Entscheidungsstichwort (Thema)
Gehaltsabhängige Versorgungsanwartschaft im Konkurs
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers hat auf die Fortgeltung einer vom Gemeinschuldner erteilten Versorgungszusage keinen Einfluß. Der Versorgungsanspruch bestimmt sich nach den in der Versorgungszusage vorgesehenen Voraussetzungen (ständige Rechtsprechung des Senats).
2. Der nach der Eröffnung des Konkursverfahrens erdiente Anteil des Versorgungsanspruchs ist Masseschuld.
3. Die Grundsätze, die der Senat zur Widerruflichkeit zeitanteilig erdienter Versorgungsansprüche entwickelt hat (BAG vom 17.4.1985 3 AZR 72/83 = BAGE 49, 57 = AP Nr 4 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen und Urteil des Senats vom 17. März - 3 AZR 64/84 zur Veröffentlichung vorgesehen) berechtigen den Konkursverwalter nicht, die Betriebsrente um den Teil der erdienten Dynamik zu kürzen, der auf die Zeit vor der Eröffnung des Konkursverfahrens entfällt.
Normenkette
KO §§ 6, 69, 22, 65; ZPO § 448; BGB §§ 133, 155, 157, 242; BetrAVG §§ 1, 7, 2, 9, 3 Abs. 1, § 17 Abs. 3; KO § 59 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LAG München (Entscheidung vom 16.04.1986; Aktenzeichen 9 Sa 758/85) |
ArbG Augsburg (Entscheidung vom 15.05.1985; Aktenzeichen 7 Ca 3646/83) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte eine Betriebsrente aus der von ihm verwalteten Konkursmasse zahlen muß.
Die Klägerin ist die Witwe und mit ihrer Tochter Erbin des am 15. November 1922 geborenen und am 25. August 1983 verstorbenen K F.
Der Erblasser war am 15. Februar 1952 in die M A (S) eingetreten. Er hatte am 1. Dezember 1957 eine Versorgungszusage erhalten, deren Bedingungen zuletzt in einer Ruhegeldvereinbarung vom 6. November 1974 festgelegt wurden. Ihm wurde Altersrente, Invalidenrente sowie Witwen- und Waisenversorgung versprochen. Zur Höhe der Altersversorgung bestimmt § 2 des Vertrages:
"2.1 Die Altersrente (s. § 3) beträgt 40 % des
letzten Brutto-Monatsgehalts, höchstens jedoch
DM 1.340,--. Sollte das letzte Brutto-Monatsgehalt
DM 5.000,-- übersteigen, so erhöht sich
die nach Satz 1 ermittelte Altersrente um 25 %
des DM 5.000,-- übersteigenden Betrages...
2.2 Die Invalidenrente (s. § 4) entspricht der
gemäß Ziffer 2.1 ermittelten Altersrente...
Am 1. März 1976 wurde über das Vermögen der S das Konkursverfahren eröffnet. Der Beklagte wurde zum Konkursverwalter bestellt. Er führte den Betrieb der Gemeinschuldnerin bis Ende 1983 fort und beschäftigte auch Herrn F weiter, dem er mit Schreiben vom 28. April 1976 mitteilte, daß seine Bezüge mit Wirkung vom 1. Juni 1976 in Anerkennung seiner guten Mitarbeit auf 6.085,-- DM brutto erhöht würden. Die übrigen Bedingungen des Anstellungsverhältnisses blieben unverändert.
Das Versorgungsamt A stellte durch Bescheid vom 26. Mai 1981 bei Herrn F eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 % fest.
Nach im einzelnen zwischen den Parteien streitigen Verhandlungen vereinbarte der Beklagte mit dem Erblasser am 31. August 1981, das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen solle mit dem 31. März 1983 in gegenseitigem Einvernehmen enden. Dem Erblasser wurde eine Abfindung von 39.000,-- DM brutto = netto zugesagt. Weiter heißt es in Nr. 3 dieser Vereinbarung:
"Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der
Abgeltung aller Ansprüche gegenüber der S aus
und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und
seiner Beendigung, sowie nach Aushändigung sämtlicher
Herrn F zustehenden Unterlagen, wird
Herr F eine Ausgleichsquittung unterzeichnen.
