Entscheidungsstichwort (Thema)
Massenentlassung. Konsultationsverfahren. Anzeigeverfahren. Betriebsstilllegung. Rechtsmissbrauch. Restmandat des Betriebsrats. örtliche Zuständigkeit der Agentur für Arbeit. Nachteilsausgleich
Leitsatz (amtlich)
Die Unterrichtung des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 Nr. 1 bis Nr. 6 KSchG kann in Textform (§ 126b BGB) erfolgen.
Orientierungssatz
1. Entschließt sich der Arbeitgeber aus formalen Gründen zur Wiederholung von bereits zuvor ausgesprochenen Kündigungen, sind das Konsultationsverfahren (§ 17 Abs. 2 KSchG) und das Anzeigeverfahren (§ 17 Abs. 1 und Abs. 3 KSchG) ua. dann erneut durchzuführen, wenn abermals ein Massenentlassungstatbestand vorliegt und eine beteiligungsfähige Arbeitnehmervertretung besteht.
2. Der Arbeitgeber unterliegt im Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG keinem Einigungszwang. Es reicht aus, wenn er mit dem ernstlichen Willen zur Einigung in die Verhandlungen mit dem Betriebsrat geht und bereit ist, sich mit dessen Vorschlägen auseinanderzusetzen. Der Arbeitgeber kann die Vermeidung oder Einschränkung von Entlassungen vom Vorliegen bestimmter Bedingungen abhängig machen. Auch eine absolute Verhandlungs(mindest)dauer ist nicht vorgeschrieben.
3. Der Arbeitgeber darf den Konsultationsanspruch des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG als erfüllt ansehen, wenn er den Betriebsrat zuvor vollständig nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KSchG unterrichtet und ihm alle zweckdienlichen Auskünfte iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 KSchG erteilt hat und dieser keine Bereitschaft zu zielführenden Verhandlungen erkennen lässt.
4. Die Einreichung der Massenentlassungsanzeige bei zwei unterschiedlichen Agenturen für Arbeit führt jedenfalls dann nicht zur Nichtigkeit (§ 134 BGB) einer nachfolgend ausgesprochenen Kündigung, wenn die Anzeige vollständige und zutreffende Angaben zu den für die örtliche Zuständigkeit möglicherweise relevanten Umständen enthält und der Arbeitgeber auf die mehrfache Einreichung hinweist. Es ist dann Sache der angegangenen Behörden, sich über die örtliche Zuständigkeit für die Entscheidung nach §§ 18, 20 KSchG abzustimmen.
Normenkette
KSchG § 17 Abs. 1-3, 3a, §§ 18, 20, 1 Abs. 2-3, § 15 Abs. 4; Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL) Art. 2 Abs. 3; Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL) Art. 2 Abs. 4; BGB §§ 126, 126b, 613a Abs. 4; BetrVG §§ 111, 112 Abs. 2, § 102 Abs. 1, § 26 Abs. 2 S. 1, §§ 21b, 113 Abs. 1, 3; SGB IX §§ 85, 88, 68; KSchG § 17 Abs 1 S 1 Nr 2, § 17 Abs 2 S 1, § 17 Abs 2 S 2, § 17 Abs 3 S 1, § 17 Abs 3 S 3, § 17 Abs 3a, § 1 Abs 2, § 1 Abs 3, § 15 Abs 4; EGRL 59/98 Art 2 Abs 3; EGRL 59/98 Art 2 Abs 4; BGB § 613a Abs 4; BetrVG § 26 Abs 2 S 1, § 102 Abs 1, § 111 S 1, § 112 Abs 2, § 113 Abs 1, § 113 Abs 3; SGB 9 § 68; SGB 9 § 85; SGB 9 § 88 Abs 3; BGB § 134
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird – unter Zurückweisung der Revision im Übrigen – das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2016 – 15 Sa 1953/15 – teilweise aufgehoben.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 1. Oktober 2015 – 57 Ca 3172/15 – wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung des Kündigungsschutzantrags zu 2. und des Antrags auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs richtet.
3. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 5/6 und die Beklagte zu 1/6 zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier Kündigungen und hilfsweise um einen Nachteilsausgleich.
Die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Klägerin war bei der Beklagten als Angestellte im Bereich Check-In auf dem Flughafen B beschäftigt. Als Ersatzmitglied nahm sie im August 2014 Betriebsratstätigkeit wahr.
In der Vergangenheit hatte die G GmbH & Co. KG (GGB) sämtliche Vorfeld- und Passagedienstleistungen an den Flughäfen T und S erbracht. Im Zuge gesellschaftsrechtlicher Umorganisationen gliederte sie den Geschäftsbereich Passage aus. Die betreffenden Arbeitsverhältnisse – darunter das der Klägerin – gingen im Mai 2012 im Wege des Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Diese spaltete ihren Betrieb im Jahr 2014 in die Betriebsteile T und S auf und übertrug den Bereich der Passagierabfertigung des Betriebsteils S auf eine neu gegründete Gesellschaft. Die Arbeitsverhältnisse der am Flughafen T beschäftigten Arbeitnehmer verblieben überwiegend bei der Beklagten, die zuletzt etwa 190 Arbeitnehmer beschäftigte.
Einzige Auftraggeberin sowie einzige Kommanditistin und in der Gesellschafterversammlung allein stimmberechtigte Gesellschafterin der Beklagten ist die GGB. Deren Kommanditanteile wurden von einem Unternehmen der sog. W-Gruppe gehalten.
Auf die Arbeitsverhältnisse mit der GGB fanden zunächst deren Vergütungstarifverträge Anwendung. Im September 2013 traten allgemeinverbindliche Tarifverträge für Bodenverkehrsdienstleistungen an Flughäfen in Berlin und Brandenburg in Kraft, die deutlich niedrigere Entgelte vorsahen. Für die von der GGB übernommenen Altbeschäftigten vereinbarte die Beklagte einen Überleitungstarifvertrag, der einen Ausgleich der Differenzvergütung über eine Besitzstandszulage vorsieht.
Im September 2014 kündigte die GGB sämtliche der Beklagten erteilten Aufträge spätestens zum 31. März 2015. Die Gesellschafterversammlung der Beklagten wies daraufhin den Geschäftsführer der Komplementärin an, alle zur Vorbereitung einer Betriebsstilllegung erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die GGB vergab die gekündigten Aufträge, so sie weiter ausgeführt wurden, an andere, überwiegend der sog. W-Gruppe zugehörige Gesellschaften.
Die Beklagte unterrichtete den Betriebsrat mit Schreiben vom 22. September 2014 über die geplante Betriebsstilllegung. Nach ergebnislosen Verhandlungen über einen Interessenausgleich vereinbarten die Betriebsparteien in einem gerichtlichen Vergleich die Einsetzung einer Einigungsstelle über den Abschluss eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans. Weiter kamen sie überein, zu einer der ersten beiden Sitzungen der Einigungsstelle solle ein Vertreter der Bundesagentur für Arbeit „eingeladen” werden.
Die Einigungsstelle tagte im November und Dezember 2014 an vier Terminen. In einem an den Einigungsstellenvorsitzenden gerichteten Anwaltsschreiben vom 15. Dezember 2014 beanstandete der Betriebsrat das Fehlen von Informationen zu den wirtschaftlichen und sozialen Gründen für die beabsichtigte Betriebsänderung. Insbesondere müsse die Beklagte anhand von Unterlagen die „konzerninterne Kalkulation” gegenüber den von den Fluggesellschaften vergebenen Aufträgen offenlegen. Die Beklagte erteilte die verlangten Auskünfte nicht. In der Einigungsstellensitzung am 18. Dezember 2014 erklärten ihre Vertreter die Interessenausgleichsverhandlungen für gescheitert. Ein Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit war zu diesen nicht hinzugezogen worden.
In einem mit „Information nach § 17 Abs. 2 KSchG” bezeichneten Schreiben der Beklagten an den Betriebsrat vom 2. Januar 2015 heißt es ua.:
„Im Rahmen der Verhandlungen und insbesondere im Rahmen der Einigungsstelle haben wir ja bereits über die Möglichkeiten zur Vermeidung von Entlassungen mit Ihnen beraten, insbesondere die Möglichkeit der Errichtung einer Transfergesellschaft. (…) Wir freuen uns, die Beratungen über die Vermeidung von Entlassungen an dieser Stelle fortsetzen zu können. Gerne stehe ich natürlich auch für Beratungen außerhalb der Einigungsstelle zur Verfügung.”
