Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezugnahme auf Zuwendungs-TV. Zuwendung. Bezugnahme auf Tarifvertrag
Orientierungssatz
Haben die Parteien einen befristeten Arbeitsvertrag unter Bezugnahme auf den Zuwendungstarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung vor dessen Kündigung zum 30. Juni 2003 geschlossen, so besteht ein Anspruch auf die Zuwendung auch dann, wenn die Arbeitsaufnahme erst zum 1. August 2003 und damit im Nachwirkungszeitraum erfolgte.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 305c Abs. 2; TVG § 4 Abs. 5; GewO § 105 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin für das Jahr 2003 eine Zuwendung nach dem Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte vom 10. Dezember 1990 idF des Tarifvertrages zur Änderung der Zuwendungstarifverträge (Ost) vom 31. Januar 2003 (TV Zuwendung Ang-O) zusteht.
Die Klägerin ist seit 1. August 2003 beim Beklagten als angestellte Lehrkraft tätig. § 2 des Formulararbeitsvertrages der Parteien vom 16. Juni 2003 lautet:
“Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich für die Dauer der Mitgliedschaft des Freistaates Sachsen in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) nach dem Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der TdL jeweils geltenden Fassung. Bei einem Austritt des Freistaates Sachsen aus der TdL gelten diese Tarifverträge bis zu ihrer Beendigung oder bis zum Abschluss eines anderen Tarifvertrages statisch weiter. Außerdem finden die von dem Freistaat Sachsen abgeschlossenen sonstigen einschlägigen Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung Anwendung.”
Der Beklagte gehört der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) an. Diese kündigte mit einem Schreiben vom 25. Juni 2003 ua. den TV Zuwendung Ang-O fristgerecht zum 30. Juni 2003. In § 1 dieses Tarifvertrages heißt es:
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Anspruchsvoraussetzungen
(1) Der Angestellte erhält in jedem Kalenderjahr eine Zuwendung, wenn er
1. am 1. Dezember im Arbeitsverhältnis steht und nicht den ganzen Monat Dezember ohne Vergütung zur Ausübung einer entgeltlichen Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit beurlaubt ist und
2. seit dem 1. Oktober ununterbrochen als Angestellter, Arbeiter, Beamter, Richter, Soldat auf Zeit, Berufssoldat, Arzt im Praktikum, Auszubildender, Praktikant, Schüler/Schülerin in der Krankenpflege, Kinderkrankenpflege oder Krankenpflegehilfe oder Hebammenschülerin/Schüler in der Entbindungspflege im öffentlichen Dienst gestanden hat
oder
im laufenden Kalenderjahr insgesamt sechs Monate bei demselben Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis gestanden hat oder steht und
3. nicht in der Zeit bis einschließlich 31. März des folgenden Kalenderjahres aus seinem Verschulden oder auf eigenen Wunsch ausscheidet.
…”
In einem Schreiben vom 22. Juli 2003 teilte das Regionalschulamt D… der Klägerin mit, dass die TdL den TV Zuwendung Ang-O zum 30. Juni 2003 gekündigt habe und dass aus diesem Grund dieser Tarifvertrag auf das Arbeitverhältnis keine Anwendung finde. Es bat die Klägerin zugleich, zur Klarstellung einen dem Schreiben beigefügten, vom Beklagten bereits am 10. Juli 2003 unterzeichneten neuen Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Dieser sah in § 2 ausdrücklich vor, dass der gekündigte TV Zuwendung Ang-O keine Anwendung finde. Die Klägerin unterschrieb nicht und verlangte vom Beklagten ohne Erfolg für das Jahr 2003 die Zahlung einer tariflichen Zuwendung nach dem TV Zuwendung Ang-O in rechnerisch unstreitiger Höhe von 1.732,66 Euro brutto.
Die Klägerin hat gemeint, das Arbeitsverhältnis sei vor der Kündigung des TV Zuwendung Ang-O durch die TdL am 16. Juni 2003 begründet worden und bestimme sich deshalb nach diesem Tarifvertrag. Im Übrigen seien beide Parteien zu diesem Zeitpunkt tarifgebunden gewesen. Ohne Bedeutung sei, dass sie ihre Tätigkeit erst am 1. August 2003 aufgenommen habe. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 TV Zuwendung Ang-O seien erfüllt.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 1.732,66 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 2. Dezember 2003 zu zahlen.
Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, bei Abschluss des Arbeitsvertrages am 16. Juni 2003 sei die Klägerin nicht tarifgebunden gewesen. Selbst wenn die Klägerin zu diesem Zeitpunkt Gewerkschaftsmitglied gewesen wäre, fände der TV Zuwendung Ang-O auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Dieses sei nicht bereits mit der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages durch beide Parteien am 16. Juni 2003, sondern erst am 1. August 2003 und somit im Nachwirkungszeitraum begründet worden und bestimme sich deshalb nicht nach den abgelaufenen Bestimmungen des TV Zuwendung Ang-O. Von Bedeutung sei, dass die Klägerin sich bei der Vertragsunterzeichnung noch im Vorbereitungsdienst befunden und die Voraussetzungen für eine Tätigkeit als Lehrerin erst mit dem erfolgreichen Ablegen der Prüfung am 11. Juli 2003 erfüllt habe. Die Parteien hätten das Arbeitsverhältnis erst nach Beendigung des Vorbereitungsdienstes begründen wollen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Klägerin beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht erkannt, dass der Klägerin die beanspruchte tarifliche Zuwendung für das Jahr 2003 zusteht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zusammengefasst angenommen, der Anspruch auf die Zuwendung folge aus § 2 des Arbeitsvertrages vom 16. Juni 2003 iVm. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 TV Zuwendung Ang-O. Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei nicht erst am 1. August 2003, sondern bereits mit der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages durch beide Parteien am 16. Juni 2003 und damit vor dem Ablauf des TV Zuwendung Ang-O zum 30. Juni 2003 begründet worden. Bei Abschluss des Arbeitsvertrages seien beide Parteien tarifgebunden gewesen. Die Bestimmungen des abgelaufenen TV Zuwendung Ang-O fänden deshalb gemäß § 4 Abs. 5 TVG kraft Nachwirkung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.
II. Diese Ausführungen halten im Ergebnis den Angriffen der Revision stand.
1. Der Anspruch der Klägerin auf die tarifliche Zuwendung für das Jahr 2003 iHv. 1.732,66 Euro brutto folgt aus § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages vom 16. Juni 2003 iVm. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 TV Zuwendung Ang-O. Über die Höhe des Anspruchs besteht kein Streit. Die Frage, ob die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zur Tarifgebundenheit der Klägerin, die der Beklagte mit Verfahrensrügen angegriffen hat, diesen Angriffen der Revision standhielten, bedarf deshalb keiner Entscheidung.
2. Bei den Erklärungen der Parteien in § 2 des Arbeitsvertrages vom 16. Juni 2003 handelt es sich nicht um individuelle, sondern um sog. typische Willenserklärungen. Der Beklagte hat die Formulierungen in dieser Vertragsbestimmung in einer Vielzahl von Fällen für Angestellte verwendet, die er befristet beschäftigt hat. Die Auslegung sog. typischer Willenserklärungen durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachprüfbar (st. Rspr., vgl. BAG 3. Mai 2006 – 10 AZR 310/05 – DB 2006, 1499, zu B I 1a der Gründe; 13. März 2003 – 6 AZR 698/01 –, zu 1 der Gründe; 19. Januar 2000 – 5 AZR 637/98 – BAGE 93, 212, 215; 16. Februar 2000 – 4 AZR 14/99 – BAGE 93, 328, 338, jeweils mwN). Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf die tarifliche Zuwendung für das Jahr 2003 zwar vorrangig mit der Tarifgebundenheit beider Parteien bei Abschluss des Arbeitsvertrages begründet. Es hat jedoch darüber hinaus auch § 2 des Arbeitsvertrages vom 16. Juni 2003 als Anspruchsgrundlage genannt und damit die Bezugnahme der Parteien auf tarifliche Vorschriften ausgelegt. Die Auslegung der Bezugnahmeklausel durch das Landesarbeitsgericht hält der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
3. Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist nach § 133 BGB der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (BAG 3. Mai 2006 – 10 AZR 310/05 – DB 2006, 1499, zu B I 1b der Gründe; 26. September 2002 – 6 AZR 434/00 – AP BBiG § 10 Nr. 10 = EzA BBiG § 10 Nr. 6, zu I 3 der Gründe; 12. Juni 2002 – 10 AZR 323/01 – EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 110, zu II 1b der Gründe). Danach haben die Parteien am 16. Juni 2003 ein Arbeitsverhältnis für die Zeit ab dem 1. August 2003 vereinbart, das sich ua. nach den Vorschriften des TV Zuwendung Ang-O richten sollte.
a) Nach § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 16. Juni 2003 bestimmt sich das Arbeitsverhältnis für die Dauer der Mitgliedschaft des Beklagten in der TdL nach dem BAT-O und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der TdL jeweils geltenden Fassung. Darüber, dass diese Bezugnahmeklausel den TV Zuwendung Ang-O erfasst hätte, wenn dieser nicht oder erst während der Vertragslaufzeit gekündigt worden wäre, besteht kein Streit.