Der Inhalt besteht in der Auflistung der abgegoltenen
Ansprüche im einzelnen, sowie der erhaltenen
Unterlagen im einzelnen, sowie in der Bestätigung
der Abgeltung der aufgelisteten Ansprüche
und des Erhalts der aufgelisteten Unterlagen, und
darüber hinaus in der Erklärung, daß weitergehende
Ansprüche aus und in Verbindung mit seinem Arbeitsverhältnis
und seiner Beendigung nicht mehr gegen
die S bestehen. Weiterhin beinhaltet die Ausgleichsquittung
die Erklärung, daß eine Kündigungsschutzklage
nicht erhoben wird."
Nachdem der Erblasser am 31. März 1983 ausgeschieden war, unterzeichnete er am 9. Mai 1983 eine formularmäßige Ausgleichsquittung, in der er bestätigte, seine Arbeitspapiere sowie restliches Arbeitsentgelt erhalten zu haben. Weiter heißt es darin:
"Damit sind alle meine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis
und dessen Beendigung abgegolten und
ich habe keine Forderung mehr, gleich auf welchem
Rechtsgrund sie beruhen mögen. Das gilt insbesondere
für Ansprüche nach dem Kündigungsschutzgesetz.
Ich erkläre ferner ausdrücklich, daß ich gegen die
Kündigung keine Einwände erhebe und eine bereits
erhobene Kündigungsschutzklage zurücknehmen werde."
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zahlte dem Erblasser mit Wirkung vom 1. April 1983 Altersruhegeld wegen anerkannter Schwerbehinderung oder festgestellter Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit.
Für die bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens erdiente Rentenanwartschaft gewährte der Pensions-Sicherungs-Verein dem Erblasser vom 1. April 1983 an eine monatliche Betriebsrente von 949,30 DM. Nach dessen Tode am 25. August 1983 zahlte er an die Klägerin eine Witwenrente von zunächst 410,10 DM.
Die Klägerin macht gegen den Beklagten weitere Betriebsrentenansprüche als Masseforderungen geltend. Sie hat den Standpunkt vertreten, die Versorgungszusage sei auch nach Konkurseröffnung Bestandteil des Arbeitsverhältnisses geblieben. Der nach Konkurseröffnung erdiente Teil des Betriebsrentenanspruches sei Masseschuld. Die hier umstrittenen Versorgungsrechte seien auch nicht wirksam erlassen worden. Die Vereinbarung vom 31. August 1981 und die Ausgleichsquittung vom 9. Mai 1983 enthielten keinen Verzicht. Der Erblasser selbst sei im Sommer 1981 an den Beklagten herangetreten, um das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1983 zu beenden; es sei für ihn unzumutbar geworden, länger für den Beklagten tätig zu sein. Sein Gesundheitszustand habe bei den Verhandlungen keine Rolle gespielt. Der Beklagte habe deutlich gemacht, daß er keine Abfindung von mehr als 39.000,-- DM zahlen werde. Nur in diesem Zusammenhang habe der Erblasser dann auf die Pensionsanwartschaft hingewiesen, die zu einer wesentlich höheren Abfindung führen müsse. Der Beklagte habe erwidert, er müsse für das Versorgungsversprechen der Gemeinschuldnerin nicht eintreten, so daß eine Einbeziehung der Pensionsanwartschaft in die Abfindung ausscheide. Der Erblasser habe sich hiernach zwar mit der Abfindung einverstanden erklärt, sich aber ausdrücklich alle Rechte hinsichtlich seiner Anwartschaft vorbehalten. Eine Vernehmung des Beklagten als Partei über den Verlauf der Vertragsverhandlungen komme nicht in Frage, weil dessen Aussage aus parteilicher Sicht erfolgen werde und neue Gesichtspunkte nicht zu erwarten seien.
