Entscheidungsstichwort (Thema)
Schulung für erstmals gewähltes Betriebsratsmitglied
Leitsatz (redaktionell)
Die in § 37 Abs 7 Satz 2 BetrVG vorgesehene zusätzliche Woche bezahlter Freistellung zur Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen steht dem erstmals gewählten Betriebsratsmitglied auch bei verkürzter Amtszeit in voller Höhe zu.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 7 S. 2
Verfahrensgang
LAG Berlin (Entscheidung vom 28.01.1988; Aktenzeichen 7 Sa 107/87) |
ArbG Berlin (Entscheidung vom 24.08.1987; Aktenzeichen 8 Ca 222/87) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Arbeitsentgelt für zwei Tage einer Betriebsratsschulung gemäß § 37 Abs. 7 BetrVG.
Die Klägerin ist seit dem 1. Oktober 1979 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Berliner Metallindustrie, beschäftigt. Am 9. Juli 1985 wurde im Betrieb der Beklagten erstmals ein Betriebsrat gewählt. Er bestand aus fünf Mitgliedern, darunter der Klägerin, die zuvor auch nicht Jugendvertreterin gewesen war. Die Amtszeit der Klägerin endete wie bei den anderen Mitgliedern des Betriebsrats mit der turnusmäßigen Neuwahl des Betriebsrats am 18. Mai 1987.
Die Klägerin besuchte vom 9. bis 13. Juni 1986 (fünf Arbeitstage) die Schulungsveranstaltung der IG Metall "Arbeitnehmer im Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft I" in S, die gemäß § 37 Abs. 7 BetrVG anerkannt war. Vom 15. bis 27. März 1987 (10 Arbeitstage) besuchte die Klägerin alsdann den ebenfalls gemäß § 37 Abs. 7 BetrVG anerkannten Teil II dieser Schulung. Vor dieser zweiten Schulungsveranstaltung hatte die Beklagte der Klägerin mitgeteilt, sie stelle sie zwar für die gesamte Dauer der Veranstaltung von der Arbeit frei, beabsichtige aber, nur acht Arbeitstage zu bezahlen, da hiermit der Anspruch der Klägerin auf Teilnahme an derartigen Schulungen erschöpft sei. Dementsprechend kürzte die Beklagte den Lohn der Klägerin für März 1987 um die Vergütung für zwei Arbeitstage in rechnerisch unstreitiger Höhe von 192,19 DM brutto.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Schulungsanspruch nach § 37 Abs. 7 Satz 1 und 2 BetrVG von insgesamt vier Wochen für Erstmitglieder des Betriebsrats dürfe auch bei verkürzter Amtszeit nicht gekürzt werden. Denn durch die Regelung des § 37 Abs. 7 Satz 2 BetrVG werde den erstmals in den Betriebsrat gewählten Betriebsratsmitgliedern bewußt ein erhöhtes Schulungsbedürfnis zugestanden. Deshalb sei nicht darauf abzustellen, ob die regelmäßige Amtszeit ausgeschöpft werde. Es komme vielmehr darauf an, die Erstmitglieder in die Lage zu versetzen, ihr Ehrenamt so schnell wie möglich ordnungsgemäß, nämlich mit der notwendigen Rechtskunde, ausüben zu können. Selbst wenn aber eine Verkürzung grundsätzlich in Betracht komme, sei die Klageforderung berechtigt. Denn jedenfalls die zusätzliche Woche, die Satz 2 in Vergleich zu Satz 1 des § 37 Abs. 7 BetrVG für Erstmitglieder vorsehe, dürfe nicht anteilig gekürzt werden. Dann aber habe die Klägerin bei einer Gesamtschulungsdauer von fünfzehn Arbeitstagen den ihr zustehenden Anspruch nicht überschritten. Denn mit 2/3 der dreiwöchigen Schulungsdauer gemäß § 37 Abs. 7 Satz 1 BetrVG hätten ihr zehn Arbeitstage zusätzlich der Mehrwoche gemäß § 37 Abs. 7 Satz 2 BetrVG zugestanden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 192,19 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 17. Juli 1987 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, sowohl der Anspruch der Klägerin nach Satz 1 als auch der nach Satz 2 des § 37 Abs. 7 BetrVG hätten wegen der verkürzten Amtszeit anteilig gekürzt werden dürfen, so daß der Klägerin Bezahlung nur für 13 Arbeitstage zugestanden habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt zur Verurteilung der Beklagten nach dem Klageantrag. Denn selbst wenn man mit dem Landesarbeitsgericht davon ausgeht, daß die dreiwöchige Schulungsdauer des § 37 Abs. 7 Satz 1 BetrVG im Falle einer verkürzten Amtsperiode anteilig zu kürzen ist, hatte die Klägerin einen Anspruch auf eine Gesamtschulungsdauer von fünfzehn Arbeitstagen, weil jedenfalls bei der durch § 37 Abs. 7 Satz 2 BetrVG gewährten Mehrwoche für Erstmitglieder eine anteilige Kürzung nicht in Betracht kommt.
1. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend dargestellt hat, steht die ganz herrschende Ansicht (Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., Band I 1981, § 37 Rz 137; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl. 1987, § 37 Rz 126; Fabricius/Kraft/Thiele/Wiese/Kreutz, BetrVG, 4. Aufl., Band I 1987, § 37 Rz 160; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., Band I 1982, § 37 Rz 110; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl. 1986, § 37 Rz 145; Stege/Weinspach, BetrVG, 5. Aufl. 1984, § 37 Rz 62; a.A.: Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl. 1983, § 37 Rz 91) auf dem Standpunkt, daß der dreiwöchige Schulungsanspruch gemäß Satz 1 des § 37 Abs. 7 BetrVG im Falle einer verkürzten Amtszeit des Betriebsrats anteilig zu kürzen ist. Hinsichtlich des durch Satz 2 des § 37 Abs. 7 BetrVG auf vier Wochen erhöhten Anspruchs eines erstmals gewählten Betriebsratsmitgliedes bietet die Literatur bereits ein differenzierteres Bild: Während z.B. Dietz/Richardi (aaO, Rz 137) und Galperin/Löwisch (aaO, Rz 111) dem Erstmitglied auch bei verkürzter Amtszeit stets einen vierwöchigen Schulungsanspruch zuerkennen und Hess/Schlochauer/Glaubitz (aaO, Rz 145) auch den vierwöchigen Schulungsanspruch nach Satz 2 des § 37 Abs. 7 BetrVG entsprechend der verkürzten Amtszeit anteilig verkürzen wollen, rechnen Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither (aaO, Rz 126) und Fabricius/Kraft/Thiele/Wiese/Kreutz (aaO, Rz 160) bei Erstmitgliedern zu dem anteilig gekürzten Anspruch gemäß Satz 1 des § 37 Abs. 7 BetrVG stets eine volle Woche gemäß Satz 2 des § 37 Abs. 7 BetrVG hinzu.
2. Der Senat folgt der letzteren Ansicht, weil sie dem erkennbaren Zweck des Gesetzes entspricht. An sich gewährt das Gesetz die Schulungsansprüche gemäß § 37 Abs. 7 BetrVG dem Grundsatz nach zeitanteilig, wie sich bereits daraus ergibt, daß das Gesetz die Ansprüche jeweils für die Dauer einer Amtsperiode berechnet. Demgegenüber hat die zusätzliche Woche gemäß § 37 Abs. 7 Satz 2 BetrVG den Charakter einer zusätzlichen Starthilfe. Am Anfang seiner Betriebsratstätigkeit soll das Erstmitglied einen zusätzlichen Schulungsanspruch von einer Woche haben. Dieser Anfang der Betriebsratstätigkeit aber fällt gleichermaßen am Anfang einer verkürzten oder verlängerten wie einer regelmäßigen Amtsperiode an, so daß für eine anteilige Verkürzung bzw. Verlängerung dieser Mehrwoche kein Anlaß besteht.
Anteilig zu verkürzen bzw. zu verlängern sind daher auch im Falle des Erstmitglieds nur die drei Wochen des Satzes 1 des § 37 Abs. 7 BetrVG, nicht jedoch die Mehrwoche gemäß § 37 Abs. 7 Satz 2 BetrVG.
3. Im Entscheidungsfalle ergibt sich damit ein Schulungsanspruch der Klägerin von 15 Arbeitstagen. Wegen des fehlenden Jahres verkürzt sich der dreiwöchige Anspruch der Klägerin aus Satz 1 des § 37 Abs. 7 BetrVG auf zehn Arbeitstage; hinzu kommen fünf Arbeitstage gemäß Satz 2 des § 37 Abs. 7 BetrVG. Da die zwei von der Klägerin besuchten Schulungsveranstaltungen insgesamt über 15 Arbeitstage liefen, steht der Klägerin mithin für diese 15 Arbeitstage ein Vergütungsanspruch gegenüber der Beklagten zu. Da die Beklagte erst für 13 Arbeitstage gezahlt hat, hat die Klägerin Anspruch auf Bezahlung zweier weiterer Arbeitstage. Die Vergütung für diese zwei Arbeitstage entspricht rechnerisch unstreitig der Klageforderung.
Dr. Seidensticker Schliemann Dr. Steckhan
Dr. Johannsen Seiler
Fundstellen
Haufe-Index 441075 |
BB 1990, 281 |
BB 1990, 281-282 (LT1) |
DB 1990, 696 (LT1) |
EzB BetrVG § 37, Nr 123c (LT1) |
NZA 1990, 317 (LT1) |
RdA 1990, 58 |
AP § 37 BetrVG 1972 (LT1), Nr 68 |
AR-Blattei, Betriebsverfassung VIIIA Entsch 64 (LT1) |
AR-Blattei, ES 530.8.1 Nr 64 (LT1) |
EzA § 37 BetrVG 1972, Nr 99 (LT1) |