Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsgeld – Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf das tarifliche Urlaubsgeld besteht nach dem TV Sonderzahlung auch dann, wenn die Arbeitnehmerin krankheitsbedingt keine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht hat und ihr deshalb kein Urlaub gewährt werden konnte.
Normenkette
Tarifvertrag über Sonderzahlung (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) für die ArbeitnehmerInnen im Hessischen Einzelhandel i.d.F. vom 16./17. Juni 1993 und i.d.F. vom 24./25. September 1996 §§ 2-3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 22. Dezember 1997 – 11 Sa 1657/97 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über tarifliches Urlaubsgeld.
Die 1937 geborene Klägerin war bei der Beklagten vom 1. März 1993 bis 30. April 1997 als Verkäuferin in Teilzeit beschäftigt. Vom 18. Februar 1995 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses war sie arbeitsunfähig erkrankt. Auf das Arbeitsverhältnis sind die Tarifverträge des Hessischen Einzelhandels kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit anzuwenden.
In dem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag über Sonderzahlung (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) in der Fassung vom 16./17. Juni 1993 und vom 24./25. September 1996 (TV Sonderzahlung) ist u.a. bestimmt:
„§ 2
Arbeitnehmer, Auszubildende und diesen Gleichzustellende haben Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung, die sich aus 2 Teilbeträgen (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) zusammensetzt.
§ 3 Urlaubsgeld
1. Höhe und Anspruch
Das Urlaubsgeld beträgt 50 %, ab 1. Januar 1995 55 % des Endgehaltes der Gehaltsgruppe B Ia (VerkäuferIn) des Gehaltstarifvertrages des Einzelhandels in Hessen, der am 1. Januar des jeweiligen Kalenderjahres gilt.
…
- Teilzeitbeschäftigte erhalten anteiliges Urlaubsgeld im Verhältnis ihrer tatsächlichen Arbeitszeit zur tariflichen Wochenarbeitszeit.
2. Berechnung und Rückzahlung des Urlaubsgeldes
- Im Urlaubsjahr eintretende und ausscheidende Anspruchsberechtigte haben Anspruch auf soviel Zwölftel des Urlaubsgeldes, wie sie im laufenden Urlaubsjahr volle Kalendermonate im Betrieb bzw. Unternehmen tätig sind. Zuviel gezahltes Urlaubsgeld ist als Gehalts-, Lohn- bzw. Vergütungsvorschuß zurückzuzahlen. Bei Aufrechnung gegen Gehalts-, Lohn- oder Vergütungsansprüche sind die Lohnpfändungsvorschriften zu beachten.
- Eine Verpflichtung zur Rückzahlung entfällt, wenn das Arbeitsverhältnis wegen Erreichung der Altersgrenze, Krankheit oder Tod des Anspruchsberechtigten oder durch Kündigung seitens des Arbeitgebers wegen innerbetrieblicher Rationalisierung endet. Von der Rückzahlungspflicht sind ferner Anspruchsberechtigte befreit, deren Betriebszugehörigkeit zum Zeitpunkt der Auszahlung des Urlaubsgeldes mehr als 5 Jahre gedauert hat oder Arbeitnehmerinnen, die von § 10 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes Gebrauch machen.
- …
3. Fälligkeit
- Das Urlaubsgeld ist auf Verlangen des Anspruchsberechtigten vor Antritt des Urlaubs, spätestens jedoch zum 30.6., auszuzahlen.
…”
Die Klägerin hat die Beklagte erfolglos aufgefordert, ihr für 1996 und 1997 Urlaubsgeld in Höhe von unstreitig 1.576,07 DM brutto zu gewähren. Sie hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.567,07 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision. Die Klägerin bittet um deren Zurückweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin trotz ihrer andauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit Urlaubsgeld 1996 und – anteilig – 1997 in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 1.567,07 DM zu zahlen.
I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Urlaubsgeld 1996. Das ergibt sich aus § 2 i.V.m. § 3 TV Sonderzahlung.
1. Nach § 2 TV Sonderzahlung „haben” Arbeitnehmer Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung, die sich aus den beiden Teilbeträgen Urlaubsgeld und Sonderzuwendung zusammensetzt. Voraussetzung für den Anspruch auf den Teilbetrag „Urlaubsgeld” ist nach dieser Vorschrift allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin war 1996 Arbeitnehmerin der Beklagten.