Da der Erblasser zuletzt ein Jahreseinkommen von 100.604,-- DM bezogen habe, errechne sich dessen Invalidenrente für die fünf Monate von seinem Ausscheiden bei der Gemeinschuldnerin bis zu seinem Tode wie folgt:
100.604,-- DM : 12 = 8.384,-- DM
1.340,-- DM + (3.384,-- DM x 25 %) = 2.186,-- DM.
Nach Abzug der Leistungen des Pensions-Sicherungs-Vereins verbleibe ein Restbetrag von 1.236,70 DM monatlich, für fünf Monate also 6.183,50 DM. Für die Zeit ab 1. November 1983 stehe ihr die Witwenrente von 60 % von 2.186,-- DM, also 1.311,60 DM monatlich zu; davon habe der Pensions-Sicherungs-Verein 569,58 DM zu zahlen und der Beklagte 742,02 DM.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen,
1. an die Erbengemeinschaft, bestehend aus der
Klägerin und ihrer Tochter, Frau C S ,
L Straße , B 1, DM 6.183,50
nebst 10 % Zinsen hieraus ab 1.10.1983 zu
zahlen,
2. an die Klägerin persönlich DM 155.000,-- nebst
10 % Zinsen hieraus seit Klageerhebung zu zahlen,
zu Ziffer 2 hilfsweise:
a) an die Klägerin persönlich DM 1.484,04 nebst
10 % Zinsen hieraus seit 1.10.1983 zu zahlen,
b) an die Klägerin persönlich, beginnend ab
1.11.1983, monatlich im voraus je DM 742,02
zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat den Standpunkt vertreten, die Rentenanwartschaft sei durch die Konkurseröffnung auf den Pensions-Sicherungs-Verein übergegangen. Eine zusätzliche Anwartschaft sei nicht deshalb entstanden, weil der Erblasser über die Konkurseröffnung hinaus weiterbeschäftigt worden sei. Jedenfalls ergäben sich für die Klägerin keine Masseansprüche, sondern allenfalls einfache Konkursforderungen.
Zudem habe der Erblasser ausdrücklich auf eine etwaige Pensionsanwartschaft verzichtet. Bei den Verhandlungen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Zahlung einer Abfindung sei über die Aufhebung der Pensionszusage gesprochen worden. Beide Vertragsparteien seien davon ausgegangen, daß die nach Konkurseröffnung möglicherweise entstandene Anwartschaft keine Masseansprüche begründen könne. Nur deshalb sei die Anwartschaft nicht mehr ausdrücklich erwähnt worden. Da über den Inhalt der Unterredung nur er, der Beklagte, Auskunft geben könne, sei er als Partei zu vernehmen. Falls man nicht von einem Verzicht auf die Rentenanwartschaft ausgehe, sei ein versteckter Einigungsmangel anzunehmen; denn ohne eine Regelung der offenen Frage der Altersversorgung wäre der Vertrag vom 31. August 1981 nicht geschlossen worden. Daher bestehe jedenfalls ein Anspruch auf Rückzahlung der als Abfindung gezahlten 39.000,-- DM. Mit diesem Anspruch rechne er hilfsweise gegen etwaige Ansprüche der Klägerin auf.
Schließlich sei der Anspruch fehlerhaft berechnet. Das Bruttojahresgehalt müsse durch 14 geteilt werden, weil der Erblasser 14 Monatsgehälter vom Beklagten erhalten habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, soweit die Klägerin eine Abfindung ihres Witwenrentenanspruches verlangt hat. Im übrigen hat es mit Ausnahme der Höhe der Zinsen der Klage stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat nur der Beklagte Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte das Ziel der Klageabweisung in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klägerin Betriebsrentenansprüche als Masseforderungen zuerkannt.
I. Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin des Erblassers habe keinen Einfluß auf den Bestand und den Inhalt des Arbeitsverhältnisses gehabt, mithin habe auch die ursprüngliche Versorgungszusage fortgegolten. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision gehen fehl.