b) Der Wortlaut der Bezugnahmeklausel zwingt nicht zu der Annahme, dass die von ihr erfassten Tarifverträge nur dann Anwendung finden sollten, wenn sie bei Beginn des Arbeitsverhältnisses am 1. August 2003 noch nicht abgelaufen waren. § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages vom 16. Juni 2003 spricht von “der für den Bereich der TdL jeweils gültigen Fassung” und nicht davon, dass die bei Abschluss des Arbeitsvertrages gültigen Tarifverträge nur dann Anwendung finden, wenn sie auch dann noch gelten, wenn das durch den Abschluss des Arbeitsvertrages begründete Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt wird und ein Leistungsaustausch stattfindet. Der Wortlaut der Bezugnahmeklausel lässt die Auslegung zu, dass sich das Arbeitsverhältnis nach dem TV Zuwendung Ang-O bestimmen sollte, ungeachtet einer nachfolgenden Kündigung dieses Tarifvertrages; die Vorschriften dieses Tarifvertrages allerdings nicht statisch idF des Tarifvertrages vom 31. Januar 2003 zur Änderung der Zuwendungstarifverträge (Ost) Anwendung finden sollten, sondern dynamisch “in der für den Bereich der TdL jeweils gültigen Fassung”.
c) Für dieses Verständnis spricht, dass die Parteien ihr Arbeitsverhältnis für die Zeit ab dem 1. August 2003 nicht erst nach der Kündigung des TV Zuwendung Ang-O durch die TdL am 25. Juni 2003 oder nach Ablauf dieses Tarifvertrages am 30. Juni 2003 im Nachwirkungszeitraum begründet haben. Sie haben die Arbeitsbedingungen für dieses Arbeitsverhältnis am 16. Juni 2003 festgelegt. An diesem Tag bestimmte sich der Anspruch auf eine Zuwendung nach dem TV Zuwendung Ang-O idF vom 31. Januar 2003. Bei Abschluss des Arbeitsvertrages hatten die Parteien auch keine Kenntnis vom bevorstehenden Ablauf dieses Tarifvertrages. Der Beschluss zur Kündigung der Zuwendungstarifverträge wurde nach dem 16. Juni 2003 in der Mitgliederversammlung der TdL am 17. Juni 2003 gefasst. Die Kündigung des Tarifvertrages erfolgte erst mit einem Schreiben vom 25. Juni 2003. Da die Vorschriften des TV Zuwendung Ang-O bei der Vereinbarung der Bezugnahmeklausel am 16. Juni 2003 galten und der Tarifvertrag weder gekündigt geschweige denn abgelaufen war, hätte es einer entsprechenden Ergänzung des Arbeitsvertrages bedurft, wenn der TV Zuwendung Ang-O nach seinem Ablauf keine Anwendung mehr hätte finden sollen. Das hat nicht nur der Beklagte selbst so gesehen. Dieser hat der Klägerin den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages angeboten mit der ausdrücklichen Regelung, dass der gekündigte TV Zuwendung Ang-O auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung findet. Auch das Bundesministerium des Inneren (BMI) und die TdL haben es für geboten gehalten, die bisher übliche Bezugnahmeklausel zu ergänzen, um Ansprüche auf Anwendung der abgelaufenen Zuwendungstarifverträge auszuschließen (Steinherr/Sponer/Schwimmbeck BAT-O Stand: August 2005 2.1.1. Anhang Nr. 1 zu II. Änderungen der Arbeitsvertragsmuster aufgrund der Kündigung der Zuwendungs- und Urlaubsgeld-Tarifverträge unter Buchst. a und b). Im Rundschreiben des BMI vom 15. Juli 2003 (– D II 2 – 220238/77 – D II 2 – 22019/9) heißt es ua., dass in die abzuschließenden Arbeitsverträge aufzunehmen ist, dass die gekündigten Tarifverträge über eine Zuwendung keine Anwendung finden. Auch die Mitgliederversammlung der TdL hat auf ihrer Sitzung am 7./8. Juli 2003 diese Ergänzung der üblichen Bezugnahmeklausel für geboten gehalten.
4. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach sich die Nachwirkung eines Tarifvertrages nach § 4 Abs. 5 TVG nicht auf Arbeitsverhältnisse erstreckt, die erst im Nachwirkungszeitraum begründet werden, steht dem Auslegungsergebnis nicht entgegen.
a) Finden kraft Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien oder auf Grund arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Rechtsnormen eines Tarifvertrages auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung, gelten nach Ablauf des Tarifvertrages seine Rechtsnormen gemäß § 4 Abs. 5 TVG weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Sinn und Zweck dieser Nachwirkungsregelung ist es, bis zu einer solchen Änderung den Rechtszustand zu erhalten und damit dem tariflichen Ordnungsprinzip Rechnung zu tragen (BAG 24. November 1999 – 4 AZR 666/98 – BAGE 93, 34, 39). Arbeitsverhältnisse sollen nach Beendigung eines Tarifvertrages nicht inhaltsleer werden oder durch dispositives Gesetzesrecht ergänzt werden müssen.