Der Betriebsrat antwortete mit Schreiben vom 14. Januar 2015:
„… die Folgen für die Belegschaft werden noch in der Einigungsstelle beraten, so dass wir Sie bitten, von der Massenentlassungsanzeige zunächst abzusehen. Außerdem verweisen wir auf die Stellungnahme von RA (…) vom 15.12.2014 an den Einigungsstellenvorsitzenden, die wir vorsorglich nochmals beifügen. …”
Nach weiteren Verhandlungen beschloss die Einigungsstelle am 21. Januar 2015 mit Stimmenmehrheit einen Sozialplan sowie die Einrichtung einer Transfergesellschaft.
Die Gesellschafterversammlung der Beklagten entschied am 20. Januar 2015, den Betrieb zum 31. März 2015 stillzulegen. Die Beklagte erstattete am 28. Januar 2015 inhaltsgleiche Massenentlassungsanzeigen bei den Agenturen für Arbeit in C und B. Diesen waren weder das Schreiben des Betriebsrats vom 14. Januar 2015 noch das seines anwaltlichen Beraters vom 15. Dezember 2014 beigefügt. Zur „Beteiligung des Betriebsrats” führte die Beklagte aus:
„Mit dem bei der A gebildeten Betriebsrat wurden Interessensausgleichs- und Sozialplanverhandlungen geführt.
Weiterhin wurde der Betriebsrat noch einmal gesondert mit dem beigefügten Schreiben vom 2. Januar 2015 gemäß § 17 Abs. 2 KSchG unterrichtet. …
Eine gesonderte Stellungnahme hat der Betriebsrat nicht abgegeben. Im Rahmen der Sozialplanverhandlungen wurde jedoch mit dem Betriebsrat am 13., 16. und 21. Januar 2015 über die Einrichtung einer Transfergesellschaft iSd. § 111 SGB III verhandelt. Das Einigungsstellenverfahren wurde am 21. Januar 2015 beendet (…). Weitere, gesonderte Beratungen hat der Betriebsrat nicht verlangt.”
Die Beklagte erklärte anschließend im Januar und Februar 2015 nach Anhörung des Betriebsrats die ordentliche Kündigung aller Arbeitsverhältnisse. Dasjenige der Klägerin kündigte sie nach Zustimmung des Integrationsamts mit Schreiben vom 13. Februar 2015 zum 31. Juli 2015.
Nachdem mehrere Kammern des Arbeitsgerichts die Kündigungen dieser ersten „Welle” unter Hinweis auf Mängel im Verfahren nach § 17 KSchG für nichtig erklärt hatten, beschloss die Beklagte, vorsorglich erneut Kündigungen auszusprechen. Sie unterrichtete den Betriebsrat mit einem durch Telefax übermittelten Schreiben vom 10. Juni 2015 gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Am 12. Juni 2015 leitete sie gegenüber dem Betriebsrat die Verfahren nach § 102 Abs. 1 BetrVG ein. Dabei teilte sie jeweils mit, dass es bei der Betriebsstilllegung verbleiben solle. Der Betriebsrat dankte mit Telefax vom 12. Juni 2015 für die Information nach § 17 Abs. 2 KSchG und unterbreitete am 17. Juni 2015 Vorschläge zur Vermeidung von Entlassungen. Hierzu erstellte die Beklagte eine Präsentation, auf deren Grundlage am 24. Juni 2015 Beratungen mit einer vom Betriebsrat entsandten „Verhandlungskommission” stattfanden. Eine Einigung über die „Wiedereröffnung” des Betriebs wurde nicht erzielt. Die Beklagte übermittelte der Betriebsratsvorsitzenden auf deren Wunsch noch am gleichen Tag die Präsentation und gab Gelegenheit, sich bis um 18:00 Uhr des Folgetags zu erklären. Die Betriebsratsvorsitzende erwiderte mit Schreiben vom 25. Juni 2015, das Gremium werde auf der Grundlage der Erörterungen in seiner nächster Sitzung am 30. Juni 2015 unverzüglich und abschließend Stellung nehmen. Die Mitglieder der Verhandlungskommission hätten nichts zu ergänzen und hofften, auf der Basis ihrer am Vortag geäußerten Informationswünsche, in einem neuen Termin „inhaltlich weiterzukommen”. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 26. Juni 2015, sie sehe keine Grundlage für ernsthafte Gespräche über die Wiedereröffnung des Betriebs und habe sich deshalb entschlossen, die Kündigungen zu wiederholen. Am gleichen Tag reichte sie übereinstimmende Massenentlassungsanzeigen bei den Agenturen für Arbeit in C und B ein. Darin teilte sie mit, dass sich der „offizielle Betriebssitz” in S befunden habe, während der überwiegende Teil der Arbeitnehmer vor der Betriebsstilllegung am Flughafen T beschäftigt gewesen sei. Nach einer internen Abstimmung der Agenturen für Arbeit traf wiederum diejenige in C die Entscheidung gemäß §§ 18, 20 KSchG.
Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 15. Juli 2015 nach erneuter Zustimmung des Integrationsamts das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 31. Januar 2016.
Die Klägerin hat sich mit der vorliegenden Klage rechtzeitig gegen die Kündigungen vom 13. Februar und 15. Juli 2015 gewandt. Beide Kündigungen seien sozial nicht gerechtfertigt. Die Entscheidung, den Betrieb stillzulegen, sei rechtsmissbräuchlich. Die Stilllegung habe den von langer Hand geplanten Versuch dargestellt, sich der „teuren” Altbeschäftigten zu entledigen. Die Aufträge der Fluggesellschaften seien lediglich innerhalb der „W-Gruppe” verschoben worden. Die Beklagte habe vor Ausspruch der Kündigung vom 13. Februar 2015 keine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige erstattet. Der Kündigung vom 15. Juli 2015 seien weder eine korrekte Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG noch ein gesetzmäßiges Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG vorausgegangen. Der Betriebsrat sei zu keiner Zeit ausreichend über die Gründe für die geplanten Entlassungen unterrichtet worden. Die in der Massenentlassungsanzeige enthaltenen Angaben zum Betriebssitz seien unzutreffend. Falls sich eine der Kündigungen als wirksam erweisen sollte, habe sie – die Klägerin – zumindest Anspruch auf einen Nachteilsausgleich. Die Beklagte habe den Betriebsrat nicht rechtzeitig und nur unzureichend informiert, sich entgegen dem geschlossenen Vergleich nicht auf einen Vermittlungsversuch durch die Bundesagentur für Arbeit eingelassen und die Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs vorzeitig abgebrochen.
Die Klägerin hat zuletzt sinngemäß beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 13. Februar 2015 nicht aufgelöst worden ist;
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 15. Juli 2015 nicht aufgelöst worden ist;
- hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit einem der Kündigungsschutzanträge die Beklagte zu verurteilen, an sie – die Klägerin – als Schadensersatz gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG, §§ 9, 10 KSchG einen Betrag zu zahlen, der in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 27.600,00 Euro nicht unterschreiten sollte.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Beide Kündigungen seien sozial gerechtfertigt und auch sonst wirksam. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf einen Nachteilsausgleich.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht beiden Kündigungsschutzanträgen stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet. Zwar hat das Landesarbeitsgericht die Kündigung vom 13. Februar 2015 im Ergebnis zu Recht für nichtig erachtet (A.). Rechtsfehlerhaft hat es jedoch auch die Kündigung vom 15. Juli 2015 als unwirksam angesehen (B.). Da diese Kündigung wirksam ist, fällt der Antrag auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs zur Entscheidung an. Ein solcher Anspruch besteht nicht (C.). Einer Vorlage an den Gerichtshof der A. Der Kündigungsschutzantrag zu 1. ist begründet. Die Kündigung vom 13. Februar 2015 hat das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht aufgelöst. Die Beklagte hat vor Ausspruch dieser Kündigung keine den Anforderungen aus § 17 Abs. 3 KSchG genügende Massenentlassungsanzeige erstattet. Das führt zur Nichtigkeit der Kündigung gemäß § 134 BGB. Deshalb stellt sich die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Kündigungsschutzantrag zu 1. zumindest im Ergebnis als richtig dar (§ 561 ZPO) . Ob weitere Unwirksamkeitsgründe vorlagen, bedarf keiner Entscheidung.
