Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuwendung. Verweisung auf Tarifvertrag. Bezugnahme auf einen Zuwendungs-TV. Ablauf des Tarifvertrages nach Begründung und vor Beginn des Arbeitsverhältnisses
Orientierungssatz
- Wird in einem formularmäßigen, vom öffentlichen Arbeitgeber gestellten Arbeitsvertrag auf den BAT-O und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung verwiesen, kommt die Auslegung dieser Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede von vornherein nicht in Betracht, wenn der Angestellte nach § 3 BAT-O vom Geltungsbereich dieses Tarifvertrages ausgenommen ist und die in Bezug genommenen Tarifverträge damit ohne die Bezugnahmeklausel auch bei beiderseitiger Tarifgebundenheit keine Anwendung gefunden hätten.
- Begründen die Arbeitsvertragsparteien durch Abschluss eines Arbeitsvertrages ein Arbeitsverhältnis und verweisen sie in diesem auf die einschlägigen Tarifverträge, findet ein solcher einschlägiger Tarifvertrag auch dann auf das Arbeitsverhältnis Anwendung, wenn er nach Abschluss des Arbeitsvertrages gekündigt wird und abläuft, bevor das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt wird und ein Leistungsaustausch stattfindet.
- Den Arbeitsvertragsparteien steht es frei, die Anwendung gekündigter oder bereits abgelaufener Tarifverträge zu vereinbaren.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 305c Abs. 2; TVG § 4 Abs. 1, 5; HRG a.F. § 57 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3; TzBfG § 14 Abs. 3; GewO § 105 S. 1; BAT-O § 3 Buchst. g
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 15.11.2005; Aktenzeichen 5 (10) Sa 709/04) |
ArbG Chemnitz (Urteil vom 27.07.2004; Aktenzeichen 10 Ca 2412/04) |
Tenor
- Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 15. November 2005 – 5 (10) Sa 709/04 – wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger für das Jahr 2003 eine Zuwendung nach dem Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte vom 10. Dezember 1990 idF des Tarifvertrages zur Änderung der Zuwendungstarifverträge (Ost) vom 31. Januar 2003 (TV Zuwendung Ang-O) zusteht.
Der 1946 geborene Kläger war seit dem 15. September 2001 beim Beklagten an der Universität als angestellte Lehrkraft für besondere Aufgaben tätig. Er ist kanadischer Staatsangehöriger und unterrichtete als sog. Muttersprachler am Zentrum für Fremdsprachen in der Abteilung Englisch. Als Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gehörte er einer Tarifvertragspartei des Tarifvertrages zur Anwendung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 an.
In § 1 des Formulararbeitsvertrages vom 17. September 2001 war eine Befristung des Arbeitsverhältnisses bis zum 14. September 2003 vereinbart. Als Befristungsgrund war angegeben: “gem. § 57 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 3 HRG”. In einem weiteren Arbeitsvertrag vom 5. Mai 2003 vereinbarten die Parteien ein Arbeitsverhältnis für die Zeit vom 15. September 2003 bis zum 30. September 2005. Als Befristungsgrund ist im letztgenannten Arbeitsvertrag eingetragen: “gem. § 14 Abs. 3 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) vom 21.12.2000 (BGBl. I, S. 1966) in der jeweils geltenden Fassung”. Nach § 5 des letztgenannten Arbeitsvertrages ist der Kläger in der Vergütungsgruppe IIa der Anlage 1a zum BAT-O eingruppiert (§ 22 Abs. 3 BAT-O). In § 2 dieses Arbeitsvertrages heißt es:
“Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich für die Dauer der Mitgliedschaft des Freistaates Sachsen in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) nach dem Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der TdL jeweils geltenden Fassung. Bei einem Austritt des Freistaates Sachsen aus der TdL gelten diese Tarifverträge bis zu ihrer Beendigung oder bis zum Abschluss eines anderen Tarifvertrages statisch weiter. Außerdem finden die von dem Freistaat Sachsen abgeschlossenen sonstigen einschlägigen Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung Anwendung.”
