Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Kündigungsfristen, hier: § 53 Abs. 2 BAT. Vgl. zu den gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB Senatsurteil vom 25. November 1971 – 2 AZR 62/71 – BAGE 24, 50 = AP Nr. 11 zu § 622 BGB (einseitige Geltung)

 

Leitsatz (amtlich)

Die verlängerten Kündigungsfristen des § 53 Abs. 2 BAT gelten sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmern.

 

Normenkette

BAT § 53; MTL II § 57; MTB II § 57; BMT-G II § 50; BGB § 622; ZPO § 256

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 15.02.1990; Aktenzeichen 9 Sa 868/89)

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 20.04.1989; Aktenzeichen 5 Ca 107/89)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 15. Februar 1990 – 9 Sa 868/89 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der 1942 geborene Kläger war seit dem 1. Januar 1976 bei der Beklagten angestellt und zuletzt als Leiter des Rechnungswesens tätig. Das Arbeitsverhältnis richtete sich gemäß § 2 des Arbeitsvertrages vom 15. Dezember 1975 nach den Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) mit den zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträgen in ihrer jeweils geltenden Fassung. Mit Schreiben vom 7. Februar 1989 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1989. Die Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 9. Februar 1989 den Erhalt des Kündigungsschreibens, wies aber darauf hin, nach § 53 BAT betrage die Kündigungsfrist sechs Monate zum Schluß eines Kalendervierteljahres; man sei eventuell mit einem früheren Ausscheiden des Klägers einverstanden, wenn rechtzeitig ein Nachfolger für seine Position gefunden werde und eine entsprechende Einarbeitung gewährleistet sei. Der Kläger ließ durch seinen Prozeßbevollmächtigten unter dem 1. März 1989 erwidern, nach seiner Auffassung gelte die normale Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende. Eine hierzu geforderte Einverständniserklärung lehnte die Beklagte ab.

Der Kläger, der nach Ablauf des 31. März 1989 tatsächlich aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist, begehrt mit der Klage die Feststellung der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zu diesem Zeitpunkt. Er beruft sich auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 622 BGB, die auch für § 53 BAT Geltung verdiene. Das Rechtsschutzinteresse für die Klage ergebe sich daraus, daß die Beklagte sich wegen der angeblichen Nichteinhaltung der Kündigungsfrist Schadenersatzansprüche vorbehalten habe. Die von der Beklagten mit Schreiben vom 11. Mai 1989 geltend gemachte Rückforderung der Weihnachtszuwendung setze im übrigen voraus, daß das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1989 beendet worden sei.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufgrund seiner Kündigung vom 7. Februar 1989 am 31. März 1989 endete.

Die Beklagte hat mit ihrem Klageabweisungsantrag sich darauf berufen, die verlängerten Kündigungsfristen des § 53 Abs. 2 BAT gälten auch für den Arbeitnehmer. Im Hinblick auf § 622 Abs. 3 BGB hätten die Tarifparteien wirksam eine Geltung der verlängerten Kündigungsfristen für beide Arbeitsvertragsparteien vereinbaren können. Es bestehe auch ein berechtigtes Interesse der Arbeitgeber, für längerfristig beschäftigte Arbeitnehmer eine Nachfolgekraft zu finden und einzuarbeiten. Durch das sofortige Ausscheiden des Klägers sei sie gezwungen gewesen, vorübergehend eine Treuhandgesellschaft mit der Erledigung der Aufgaben des Klägers zu beauftragen; sie behalte sich vor, die dadurch entstandenen Mehrkosten geltend zu machen.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt, während auf die Berufung der Beklagten das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen hat. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht entschieden, die Regelung über die verlängerten Kündigungsfristen in § 53 Abs. 2 BAT sei sowohl für den Arbeitgeber als auch den Arbeitnehmer verbindlich.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Ein Rechtsschutzinteresse für die geltend gemachte Klage ergebe sich aus einer Reihe von Nebenwirkungen – nicht zuletzt öffentlich-rechtlicher Art – für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Auch berühme sich die Beklagte eines Schadenersatzanspruches wegen nicht eingehaltener Kündigungsfrist. Die Klage sei indessen unbegründet, weil die Regelung des § 53 Abs. 2 BAT für beide Arbeitsvertragsparteien verbindlich sei. Dies ergebe sich sowohl aus dem Tarifwortlaut wie auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang. Der Wortlaut stelle schlicht auf die Kündigungsfrist ab, die mithin nach allgemeinem Sprachgebrauch sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer gelte.