1. Wird über das Vermögen des Arbeitgebers das Konkursverfahren eröffnet, so führt das nicht automatisch zur Beendigung der bestehenden Arbeitsverhältnisse. § 22 KO räumt dem Konkursverwalter lediglich ein Sonderkündigungsrecht ein. Davon hat der Beklagte keinen Gebrauch gemacht. Im übrigen tritt der Konkursverwalter gemäß § 6 KO in vollem Umfang an die Stelle des Gemeinschuldners. Für dessen Versorgungszusagen gilt nichts anderes; sie bestehen mit dem bisherigen Inhalt fort (BAGE 32, 326, 336 = AP Nr. 18 zu § 613 a BGB, zu III 2 der Gründe, mit zustimmender Anmerkung von Heinze, m.w.N.; ferner Uhlenbruck, Insolvenzrecht, 1979 Rz 175; Hess/Kropshofer, KO, 2. Aufl., Anhang V zu § 7 BetrAVG Rz 37; Kilger, KO, 15. Aufl., § 22 Anm. 4). Ob der Konkursverwalter berechtigt ist, die Versorgungszusage für das fortbestehende Arbeitsverhältnis zu widerrufen, ist hier nicht zu entscheiden, da der Beklagte keinen Versorgungswiderruf erklärt hat.
2. Auch das Eingreifen des gesetzlichen Insolvenzschutzes für Rentenansprüche und für bei Konkurseröffnung unverfallbare Versorgungsanwartschaften ändert nichts daran, daß die Versorgungszusage fortgilt. Zwar wird der Pensions-Sicherungs-Verein als Träger der Insolvenzsicherung im Umfang seiner Einstandspflicht gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG Inhaber der Versorgungsanwartschaft. Jedoch bewirkt diese Regelung nicht den Übergang der gesamten Rentenanwartschaft mit der Folge, daß der Arbeitnehmer aufgrund eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses nicht weitere Ansprüche gegen den Konkursverwalter erwerben könnte. Die Funktion des § 9 Abs. 2 BetrAVG erschöpft sich darin, den Rückgriffsanspruch des Trägers der Insolvenzsicherung gegen den Gemeinschuldner zu sichern. Unverfallbare Versorgungsanwartschaften sind daher auf den Zeitpunkt der Konkurseröffnung abzurechnen, jedoch sind weiterbeschäftigte Arbeitnehmer nicht gehindert, auf der Grundlage der Versorgungszusage in eigener Person weitere Versorgungsansprüche zu erdienen (vgl. außer BAGE 32, 326, 329 = AP Nr. 18 zu § 613 a BGB, zu I 2 a der Gründe auch Wiedemann/Willemsen, RdA 1979, 418, 427 und Henckel, ZIP 1980, 173). Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, daß die gegenteilige Auffassung des Beklagten im Widerspruch zu Sinn und Zweck des Betriebsrentengesetzes steht: Das Gesetz sichert zwar die bei Konkurseröffnung erdiente Anwartschaft, nimmt dem Arbeitnehmer damit aber nicht die Möglichkeit, weitere Ansprüche aufgrund der Versorgungszusage gegen die Konkursmasse zu erwerben.
II. Der Erblasser hat nach Eröffnung des Konkursverfahrens Versorgungsansprüche erdient, die als Masseforderungen zu erfüllen sind.