Der Beklagte gehört der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) an. Diese kündigte mit einem Schreiben vom 25. Juni 2003 ua. den TV Zuwendung Ang-O fristgerecht zum 30. Juni 2003. In diesem Tarifvertrag heißt es:
“… wird für die Angestellten, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages zur Anwendung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 fallen, folgendes vereinbart:
Ҥ 1
Anspruchsvoraussetzungen
(1) Der Angestellte erhält in jedem Kalenderjahr eine Zuwendung, wenn er
1. am 1. Dezember im Arbeitsverhältnis steht und nicht den ganzen Monat Dezember ohne Vergütung zur Ausübung einer entgeltlichen Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit beurlaubt ist und
2. seit dem 1. Oktober ununterbrochen als Angestellter, Arbeiter, Beamter, Richter, Soldat auf Zeit, Berufssoldat, Arzt im Praktikum, Auszubildender, Praktikant, Schüler/Schülerin in der Krankenpflege, Kinderkrankenpflege oder Krankenpflegehilfe oder Hebammenschülerin/Schüler in der Entbindungspflege im öffentlichen Dienst gestanden hat
oder
im laufenden Kalenderjahr insgesamt sechs Monate bei demselben Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis gestanden hat oder steht und
3. nicht in der Zeit bis einschließlich 31. März des folgenden Kalenderjahres aus seinem Verschulden oder auf eigenen Wunsch ausscheidet.
…”
§ 3 BAT-O regelt:
Ҥ 3
Ausnahmen vom Geltungsbereich
Dieser Tarifvertrag gilt nicht für
…
g) Hochschullehrer, wissenschaftliche Assistenten, Lektoren, Verwalter von Stellen wissenschaftlicher Assistenten, wissenschaftliche Hilfskräfte und Lehrbeauftragte an Hochschulen, Akademien und wissenschaftlichen Forschungsinstituten sowie künstlerische Lehrkräfte an Kunsthochschulen, Musikhochschulen und Fachhochschulen für Musik,
…”
Der Kläger hat ohne Erfolg vom Beklagten für das Jahr 2003 die Zahlung einer Zuwendung nach dem TV Zuwendung Ang-O in rechnerisch unstreitiger Höhe von 2.298,25 Euro verlangt.
Er hat gemeint, das Arbeitsverhältnis habe sich nicht nur auf Grund der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag, sondern auch kraft beiderseitiger Tarifbindung nach den in § 2 des Arbeitsvertrages vom 5. Mai 2003 genannten Tarifverträgen bestimmt. Im Übrigen sei seine Weiterbeschäftigung bis zum 30. September 2005 bereits vor Ausspruch der Kündigung des TV Zuwendung Ang-O durch die Tarifgemeinschaft deutscher Länder vereinbart worden. Bei dieser Abrede, das Arbeitsverhältnis über den 14. September 2003 hinaus fortzusetzen, handele es sich um die Verlängerung und nicht um die Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 TV Zuwendung Ang-O seien erfüllt.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 2.298,25 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 16. November 2003 zu zahlen.
Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, der Kläger habe auf Grund der Organisationszugehörigkeit beider Parteien nach § 4 Abs. 1 TVG keinen Anspruch auf die Zuwendung. Nach der Präambel des TV Zuwendung Ang-O gelte dieser Tarifvertrag nur für Angestellte, die unter den Geltungsbereich des BAT-O fielen. Daran fehle es. Der Kläger sei Lektor iSv. § 3 Buchst. g BAT-O und somit nach dieser Tarifbestimmung vom Geltungsbereich des BAT-O ausgenommen. Auch die Bezugnahmeklausel in § 2 des Arbeitsvertrages vom 5. Mai 2003 begründe keinen Anspruch. Als Gleichstellungsabrede sei sie so auszulegen, dass nur die zum Zeitpunkt des Entstehens der gegenseitigen Hauptleistungspflichten geltenden Tarifverträge Anwendung finden sollten und nicht die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages. Eine andere Auslegung würde zu untragbaren Ergebnissen führen. Bei Beginn des Arbeitsverhältnisses am 15. September 2003 habe der TV Zuwendung Ang-O nicht mehr gegolten. Da keine Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses vorliege, sondern ein weiteres Arbeitsverhältnis im Nachwirkungszeitraum begründet worden sei, komme eine Nachwirkung der Bestimmungen des TV Zuwendung Ang-O gemäß § 4 Abs. 5 TVG nicht in Betracht.