Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer Betriebsvereinbarung
Orientierungssatz
- Wer in der ersten Instanz mit einem Feststellungsantrag obsiegt hat, kann in der zweiten Instanz ohne weiteres zu einem Leistungsantrag übergehen. Darin liegt eine Erweiterung des Klageantrags in der Hauptsache ohne Änderung des Klagegrundes, die nicht als Klageänderung anzusehen und auch in der Berufungsinstanz ohne weiteres zulässig ist. Einer Anschlussberufung bedarf es nicht.
- Verweist eine Betriebsvereinbarung auf eine “gleichwertige” Versorgung nach einem bestimmten Stand der VBL-Satzung, so ist eine Auslegung dahin gehend möglich, dass nur die grundlegenden Wertungen der VBL-Satzung in der maßgeblichen Fassung, nicht jedoch alle Einzelregelungen in ihrer konkreten Ausgestaltung in Bezug genommen werden.
Normenkette
BetrAVG § 1 Auslegung; ZPO § 264 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin ein höherer Anspruch auf Abfindung von Versorgungsansprüchen zusteht.
Die Klägerin ist am 6. Juni 1942 geboren. Sie war bei der Beklagten vom 1. Mai 1974 bis zum 31. Januar 2004 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Der Arbeitsvertrag verwies auf die Regelungen des BAT in der für die Ortskrankenkassen geltenden Fassung sowie ergänzende und ändernde Tarifverträge.
Zwischen der Klägerin und den Rechtsvorgängern der Beklagten kam es zu einem Rechtsstreit darüber, ob sie auf der Basis dieser, auch mit anderen Arbeitnehmern geschlossenen Vereinbarung bei der VBL zu versichern war. Diesen Rechtsstreit gewann die Klägerin vor dem Arbeitsgericht Bonn – Urteil vom 12. Februar 1986, 3 Ca 2092/85 – und dem Landesarbeitsgericht Köln – Urteil vom 15. Oktober 1986, 7 Sa 254/86 –. Es wurde festgestellt, dass die Arbeitgeberin “verpflichtet ist, die Klägerin so zu stellen, als wenn sie mit Wirkung ab 1.5.1974 bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) versichert gewesen wäre”.
Vor diesem Hintergrund wurde am 3. Dezember 1987 eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, die auszugsweise wie folgt lautet:
“…
1. Der A… GmbH tritt mit Wirkung vom 1.1.1987 dem ‘Versorgungsverband bundes- und landesgeförderter Unternehmen e.V.’ (VBLU) als Mitglied bei und gewährleistet ihren Mitarbeitern eine Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung nach Maßgabe folgender Regelungen:
…
3. Der A… GmbH sagt die Entrichtung eines Beitrages in Höhe von 4 v.H. des regelmäßigen vertraglichen Monatsentgelts, ohne Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leistungen, zu.
…
5. Die Leistungen aus der Versorgung richten sich nach der Satzung und den allgemeinen Versicherungsbedingungen des VBLU bzw. nach Satzung und Leistungsplan der Unterstützungskasse des VBLU. Der A… GmbH begrenzt seine Leistungen ausdrücklich auf die Versicherungsleistung des VBLU bzw. der Unterstützungskasse des VBLU.
…
7. Mitarbeiter, die vor dem 1.1.1982 in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zum A… eingetreten sind, werden ab 1.1.1987 in die Versicherung aufgenommen. …
8. Soweit bei Mitarbeitern nach Ziffer 7 der Beitrag von 4 v.H. im Einzelfall nicht ausreicht, um eine zur VBL in der Fassung der 21. Satzungsänderung gleichwertige Versorgung sicherzustellen, sichert der A… GmbH die Differenz über die Unterstützungskasse des VBLU ab und tätigt die dafür notwendigen Zuwendungen. Wenn diese Leistung nicht möglich ist, wird eine vergleichbare andere Versorgung zugesagt. Die hierfür notwendige Versorgung wird in der Anlage zu dieser Betriebsvereinbarung festgelegt. Die Anlage hat der Betriebsrat vertraulich zu behandeln.
9. Diese Betriebsvereinbarung löst alle eventuell bestehenden arbeitsvertraglichen Zusagen für Alters-, Hinterbliebenen- und Invaliditätsversorgung ab. Diese Betriebsvereinbarung ist Bestandteil der Arbeitsverträge. Für Mitarbeiter, die künftig eintreten, geht die Betriebsvereinbarung in der jeweiligen Fassung in die Arbeitsverträge ein.