2. Weitere Voraussetzungen lassen sich § 3 TV Sonderzahlung nicht entnehmen. Der Anspruch ist nicht davon abhängig, daß dem Arbeitnehmer tatsächlich Urlaub gewährt worden ist oder gewährt werden konnte.
a) Nach § 3 Nr. 1 TV Sonderzahlung bestimmt sich der Anspruchsumfang nach dem Alter des Beschäftigten und bei einer Teilzeitbeschäftigung im Verhältnis der tatsächlichen Arbeitszeit zur tariflichen Wochenarbeitszeit. Bezugsgröße für das nach § 3 Nr. 1 b, c und e TV Sonderzahlung anteilige Urlaubsgeld ist jeweils das in § 3 Nr. 1 a TV Sonderzahlung bestimmte Entgelt, nämlich das Endgehalt der Gehaltsgruppe B I a (VerkäuferIn). Die Tarifvertragsparteien haben damit das Urlaubsgeld als Festbetrag vereinbart und nicht etwa das während des Urlaubs zu zahlende Urlaubsentgelt prozentual aufgestockt (vgl. Senatsurteil vom 28. Juli 1992 – 9 AZR 340/91 – BAGE 71, 50 = AP Nr. 3 zu § 17 BErzGG).
b) § 3 Nr. 2 TV Sonderzahlung betrifft nur Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Urlaubsjahr beginnt oder endet (BAG Urteil vom 6. September 1994 – 9 AZR 92/93 – AP Nr. 50 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel). Das trifft für die Klägerin nicht zu. Ihre andauernde Arbeitsunfähigkeit hat den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht berührt.
c) Die Revision weist zwar zutreffend daraufhin, daß die Tarifvertragsparteien in § 3 Nr. 3 a 1. Halbsatz TV Sonderzahlung bestimmt haben, auf Wunsch des Arbeitnehmers sei das Urlaubsgeld „vor Urlaubsantritt” zu zahlen. Insoweit besteht zwischen Urlaub und Urlaubsgeld ein Zusammenhang. Mit dem folgenden Halbsatz haben die Tarifvertragsparteien aber die Fälligkeit des Anspruchs (§ 271 BGB) vom Urlaubsantritt gelöst und den 30. Juni als „spätesten” Auszahlungstermin festgelegt. Der Arbeitgeber schuldet mithin allen Anspruchsberechtigten, die bis zu diesem Stichtag kein Urlaubsgeld erhalten haben, die Auszahlung, unabhängig davon, ob sie Urlaub haben. Arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer sind hiervon nicht ausgenommen. Der Tarifvertrag enthält auch keine Bestimmung, der Anspruch brauche dann nicht erfüllt zu werden, wenn ungewiß ist, ob der Arbeitnehmer im verbleibenden Urlaubsjahr oder im Übertragungszeitraum arbeitsfähig wird und der Urlaubsanspruch dann durch Freistellung von der Arbeitspflicht erfüllt werden kann.
Dementsprechend schuldete die Beklagte der Klägerin die Zahlung des Urlaubsgeldes 1996 bereits zum 30. Juni 1996. Sie hätte diesen Betrag auch nicht wegen der Unmöglichkeit der Urlaubsgewährung in der Folgezeit zurückverlangen können. Hierzu enthält der Tarifvertrag keine entsprechende Rückzahlungspflicht des Arbeitnehmers.
3. Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen.
a) § 4 TV Sonderzahlung ist entgegen der Auffassung der Revision für die Auslegung von § 3 TV Sonderzahlung ohne Bedeutung. Danach schuldet der Arbeitgeber den Teilbetrag „Sonderzuwendung” erst nach einer ununterbrochenen Betriebs- oder Unternehmenszugehörigkeit von mindestens zwölf Monaten. Die Sonderzuwendung ist damit, anders als der Anspruch auf Urlaubsgeld, nicht allein vom Bestehen des Arbeitsverhältnisses abhängig. Mit der Wartezeit haben die Tarifvertragsparteien eine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung festgelegt, die über § 2 TV Sonderzahlung hinausgeht.
b) Die Revision meint, nach allgemeinen Grundsätzen bestehe zwingend ein Zusammenhang zwischen dem Anspruch auf Urlaubsgeld und dem Urlaubsanspruch.
Das ist nicht zutreffend.