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und hat der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass dem Kläger die beanspruchte Zuwendung zusteht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zusammengefasst angenommen, die Vorschriften des TV Zuwendung Ang-O fänden nicht gemäß § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend Anwendung. Der Kläger sei als Fremdsprachenlektor nach § 3 BAT-O vom Geltungsbereich dieses Tarifvertrages ausgenommen und unterliege nach der Präambel des TV Zuwendung Ang-O damit auch nicht dem Geltungsbereich dieses Tarifvertrages. Lektoren seien Lehrkräfte für besondere Aufgaben. Sie würden überwiegend in der Fremdsprachenausbildung und in Studiengängen eingesetzt werden, bei denen die Vermittlung praktischer Fertigkeiten und Kenntnisse umfangreicher sei als die wissenschaftliche Ausbildung. Diese Voraussetzungen einer Lektorentätigkeit erfülle die Tätigkeit des Klägers am Zentrum für Fremdsprachen der Universität. Der Anspruch des Klägers folge jedoch aus der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag vom 5. Mai 2003 iVm. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 TV Zuwendung Ang-O. Das Arbeitsverhältnis für die Zeit vom 15. September 2003 bis zum 30. September 2005 sei am 5. Mai 2003 und damit vor der Kündigung des TV Zuwendung Ang-O zum 30. Juni 2003 begründet worden. Ohne Bedeutung sei, dass das Arbeitsverhältnis erst am 15. September 2003 in Vollzug gesetzt worden sei. Der Kläger habe den dem Geltungsbereich der in der Bezugnahmeklausel genannten Tarifverträge unterliegenden Angestellten gleichgestellt und nach Ablauf eines Tarifvertrages an der Nachwirkung seiner Rechtsnormen teilnehmen sollen. Dies werde daraus deutlich, dass der Beklagte gewusst habe, dass der Kläger vom Geltungsbereich der in § 2 des Arbeitsvertrages vom 5. Mai 2003 aufgeführten Tarifverträge ausgenommen war, gleichwohl aber mit dem Kläger vereinbart habe, dass sich das Arbeitsverhältnis nach diesen Tarifverträgen richten solle.
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand.
1. Dem Kläger steht gemäß § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages vom 5. Mai 2003 iVm. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 TV Zuwendung Ang-O für das Jahr 2003 eine Zuwendung iHv. 2.298,25 Euro brutto zu. Über die Höhe der Zuwendung besteht kein Streit.
2. Entgegen der Auffassung des Klägers haben die Parteien ihr bis zum 14. September 2003 befristetes Arbeitsverhältnis allerdings nicht am 5. Mai 2003 bis zum 30. September 2005 verlängert.
Die Verlängerung eines Vertrages ist nur während seiner Laufzeit möglich, andernfalls liegt der Neuabschluss eines befristeten Vertrages vor (st. Rspr., vgl. BAG 18. Januar 2006 – 7 AZR 178/05 – EzA TzBfG § 14 Nr. 26, zu I 1a der Gründe; 19. Oktober 2005 – 7 AZR 31/05 – EzA TzBfG § 14 Nr. 23, zu 2a der Gründe; 25. Mai 2005 – 7 AZR 286/04 – EzA TzBfG § 14 Nr. 19, zu II 2a der Gründe; vgl. zu § 1 Abs. 1 BeschFG 1996: 19. Februar 2003 – 7 AZR 648/01 –, zu I 1 der Gründe; 26. Juli 2000 – 7 AZR 51/99 – BAGE 95, 255, 259). Die Parteien haben zwar am 5. Mai 2003 und damit noch während der Vertragslaufzeit des bis zum 14. September 2003 befristeten Arbeitsverhältnisses die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum 30. September 2005 vereinbart. Jedoch haben sie mit dem Vertrag vom 5. Mai 2003 nicht nur die Laufzeit des Vertrages vom 17. September 2001 geändert, sondern zugleich auch Arbeitsbedingungen. Die Bezugnahmeklauseln in § 2 der Arbeitsverträge vom 17. September 2001 und vom 5. Mai 2003 unterscheiden sich. Hinzu kommt, dass die Parteien das erste Arbeitsverhältnis gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 3 iVm. Abs. 3 HRG befristet haben, während sie beim zweiten Arbeitsverhältnis von einer auf Grund des Alters des Klägers nach § 14 Abs. 3 TzBfG zulässigen sachgrundlosen Befristung ausgegangen sind. Damit haben die Parteien am 5. Mai 2003 nicht nur die Vertragslaufzeit geändert. Dies schließt die Annahme einer Vertragsverlängerung aus (vgl. zu den Voraussetzungen einer Vertragsverlängerung im Befristungsrecht: BAG 19. Oktober 2005 – 7 AZR 31/05 – aaO und 18. Januar 2006 – 7 AZR 178/05 – aaO).
3. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass die Bezugnahmeklausel in § 2 des Arbeitsvertrages vom 5. Mai 2003 die Vorschriften des TV Zuwendung Ang-O erfasst hat.
a) Bei den Erklärungen der Parteien in § 2 des Arbeitsvertrages vom 5. Mai 2003 handelt es sich nicht um individuelle, sondern um sog. typische Willenserklärungen. Der Beklagte hat die Formulierungen in dieser Vertragsbestimmung in einer Vielzahl von Fällen für Angestellte verwendet. Die Auslegung sog. typischer Willenserklärungen durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachprüfbar (st. Rspr., vgl. BAG 3. Mai 2006 – 10 AZR 310/05 – DB 2006, 1499, zu B I 1a der Gründe; 13. März 2003 – 6 AZR 698/01 –, zu 1 der Gründe; 19. Januar 2000 – 5 AZR 637/98 – BAGE 93, 212, 215; 16. Februar 2000 – 4 AZR 14/99 – BAGE 93, 328, 338, jeweils mwN). Dieser uneingeschränkten Überprüfung hält die Auslegung der Bezugnahmeklausel durch das Landesarbeitsgericht stand.
b) Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist nach § 133 BGB der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (BAG 3. Mai 2006 – 10 AZR 310/05 – DB 2006, 1499, zu B I 1b der Gründe; 26. September 2002 – 6 AZR 434/00 – AP BBiG § 10 Nr. 10 = EzA BBiG § 10 Nr. 6, zu I 3 der Gründe; 12. Juni 2002 – 10 AZR 323/01 – EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 110, zu II 1b der Gründe). Danach hat der Beklagte dem Kläger am 5. Mai 2003 ein Arbeitsverhältnis für die Zeit vom 15. September 2003 bis zum 30. September 2005 angeboten, das sich ua. nach den Vorschriften des TV Zuwendung Ang-O richten sollte.
4. Nach § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 5. Mai 2003 bestimmt sich das Arbeitsverhältnis für die Dauer der Mitgliedschaft des Beklagten in der TdL nach dem BAT-O und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der TdL jeweils geltenden Fassung. Darüber, dass diese Bezugnahmeklausel den TV Zuwendung Ang-O erfasst hätte, wenn dieser nicht oder erst während der Vertragslaufzeit gekündigt worden wäre, besteht kein Streit.
a) Der Wortlaut der Bezugnahmeklausel zwingt nicht zu der Annahme, dass die von ihr erfassten Tarifverträge nur dann Anwendung finden sollten, wenn sie bei Beginn des Arbeitsverhältnisses am 15. September 2003 noch nicht abgelaufen waren. § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages vom 5. Mai 2003 spricht von “der für den Bereich der TdL jeweils gültigen Fassung” und nicht davon, dass die bei Abschluss des Arbeitsvertrages gültigen Tarifverträge nur dann Anwendung finden, wenn sie auch dann noch gelten, wenn das durch den Abschluss des Arbeitsvertrages begründete Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt wird und ein Leistungsaustausch stattfindet. Der Wortlaut der Bezugnahmeklausel lässt die Auslegung zu, dass sich das Arbeitsverhältnis nach dem TV Zuwendung Ang-O bestimmen sollte, ungeachtet einer späteren Kündigung dieses Tarifvertrages; die Tarifvorschriften allerdings nicht statisch idF des Tarifvertrages vom 31. Januar 2003 zur Änderung der Zuwendungstarifverträge (Ost) Anwendung finden sollten, sondern dynamisch “in der für den Bereich der TdL jeweils gültigen Fassung”.