b) Das Bundesarbeitsgericht verneint allerdings in ständiger Rechtsprechung eine normative Wirkung von Tarifregelungen nach § 4 Abs. 5 TVG, wenn das Arbeitsverhältnis erst während der Nachwirkungszeit begründet wird (vgl. 6. Juni 1958 – 1 AZR 515/57 – BAGE 6, 90; 29. Januar 1975 – 4 AZR 218/74 – BAGE 27, 22; 3. Dezember 1985 – 4 ABR 60/85 – BAGE 50, 258; 7. November 2001 – 4 AZR 703/00 – BAGE 99, 283; 11. Juni 2002 – 1 AZR 390/01 – BAGE 101, 288). Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses im Nachwirkungszeitraum schließt es aber nicht aus, dass die Arbeitsvertragsparteien die abgelaufenen Tarifbestimmungen einzelvertraglich in Bezug nehmen. Dies ist insbesondere bei abgelaufenen Vergütungstarifverträgen (vgl. BAG 27. Januar 1987 – 1 ABR 66/85 – BAGE 54, 147, 159) nicht ungewöhnlich, kommt aber auch bei Manteltarifverträgen und sonstigen Tarifverträgen vor. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können den Inhalt des Arbeitsvertrages frei vereinbaren, soweit nicht zwingende gesetzliche Vorschriften, Bestimmungen eines anwendbaren Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung entgegenstehen (§ 105 Satz 1 GewO). Machen die Arbeitsvertragsparteien von der Möglichkeit Gebrauch zu vereinbaren, dass die Vorschriften eines abgelaufenen Tarifvertrages Anwendung finden oder treffen sie in Kenntnis des Ablaufs eines Tarifvertrages davon abweichende, individuelle Abmachungen, ist das Arbeitsverhältnis nicht inhaltsleer.
c) Anders verhielte es sich, wenn entsprechend der Rechtsauffassung des Beklagten Bezugnahmeklauseln so auszulegen wären, dass die Anwendung der in Bezug genommenen Tarifverträge voraussetzt, dass diese noch nicht abgelaufen sind, wenn das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt wird. Das Arbeitsverhältnis würde bei Ablauf der in Bezug genommenen Tarifverträge vor diesem Zeitpunkt je nach der Regelungsdichte dieser Tarifverträge mehr oder weniger inhaltsleer und müsste durch dispositives Gesetzesrecht ergänzt werden. Ohne Bedeutung ist, dass im Entscheidungsfall “nur” der TV Zuwendung Ang-O nach der Vereinbarung der Bezugnahmeklausel gekündigt wurde. Wäre für die Frage der Nachwirkung eines abgelaufenen Tarifvertrages entsprechend der Auffassung des Beklagten nicht der Zeitpunkt der Vereinbarung der Bezugnahmeklausel oder bei einem nicht sofort angenommenen Vertragsangebot der Zeitpunkt der Abgabe des Angebots, sondern der Zeitpunkt des Vollzugs des Arbeitsverhältnisses maßgebend, könnte für den Ablauf eines Mantel- oder Vergütungstarifvertrages nichts anderes gelten als für den Ablauf eines Zuwendungstarifvertrages. Durch die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag vom 16. Juni 2003 haben der Beklagte und die Klägerin deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sich das Arbeitsverhältnis jedenfalls bis zu einem Austritt des Beklagten aus der TdL und der Beendigung der in Bezug genommenen Tarifverträge gerade nicht nach den gesetzlichen Bestimmungen richten sollte. Diese an Sinn und Zweck der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag der Parteien orientierte Auslegung steht der Annahme entgegen, das Arbeitsverhältnis bestimme sich nicht nach den Vorschriften des TV Zuwendung Ang-O, weil dieser Tarifvertrag vor dem 1. August 2003 abgelaufen sei.
5. Da eine am Wortlaut und an Sinn und Zweck der Bezugnahmeklausel orientierte Auslegung zu einem klaren Auslegungsergebnis führt, kann auf die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB nicht zurückgegriffen werden (vgl. BAG 17. Januar 2006 – 9 AZR 41/05 –, NZA 2006, 923, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; 9. November 2005 – 5 AZR 128/05 – AP BGB § 305c Nr. 4 = EzA BGB 2002 § 305c Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Bei Ausschöpfung der anerkannten Auslegungsmethoden verbleiben keine Zweifel, dass die Bezugnahmeklausel die Vorschriften des abgelaufenen TV Zuwendung Ang-O erfasst hat.
Unterschriften
Dr. Freitag, Marquardt, Brühler, Großmann, Bittelmeyer
Fundstellen