I. Die von der Beklagten beabsichtigten Entlassungen waren gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG anzeigepflichtig. Es sollten die Arbeitsverhältnisse aller verbliebenen 188 Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen gekündigt werden. Die Pflicht zur Durchführung des Konsultationsverfahrens und zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige besteht auch dann, wenn der Arbeitgeber beabsichtigt, den Betrieb stillzulegen (BAG 26. Februar 2015 – 2 AZR 955/13 – Rn. 14, BAGE 151, 83) .
II. Nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG hat der Arbeitgeber, der nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG verpflichtet ist, der Agentur für Arbeit Entlassungen anzuzeigen, seiner schriftlichen Anzeige die Stellungnahme des Betriebsrats „zu den Entlassungen” beizufügen. Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG ist die Massenentlassungsanzeige auch dann wirksam erfolgt, wenn zwar keine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats vorliegt, der Arbeitgeber aber glaubhaft macht, dass er das Gremium mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG unterrichtet hat, und er gleichzeitig den Stand der Beratungen darlegt.
III. Die Massenentlassungsanzeige soll es der Agentur für Arbeit ermöglichen, rechtzeitig Maßnahmen zur Vermeidung oder wenigstens zum Aufschub von Belastungen des Arbeitsmarkts einzuleiten und für anderweitige Beschäftigung der Betroffenen zu sorgen. Zu diesem Zweck soll durch die Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats oder – ersatzweise – die Darlegung des Beratungsstands die Durchführung und ggf. das Ergebnis des Konsultationsverfahrens dokumentiert werden. Die Arbeitsverwaltung soll beurteilen können, ob die Betriebsparteien auf der Grundlage ausreichender Informationen tatsächlich über die geplanten Massenentlassungen und insbesondere deren Vermeidung beraten haben (BAG 28. Juni 2012 – 6 AZR 780/10 – Rn. 53, BAGE 142, 202) . Daneben soll sie Kenntnis von einer – eventuell dem Arbeitgeber ungünstigen – Sichtweise des Betriebsrats erlangen (BAG 21. März 2013 – 2 AZR 60/12 – Rn. 44, BAGE 144, 366; 21. März 2012 – 6 AZR 596/10 – Rn. 21 f.) . Dementsprechend ist eine Massenentlassungsanzeige unwirksam, wenn der Arbeitgeber ihr eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht beifügt (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG) bzw. er Darlegungen gemäß § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG unterlässt oder doch den Stand der Beratungen mit dem Betriebsrat in einer Weise irreführend darstellt, die geeignet ist, eine für ihn – den Arbeitgeber – günstige Entscheidung der Behörde zu erwirken.
IV. Die Massenentlassungsanzeige der Beklagten genügt weder den Anforderungen des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG noch denen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG.
1. Die Beklagte konnte ihrer Massenentlassungsanzeige keine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG beifügen. Dieser hat mit seinem Schreiben vom 14. Januar 2015 nebst Anlage gerade nicht erklärt, er betrachte seinen Beratungsanspruch als erfüllt.
2. Auch die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG lagen nicht vor.
a) Zwar war die Beklagte nach dieser Vorschrift nicht gehalten, der Agentur für Arbeit das Schreiben des Betriebsrats vom 14. Januar 2015 nebst Anlage vorzulegen. Der Stand der Beratungen ist lediglich darzulegen. Das kann auch in eigenen Worten geschehen. Gegebenenfalls muss sogar eine eigene Darstellung durch den Arbeitgeber erfolgen, etwa wenn der Betriebsrat sich gar nicht geäußert hat oder die Agentur für Arbeit mit einem unübersichtlichen Konglomerat von Unterlagen konfrontiert wird und versuchen müsste, hieraus den letzten Beratungsstand abzuleiten.
b) Die Beklagte hat durch ihre Darlegungen zum Stand der Beratungen einen falschen – potenziell für sie günstigen – Eindruck von der Einschätzung des Betriebsrats vermittelt.
aa) Ihre Behauptung, der Betriebsrat habe auf die Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG keine „gesonderte Stellungnahme” abgegeben, traf nicht zu. Das Gremium hatte mit Schreiben vom 14. Januar 2015 geantwortet und dabei auf das Schreiben seines anwaltlichen Vertreters vom 15. Dezember 2014 verwiesen. Zwar hatte jener darin gegenüber dem Vorsitzenden der Einigungsstelle moniert, die Beklagte habe die – vermeintlich – für Verhandlungen über einen Interessenausgleich nach §§ 111, 112 BetrVG erforderlichen Informationen nicht erteilt. Jedoch hat der Betriebsrat diesen Einwand durch die erneute Vorlage des Schreibens gleichsam aktualisiert und ihn auf die aus seiner Sicht unerlässlichen Grundlagen für ein nunmehr durchzuführendes Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG bezogen. Er hat die Beklagte wissen lassen, dass er nach wie vor die Grundvoraussetzungen für zielführende Verhandlungen über die Vermeidung oder doch Einschränkung von Entlassungen nicht als erfüllt ansehe, weil ihm aus seiner Sicht unverzichtbare Informationen fehlten. Während der Betriebsrat damit Beratungen über die Vermeidung oder Einschränkung von Entlassungen gerade angestrebt, solche aber angesichts eines Mangels an Informationen für unmöglich erachtet hat, hat die Beklagte der Agentur für Arbeit mitgeteilt, der Betriebsrat habe „weitere, gesonderte Beratungen” über die Vermeidung oder Einschränkungen von Entlassungen „nicht verlangt”. Danach musste die Arbeitsverwaltung annehmen, auch der Betriebsrat halte es für ausgeschlossen, Entlassungen zu vermeiden oder zumindest einzuschränken, und meine ebenfalls, es könne allein um die für die Agentur für Arbeit allerdings nicht bedeutsame (§ 17 Abs. 3 Satz 1 und Satz 4 KSchG) Milderung ihrer Folgen gehen.
bb) Die in seinem Schreiben vom 14. Januar 2015 nebst Anlage geäußerte Ansicht des Betriebsrats kennzeichnete, was das von § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG vorrangig verfolgte Ziel der Vermeidung oder zumindest der Einschränkung von Entlassungen anbelangt, entgegen der Auffassung der Revision auch noch den „letzten” Stand der Beratungen. Über beide Primärziele wurde – bis ultimo – deshalb überhaupt nicht verhandelt, weil der Betriebsrat meinte, hierfür fehle es schon an den für ihn erforderlichen Informationsgrundlagen.
cc) Irrelevant ist, ob das Auskunftsverlangen des Betriebsrats aus Sicht der Beklagten berechtigt war oder ob das Gremium die betreffenden Informationen tatsächlich beanspruchen durfte. Es widerspräche dem Gesetzeszweck, dem Arbeitgeber das Recht zuzubilligen, vorweg zu bewerten, ob eine Äußerung des Betriebsrats für die Prüfung der Arbeitsverwaltung relevant ist. Zudem bleibt es regelmäßig – so auch hier – Spekulation, ob die Agentur für Arbeit in Kenntnis der Sichtweise des Betriebsrats andere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen eingeleitet hätte (BAG 13. Dezember 2012 – 6 AZR 752/11 – Rn. 64) . Die Interessen des Arbeitgebers sind dadurch ausreichend gewahrt, dass er der Arbeitsverwaltung seine gegenteilige Rechtsauffassung mitteilen kann.
3. Der in dem Verstoß gegen § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG liegende Mangel ist durch den – die wirksame Erstattung der Massenentlassungsanzeige bestätigenden – Bescheid der Agentur für Arbeit C vom 10. Februar 2015 nicht geheilt worden (BAG 26. Februar 2015 – 2 AZR 955/13 – Rn. 42, BAGE 151, 83) . Der Fehler in der Anzeige führt nach § 134 BGB zur Nichtigkeit der Kündigung vom 13. Februar 2015.