b) Für dieses Verständnis spricht, dass die Parteien ihr Arbeitsverhältnis für die Zeit vom 15. September 2003 bis zum 30. September 2005 nicht erst nach der Kündigung des TV Zuwendung Ang-O durch die TdL oder nach Ablauf dieses Tarifvertrages im Nachwirkungszeitraum begründet haben. Sie haben die Laufzeit und die Arbeitsbedingungen für dieses Arbeitsverhältnis am 5. Mai 2003 festgelegt. An diesem Tag bestimmte sich der Anspruch auf eine Zuwendung nach dem TV Zuwendung Ang-O idF vom 31. Januar 2003. Bei Abschluss des Arbeitsvertrages hatten die Parteien auch keine Kenntnis vom bevorstehenden Ablauf dieses Tarifvertrages. Der Beschluss zur Kündigung der Zuwendungstarifverträge wurde nach dem 5. Mai 2003 in der Mitgliederversammlung der TdL am 17. Juni 2003 gefasst. Die Kündigung des Tarifvertrages erfolgte erst mit einem Schreiben vom 25. Juni 2003.
aa) Finden kraft Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien oder auf Grund arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Rechtsnormen eines Tarifvertrages auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung, gelten seine Rechtsnormen nach Ablauf des Tarifvertrages gemäß § 4 Abs. 5 TVG weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Sinn und Zweck dieser Nachwirkungsregelung ist es, bis zu einer solchen Änderung den Rechtszustand zu erhalten und damit dem tariflichen Ordnungsprinzip Rechnung zu tragen (BAG 24. November 1999 – 4 AZR 666/98 – BAGE 93, 34, 39). Arbeitsverhältnisse sollen nach Beendigung eines Tarifvertrages nicht inhaltsleer werden oder durch dispositives Gesetzesrecht ergänzt werden müssen.
bb) In ständiger Rechtsprechung verneint das Bundesarbeitsgericht allerdings eine normative Wirkung von Tarifregelungen nach § 4 Abs. 5 TVG, wenn das Arbeitsverhältnis erst während der Nachwirkungszeit begründet wird (vgl. 6. Juni 1958 – 1 AZR 515/57 – BAGE 6, 90; 29. Januar 1975 – 4 AZR 218/74 – BAGE 27, 22; 3. Dezember 1985 – 4 ABR 60/85 – BAGE 50, 258; 7. November 2001 – 4 AZR 703/00 – BAGE 99, 283; 11. Juni 2002 – 1 AZR 390/01 – BAGE 101, 288). Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses im Nachwirkungszeitraum schließt es aber nicht aus, dass die Arbeitsvertragsparteien die abgelaufenen Tarifbestimmungen einzelvertraglich in Bezug nehmen. Dies ist insbesondere bei abgelaufenen Vergütungstarifverträgen (vgl. BAG 27. Januar 1987 – 1 ABR 66/85 – BAGE 54, 147, 159) nicht ungewöhnlich, kommt aber auch bei Manteltarifverträgen und sonstigen Tarifverträgen vor. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können den Inhalt des Arbeitsvertrages frei vereinbaren, soweit nicht zwingende gesetzliche Vorschriften, Bestimmungen eines anwendbaren Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung entgegenstehen (§ 105 Satz 1 GewO). Machen die Arbeitsvertragsparteien von der Möglichkeit Gebrauch zu vereinbaren, dass die Vorschriften eines abgelaufenen Tarifvertrages Anwendung finden oder treffen sie in Kenntnis des Ablaufs eines Tarifvertrages davon abweichende, individuelle Abmachungen, ist das Arbeitsverhältnis nicht inhaltsleer.