1. Gilt die Versorgungszusage über die Konkurseröffnung hinaus fort, so richtet sich auch die weitere Entwicklung der Anwartschaft nach dem ursprünglichen Leistungsversprechen: Sieht die Versorgungszusage dienstzeitabhängige Steigerungen vor, so wirkt die Weiterbeschäftigung rentensteigernd; ist außerdem eine gehaltsbezogene (dienstzeitunabhängige) Versorgung zugesagt, so wirkt die Weiterbeschäftigung rentensteigernd, wenn das Gehalt des Arbeitnehmers nach der Konkurseröffnung steigt. Entscheidend für Grund und Höhe eines Versorgungsanspruchs bleiben auch im Konkursverfahren die Bemessungsfaktoren der Versorgungszusage für den Zeitpunkt des in der Versorgungszusage vorgesehenen Versorgungsfalls. Daraus folgt, daß zunächst der voll erdiente Rentenanspruch zu ermitteln und sodann davon abzusetzen ist, was gemäß § 9 Abs. 2 BetrAVG auf den Pensions-Sicherungs-Verein als Träger der Insolvenzsicherung übergegangen ist.
2. Die vom Erblasser nach Eröffnung des Konkursverfahrens erdienten Versorgungsansprüche sind gemäß § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO Masseforderungen. Ansprüche auf Zahlung einer Betriebsrente, die aus der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Konkursverfahren erwachsen, sind solche aus gegenseitigen Verträgen, deren Erfüllung der Konkursverwalter für die Zeit nach Konkurseröffnung verlangt (Kilger, KO, 15. Aufl., § 59 Anm. 4 b; Willemsen, Arbeitnehmerschutz bei Betriebsänderungen im Konkurs, 1980, S. 322). Der Arbeitnehmer erbringt in diesem Fall seine Leistungen zugunsten der Konkursmasse; er ist daher, mit allen Nebenansprüchen, aus der Konkursmasse zu vergüten. Hiervon ist der Senat auch in seinen Entscheidungen zur Betriebsveräußerung im Konkurs ausgegangen, indem er zwischen den bis zur Konkurseröffnung und den danach erdienten Rentenanteilen unterschieden hat (BAGE 32, 326, 336 = AP Nr. 18 zu § 613 a BGB, zu III 2 der Gründe; BAG Urteil vom 29. Oktober 1985 - 3 AZR 485/83 - ZIP 1986, 1001, 1003, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen). Das Schrifttum hat diese Auffassung weitgehend gebilligt (Paulsdorff in Heubeck/Paulsdorff/Rau/Weinert, BetrAVG, Bd. I, 2. Aufl., § 7 Rz 71; Henckel, ZIP 1980, 173; Wiedemann/Willemsen, RdA 1979, 418, 427). Entgegen der Auffassung des Beklagten nimmt auch Henckel (aa0) keinen anderen Standpunkt ein; Henckel weist lediglich - zu Recht - auf die Schwierigkeiten hin, die entstehen, wenn der Konkursverwalter laufende Rentenansprüche aus der Konkursmasse befriedigen muß. Diese Schwierigkeiten sind jedoch nach der geltenden gesetzlichen Regelung nicht zu vermeiden; sie rühren allein daher, daß der Konkursverwalter einen Arbeitnehmer mit einer fortgeltenden Rentenzusage weiter beschäftigt.
3. Entgegen der Auffassung des Beklagten ergeben sich Einschränkungen dieser Grundsätze nicht aus der Rechtsprechung des Senats zum Bestandsschutz der sog. erdienten Dynamik (BAGE 49, 57 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, mit Anmerkung von Loritz; Urteil vom 17. März 1987 - 3 AZR 64/84 - ZIP 1987, 932, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).
a) Es ist anzuerkennen, daß nach der Rechtsprechung des Senats (aa0) in der Zukunft wirksam werdende Rentensteigerungen, soweit sie auf dienstzeitunabhängigen Bemessungsfaktoren beruhen, durch Betriebstreue des Arbeitnehmers in der Vergangenheit erdient werden können. Die hierauf beruhenden Rentenanteile unterliegen deshalb im Vergleich zu rein dienstzeitabhängigen Steigerungen einem erhöhten Bestandsschutz. Auch der Erblasser hatte schon vor Eröffnung des Konkursverfahrens einen Teil der Rente durch Betriebstreue erdient, die schließlich bei seinem Eintritt in den Ruhestand die Höhe seines Rentenanspruchs bestimmte. Dieser vor der Eröffnung des Konkursverfahrens durch Betriebstreue belegte Teil der "erdienten Dynamik" stellte nach Auffassung des Beklagten schon bei Eröffnung des Konkursverfahrens einen Vermögenswert dar, der nach § 69 KO geschätzt und als einfache Konkursforderung zur Tabelle angemeldet werden müsse, jedoch nicht aus der Masse zu befriedigen sei. Diesen Schlußfolgerungen kann sich der Senat nicht anschließen.