V. Nach alledem bedarf es keiner Entscheidung, ob die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung vom 13. Februar 2015 das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ordnungsgemäß durchlaufen hat. Insbesondere muss nicht der Frage nachgegangen werden, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Konsultationsanspruch des Betriebsrats durch Verhandlungen in einer Einigungsstelle erfüllt werden kann.
B. Der Kündigungsschutzantrag zu 2. ist unbegründet. Die Kündigung der Beklagten vom 15. Juli 2015 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nach § 26 Abs. 2 des maßgeblichen MTV mit Ablauf des 31. Januar 2016 aufgelöst.
I. Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung vom 15. Juli 2015 nicht für nach § 134 BGB nichtig erachten. Die Beklagte hat das gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG erneut erforderliche Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG korrekt durchlaufen.
1. Das Konsultationsverfahren ist vor Folgekündigungen ua. dann noch einmal durchzuführen, wenn – wie hier – abermals ein Massenentlassungstatbestand vorliegt und (noch) eine beteiligungsfähige Arbeitnehmervertretung besteht (BAG 22. April 2010 – 6 AZR 948/08 – Rn. 20, BAGE 134, 176) . Der bei der Beklagten errichtete Betriebsrat hatte nach der zum 31. März 2015 erfolgten Betriebsstilllegung ein Restmandat gemäß § 21b BetrVG. Dieses erstreckte sich auf alle mit der Stilllegung in funktionalem Zusammenhang stehenden betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte (BAG 24. September 2015 – 2 AZR 562/14 – Rn. 64, BAGE 152, 345) . Zu diesen gehören auch die Beteiligungsrechte aus § 17 Abs. 2 KSchG. Das Konsultationsverfahren stellt trotz seiner normativen Verortung im Kündigungsschutzgesetz ein betriebsverfassungsrechtlich geprägtes Verfahren dar (ErfK/Kiel 16. Aufl. § 17 KSchG Rn. 9) .
2. Die Beklagte hat das Konsultationsverfahren rechtzeitig eingeleitet. Den vorsorglich ins Auge gefassten Kündigungen der zweiten „Welle” lag ihre Absicht zugrunde, es bei der zum 31. März 2015 erfolgten Betriebsstilllegung zu belassen. In diesem Planungsstadium genügte es, das Konsultationsverfahren vor Ausspruch der das Festhalten an dem Stilllegungsentschluss exekutierenden – zweiten – Kündigungen einzuleiten (EuGH 10. September 2009 – C-44/08 – [Keskusliitto] Rn. 38, 41 und 49, Slg. 2009, I-8163) . Die Beklagte musste nicht etwa zunächst den Betrieb „wieder eröffnen”. Die auf die Stilllegungsentscheidung zurückgehenden Kündigungen der ersten „Welle” waren aufgrund der Fehlerhaftigkeit der diesbezüglichen Massenentlassungsanzeige nichtig. Den Zwecken des § 17 KSchG und der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (– MERL –, ABl. EG L 225 vom 12. August 1998 S. 16) war insoweit genügt.
3. Die Beklagte hat das Konsultationsverfahren ordnungsgemäß eingeleitet.
a) Sie hat den Betriebsrat mit Schreiben vom 10. Juni 2015 vollständig nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 Nr. 1 bis 6 KSchG unterrichtet und ihn zu Beratungen gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG aufgefordert. Die Beklagte hat dem Betriebsrat insbesondere die „Gründe für die geplanten Entlassungen” mitgeteilt. Dafür genügte die Angabe, dass nicht beabsichtigt sei, den stillgelegten Betrieb wieder aufzunehmen. Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner gegenteiligen Entscheidung zum einen nicht auf den maßgeblichen Planungsstand vor Ausspruch der Kündigungen der zweiten „Welle” abgestellt. Zum anderen hat es nicht zwischen der Unterrichtung über die „Gründe für die geplanten Entlassungen” iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 Nr. 1 KSchG (Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b MERL) und der Erteilung von „zweckdienlichen Auskünften” iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 KSchG (Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. a MERL) unterschieden.
b) Die Übermittlung des Schreibens vom 10. Juni 2015 durch Telefax genügt den in § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG bestimmten Anforderungen.
aa) Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat die Auskünfte nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 Nr. 1 bis 6 KSchG „schriftlich” zu erteilen. Die Unterrichtung muss entgegen einer im Schrifttum – weitgehend begründungslos – vertretenen Auffassung (APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 70; AR/Leschnig 7. Aufl. § 17 KSchG Rn. 29; BDDH/Boemke § 17 KSchG Rn. 82; DHSW/Bufalica/Braun 3. Aufl. § 17 KSchG Rn. 7; ErfK/Kiel 16. Aufl. § 17 KSchG Rn. 23; HaKo/Pfeiffer 5. Aufl. § 17 KSchG Rn. 49; LSW/Wertheimer 10. Aufl. § 17 KSchG Rn. 48; MüKoBGB/Hergenröder 6. Aufl. § 17 KSchG Rn. 38; SES/Schrader § 17 KSchG Rn. 52; v. Hoyningen-Huene in vHH/L 15. Aufl. § 17 KSchG Rn. 63) nicht den Anforderungen des § 126 BGB genügen. Die Wahrung der Textform entsprechend § 126b BGB reicht aus (EUArbR/Spelge RL 98/59/EG Art. 2 Rn. 11; Krieger/Ludwig NZA 2010, 919, 922; Schaub/Linck 16. Aufl. § 142 Rn. 15; TLL/Lembke/Oberwinter § 17 KSchG Rn. 84; offengelassen zuletzt von BAG 9. Juni 2016 – 6 AZR 405/15 – Rn. 27; 20. September 2012 – 6 AZR 155/11 – Rn. 55 ff., BAGE 143, 150) .
bb) Die sich aus § 126 BGB ergebenden formellen Anforderungen können auf die Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KSchG schon deshalb keine direkte Anwendung finden, weil § 126 BGB nicht unmittelbar für geschäftsähnliche Erklärungen gilt (BAG 10. Mai 2016 – 9 AZR 145/15 – Rn. 17) . Um eine solche handelt es sich aber bei der Unterrichtung des Betriebsrats über die in § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 Nr. 1 bis 6 KSchG bezeichneten Tatsachen. Diese ist nicht auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge kraft rechtsgeschäftlichen Willens gerichtet (BAG 19. August 2010 – 8 AZR 530/09 – Rn. 44) .
cc) Eine analoge Anwendung von § 126 BGB ist nicht geboten. Der Zweck des § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KSchG und die Interessenlage der Beteiligten verlangen nicht die Übermittlung eines vom Arbeitgeber eigenhändig unterzeichneten Schriftstücks an den Betriebsrat.
(1) Die Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KSchG soll es der Arbeitnehmervertretung ermöglichen, konstruktive Vorschläge zu unterbreiten, um die geplante Massenentlassung zu verhindern oder einzuschränken (EuGH 10. September 2009 – C-44/08 – [Keskusliitto] Rn. 51 und 64, Slg. 2009, I-8163) . Der Betriebsrat muss die gesetzlich vorgesehenen Angaben auf Vollständigkeit, inhaltlichen Abschluss und Urheberschaft prüfen können. Daneben müssen die übermittelten Informationen für ihn dauerhaft verfügbar sein. Diese Möglichkeiten werden durch eine Übermittlung in Textform entsprechend § 126b BGB gewährleistet (BAG 19. August 2010 – 8 AZR 530/09 – Rn. 46) . Damit wird auch die Einhaltung der dem Arbeitgeber obliegenden Pflicht, der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung zuzuleiten (§ 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG) , nicht beeinträchtigt.