cc) Anders verhielte es sich, wenn entsprechend der Rechtsauffassung des Beklagten Bezugnahmeklauseln so auszulegen wären, dass die Anwendung der in Bezug genommenen Tarifverträge voraussetzt, dass diese noch nicht abgelaufen sind, wenn das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt wird. Das Arbeitsverhältnis würde bei Ablauf der in Bezug genommenen Tarifverträge vor diesem Zeitpunkt je nach der Regelungsdichte dieser Tarifverträge mehr oder weniger inhaltsleer und müsste durch dispositives Gesetzesrecht ergänzt werden. Ohne Bedeutung ist, dass im Entscheidungsfall “nur” der TV Zuwendung Ang-O nach der Vereinbarung der Bezugnahmeklausel gekündigt wurde. Wäre für die Frage der Nachwirkung eines abgelaufenen Tarifvertrages entsprechend der Auffassung des Beklagten nicht der Zeitpunkt der Vereinbarung der Bezugnahmeklausel oder bei einem nicht sofort angenommenen Vertragsangebot der Zeitpunkt der Abgabe des Angebots, sondern der Zeitpunkt des Vollzugs des Arbeitsverhältnisses maßgebend, könnte für den Ablauf eines Mantel- oder Vergütungstarifvertrages vor dem letztgenannten Zeitpunkt nichts anderes gelten als für den Ablauf eines Zuwendungstarifvertrages.
dd) Durch die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag vom 5. Mai 2003 haben der Beklagte und der Kläger deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sich das Arbeitsverhältnis jedenfalls bis zu einem Austritt des Beklagten aus der TdL und der Beendigung der in Bezug genommenen Tarifverträge gerade nicht nach den gesetzlichen Bestimmungen richten sollte. Dies wird auch daraus deutlich, dass die Parteien den BAT-O und die diesen Tarifvertrag ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifbestimmungen in § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages vom 5. Mai 2003 in Bezug genommen haben, obwohl die Tarifvertragsparteien selbst die von der Bezugnahmeklausel erfassten Tarifverträge für die Arbeitsverhältnisse von Lektoren nicht für sachgerecht gehalten und Lektoren deshalb ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG (BAG 27. Mai 2004 – 6 AZR 129/03 – BAGE 111, 8) vom Geltungsbereich dieser Tarifverträge ausgenommen haben (§ 3 Buchst. g BAT-O). Diese an Sinn und Zweck der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag der Parteien orientierte Auslegung steht der Annahme entgegen, das Arbeitsverhältnis bestimme sich nicht nach den Vorschriften des TV Zuwendung Ang-O, weil dieser Tarifvertrag vor dem 15. September 2003 abgelaufen sei.
5. Ohne Erfolg rügt der Beklagte, eine Anwendung des TV Zuwendung Ang-O führe zu einer nicht gerechtfertigten Besserstellung des Klägers gegenüber tarifgebundenen Angestellten, die mit ihm erst im Nachwirkungszeitraum ein Arbeitsverhältnis eingegangen seien.
a) Ungeachtet des Umstandes, dass die Parteien die Arbeitsbedingungen am 5. Mai 2003 und nicht erst im Nachwirkungszeitraum festgelegt haben, ist entgegen der Auffassung des Beklagten die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag der Parteien vom 5. Mai 2003 keine Gleichstellungsabrede iSd. bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
aa) War in einem formularmäßigen oder vom Arbeitgeber gestellten Arbeitsvertrag auf die einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung verwiesen, hat insbesondere der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts in ständiger Rechtsprechung diese Klausel im Zweifel als bloße Gleichstellungsklausel ausgelegt (vgl. 1. Dezember 2004 – 4 AZR 50/04 – BAGE 113, 40; 19. März 2003 – 4 AZR 331/02 – BAGE 105, 284; 25. September 2002 – 4 AZR 294/01 – BAGE 103, 9; 21. August 2002 – 4 AZR 263/01 – BAGE 102, 275). Für dieses Klauselverständnis war die Zwecksetzung maßgebend, wonach nur eine Gleichstellung nicht organisierter mit organisierten Arbeitnehmern angestrebt wurde. Die Gleichstellungsabrede sollte lediglich eine eventuell fehlende Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers ersetzen. Dieser sollte vertragsrechtlich so gestellt werden, wie ein tarifgebundener Arbeitnehmer tarifrechtlich steht (BAG 1. Dezember 2004 – 4 AZR 50/04 – aaO). Allerdings beabsichtigt der Vierte Senat der Kritik an dieser Rechtsprechung, die sich insbesondere auf die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB stützt, Rechnung zu tragen und bei Verträgen, die nach dem 31. Dezember 2001 abgeschlossen worden sind, für dynamische Verweisungen auf einschlägige Tarifverträge und Tarifwerke nicht mehr die Auslegungsregel zu verwenden, dass sie stets als bloße Gleichstellungsklauseln zu verstehen sind, wenn es keine innerhalb oder außerhalb der Vertragsurkunde liegenden eine solche Annahme ausschließenden Anhaltspunkte gibt (14. Dezember 2005 – 4 AZR 536/04 – EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 32, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
bb) Ungeachtet dieser Ankündigung der Aufgabe einer ständigen Rechtsprechung des Vierten Senats des Bundesarbeitsgerichts diente die Bezugnahmeklausel in § 2 des Arbeitsvertrages vom 5. Mai 2003 nicht einer Gleichstellung des Klägers mit tarifgebundenen Angestellten. Zwar steht die Mitgliedschaft des Klägers in der GEW der Auslegung der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede nicht entgegen. Maßgebend ist vielmehr, dass auf Grund der Regelung in § 3 Buchst. g BAT-O dieser Tarifvertrag und damit auch der TV Zuwendung Ang-O bei Lektoren wie dem Kläger trotz Organisationszugehörigkeit keine Anwendung findet. Mit der Bezugnahmeklausel wollten die Parteien nicht nur eine etwa fehlende Tarifgebundenheit des Klägers ersetzen, sondern bewirken, dass sich ihr Arbeitsverhältnis nach Tarifvorschriften bestimmt, die auch bei beiderseitiger Tarifgebundenheit ohne die Bezugnahmeklausel keine Anwendung gefunden hätten.
b) Der Hinweis des Beklagten auf seine Verpflichtung zur sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung, wonach er nicht mehr zusagen durfte, als das, wozu er tariflich verpflichtet war, geht deshalb von vornherein fehl. Ungeachtet der Kündigung des TV Zuwendung Ang-O und des Ablaufs dieses Tarifvertrages zum 30. Juni 2003 war der Beklagte zu keinem Zeitpunkt verpflichtet, mit dem Kläger die Anwendung der von § 2 des Arbeitsvertrages vom 5. Mai 2003 erfassten Tarifverträge zu vereinbaren. Der Beklagte hat sich selbst darauf berufen, dass der Kläger als Lektor nach § 3 Buchst. g BAT-O aus dem Geltungsbereich des BAT-O und damit auch des TV Zuwendung Ang-O ausgenommen ist. Wenn er in Kenntnis dieser Rechtslage eine Vereinbarung getroffen hat, die nicht nur der Gleichstellung eines möglicherweise tarifungebundenen Arbeitnehmers mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern im Interesse einheitlicher Arbeitsbedingungen diente, sondern den vom tariflichen Geltungsbereich ausgenommenen Kläger kraft der Bezugnahmeklausel in diesen Geltungsbereich einbezogen hat, hat er bewusst eine Zusage gemacht, zu der er tariflich nicht verpflichtet war.
6. Da eine am Wortlaut und an Sinn und Zweck der Bezugnahmeklausel orientierte Auslegung zu einem klaren Auslegungsergebnis führt, kann auf die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB nicht zurückgegriffen werden (vgl. BAG 17. Januar 2006 – 9 AZR 41/05 –, NZA 2006, 923, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; 9. November 2005 – 5 AZR 128/05 – AP BGB § 305c Nr. 4 = EzA BGB 2002 § 305c Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Bei Ausschöpfung der anerkannten Auslegungsmethoden verbleiben keine Zweifel, dass die Bezugnahmeklausel die Vorschriften des TV Zuwendung Ang-O erfasst hat.
Unterschriften
Dr. Freitag, Marquardt, Brühler, Großmann, Bittelmeyer
Fundstellen
Haufe-Index 1624880 |
FA 2007, 29 |
NZA 2007, 288 |
ZTR 2007, 34 |
AP 2010 |
AP, 0 |
EzA-SD 2006, 9 |
PersV 2007, 196 |
RiA 2007, 152 |
AUR 2007, 60 |
ArbRB 2007, 10 |
NJOZ 2007, 882 |