…”
Die Klägerin schied auf Grund betriebsbedingter Kündigung und eines daran anschließenden Abwicklungsvertrages aus dem Arbeitsverhältnis aus. Im Zuge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wählte sie anstelle monatlicher Rentenzahlungen eine Abfindung ihrer betrieblichen Altersversorgung durch Einmalzahlung. Zwischen den Parteien besteht nunmehr Streit darüber, wie das für die Höhe der Abfindung maßgebliche Nettoeinkommen zu berechnen ist. Die Beklagte hat die Beiträge zur Pflegeversicherung und den Solidaritätszuschlag berücksichtigt. Diese waren in der VBL-Satzung in der Fassung der 21. Satzungsänderung nicht berücksichtigt. Es ergibt sich rechnerisch eine Abfindungsdifferenz von mindestens 9.077,61 Euro.
Diesen Betrag beansprucht die Klägerin. Sie ist der Auffassung, ihre Altersrente und damit die Abfindung sei auf der Basis eines Nettoeinkommens ohne Berücksichtigung der Abzüge für die Pflegeversicherung und ohne Berücksichtigung des Solidaritätszuschlages zu berechnen. Die Betriebsparteien hätten mit der Bezugnahme auf die 21. Satzungsänderung der VBL-Satzung auf diesen Satzungsstand statisch verwiesen. In einem ersten Entwurf der Betriebsvereinbarung habe die Arbeitgeberseite vorgeschlagen, auf die “VBL ‘neuen Rechts’” zu verweisen. Die DAG-Bezirksleitung habe dem Betriebsrat daraufhin geraten, eine bestimmte Fassung der VBL-Satzung in Bezug zu nehmen, damit spätere Verschlechterungen nicht zu Lasten der Arbeitnehmer gingen.
Auf diese statische Verweisung habe sich die Beklagte eingelassen, weil ihr der Betriebsrat im Hinblick auf die Steuergestaltung entgegengekommen sei. Wären die bereits bei Abschluss der Betriebsvereinbarung tätigen Arbeitnehmer bei der VBL nachversichert worden, wären die Beiträge einkommensteuerpflichtig gewesen. Der Betriebsrat sei jedoch damit einverstanden gewesen, die Versorgungslücke durch eine Pensionszusage mit kongruenter Rückdeckung bei der VBLU abzudecken. Bezugsberechtigt aus der Rückdeckungsversicherung sei die Beklagte, die die Rentenzahlungen an die Mitarbeiter als eigene Leistung weiterleiten würde. Damit würde die Beitragszahlung für die Rückdeckungsversicherung keinen lohnsteuerlichen Zufluss beim Arbeitnehmer darstellen. Die Lohnsteuer falle vielmehr erst bei der Auszahlung der Pension an und den Arbeitnehmern zur Last.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 9.077,61 Euro nebst 5 % Zinsen seit dem 1. Februar 2004 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, die Betriebsvereinbarung sei als dynamische Verweisung zu verstehen, so dass sie die späteren Änderungen des Nettoeinkommens zu Lasten der Klägerin berücksichtigen dürfe.
Vor dem Arbeitsgericht hat die Klägerin zuletzt beantragt festzustellen, ihre Altersversorgung sei auf der Grundlage der 21. Satzungsänderung zu berechnen. Dieser Klage hat das Arbeitsgericht stattgegeben. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin dann den Leistungsantrag gestellt. Die Beklagte hat der Antragsänderung nicht zugestimmt. Das Landesarbeitsgericht hat die Antragsänderung als Anschlussberufung der Klägerin verstanden, die Antragsänderung als sachdienliche Klageänderung behandelt und die Klage insgesamt als in der Sache unbegründet abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin den in zweiter Instanz gestellten Leistungsantrag weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Gegenstand der revisionsrechtlichen Beurteilung ist der Antrag in der vor dem Landesarbeitsgericht geänderten Fassung. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts liegt jedoch weder eine Klageänderung noch eine Anschlussberufung vor. Geht der Kläger in der Berufungsinstanz – wie hier – vom Feststellungsantrag auf den Leistungsantrag über, fehlt es an einer Klageänderung, vielmehr liegt eine Erweiterung des Klageantrags in der Hauptsache ohne Änderung des Klagegrundes nach § 264 Nr. 2 ZPO vor (BGH 16. Mai 2001 – XII ZR 199/98 – NJW-RR 2002, 283 f.), die nicht als Klageänderung anzusehen und auch in der Berufungsinstanz ohne weiteres zulässig ist. Einer Anschlussberufung bedarf es in diesen Fällen nicht (BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – BAGE 104, 155, zu A I der Gründe).
II. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beiträge der Pflegeversicherung und der Solidaritätszuschlag sind bei der Berechnung ihrer Betriebsrente und der darauf gestützten Abfindung zu berücksichtigen. Die Klage ist deshalb unabhängig davon unbegründet, ob die Voraussetzungen der Vereinbarung einer Abfindung nach § 3 BetrAVG in der zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Abfindung geltenden Fassung überhaupt zulässig war. Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. Der Anspruch ergibt sich nicht aus Ziff. 8 der Betriebsvereinbarung vom 3. Dezember 1987. Das ist unabhängig davon, ob diese Betriebsvereinbarung – wie die Klägerin meint – als statische Verweisung auf die VBL-Satzung in der Fassung der 21. Satzungsänderung zu verstehen ist oder nicht.
Nach der Betriebsvereinbarung sollte den in Ziff. 7 erwähnten Mitarbeitern, zu denen auf Grund ihres Eintrittsdatums auch die Klägerin gehört, eine zur VBL in der Fassung der 21. Satzungsänderung “gleichwertige” Versorgung zugesichert werden. Nach der Wortwahl der Betriebsparteien geht es also nicht um eine gleiche oder eine entsprechende Versorgung, sondern um eine gleichwertige. Daraus folgt allenfalls, dass den begünstigten Arbeitnehmern eine Versorgung zu sichern ist, die den grundlegenden Wertungen dieser Fassung der VBL-Satzung entspricht. Nach § 41 Abs. 2c dieser Satzung in der Fassung der 21. Satzungsänderung war die Gesamtversorgung auf einen Vomhundertsatz eines zu errechnenden fiktiven Nettoarbeitsentgelts begrenzt, bei dessen Ermittlung die Lohnsteuer und die Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung zu berücksichtigen waren. Die VBL-Versorgung garantierte dem Versorgungsempfänger damit einen finanziellen Standard, der sich am letzten Nettoverdienst orientiert und eine Überversorgung vermeidet. Darin liegt die wesentliche Wertung der VBL-Satzung in der von den Betriebsparteien möglicherweise statisch in Bezug genommenen Fassung.
“Gleichwertig” iSd. Betriebsvereinbarung ist deshalb – eine statische Verweisung unterstellt – die Berechnung einer Betriebsrente, die den Arbeitnehmern den mit der 21. Satzungsänderung garantierten Vomhundertsatz ihres Nettoeinkommens sichert. Demgegenüber ist von der Verweisung in der Betriebsvereinbarung die technische Ausgestaltung zur Errechnung des Nettoeinkommens nicht erfasst. Soweit spätere gesetzliche Änderungen das Nettoeinkommen des Arbeitnehmers und damit den nach dem System der VBL-Satzung höchstens anteilig zu sichernden Lebensstandard weiter negativ beeinflussen, können sie bei der Berechnung der Betriebsrente herangezogen werden. Das gilt jedenfalls für solche Abzüge, die auf einer zum Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung noch nicht absehbaren gesetzlichen Änderung beruhen. Das betrifft sowohl die Beiträge zur Pflegeversicherung, eingeführt durch Gesetz vom 26. Mai 1994 (BGBl. I S. 1014), als auch den Solidaritätszuschlag, erstmals eingeführt durch Gesetz vom 24. Juni 1991 (BGBl. I S. 1318).
2. Aus den von ihr erstrittenen Urteilen im Vorprozess kann die Klägerin nichts herleiten. Dort haben die Gerichte lediglich festgestellt, dass sie entsprechend der VBL-Satzung, nicht jedoch, dass sie besser als nach der VBL-Satzung zu behandeln ist.
Unterschriften
Reinecke, Breinlinger, Zwanziger, Furchtbar, Heuser
Fundstellen
Haufe-Index 1511124 |
DB 2006, 1168 |