Hierfür gebe auch der tarifliche Gesamtzusammenhang deutliche Hinweise, wie den Regelungen in § 53 Abs. 3 und § 53 Abs. 2 BAT zu entnehmen sei. Die Tatsache, daß § 53 Abs. 2 BAT erste Alternative eine kürzere Kündigungsfrist bei der Beschäftigungszeit bis zu einem Jahr auf einen Monat zum Monatsschluß festlege, was nicht etwa einseitig nur zugunsten des Arbeitgebers gelte, belege, daß andererseits auch die verlängerten Kündigungsfristen für beide Parteien Geltung verdienten. Eine solche Regelung erscheine auch im Interesse beider Arbeitsvertragsparteien sinngerecht. Denn auch den Arbeitgeber stelle das kurzfristige Ausscheiden eines Arbeitnehmers häufig vor nicht unerhebliche innerbetriebliche Probleme. Tarifverträge seien das Ergebnis einer Übereinkunft von Tarifpartnern, die wechselseitig ihre Interessen einbrächten. Dieses Auslegungsergebnis werde bestärkt durch die von den Tarifvertragsparteien des BAT sonst für den öffentlichen Dienst getroffenen Kündigungsregelungen, u. a. in § 57 des Manteltarifvertrages für Arbeiter der Länder (MTL II) und in § 57 des MTV für Arbeiter des Bundes (MTB II). Während in diesen Bestimmungen ausdrücklich die beiderseitige Geltung der verlängerten Kündigungsfristen angesprochen sei, treffe § 50 des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter der Gemeinden und gemeindlichen Verwaltungen (BMT-G II) für die gemeindlichen Arbeiter eine dem § 53 Abs. 2 BAT entsprechende Regelung, ohne daß man davon ausgehen könne, nur die Arbeiter der Länder und des Bundes sollten einer entsprechenden längeren Bindung unterworfen werden, die gemeindlichen Arbeiter dagegen nicht. Daß die Tarifvertragsparteien für den letztlich einheitlichen Bereich des öffentlichen Dienstes derart unterschiedliche Regelungen hätten treffen wollen, sei unwahrscheinlich.

Eine derartige Regelung gleicher Kündigungsfristen für beide Arbeitsvertragsparteien sei auch gemäß § 622 Abs. 3 BGB zulässig. In der Rückforderung der Weihnachtszuwendung könne eine Zustimmung zum Ausscheiden des Klägers mit dem 31. März 1989 nicht gesehen werden. Dem stehe schon entgegen, daß die Beklagte jederzeit eindeutig erklärt habe, die Kündigungsfrist sei nicht eingehalten.

II. Dem stimmt der Senat sowohl im Ergebnis wie auch in der Begründung zu, Die sorgfältig begründete Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist frei von Rechtsfehlern.