(2) Demgegenüber bedeutete das Erfordernis einer Übermittlung des Unterrichtungsschreibens mit Originalunterschrift keinerlei funktionalen, normzweckbezogenen Mehrwert, sondern stellte sich vielmehr als unangemessen und verkehrserschwerend dar. Der Arbeitgeber muss nicht vor den Folgen einer „überhasteten” Verfahrenseinleitung gewarnt werden. Kein Beteiligter oder Dritter hat ein ernsthaftes Interesse an einer Fälschung des Unterrichtungsschreibens (hierzu Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr BT-Drs. 14/4987 S. 18 f.) . Die Wahrung der Schriftform analog § 126 BGB ist auch nicht erforderlich, damit der Betriebsrat oder die betroffenen Arbeitnehmer ein zuverlässiges Beweismittel erhalten. Im Streitfall muss der Arbeitgeber beweisen, dass die Unterrichtung mit einem bestimmten Inhalt dem Betriebsrat zugegangen ist.
dd) Das Unionsrecht gibt in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b MERL keine strengeren Formanforderungen vor. Dies kann der Senat ohne Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV entscheiden. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist geklärt, dass der Bedeutungsgehalt des Begriffs „schriftlich” in Rechtsakten der Union – wie im nationalen Recht – in Bezug auf die Zwecke der betreffenden Vorschrift zu bestimmen ist (EuGH 29. April 1982 – C-66/81 – Rn. 19 ff. [Pommerehnke]) und die Übersendung eines Schriftstücks per Telefax ausreicht, wenn es – wie hier – vorrangig um eine verkörperte Dokumentation für den Empfänger geht (EuGH 24. Januar 2002 – C-170/00 – Rn. 29 und 34, Slg. 2002, I-1007) .
ee) Hiernach kann dahinstehen, ob der Betriebsrat, dem allein die Rechte auf Information und Konsultation aus Art. 2 MERL zustehen (EuGH 16. Juli 2009 – C-12/08 – [Mono Car Styling] Rn. 38, Slg. 2009, I-6653) , auf den Zugang eines Unterrichtungsschreibens mit Originalunterschrift verzichten könnte und ob er dies vorliegend durch sein Schreiben vom 12. Juni 2015 getan hat.
4. Die Beklagte hat mit dem Betriebsrat ausreichend gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG beraten.
a) Der Arbeitgeber unterliegt im Konsultationsverfahren keinem Einigungszwang. Es reicht aus, wenn er mit dem ernstlichen Willen zur Einigung in die Verhandlungen mit dem Betriebsrat geht (BAG 28. Juni 2012 – 6 AZR 780/10 – Rn. 57, BAGE 142, 202) und ggf. bereit ist, dessen abweichende Vorschläge ins Kalkül zu ziehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen (EU-ArbR/Spelge RL 98/59/EG Art. 2 Rn. 22) . Dem steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber die Vermeidung oder Einschränkung von Entlassungen von bestimmten Bedingungen abhängig macht. Auch eine absolute Verhandlungs(mindest)dauer ist weder nach nationalem noch nach Unionsrecht vorgeschrieben (BAG 16. Mai 2007 – 8 AZR 693/06 – Rn. 42) . Die Konsultationen sind ohne Einigung der Betriebsparteien beendet, wenn der Arbeitgeber annehmen darf, es bestehe kein Ansatz für weitere, zielführende Verhandlungen (BAG 26. Februar 2015 – 2 AZR 955/13 – Rn. 29, BAGE 151, 83) . Dem Arbeitgeber kommt in diesem Rahmen eine Beurteilungskompetenz zu, wann er den Beratungsanspruch des Betriebsrats als erfüllt ansieht. Das setzt indes voraus, dass er dem Betriebsrat zuvor alle zweckdienlichen Auskünfte iSd. § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 KSchG erteilt hat, wobei es sich nach dem Verlauf der Beratungen richtet, welche Angaben des Arbeitgebers – noch oder nunmehr – als zweckdienlich anzusehen sind (EuGH 10. September 2009 – C-44/08 – [Keskusliitto] Rn. 53, Slg. 2009, I-8163) .
b) Hiernach hat die Beklagte in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise mit dem Betriebsrat beraten.
aa) Es ist nicht ersichtlich, dass sie nicht mit dem ernstlichen Willen zur Einigung in die Verhandlungen gegangen wäre. Daraus, dass es schon eine erste „Kündigungswelle” gegeben hatte und bereits ein Sozialplan in Bezug auf die betreffende Betriebsänderung aufgestellt worden war, folgt nicht, eine „Wiedereröffnung” des Betriebs sei unter allen Umständen ausgeschlossen und die konkreten Kündigungen seien ohnehin beschlossene Sache gewesen, die es nurmehr abzuwickeln galt (BAG 21. März 2013 – 2 AZR 60/12 – Rn. 18, BAGE 144, 366) . Der – zumal vom Betriebsrat angefochtene – Einigungsstellenspruch über den Sozialplan wäre bei gänzlicher Vermeidung von Entlassungen hinfällig gewesen und im Umfang einer Einschränkung der Entlassungen nicht zum Zuge gekommen.
bb) Die Beklagte durfte die Möglichkeit einer Wiedereröffnung des Betriebs von der zeitnahen und rechtssicheren Absenkung der Vergütung ihrer Beschäftigten auf das Niveau des Flächentarifvertrags abhängig machen. Diese „Grundbedingung” hatte sie dem Betriebsrat bereits in ihrem Unterrichtungsschreiben vom 10. Juni 2015 mitgeteilt und ihm damit zugleich alle seinerzeit zweckdienlichen Auskünfte iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 KSchG erteilt. Weiterer Informationen bedurfte es solange nicht, wie der Betriebsrat nicht signalisiert hatte, dass er sich für die Erfüllung dieser Bedingung einsetzen werde. Der Geschäftsbetrieb der Beklagten war zum Zeitpunkt der Einleitung des (zweiten) Konsultationsverfahrens im Juni 2015 bereits stillgelegt; alle Aufträge waren spätestens zum 31. März 2015 gekündigt worden. Gegenstand der durch den Betriebsrat initiierten Überlegungen der Beklagten konnte vor diesem Hintergrund nur sein, ob es ihr gelingen könnte, kurzfristig neue Aufträge zu erhalten. Dieses Ziel war von der Entwicklung ihrer Personalkosten abhängig. Deren Höhe hatte maßgeblichen Einfluss auf den Preis, zu dem sie künftig ihre Dienstleistungen im Wettbewerb mit anderen Gesellschaften innerhalb und außerhalb der sog. W-Gruppe hätte anbieten können.
cc) Die Beklagte musste dem Betriebsrat weder bei der Einleitung des Verfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG noch in dessen weiterem Verlauf Angaben zur „konzerninternen Kalkulation” der zum 31. März 2015 gekündigten Aufträge übermitteln. Dabei kann – wozu es an Feststellungen des Landesarbeitsgerichts fehlt – zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass zumindest ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auf die Beklagte ausüben konnte und diese – unabhängig davon, ob es dessen bedurfte – sogar eine gesellschaftsrechtlich abgesicherte Möglichkeit hatte, die betreffenden Informationen von dem anderen Unternehmen zu erlangen. Jedenfalls ist – was Voraussetzung für die Anwendung von Art. 2 Abs. 4 MERL bzw. § 17 Abs. 3a KSchG wäre (EuGH 10. September 2009 – C-44/08 – [Keskusliitto] Rn. 43, Slg. 2009, I-8163) – weder festgestellt noch sonst ersichtlich, dass die Beklagte nicht allein darüber entscheiden konnte, ob sie sich – auf der Grundlage ihres gegenwärtigen Personalkostenniveaus – an weiteren Ausschreibungen von Fluggesellschaften oder anderen Auftragnehmern beteiligen, eine (Unter-)Vergabe von bereits erteilten Aufträgen durch Unternehmen der sog. W-Gruppe erwarten oder – angesichts der nach der Betriebsstilllegung schon aufgelaufenen Personalkosten – von einer Wiedereröffnung ihres Geschäftsbetriebs absehen wollte. Ebenso fehlen Anhaltspunkte, aus denen auf eine die Beklagte bindende Vorgabe für die Durchführung der vorsorglichen Kündigungen geschlossen werden könnte. Vor diesem Hintergrund waren die vom Betriebsrat als Vorbedingung für weitere Verhandlungen geforderten Angaben zur „konzerninternen Kalkulation” im Streitfall nicht zweckdienlich iSd. § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 KSchG (Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. a MERL) .
dd) Die Beratungen sind nicht deshalb unzureichend gewesen, weil die Betriebsparteien lediglich am 24. Juni 2015 Verhandlungen geführt haben. Die Beklagte musste auch nicht die in Aussicht gestellte Stellungnahme des Betriebsratsgremiums abwarten und ggf. anschließend die Beratungen in einem weiteren Termin fortsetzen.
