Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzugslohn bei anderweitigem Verdienst. Verzugslohn: Ermittlung des anderweitigen Verdienstes im Wege der Gesamtberechnung. Beginn der Betriebsstilllegung iSv. §§ 111, 113 Abs. 3 BetrVG
Leitsatz (amtlich)
Die Ermittlung des anderweitigen Verdienstes im Sinne von § 615 Satz 2 BGB erfolgt nicht nach einzelnen Zeitabschnitten, sondern im Wege einer Gesamtberechnung (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des BAG).
Orientierungssatz
- Nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 InsO können Altmasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht werden.
- Zur Ermittlung des anderweitigen Verdienstes iSv. § 615 Satz 2 BGB ist eine vergleichende Gesamtberechnung anzustellen. Dazu ist zunächst die Vergütung für die auf Grund des Verzugs des Arbeitgebers nicht geleisteten Dienste zu ermitteln. Dieser Gesamtvergütung ist gegenüberzustellen, was der Arbeitnehmer während des gesamten Zeitraums anderweitig erworben hat.
- Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 1, Abs. 3 BetrVG entsteht, sobald der Unternehmer mit der Durchführung der Betriebsänderung begonnen hat, ohne bis dahin einen Interessenausgleich nach §§ 111, 112 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG versucht zu haben. Mit der Durchführung einer Betriebsstilllegung hat der Unternehmer begonnen, sobald er unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der Betriebsorganisation ergriffen hat. Dazu zählen weder die Einstellung der Produktion noch die widerrufliche Freistellung der Arbeitnehmer.
Normenkette
BGB § 615 S. 2; BetrVG §§ 111, 113 Abs. 3; InsO § 55 Abs. 1, §§ 53, 208, 209 Abs. 1 Nr. 3, § 210; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg – Kammern Freiburg – vom 22. Juli 2004 – 11 Sa 106/03 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Anrechnung von Zwischenverdienst auf Gehaltsansprüche aus Annahmeverzug und über die Zahlung eines Nachteilsausgleichs.
Der Kläger ist Betriebswirt. Er war seit dem 1. September 1972 bei der H… GmbH beschäftigt und für den Einkauf, den Fuhrpark, die Gerätewirtschaft und die Erstellung der Lohnabrechnungen zuständig. Die Arbeitgeberin beschäftigte im Jahr 2002 etwa 80 Mitarbeiter. Im Betrieb war ein Betriebsrat gewählt.
Am 30. April 2002 meldete die Arbeitgeberin Insolvenz an. Mit Beschluss vom gleichen Tage wurde der – mittlerweile einzige – Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Er stellte die Gehaltszahlungen an die Arbeitnehmer ein. Für die Monate April, Mai und Juni 2002 bezogen diese Insolvenzgeld. Am 1. Juli 2002 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt (Amtsgericht Freiburg 8 IN 194/02). Er stellte danach sämtliche Arbeitnehmer einschl. des Klägers von ihrer Arbeitspflicht frei.
Gegenüber der ursprünglich mitverklagten H… S… GmbH, die am 7. Juni 2002 ins Handelsregister eingetragen worden war, hat der Kläger die Auffassung vertreten, der Betrieb der Insolvenzschuldnerin sei auf sie übergegangen. Der Kläger behauptet, sie habe spätestens zum 1. August 2002 den gesamten Fuhrpark, das gesamte Werkzeug, das Betriebsgrundstück, die übrigen Betriebsmittel und die Kunden der Arbeitgeberin und Insolvenzschuldnerin übernommen. Der Rechtsstreit zwischen dem Kläger und dieser Beklagten wurde am 13. Mai 2003 durch einen Vergleich beigelegt. Darin verpflichtete diese sich, an den Kläger eine Abfindung von 5.500,00 Euro zu zahlen. Der Kläger seinerseits verpflichtete sich, gegenüber dem Beklagten des vorliegenden Verfahrens einem möglichen Betriebsübergang zu widersprechen. Er hat dies mit Schriftsatz vom 27. Mai 2003 getan, nachdem er die Abfindungssumme erhalten hatte.
Am 7. Oktober 2002 hatte der Kläger eine neue Arbeitsstelle angetreten. Außerdem waren zwischen dem Beklagten und dem Betriebsrat Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan aufgenommen worden. Die dazu eingerichtete Einigungsstelle hatte am 10. Februar 2003 nach drei Sitzungen den Versuch eines Interessenausgleichs für gescheitert erklärt und mit den Stimmen aller Beisitzer einen Sozialplan beschlossen. Nach Anhörung des Betriebsrats hatte der Beklagte am 24. Februar 2003 die Arbeitsverhältnisse aller Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin – gegenüber dem Kläger zum 31. Mai 2003 – gekündigt. Der Kläger hatte sich dagegen mit einer Kündigungsschutzklage gewehrt. Im Oktober 2003 nahm er diese Klage zurück.