1. Dem Berufungsgericht ist zunächst darin zuzustimmen, daß für die vorliegende Feststellungsklage ein Rechtsschutzinteresse an alsbaldiger Klärung besteht, § 256 ZPO. Der Kläger erstrebt nicht nur die Erstattung eines Gutachtens zu der Rechtsfrage der Reichweite des § 53 BAT, sondern die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nach dem 31. März 1989. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, aus der zu treffenden Feststellung ergäben sich Folgewirkungen mannigfacher Art für die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses. Das entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. u. a. Urteil vom 20. März 1986 – 2 AZR 296/85 – AP Nr. 9 zu § 256 ZPO 1977, zu B I 2a der Gründe; siehe auch KR-Friedrich, 3. Aufl., § 13 KSchG Rz 314). Außerdem wird das Interesse an alsbaldiger Feststellung zusätzlich dadurch belegt, daß die Beklagte sich die Geltendmachung von Schadenersatzforderungen wegen Nichteinhaltung der Kündigungsfrist vorbehalten hat. Mit der Feststellungsklage wird also eine wesentliche Vorfrage für die Anspruchsberechtigung geklärt. Für das Interesse an alsbaldiger Feststellung genügt es, wenn Schadenersatzfolgen ernsthaft in Betracht kommen und der Gegner sich eines solchen Anspruchs berühmt (vgl. BAG Urteil vom 24. November 1966 – 5 AZR 141/66 – AP Nr. 44 zu § 256 ZPO).

2. Die gegen die Auslegung des § 53 Abs. 2 BAT durch das Landesarbeitsgericht vorgebrachten Rügen greifen nicht durch.

a) Die Auslegung einer Tarifvertragsnorm als Rechtsnorm i. S. der §§ 1, 4 TVG unterliegt der selbständigen Beurteilung durch das Revisionsgericht (vgl. BAG Urteile vom 10. Oktober 1957 – 2 AZR 48/55 –, 10. September 1962 – 5 AZR 367/61 – und vom 30. September 1971 – 5 AZR 123/71 – AP Nr. 12, 115, 121 zu § 1 TVG Auslegung; Senatsurteile vom 14. Mai 1987 – 2 AZR 380/86 – BAGE 55, 298, 301 ff. = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit, zu B II der Gründe und vom 28. Februar 1990 – 2 AZR 425/89 – EzA § 1 KSchG Nr. 27, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 1 Rz 432). Auch unter Berücksichtigung dieses weiten Prüfungsmaßstabes ist die Auslegung des § 53 Abs. 2 BAT durch das Berufungsgericht revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

b) Für die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages sind die für Gesetze und nicht die für Verträge maßgebenden Auslegungsgrundsätze anzuwenden. Die Tarifauslegung hat zwar – entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung – zunächst von dem Tarifwortlaut auszugehen. Dabei ist jedoch über den reinen Wortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. BAGE 42, 86, 89 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; 46, 308, 313 = AP Nr. 135, aaO; sowie 55, 298, 301 ff. = AP, aaO, zu B II 1 der Gründe). Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen mitberücksichtigt werden muß, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifparteien geschlossen und so nur bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhanges der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann. Verbleiben bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlautes und des tariflichen Gesamtzusammenhanges als den stets und in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfalle noch Zweifel an der zutreffenden Auslegung, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf weitere Kriterien wie die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages zurückgegriffen werden. Dabei gibt es jedoch für die Gerichte keine Bindung an eine bestimmte Reihenfolge bei der Heranziehung dieser weiteren Auslegungsmittel (vgl. BAG, aaO).