b) In den genannten Urteilen hatte der Senat nicht darüber zu entscheiden, welche Rechtsstellung eine Versorgungsanwartschaft des Arbeitnehmers im Konkurs des Arbeitgebers einnimmt. Es ging vielmehr um die Frage, nach welchen Maßstäben die von der Rechtsprechung geforderte Billigkeitsprüfung stattzufinden hat, wenn eine betriebliche Versorgungsordnung abgelöst werden soll und dabei in die Besitzstände der Arbeitnehmer eingegriffen wird. Nur in diesem Zusammenhang hat der Senat als Kennzeichnung eines der unterschiedlich stark geschützten Besitzstände des Anwartschaftsberechtigten auf die zeitanteilig bis zur Ablösung schon erdiente Dynamik abgestellt. In den Regeln des Konkursrechts findet eine Unterscheidung nach diesem Maßstab keine Stütze. Die Konkursordnung unterscheidet nicht danach, in welchem Umfang das Vertrauen der Arbeitnehmer in den Fortbestand einer betrieblichen Ordnung zu schützen ist, sondern weist realisierbare Forderungen, auch betagte und bedingte (§§ 65 ff. KO), den verschiedenen Kategorien der Gläubigerbefriedigung zu. Die erdiente Dynamik kann in diesem Sinne nicht als ein von der Versorgungszusage losgelöster Anspruch geltend gemacht werden. Sie beeinflußt die Höhe des Versorgungsversprechens nur, wenn und solange das Arbeitsverhältnis fortbesteht und die Versorgungszusage gilt. Scheidet der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis aus, so kann seine Versorgung an einer künftigen Entwicklung nicht mehr teilhaben, die Dynamik erlischt (§ 2 Abs. 5 BetrAVG).
Solche unselbständigen Anspruchselemente berücksichtigt die Konkursordnung nicht. § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO unterscheidet nur danach, ob der Anspruch vor oder nach Konkurseröffnung entstanden ist. Insofern unterscheidet sich die Dynamik einer Versorgungszusage von einem Anspruch auf eine Jahressonderzahlung oder eine Gratifikation: Sie ordnet nicht Teile einer Leistung in bestimmten Zeitabschnitten zu, sondern ist ein einzelnes Merkmal für die Bemessung einer Leistung, die sich auf die gesamte vom Arbeitnehmer erbrachte Betriebstreue bezieht (zur Jahressonderzahlung vgl. BAG Urteil vom 21. Mai 1980 - 5 AZR 441/78 - AP Nr. 10 zu § 59 KO, mit zustimmender Anmerkung von Uhlenbruck).
Der Hinweis des Beklagten, die erdiente Dynamik stelle schon an sich einen Vermögenswert dar, besagt in diesem Zusammenhang nichts, da dieser Wert nicht von dem Anspruch selbst gelöst werden kann und sich gerade dadurch von einem Teilanspruch unterscheidet. Im übrigen stellen auch rein dienstzeitabhängige künftige Steigerungen des Versorgungsanspruchs zu jedem Zeitpunkt im Verlaufe eines Arbeitsverhältnisses einen schätzbaren Vermögenswert dar. Sie gehen dem Arbeitnehmer beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis ebenso verloren wie künftige dienstzeitunabhängige Steigerungen. Gerade die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist aber das entscheidende Merkmal für den Ausschluß von Ansprüchen gegen die Konkursmasse. Nur soweit das Arbeitsverhältnis nach Konkurseröffnung fortgesetzt wird, entwickeln sich auch die vor Konkurseröffnung begründeten Ansprüche fort; weil die in dieser Zeit erbrachten Leistungen des Arbeitnehmers der Masse zugute kommen, sind sie auch aus der Masse zu erfüllen.