(1) Die Beklagte hat sich – auf der Grundlage ihrer Präsentation vom 23. Juni 2015 – in dem Beratungstermin eingehend mit den Vorschlägen des Betriebsrats auseinandergesetzt. Da dieser unverändert die Übermittlung von „konzerninternen Kalkulationen” als Vorbedingung für weitere Verhandlungen verlangte, durfte sie davon ausgehen, dass keine weiteren Ansätze für zielführende Verhandlungen bestanden.
(2) An dieser Einschätzung konnte die Beklagte nach dem Schreiben der Betriebsratsvorsitzenden vom 25. Juni 2015 festhalten. Dieses bot der Beklagten keinen Anhalt dafür, dass ihre Grundbedingung doch noch zeitnah erfüllt werden könnte. Eine Änderung des bisher vom Betriebsrat eingenommenen Standpunkts ist aus dem Schreiben nicht ansatzweise ersichtlich. Vielmehr wird darin ua. auf der Erfüllung der geltend gemachten Informationsansprüche beharrt.
(3) Die Beklagte musste die ihr für den 30. Juni 2015 in Aussicht gestellte Sitzung des gesamten Betriebsratsgremiums nicht abwarten.
(a) Die Beklagte hatte den Betriebsrat mit ihrem Schreiben vom 10. Juni 2015 über die geplanten Maßnahmen unterrichtet. Die am 24. Juni 2015 erfolgten Verhandlungen sind mit den vom Betriebsrat entsandten Vertretern geführt worden. Diese haben an den zuvor geäußerten Grundbedingungen für weitere Verhandlungen nach § 17 Abs. 2 KSchG festgehalten. Ihre Erklärungen durfte die Beklagte als die Position des Betriebsrats ansehen. Dass dieser nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes als Kollegialorgan verfasst ist, bedeutet nicht, er müsse die ihm zustehenden Beteiligungsrechte stets in seiner Gesamtheit wahrnehmen. Vielmehr wird er nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse von dem Vorsitzenden vertreten (BAG 25. Mai 2016 – 2 AZR 345/15 – Rn. 23 für das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG) . An dessen Erklärungen ist das Gremium grundsätzlich gebunden. Etwas anderes gilt nur, wenn es sich ersichtlich nicht um Äußerungen für den Betriebsrat, sondern um persönliche Äußerungen handelt (zu diesem hier nicht vorliegenden Sonderfall BAG 26. Februar 2015 – 2 AZR 955/13 – Rn. 21, BAGE 151, 83) . Zwar mag eine Unterbrechung des Konsultationsverfahrens zur erneuten Beratung seiner Vertreter mit dem Gremium erforderlich sein, wenn sich die Sachlage aufgrund der Erörterungen in den Konsultationen mit dem Arbeitgeber grundlegend ändert, etwa weil dieser erstmals relevante Auskünfte erteilt. Das war hier jedoch nicht der Fall. Deshalb wäre es Sache der Vorsitzenden gewesen, die Betriebsratsmitglieder parallel zu den Verhandlungen oder jedenfalls am Folgetag zu einer Sitzung einzuberufen, sofern sie eine Befassung des Gremiums für tunlich erachtet hätte.
(b) Ohne Bedeutung ist, ob die vom Betriebsrat entsandten Vertreter zur Durchführung der Konsultationen bevollmächtigt waren. Es gilt – wie im Verfahren nach § 102 BetrVG – die Sphärentheorie, nach der sich Mängel im Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsrats grundsätzlich nicht zulasten des Arbeitgebers auswirken (BAG 6. Oktober 2005 – 2 AZR 316/04 – Rn. 21) . Vielmehr muss dieser überhaupt keine Beratungen nach § 17 Abs. 2 KSchG durchführen, wenn der Betriebsrat sich nicht innerhalb angemessener Frist auf Beratungen einlässt. Insofern macht es keinen Unterschied, ob er niemanden zu einem vereinbarten Verhandlungstermin entsendet oder seine Vertreter nicht ausreichend bevollmächtigt.
II. Der Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts zwingt nicht zu einer Zurückverweisung. Der Senat kann aufgrund des festgestellten Sachverhältnisses abschließend über die Wirksamkeit der Kündigung vom 15. Juli 2015 entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) . Diese ist weder sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG noch aus anderen Gründen unwirksam.
1. Die Kündigungserklärung war hinreichend bestimmt. Insofern genügte die Angabe „zum nächstmöglichen Termin” ergänzt um den Zusatz „dies ist nach unserer Berechnung der 31. Januar 2016” (BAG 20. Januar 2016 – 6 AZR 782/14 – Rn. 16) .
2. Die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin, die Ersatzmitglied des Betriebsrats und in dieser Funktion zuletzt im August 2014 nachgerückt war, ist sozial gerechtfertigt und auch sonst zulässig iSv. § 1 Abs. 2 und Abs. 3 iVm. § 15 Abs. 4 KSchG. Sie ist auch nicht nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB unwirksam.
a) Die Stilllegung eines Betriebs zählt zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG (BAG 24. September 2015 – 2 AZR 3/14 – Rn. 13, BAGE 152, 337) . Wird ein Betrieb stillgelegt, ist nach § 15 Abs. 4 KSchG die ordentliche Kündigung der Arbeitsverhältnisse der in § 15 Abs. 1 bis Abs. 3 KSchG genannten Personen zum Zeitpunkt der Stilllegung zulässig. Die Beklagte hatte die dem Betriebszweck dienende Organisation zum 31. März 2015 vollständig aufgelöst. Seit dem 1. April 2015 entfaltete sie keine Geschäftstätigkeit mehr. Für den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs bei der Beklagten spielt es keine Rolle, ob einige der von der GGB gekündigten Aufträge seither durch andere Gesellschaften eines Konzerns ausgeführt wurden (BAG 23. März 2006 – 2 AZR 162/05 – Rn. 18) . Unstreitig ist es weder zu einem Betriebsteilübergang iSv. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gekommen noch war ein solcher auch nur beabsichtigt. Deshalb ist die Kündigung auch nicht nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB unwirksam. Aufgrund der Stilllegung des einzigen Betriebs waren im Unternehmen der Beklagten keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b KSchG vorhanden. Eine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG war entbehrlich, weil alle Arbeitsverhältnisse so früh wie möglich mit der jeweils maßgeblichen Kündigungsfrist gekündigt werden sollten.
b) Zutreffend hat bereits das Arbeitsgericht die zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs führenden Organisationsentscheidungen der Beklagten (Aufspaltung des Betriebs in zwei Teile, Übertragung des Bereichs Passagierabfertigung in S auf eine andere Gesellschaft, Stilllegung des verbliebenen Betriebs) nicht als rechtmissbräuchlich angesehen. Es lässt sich nicht feststellen, dass sie allein darauf abgezielt hätten, die Beschäftigten mit Besitzständen – darunter die Klägerin – zu isolieren und sie unter dem Deckmantel unternehmerischer Entscheidungsfreiheit ohne das Eingreifen eines nennenswerten Kündigungsschutzes „loszuwerden” (BAG 24. September 2015 – 2 AZR 562/14 – Rn. 47, BAGE 152, 345) . Die Aufspaltung des von der GGB übernommenen Betriebs erscheint keineswegs sachfremd. Die Betriebsteile in T und S lagen räumlich erheblich voneinander entfernt. Zudem erbrachten sie ihre Dienstleistungen an verschiedenen Flughäfen. Von dem anschließenden Übergang des Bereichs Passagierabfertigung im Betriebsteil S wurden auch zahlreiche Arbeitsverhältnisse von Altbeschäftigten erfasst. Dies spricht dagegen, dass es ausschließlich darum gegangen wäre, „billige” Neubeschäftigte zulasten „teurer” Altbeschäftigter vor einer Kündigung zu bewahren. Unerheblich ist, ob die Beklagte, nachdem alle Aufträge gekündigt worden waren, den verbliebenen Betrieb schließen musste. Sie hätte den Betrieb selbst bei vollem Auftragsbestand stilllegen dürfen.