c) Zutreffend weist das Landesarbeitsgericht zunächst darauf hin, der Wortlaut des § 53 Abs. 2 BAT stelle schlicht auf “die Kündigungsfrist” ab und umfasse demnach zwingend beide Kündigungen, nämlich sowohl die des Arbeitgebers als auch die des Arbeitnehmers. Ein ausdrücklicher Unterschied zwischen der Kündigung durch den Arbeitgeber und der durch den Angestellten wird in der Tarifvorschrift nicht gemacht. Auch die Revision legt nicht dar, inwiefern sich aus dem Wortlaut etwas anderes ergebe. Damit ist grundsätzlich von der Gleichheit der Kündigungsfristen auszugehen (vgl. allgemein für tarifliche Kündigungsfristen, KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 622 BGB Rz 124, m. w. N.), was auch der einhelligen Auffassung in der Kommentar-Literatur zu § 53 BAT entspricht (vgl. Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Stand März 1988, § 53 Rz 3, 18; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand Januar 1988, § 53 Erl. 3; Crisolli/Tiedtke/Ramdohr, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, Stand Februar 1990, § 53 BAT, Erl. 8a; PK-BAT, Schmalz, § 53 Rz 1 und 34 sowie Vorbem. vor § 53 Rz 15; Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann, BAT, Stand Februar 1988, § 53 Erl. 5). Insoweit ist die Argumentation der Revision unzutreffend, aus dem Hinweis bei Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese (aaO), die Arbeitgebervertreter der BAT-Kommission hätten sich zu einer Stellungnahme i. S. einer für beide Seiten verbindlichen Kündigungsfrist veranlaßt gesehen, sei zu schließen, es habe keine einheitliche Willensbildung der Tarifparteien über diesen Punkt gegeben. Denn zum einen ist der einschlägigen Literatur nicht zu entnehmen, daß etwa die Arbeitnehmervertreter einer solchen Stellungnahme der Arbeitgeberseite widersprochen hätten. Zum anderen vertritt auch die Arbeitnehmerseite den nämlichen Standpunkt, wie dem von ÖTV-Sekretären herausgegebenen Kommentar zum BAT (PK-BAT, Schmalz, aaO) zu entnehmen ist. Dort wird im Gegenteil gerade darauf hingewiesen (aaO, Anm. 34), wenn der Angestellte während der auch von ihm einzuhaltenden Kündigungsfrist seiner Arbeitspflicht schuldhaft nicht nachkomme, so könne er sich schadenersatzpflichtig machen; die Nichtbeachtung der Kündigungsfristen sei nur in einem Auflösungsvertrag möglich.

d) Richtigerweise hat das Landesarbeitsgericht aber nicht nur eine Auslegung vom Wortlaut her vorgenommen, sondern auch dem tariflichen Gesamtzusammenhang deutliche Hinweise entnommen. Die Regelung in § 53 Abs. 3 BAT zur Unkündbarkeit des Angestellten betrifft nur die arbeitgeberseitige Kündigung. Es muß also davon ausgegangen werden, daß den Tarifvertragsparteien sehr wohl bewußt war, in § 53 Abs. 2 BAT werde demgegenüber eine wechselseitige Kündigungsfrist festgelegt. Auch die einheitliche Regelung der verkürzten Probezeit-Kündigungsfrist in § 53 Abs. 1 BAT, die selbstverständlich für beide Seiten gilt (PK-BAT, Schmalz, aaO, § 53 Rz 33), und der im ersten Jahr der Beschäftigungszeit ebenfalls verkürzten Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende (§ 53 Abs. 2 erste Alternative) und der in dieser Bestimmung unmittelbar nachfolgenden verlängerten Kündigungsfristen bei längerer Beschäftigungszeit zeigt, daß die Tarifvertragsparteien von einer einheitlichen Konzeption, d. h. einer für beide Seiten gleichermaßen geltenden Regelung ausgegangen sind. Die überzeugende Überlegung des Landesarbeitsgerichts, andernfalls müßte der Angestellte im ersten Beschäftigungsjahr im Unterschied zum Arbeitgeber eine Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartal einhalten, hat die Revision nicht entkräftet.

e) Ein derartiges Verständnis der tariflichen Regelung, die aufgrund des in § 622 Abs. 3 BGB verankerten Autonomieprinzips rechtlich zulässig ist (vgl. KR-Hillebrecht, aaO, § 622 BGB Rz 118, 119; MünchKomm-Schwerdtner, BGB, 2. Aufl., § 622 Rz 52; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., Einl. Rz 113, 120, 125 sowie § 1 Rz 236, 237), ist auch für beide Seiten interessengerecht: Für den Angestellten wirkt sich die Regelung unter dem Arbeitnehmerschutzgesichtspunkt aus (so für Arbeiter: BAGE 24, 50, 53 ff. = AP Nr. 11 zu § 622 BGB, zu 2b und c der Gründe), während auch für den Arbeitgeber ein mit längerer Betriebszugehörigkeit verstärktes Interesse besteht, gut eingearbeitete Angestellte mit großer Erfahrung und Routine während einer längeren Übergangszeit durch Einarbeitung neuer Kräfte auszutauschen. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht auf eine derartig – gerade auch im öffentlichen Dienst – allgemein bekannte Interessensituation, die im übrigen die Beklagte in beiden Tatsacheninstanzen ebenfalls für sich reklamiert hat, abgestellt hat. Entgegen der Auffassung der Revision ist darin keine Verletzung des § 286 ZPO zu sehen. Die Berücksichtigung allgemein gültiger Tatsachen gehört vielmehr gerade zu einer umfassenden Berücksichtigung des Streitstoffes. Die Revision hat auch nicht dargestellt, was das Landesarbeitsgericht insofern noch hätte aufklären und gegebenenfalls welchen Beweisanträgen hätte nachgegangen werden sollen.