III. Der Erblasser hat den Anspruch auf die nach Konkurseröffnung erdiente Versorgung nicht durch Vertrag erlassen.
1. Der Beklagte hat behauptet, bei der Vereinbarung der Abfindung sei man sich darüber einig gewesen, daß mit dem zu zahlenden Betrag auch die Versorgungsansprüche abgegolten seien; anderenfalls sei die Abfindungsvereinbarung wegen versteckten Dissenses unwirksam. Das Berufungsgericht hat den vorgelegten Urkunden eine Vereinbarung über die Abfindung der Versorgung nicht entnommen; zu einer Vernehmung des Beklagten als Partei über seine eigene Sachdarstellung hat das Berufungsgericht keinen hinreichenden Anlaß gesehen.
2. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision vermögen nicht zu überzeugen.
a) Zu Recht hat das Berufungsgericht die Auffassung vertreten, weder der schriftlichen Vereinbarung vom 31. August 1981 noch der Ausgleichsquittung des Erblassers vom 6. Mai 1983 sei mit der erforderlichen Eindeutigkeit zu entnehmen, daß auch Versorgungsansprüche durch die Abfindung abgegolten sein sollten (vgl. hierzu BAG Urteil vom 9. November 1973 - 3 AZR 66/73 - AP Nr. 163 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAGE 43, 312 = AP Nr. 4 zu § 128 HGB).
b) Es ist auch nicht zu beanstanden, daß es das Berufungsgericht abgelehnt hat, den Beklagten über den Hergang und den Inhalt seiner Verhandlungen mit dem Erblasser als Partei zu vernehmen. Ob eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO durchgeführt wird oder nicht, steht im Ermessen des Tatsachengerichts. Die Vernehmung setzt voraus, daß bereits einiger Beweis erbracht ist. Sieht das Berufungsgericht gerade diese Voraussetzung als nicht gegeben an, so ist dies revisionsrechtlich nicht angreifbar, es sei denn, das Tatsachengericht hätte die Grenzen seines Ermessens außer acht gelassen (BAG Urteil vom 25. Mai 1962 - 2 AZR 430/60 - AP Nr. 1 zu § 628 BGB; Stein/Jonas/Schumann/Leipold, ZPO, 19. Aufl., § 448 Anm. VI; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 45. Aufl., § 448 Anm. 2 A; Zöller/Stephan, ZPO, 15. Aufl., § 448 Rz 2).
Einen solchen Ermessensfehler läßt die Begründung des Berufungsgerichts nicht erkennen. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Beklagtenvortrags besteht nicht. Auch die Revision zeigt keine Umstände auf, die zu einer anderen Beurteilung führen müßten; ob die Erwerbsunfähigkeit des Erblassers die entscheidende Rolle spielte, die ihr der Beklagte beimißt, erscheint zumindest zweifelhaft, da der Erblasser das Arbeitsverhältnis über den Zeitpunkt der Vereinbarung vom 31. August 1981 hinaus noch bis zum 31. März 1983, also über ein Jahr und sieben Monate, fortsetzte.
c) Damit erledigt sich zugleich der Einwand des Beklagten, die Vereinbarung sei wegen versteckten Dissenses nach § 155 BGB nichtig, so daß er die gezahlte Abfindung zurückfordern könne. Der Beklagte hat seine Schilderung der Gespräche, die zu der Vereinbarung vom 31. August 1981 führten, nicht beweisen können. Auch insoweit bestand kein Anlaß, den Beklagten als Partei zu vernehmen. Mithin steht dem Beklagten keine aufrechenbare Gegenforderung zu.
3. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß eine Abfindung der Anwartschaft oder ein entsprechender Verzicht des Erblassers auf die Versorgungsrechte an § 17 Abs. 3 Satz 3 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG hätten scheitern müssen. Da die Versorgung dem Erblasser am 31. August 1981 schon länger als zehn Jahre zugesagt war (seit 1. Dezember 1957), konnte sie nicht wirksam gegen Zahlung einer Entschädigung abgefunden werden. Der Senat hat entschieden, daß für den entschädigungslosen Verzicht nichts anderes gilt (Urteil vom 22. September 1987 - 3 AZR 194/87 - zur Veröffentlichung bestimmt).
IV. Das Klagebegehren ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
1. Der Erblasser hatte bei seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis die volle Rente erdient. Nach der Zusage vom 6. November 1974 entspricht die Invalidenrente der Altersrente, die ihrerseits auf 1.340,-- DM monatlich nebst 25 % des Betrages ansteigen konnte, um den das letzte Bruttogehalt 5.000,-- DM monatlich überstieg. Die Witwenrente beträgt nach der Versorgungszusage 60 % der Rente des Ehemannes. Das Zahlenwerk selbst ist unstreitig; die Berechnung der Tatsachengerichte, die keinen Fehler erkennen läßt, ist nicht angegriffen. Der Beklagte hat zwar anfänglich eingewandt, das letzte Jahresgehalt des Erblassers dürfe nicht durch 12, sondern müsse durch 14 Monate geteilt werden, weil der Erblasser 14 Monatsgehälter bezogen habe. Dazu hat aber bereits das Arbeitsgericht festgestellt, der Erblasser habe zuletzt kein Monatsgehalt, sondern ein Jahresgehalt bezogen, daß zwar in 14 Raten gezahlt aber Gegenleistung für das ganze Jahr gewesen sei. Das Berufungsgericht hat hierauf Bezug genommen. Diese Auslegung der Vorinstanzen ist nicht zu beanstanden; ein Verstoß gegen allgemeine Auslegungsgrundsätze ist nicht ersichtlich (vgl. hierzu BAGE 19, 83, 88 = AP Nr. 2 zu § 675 BGB; Urteil vom 2. März 1973 - 3 AZR 325/72 - AP Nr. 36 zu § 133 BGB).
2. Der Hinweis des Beklagten, nach der vom Senat vertretenen Auffassung habe der Erblasser in der Zeit nach der Konkurseröffnung eine wesentlich höhere Rente erdient als zuvor, trifft zu. Dies hat seinen Grund darin, daß die Rentenzusage gehaltsabhängig war und der Erblasser nach Konkurseröffnung Gehaltssteigerungen erfahren hat. Außerdem wirkte sich das vorzeitige Ausscheiden des Erblassers nicht rentenmindernd aus, weil Abschläge bei der Invalidenrente nur für das vorzeitige Ausscheiden vor Vollendung des 55. Lebensjahres des Arbeitnehmers vorgesehen waren und das Arbeitsverhältnis des Erblassers erst in einem höheren Lebensalter endete.
Der Vorsitzende Richter
am Bundesarbeitsgericht
Prof. Dr. Dieterich ist
ausgeschieden.
Griebeling Griebeling Dr. Peifer
Dr. Bächle Schoden
Fundstellen
BAGE 56, 251-262 (LT1-3) |
BAGE, 251 |
BB 1988, 837-839 (LT1-3) |
DB 1988, 655-656 (LT1-3) |
BetrAV 1988, 181-182 (LT1-3) |
KTS 1988, 181-182 (LT1-3) |
NZA 1988, 396-397 (LT1-3) |
RdA 1988, 187 |
SAE 1988, 134-137 (LT1-3) |
ZIP 1988, 330 |
ZIP 1988, 330-333 (LT1-3) |
AP § 1 BetrAVG Besitzstand (LT1-3), Nr 6 |
AR-Blattei, Betriebliche Altersversorgung VI Entsch 54 (LT1-3) |
AR-Blattei, ES 460.6 Nr 54 (LT1-3) |
EzA § 1 BetrAVG, Nr 51 (LT1-3) |