Am 16. April 2003 hatte der Beklagte Masseunzulänglichkeit angezeigt.
Der Kläger hat im vorliegenden Verfahren die Auffassung vertreten, ihm stünden gegen den Beklagten aus Annahmeverzug Vergütungsansprüche für die Zeit vom 1. August 2002 bis zum 6. Oktober 2002 in Höhe von 8.463,40 Euro brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengelds in Höhe von 3.179,40 Euro netto und Ansprüche auf Zahlung von vermögenswirksamen Leistungen von monatlich 23,52 Euro für die Zeit vom 1. August bis zum 30. November 2002 zu. Auch wenn er in der Zeit vom 7. Oktober 2002 bis zum 31. Mai 2003 bei seinem neuen Arbeitgeber – unstreitig – einen insgesamt um 1.028,94 Euro brutto höheren Verdienst erzielt habe, als ihm der Beklagte für den gleichen Zeitraum an Vergütung aus Annahmeverzug schulde, müsse er sich diesen Mehrverdienst auf seine Verzugslohnansprüche aus dem davor liegenden Zeitraum nicht anrechnen lassen. Ferner stehe ihm eine in zwei Teilbeträgen im November 2002 und April 2003 fällig gewordene Jahressonderzahlung von insgesamt 2.160,00 Euro brutto und als Urlaubsabgeltung ein Betrag in Höhe von 815,85 Euro brutto zu. Schließlich habe er Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs in Höhe von mindestens 45.720,00 Euro brutto. Der Beklagte habe durch die Freistellung sämtlicher Arbeitnehmer mit der Durchführung einer Betriebsänderung begonnen, ohne dass zu diesem Zeitpunkt der Versuch eines Interessenausgleichs schon unternommen worden sei.
Der Kläger hat – soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung – beantragt
festzustellen, dass ihm gegen den Beklagten als Masseverbindlichkeit
1. ein Anspruch auf Zahlung von 11.533,33 Euro brutto abzüglich geleisteten Arbeitslosengelds in Höhe von 3.179,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf den sich aus 3.833,52 Euro brutto abzüglich 1.492,20 Euro netto ergebenden Differenzbetrag seit dem 15. September 2002, auf den sich aus 3.951,63 Euro brutto abzüglich 1.446,20 Euro netto ergebenden Differenzbetrag seit dem 15. Oktober 2002, auf den sich aus 748,81 Euro brutto abzüglich 241,00 Euro netto ergebenden Differenzbetrag seit dem 15. November 2002, auf 1.080,00 Euro brutto seit dem 15. November 2002, auf weitere 1.080,00 Euro brutto seit dem 15. Mai 2003 und auf 815,85 Euro brutto seit dem 15. Juni 2003,
2. ein Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs in einer nach dem Ermessen des Gerichts festzusetzenden Höhe, mindestens aber in Höhe von 45.720,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15. Juni 2003
zusteht.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat im Verlauf des Verfahrens das Bestehen von Verzugslohnansprüchen des Klägers nach Grund und Höhe nicht länger in Abrede gestellt. Auf diese müsse sich der Kläger aber den gesamten während der Dauer des Annahmeverzugs erzielten Zwischenverdienst anrechnen lassen. Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich sei nicht entstanden.
Das Arbeitsgericht hat die – ursprünglich noch auf weitere Ansprüche gerichtete – Klage in vollem Umfang abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und festgestellt, dass dem Kläger im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin (Amtsgericht Freiburg – 8 IN 194/02 –) eine Masseverbindlichkeit hinsichtlich des Anspruchs auf Vergütung, vermögenswirksame Leistungen, Sonderzahlung und Urlaubsabgeltung jeweils nebst Zinsen in der beantragten Höhe zustehe, auf die er sich anderweitigen Erwerb in Höhe von 1.028,94 Euro brutto anrechnen lassen müsse. Im Übrigen hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Aufhebung der Anrechnung seines Mehrverdienstes und weiterhin die Feststellung des Bestehens einer Masseverbindlichkeit über einen Nachteilsausgleich in Höhe von mindestens 45.720,00 Euro nebst Zinsen. Der Beklagte bittet um die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die noch anhängige Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht als Masseverbindlichkeit nur ein um den Mehrverdienst verkürzter Vergütungsanspruch zu. Ein Anspruch auf Zahlung von Nachteilsausgleich besteht nicht.
I. Dem Senat ist neben dem Antrag zu 2. auch der Antrag zu 1. zur Entscheidung angefallen, allerdings nur im Umfang von 1.028,94 Euro.