f) Auch sonstige für den öffentlichen Dienst getroffene Kündigungsregelungen bestätigen das gefundene Auslegungsergebnis. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend bemerkt, bestimmen § 57 des Manteltarifvertrages für Arbeiter der Länder (MTL II) und § 57 des Manteltarifvertrages für Arbeiter des Bundes (MTB II) für die Arbeiter der Länder bzw. des Bundes ausdrücklich die beiderseitige Geltung der verlängerten Kündigungsfristen. Demgegenüber trifft § 50 des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter der Gemeinden und gemeindlichen Verwaltungen (BMT-G II)für die gemeindlichen Arbeiter eine dem § 53 Abs. 2 BAT entsprechende Regelung. Wollte man die längeren Fristen für den Arbeitnehmer immer nur dann anwenden, wenn dies ausdrücklich genannt ist, wären also nur die Arbeiter der Länder und des Bundes einer entsprechenden Bindung unterworfen, während sämtliche Angestellten des öffentlichen Dienstes, die vom BAT erfaßt werden, und die gemeindlichen Arbeiter nicht zur Einhaltung der verlängerten Kündigungsfrist verpflichtet wären. Es ist unwahrscheinlich, daß dieselben Tarifvertragsparteien eine derart unterschiedliche Regelung für den doch letztlich einheitlichen Bereich des öffentlichen Dienstes treffen wollten; vielmehr ist anzunehmen, daß sie einheitlich die beiderseitige Geltung der verlängerten Fristen für alle Bereiche regeln wollten, wobei dies im Bereich des MTL II und des MTB II ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, im BAT und BMT-G II zwar nicht ausdrücklich gesagt, jedoch nach Wortlaut und Stellung gleichfalls eindeutig bestimmt war. Auch die Tatsache, daß in dem dem öffentlichen Dienst angenäherten Randbereich, nämlich der tariflichen Regelung für die Beschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TVAL II) die verlängerten Fristen ausdrücklich nur für die Kündigung des Arbeitgebers gelten (§ 44 TVAL II), unterstreicht, daß die Tarifvertragsparteien sich der Problematik offensichtlich insgesamt bewußt waren.

g) Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des Senats zu § 622 BGB (BAGE 24, 50 = AP Nr. 11 zu § 622 BGB) nichts anderes. In der genannten Entscheidung ist vielmehr unter Auswertung der Gesetzesmaterialien entscheidend auf den aus der Entstehungsgeschichte des ersten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes ersichtlichen Schutzcharakter der Fristenregelung für ältere Arbeiter abgestellt und gefolgert worden, aus dieser gesetzlichen Zweckbestimmung folge die einseitige Geltung der verlängerten Kündigungsfristen für die Kündigung durch den Arbeitgeber. Ausgangspunkt der Überlegungen war damit also der gesetzliche Mindestschutz, während die Tarifpartner unter Ausnutzung der tariflichen Zulassungsnorm des § 622 Abs. 3 BGB darüber hinausgehende Regelungen in Ausübung der ihnen gemäß Art. 9 Abs. 3 GG gewährten Tarifautonomie getroffen haben. Der Gesetzgeber hat dabei die gesetzlichen Kündigungsfristen zur Disposition der Tarifpartner gestellt, weil er davon ausgeht, daß sie von der Tarifautonomie einen sachgerechten Gebrauch machen werden und den besonderen Erfordernissen bestimmter Branchen – hier des öffentlichen Dienstes – Rechnung tragen (vgl. Senatsurteil vom 22. Mai 1986 – 2 AZR 392/85 – AP Nr. 23 zu § 622 BGB zu B I 2d der Gründe; KR-Hillebrecht, aaO, § 622 BGB Rz 119; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 6. Aufl., § 124 III 1, S. 851 f.). So wird auch in dem erwähnten Urteil des Senats vom 25. November 1971 (aaO, zu 2c der Gründe) darauf hingewiesen, auch dem Gesetzgeber des Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes – dies ergibt sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs (Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 5. Wahlperiode, BT-Drucks. V/3913, Anl. 1, S. 10 – Anlagenband 128) – sei eine vorhandene Tarifpraxis bekannt gewesen, die keinen Unterschied zwischen der Kündigung durch den Arbeitgeber und durch den Arbeitnehmer machte. Demnach kann den Gesetzesmaterialien zu § 622 BGB zwanglos entnommen werden, mit der Regelung des § 622 Abs. 3 BGB solle eine solche Praxis gerade nicht – wie die Revision offensichtlich meint – ausgeräumt, sondern eher toleriert werden, wenn auch der Gesetzgeber für die von ihm in § 622 Abs. 2 BGB getroffene Regelung diese Praxis – so die bisherige Rechtsprechung des BAG (aaO) – nicht ausdrücklich übernommen hat.

h) Die Regelung in § 53 Abs. 2 BAT verstößt auch nicht, wie die Revision weiter argumentiert, gegen § 2 AngKSchG. Dieses Gesetz enthält ebenfalls einen Schutz durch Mindestkündigungsfristen zugunsten von Angestellten (vgl. KR-Etzel, 3. Aufl., §§ 1, 2 AngKSchG Rz 1, 2, 10; MünchKomm-Schwerdtner, aaO, § 622 Rz 27), ohne daß dieser zu Lasten der Angestellten durch § 53 BAT verschlechtert worden wäre, was – auch durch Tarifvertrag – als unzulässig angesehen wird (vgl. KR-Etzel, aaO, §§ 1, 2 AngKSchG Rz 34, 35). Im Gegenteil: Nach der einschlägigen tariflichen Vorschrift ist für die Berechnung der Kündigungsfrist die gesamte Beschäftigungszeit maßgeblich, während nach § 2 Abs. 1 Satz 3 AngKSchG Dienstjahre vor Vollendung des 25sten Lebensjahres nicht berücksichtigt werden. Für die vom Angestellten einzuhaltende Kündigungsfrist trifft dieses Gesetz dagegen keine Regelung. Mit der Vereinbarung gleicher Kündigungsfristen für beide Vertragsparteien wird daher der gesetzliche Mindestschutz nicht berührt. Deshalb wird sogar die einzelvertragliche Vereinbarung der gleichen Kündigungsfrist wie im AngKSchG für den Angestellten für zulässig gehalten (so KR-Etzel, aaO, §§ 1, 2 AngKSchG Rz 30; MünchKomm-Schwerdtner, aaO, § 622 Rz 27).

Es erscheint schließlich auch nicht, wie die Revision meint, im Hinblick auf Art. 2, 12 GG verfassungsrechtlich bedenklich, auch den Arbeitnehmer an längeren Kündigungsfristen festzuhalten.

Die hier äußerstenfalls einzuhaltende Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsschluß ist dem Angestellten zumutbar und hindert ihn nicht in seinem Recht, unter Entfaltung seiner Persönlichkeit einen Arbeitsplatz frei zu wählen.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Triebfürst, Bitter, Timpe, Dr. Roeckl

 

Fundstellen

Haufe-Index 839167

BAGE, 356

RdA 1991, 188

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