Ein Urlaubsgeld kann dazu bestimmt sein, die mit einem Urlaub regelmäßig verbundenen höheren Aufwendungen des Arbeitnehmers auszugleichen (BAG Urteil vom 23. April 1996 – 9 AZR 696/94 – AP Nr. 7 zu § 17 BErzGG). Es steht den Tarifvertragsparteien aber frei, ohne Rücksicht auf den Bestand von Arbeitspflichten oder von Urlaubsansprüchen eine als „Urlaubsgeld” bezeichnete Sonderzahlung zu vereinbaren (BAG Urteil vom 6. September 1994 – 9 AZR 92/93 – AP Nr. 50 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel; vgl. auch Senatsurteil vom 18. März 1997 – 9 AZR 84/96 – BAGE 85, 306 = AP Nr. 8 zu § 17 BErzGG). Welche Voraussetzungen das Entstehen oder Erlöschen des Anspruchs bewirken, bestimmt sich nach dem Inhalt der tariflichen Regelung. Ein von den Tarifvertragsparteien mit der Leistung verfolgter Zweck ist für die Auslegung des Tarifvertrags von Bedeutung. Ein solcher Zweck kann aber nur berücksichtigt werden, wenn er sich aus den im Tarifvertrag festgelegten Anspruchsvoraussetzungen und den Ausschluß- oder Kürzungstatbeständen herleiten läßt. Ohne einen derartigen Anhalt im Tarifvertrag kann nicht aufgrund eines vermeintlichen Regel/Ausnahmeverhältnisses angenommen werden, der Anspruch auf Urlaubsgeld entfalle immer dann, wenn dem Arbeitnehmer aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit kein Urlaub gewährt werden kann.
c) Mit dieser Entscheidung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der von der Revision zitierten Entscheidung des Zehnten Senats vom 14. August 1996 (– 10 AZR 70/96 – AP Nr. 19 zu § 15 BErzGG). Dieser Rechtsstreit betraf keinen tariflichen Anspruch auf Urlaubsgeld. Vielmehr hatte sich der Senat mit der Auslegung einer einzelvertraglichen Vereinbarung über Urlaubsgeld zu befassen. Aus der Verwendung des Begriffs „Urlaubsgeld” hat der Senat für diesen Individualvertrag geschlossen, der mit der Bezeichnung verbundene Zweck schließe den Anspruch aus, wenn sich ein Arbeitnehmer ganzjährig im Erziehungsurlaub befinde und deshalb kein Urlaub gewährt werden könne. Die für die Auslegung von arbeitsvertraglichen Vereinbarungen über ein Urlaubsgeld aufgestellten Grundsätze sind auf einen tariflichen Anspruch nicht anzuwenden (BAG Urteil vom 18. November 1998 – 10 AZR 649/97 – n.v.; BAG Urteil vom 18. März 1997 – 9 AZR 84/96 – AP Nr. 8 zu § 17 BErzGG). Die Klägerin war zudem nicht im Erziehungsurlaub, sondern arbeitsunfähig.
II. Die Klägerin hat auch für 1997 – entsprechend der Dauer des Arbeitsverhältnisses – Anspruch auf Urlaubsgeld.
Der Anspruch ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin 1997 keine Arbeitsleistung erbracht hat.
Nach § 3 Nr. 2 a TV Sonderzahlung haben im Urlaubsjahr eintretende und ausscheidende Anspruchsberechtigte Anspruch auf soviel Zwölftel des Urlaubsgeldes, wie sie im laufenden Urlaubsjahr „tätig sind”. Dieser Formulierung ist indessen nicht zu entnehmen, der Anspruch bestehe nur für die Monate, in denen der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat. Maßgeblich ist auch insoweit der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses. Das ergibt sich aus dem Zusammenhang der Vorschrift, die erkennbar der gesetzlichen Regelung zum Teilurlaubsanspruch (§ 5 BUrlG) nachgebildet ist (BAG Urteil vom 6. September 1994 – 9 AZR 92/93 – AP Nr. 50 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel). Dementsprechend richten sich die in § 3 Nr. 2 b und c TV Sonderzahlung bestimmten Rückzahlungspflichten nach dem Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und seiner Dauer, nicht aber nach dem Umfang der tatsächlichen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers bis zum Ausscheiden. Hätten die Tarifvertragsparteien mithin anders als für das im gesamten Kalenderjahr bestehende Arbeitsverhältnis den Anspruch auf das Urlaubsgeld nach § 3 Nr. 2 TV Sonderzahlung von tatsächlicher Arbeitsleistung abhängig machen wollen, hätte dies deutlich zum Ausdruck gebracht werden müssen. Daran fehlt es.
3. Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB.
IV. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Unterschriften
Leinemann, Düwell, Reinecke, Otto, Schodde
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 19.01.1999 durch Brüne, Reg.-Obersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436066 |
BB 1999, 1168 |
DB 1999, 1761 |
DB 1999, 231 |
NZA 1999, 832 |
AP, 0 |