c) Die Voraussetzungen eines zur Unwirksamkeit der Kündigung führenden konzerndimensionalen Kündigungsschutzes sind schon deshalb nicht erfüllt, weil die nach dem eigenen Vortrag der Klägerin fremdbeherrschte Beklagte gerade keinen bestimmenden Einfluss auf einen Wechsel zu einer anderen „Konzerngesellschaft” hatte (zu dieser Voraussetzung BAG 24. September 2015 – 2 AZR 562/14 – Rn. 44, BAGE 152, 345) . Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen sich ein Anspruch auf Abschluss (§ 894 ZPO) oder Verschaffung (§ 888 ZPO) eines „Ersatzarbeitsvertrags” gegen eine beherrschende Gesellschaft ergeben kann (dafür – sehr weitgehend – Temming Der vertragsbeherrschende Dritte S. 1105 ff.) bedarf in dem vorliegenden, ausschließlich gegen die Beklagte als Vertragsarbeitgeberin der Klägerin gerichteten Rechtsstreit keiner Entscheidung.
3. Die Beklagte musste nicht nach § 103 Abs. 1 BetrVG die Zustimmung des Betriebsrats zu der beabsichtigten Kündigung einholen, weil sie eine gemäß § 15 Abs. 4 KSchG zulässige ordentliche Kündigung erklären wollte. Die erforderliche Anhörung des Gremiums nach § 102 Abs. 1 BetrVG iVm. § 21b BetrVG war ordnungsgemäß. Die Beklagte hat den Betriebsrat ausreichend über den Kündigungsgrund informiert. Den genauen Zugangszeitpunkt der Kündigung konnte und musste sie nicht angeben (BAG 25. April 2013 – 6 AZR 49/12 – Rn. 142 ff.) .
4. Die Kündigung vom 15. Juli 2015 ist nicht nach § 17 Abs. 3 KSchG iVm. § 134 BGB unwirksam.
a) Die Beklagte hat am 26. Juni 2015 eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige bei den Agenturen für Arbeit C und B erstattet. Sie hat durch Vorlage des Sendeberichts (BGH 17. Januar 2006 – XI ZB 4/05 – Rn. 16) und der Empfangsbestätigung glaubhaft gemacht, dass sie den Betriebsrat mehr als zwei Wochen vorher – nämlich am 10. Juni 2015 – gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG unterrichtet hatte. In der Anzeige hat die Beklagte auch den Stand der Beratungen mit dem Betriebsrat zutreffend dargelegt (§ 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG) .
b) Der Einwand der Klägerin, die Beklagte habe durch Falschangaben bewirkt, dass die für den Betriebssitz nicht zuständige Agentur für Arbeit C nach §§ 18, 20 KSchG entschieden habe, geht jedenfalls bezüglich der zweiten „Kündigungswelle” fehl. Es kann dahinstehen, nach welchen Kriterien sich die örtliche Zuständigkeit einer Agentur bestimmt, wenn eine Massenentlassung in einem Betrieb mit zwei unselbständigen Betriebsteilen beabsichtigt ist. Auf die innerbetrieblichen Organisationsstrukturen kommt es jedenfalls dann nicht mehr an, wenn eine betriebliche Einheit bei Erstattung der betreffenden Massenentlassungsanzeige bereits durch Stilllegung untergegangen ist und die in Frage stehenden Kündigungen nur vorsorglich ausgesprochen werden sollen. Zumindest unter diesen Umständen kann der Arbeitgeber die Anzeige zugleich und mit sofortiger Wirksamkeit bei sämtlichen für die frühere Betriebsstätte möglicherweise zuständigen Arbeitsagenturen einreichen, wenn er – wie die Beklagte es getan hat – auf die schon umgesetzte Betriebsstilllegung – und damit den Wegfall eines Betriebssitzes – hinweist und zutreffend mitteilt, im Zuständigkeitsbereich welcher Agentur zuletzt die meisten der zu entlassenden Arbeitnehmer beschäftigt waren. Dann ist es Sache der angegangenen Behörden, sich über die örtliche Zuständigkeit für die Entscheidung nach §§ 18, 20 KSchG abzustimmen. Wenn der Arbeitgeber korrekte Angaben gemacht hat, kann das Ergebnis dieser Abstimmung in keinem Fall zu seinen Lasten gehen. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die zeitgleiche Einreichung einer Anzeige bei allen für einen Teil des – früheren – Betriebs als örtlich zuständig in Betracht kommenden Dienststellen der Arbeitsverwaltung selbst im Fall unzutreffender Angaben lediglich dann zur Nichtigkeit (§ 134 BGB) einer nachfolgend erklärten Kündigung führen kann, wenn es dem Arbeitgeber – wofür hier weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich ist – gerade darum ging, durch die falschen Angaben eine für ihn vorteilhafte Entscheidung der Agentur für Arbeit zu erreichen.
5. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Klägerin ist nicht nach §§ 68, 85 SGB IX iVm. § 134 BGB nichtig. Die Beklagte hat die Kündigung erst nach der Zustimmung des Integrationsamts innerhalb der Frist des § 88 Abs. 3 SGB IX erklärt.
6. Weitere Unwirksamkeitsgründe sind nicht ersichtlich.
C. Mit der Abweisung des Kündigungsschutzantrags zu 2. ist der auch ohne Anschlussrechtsmittel der Klägerin in die Revision gelangte (BAG 16. März 2010 – 3 AZR 594/09 – Rn. 75, BAGE 133, 289) Hilfsantrag auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs nach § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 BetrVG zur Entscheidung angefallen. Dieser erweist sich als unbegründet. Zwar hat die Beklagte mit der Betriebsstilllegung eine Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG geplant. Sie hat sich jedoch vor deren Durchführung ausreichend um einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat bemüht.
I. Nach § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 BetrVG kann ein Arbeitnehmer vom Unternehmer die Zahlung einer Abfindung verlangen, wenn dieser eine Betriebsänderung durchführt, ohne über sie zuvor einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und der Arbeitnehmer infolge der Maßnahme entlassen wird oder andere wirtschaftliche Nachteile erleidet. Der Anspruch aus § 113 Abs. 3 BetrVG dient vornehmlich der Sicherung des sich aus § 111 Satz 1 BetrVG ergebenden Verhandlungsanspruchs des Betriebsrats und schützt dabei mittelbar die Interessen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer. Er entsteht, sobald der Unternehmer mit der Durchführung der Betriebsänderung begonnen hat, ohne bis dahin einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben (BAG 14. April 2015 – 1 AZR 794/13 – Rn. 12) . Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichten und mit ihm mit dem ernsthaften Willen zu einer Verständigung über die geplante Betriebsstillegung beraten. Dazu muss er sich mit den vom Betriebsrat vorgeschlagenen Alternativen zu der geplanten Betriebsänderung befassen und argumentativ auseinandersetzen. Können sich die Betriebsparteien nicht auf einen Interessenausgleich verständigen, ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Einigungsstelle anzurufen. Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich besteht nicht, wenn die Betriebsparteien vor Beginn der Betriebsänderung einen Interessenausgleich vereinbaren oder der Verhandlungsanspruch des Betriebsrats in dem Einigungsstellenverfahren erfüllt wird. Letzteres setzt nicht voraus, dass die Einigungsstelle das Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen durch einen förmlichen Beschluss feststellt (BAG 16. August 2011 – 1 AZR 44/10 – Rn. 11 ff.) .
