einer Reihe von Mitarbeitern, u.a. dem Kläger, geltend gemacht worden ist. Die Mitarbeiter haben dort die Beklagte dazu aufgefordert, die Gehaltssituation zu überprüfen. Zudem reicht es aus, daß der Arbeitnehmer rechtzeitig schriftlich geltend gemacht hat, er begehre ein höheres Gehalt, dieses beziffert und diese Geltendmachung nicht hinter dem später gerichtlich begehrten Gehalt zurückbleibt. Auch diese Voraussetzungen sind hier gewahrt. Der Kläger hat in der Klageschrift Monatsbezüge von 8.369,33 DM begehrt. Der Sache nach macht er mit dem Antrag vom 20. Dezember 1994 indessen nur die Zahlung von Gehältern in Höhe von 7.718,75 DM für den April 1993 bzw. von 7.973,75 DM ab Mai 1993 geltend.
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke, Müller, Mandrossa
Fundstellen
Haufe-Index 893914 |
NZA 1997, 1352 |
RdA 1998, 59 |
SAE 1998, 234 |
ZTR 1998, 277 |
AfP 1998, 101 |
AuA 1998, 397 |