II. Nach diesen Grundsätzen steht der Klägerin kein Nachteilsausgleich zu.
1. Die Beklagte hat die Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich rechtzeitig eingeleitet. Sie hat den Betriebsrat unmittelbar nach den Auftragskündigungen von diesen und der beabsichtigten Betriebsstilllegung unterrichtet. Deren Beginn lag nicht bereits in der Kündigung aller Aufträge durch die GGB. Diese Maßnahme müsste die Beklagte sich selbst dann nicht aufgrund einer vermeintlichen „Konzernverbundenheit” zurechnen lassen, wenn man die Vorgaben von Art. 2 Abs. 4 MERL auf § 111 Satz 1 BetrVG übertragen wollte (in diesem Sinne BAG 14. April 2015 – 1 AZR 794/13 – Rn. 19 f.) . Zwar setzt die Pflicht zu Verhandlungen mit der Arbeitnehmervertretung nach dieser Vorschrift schon dann ein, wenn strategische Entscheidungen oder Änderungen der Geschäftstätigkeit erlassen werden, die den Vertragsarbeitgeber zwingen, Massenentlassungen ins Auge zu fassen oder zu planen (EuGH 10. September 2009 – C-44/08 – [Keskusliitto] Rn. 49, Slg. 2009, I-8163) . Jedoch ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte aufgrund der Kündigung der Aufträge durch die GGB dazu gezwungen gewesen wäre, eine Betriebsstilllegung – und aus diesem Grund Massenentlassungen – durchzuführen. Deshalb kann dahinstehen, ob Art. 2 Abs. 4 MERL überhaupt Sachverhalte erfasst, in denen sich kein typisches Beherrschungsrisiko verwirklicht, weil ein – möglicherweise – herrschendes Unternehmen nicht in dieser Funktion, sondern in seiner Eigenschaft als Auftraggeberin des Vertragsarbeitgebers agiert.
2. Die Beklagte hat sich nach den Auftragskündigungen auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrats ernsthaft um den Abschluss eines Interessenausgleichs bemüht, bevor sie mit der Umsetzung der Betriebsstilllegung durch Ausspruch der Kündigungen der ersten „Welle” begonnen hat.
a) Die Beklagte hat den Betriebsrat umfassend über die geplante Betriebsänderung unterrichtet. Sie hat ihm mitgeteilt, der Betrieb solle zum 31. März 2015 stillgelegt werden. Die Stilllegungsabsicht beruhte auf dem Entschluss, sich nicht um neue Aufträge zu bewerben. Hierfür war die „konzerninterne Kalkulation” der gekündigten Aufträge ohne Bedeutung. Ob – wie der Betriebsrat meinte – „konzerninterne Gewinnverteilungen” bei der Bemessung eines Sozialplanvolumens relevant waren, bedarf keiner Entscheidung. Für die unternehmerische Entscheidung über die beabsichtigte Betriebsstilllegung und ihre Umsetzung ist diese Frage irrelevant.
b) Die Beklagte hat nach ergebnislosen Verhandlungen mit dem Betriebsrat die Einigungsstelle angerufen. Diese hat dreimal getagt, bevor die Vertreter der Beklagten die Verhandlungen über einen Interessenausgleich in der vierten Sitzung am 18. Dezember 2014 für gescheitert erklärt haben. Den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen, gegen die die Klägerin keine verfahrensrechtliche Gegenrüge geführt hat, lässt sich nicht entnehmen, dass der Verhandlungsanspruch des Betriebsrats durch die Erörterungen in der Einigungsstelle nicht erfüllt worden wäre.
c) Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich besteht auch nicht deshalb, weil an den Sitzungen der Einigungsstelle kein Vertreter der Arbeitsverwaltung teilgenommen hat. Nach dem zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat abgeschlossenen gerichtlichen Vergleich sollte zu einer der ersten beiden Sitzungen der Einigungsstelle ein Vertreter der Bundesagentur für Arbeit „eingeladen” werden. Damit haben die Betriebsparteien keine wechselseitige Verpflichtung begründet, sich zunächst an den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit zur Durchführung einer Vermittlung zu wenden (§ 112 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) , der sich die Beklagte entzogen hätte. Vielmehr sollten ua. die Verhandlungen über einen Interessenausgleich in der Einigungsstelle fortgesetzt werden. Die Hinzuziehung eines Vertreters der Arbeitsverwaltung zu den Beratungen der Einigungsstelle oblag dabei als verfahrensleitende Maßnahme allein dem Einigungsstellenvorsitzenden (§ 112 Abs. 2 Satz 3 BetrVG) .
3. Die Beklagte musste vor der zweiten „Kündigungswelle” keine neuen Interessenausgleichsverhandlungen führen. Die Absicht, es bei der erfolgten Betriebsstilllegung zu belassen, bedeutete nicht die Planung einer neuen Betriebsänderung. Insofern laufen die Verfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG und §§ 111 ff. BetrVG auseinander.
D. Der Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Auslegung der MERL bedarf es – soweit nicht bereits vorstehend erörtert – nicht.
I. Die Klägerin hat mit der Revisionserwiderung ein vom Vorsitzenden der 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg unter dem 19. August 2016 verfasstes Hinweisschreiben zu den Akten gereicht. In diesem hat der Kammervorsitzende fünf aus seiner Sicht klärungsbedürftige Fragen zur „Auslegung” der MERL formuliert und die dortigen Parteien zur Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens angehört. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ihren darauf bezogenen schriftsätzlichen Vortrag vertieft und gemeint, eine Entscheidung zu ihren Lasten könne nicht ohne eine solche Anfrage an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung der MERL ergehen.
II. Einer von der Klägerin als notwendig angesehenen Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV bedarf es hinsichtlich der in dem Schreiben des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg angeführten „Fragen” zur Zweckdienlichkeit von Auskünften über „Kalkulationsgrundlagen und Preise” (Frage 4) sowie des Abschlusses eines Konsultationsverfahrens (Frage 5) schon deshalb nicht, weil diese fallbezogen formuliert sind. Sie betreffen die Beurteilung eines Sachverhalts, die nach der klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fällt und für die der Gerichtshof der Europäischen Union dem vorlegenden Gericht nur Hinweise geben darf (EuGH 15. April 2010 – C-433/05 – [Sandström] Rn. 35, Slg. 2010, I-2885) . Auch die Klägerin hat keine darauf bezogenen Fragen formuliert, die Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens sein könnten.
III. Die auf die Klärung, ob Erörterungen im Rahmen eines betriebsverfassungsrechtlichen Einigungsstellenverfahrens als eine Konsultation mit Arbeitnehmervertretern anzusehen sein können, gerichtete Frage 1 ist nach dem vorstehenden Begründungsweg für die Abweisung der Kündigungsschutzklage in Bezug auf die unter dem 15. Juli 2015 ausgesprochene Kündigung ohne Bedeutung. Ein Einigungsstellenverfahren ist vor der Kündigung vom 15. Juli 2015 nicht durchgeführt worden. An der Entscheidungserheblichkeit fehlt es gleichermaßen für die Frage, ob ein verantwortliches Unternehmen nach Art. 2 Abs. 4 MERL mit einer eine Massenentlassung durchführenden Arbeitgeberin gesellschaftsrechtlich verbunden sein und ob ggf. das verantwortliche Unternehmen konkret bestimmt werden muss (Fragen 2 und 3) . Der Senat hat zugunsten der Klägerin unterstellt, dass zumindest ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auf die Beklagte ausüben konnte. Er hat jedoch auf der Grundlage der ihn revisionsrechtlich bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts keine Anhaltspunkte dafür gesehen, dass ein anderes Unternehmen strategische Entscheidungen oder Änderungen der Geschäftstätigkeit getroffen hat, aufgrund derer die Beklagte gezwungen gewesen wäre, Massenentlassungen ins Auge zu fassen oder zu planen (EuGH 10. September 2009 – C-44/08 – [Keskusliitto] Rn. 49, Slg. 2009, I-8163 sowie oben Rn. 54) .
E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Koch, Rachor, Niemann, Die ehrenamtliche Richterin Alex ist wegen Dienstunfähigkeit gehindert ihre Unterschrift beizufügen. Koch, Niebler
Fundstellen
Haufe-Index 10126604 |
BAGE 2017, 1 |
BB 2016, 2419 |
BB 2017, 115 |
BB 2017, 2495 |
BB 2017, 440 |
DB 2016, 15 |
DB 2017, 9 |
DStR 2016, 14 |
DStR 2016, 2713 |