Das Landesarbeitsgericht hat in Nr. 2a bis j seines Urteilstenors das auf Annahmeverzug gestützte Feststellungsbegehren des Klägers in vollem Umfang für gerechtfertigt gehalten. In Nr. 3 des Tenors hat es anschließend separat ausgesprochen, auf die sich ergebende Gesamtsumme von insgesamt 11.533,33 Euro brutto habe sich der Kläger 1.028,94 Euro brutto als anderweitigen Erwerb anrechnen zu lassen. Auf diese Weise hat das Landesarbeitsgericht, statt den festgestellten Zahlungsanspruch von vornherein um 1.028,94 Euro zu kürzen, den Kläger verpflichtet, eine Anrechnung dieses Betrags auf seine Zahlungsforderung zu dulden. Streitgegenstand ist indessen die Höhe von Zahlungsansprüchen des Klägers, nicht ein Duldungsanspruch des Beklagten, den dieser gar nicht geltend gemacht hat.
In der Sache ist die Revision deshalb darauf gerichtet festzustellen, dass die mit dem Antrag zu 1. geltend gemachte Masseforderung ohne weitere Einschränkung in Höhe von 11.533,33 Euro brutto besteht.
II. Die mit der Revision weiterverfolgten Feststellungsanträge sind zulässig. Für das vom Kläger ursprünglich mit einem Leistungsantrag verfolgte Begehren ist die Feststellungsklage die richtige Klageart. Dem steht der Grundsatz des Vorrangs der Leistungsklage nicht entgegen. Das nach § 256 Abs.1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse folgt aus § 210 InsO. Der Kläger macht Masseverbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO geltend.
1. Bei den Vergütungsansprüchen und den Ansprüchen auf vermögenswirksame Leistungen, Sonderzahlungen und Urlausabgeltung handelt es sich um Verbindlichkeiten der Insolvenzmasse aus gegenseitigen Verträgen nach Maßgabe von § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO; der Anspruch auf Nachteilsausgleich stellt eine Verbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar, weil sie nur durch eine Handlung des Beklagten begründet worden sein kann. Masseansprüche sind zwar wegen § 53 InsO grundsätzlich in Form einer Leistungsklage zu verfolgen. Das gilt aber nicht, wenn der Insolvenzverwalter, wie hier der Beklagte, nach § 208 InsO die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat. In diesem Fall ist wegen § 210 InsO die Vollstreckung wegen einer Masseverbindlichkeit iSd. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig.
2. Masseverbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO sind “die übrigen Masseverbindlichkeiten” (sog. Altmasseverbindlichkeiten). Darunter fallen Verbindlichkeiten, die weder Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO) noch solche Masseforderungen darstellen, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO; sog. Neumasseverbindlichkeiten). Letzteren werden nach § 209 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 InsO gleichgestellt Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Unzulänglichkeitsanzeige hätte kündigen können, und Verbindlichkeiten aus einem solchen Verhältnis, soweit der Verwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.
3. Bei den Forderungen des Klägers handelt es sich nicht um Neumasse- und diesen gleichgestellte Verbindlichkeiten. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Beklagten erfolgte am 16. April 2003. Die vom Kläger verfolgten Zahlungsansprüche waren bereits zuvor begründet worden. Das gilt sowohl für die Ansprüche wegen Annahmeverzugs als auch für den Anspruch auf Nachteilsausgleich.
Damit ist eine Feststellungsklage, wenn nicht geboten (BAG 11. Dezember 2001 – 9 AZR 459/00 – AP InsO § 209 Nr. 1 = EzA InsO § 210 Nr. 1, zu II 3 der Gründe; 31. Juli 2002 – 10 AZR 275/01 – BAGE 102, 82, zu II 1a der Gründe; BGH 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – BGHZ 154, 358, zu II 1 der Gründe mwN), so jedenfalls zulässig (BAG 22. November 2005 – 1 AZR 458/04 – NZA 2006, 220, zu A I der Gründe; 29. Oktober 2002 – 1 AZR 80/02 – EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 4, zu I der Gründe).
III. Die Klageanträge sind unbegründet.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf den vollen Verzugslohn nach § 615 Satz 1 BGB. Er muss sich gemäß § 615 Satz 2 BGB anderweitigen Verdienst – in rechnerisch unstreitiger Höhe – anrechnen lassen.
a) Die Auffassung des Klägers, anderweitiger Verdienst sei auf seine Vergütungsansprüche nur für jeweils den Zeitabschnitt anzurechnen, in welchem dieser Verdienst erzielt worden und der entsprechende Teilanspruch entstanden sei, steht im Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Danach ist der anderweitige Verdienst des Arbeitnehmers auf seine Vergütung für die gesamte Dauer des (beendeten) Annahmeverzugs anzurechnen. Zum Zweck der dafür erforderlichen Vergleichsberechnung (Gesamtberechnung) ist zunächst die Vergütung für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste zu ermitteln. Dieser Gesamtvergütung ist gegenüberzustellen, was der Arbeitnehmer in der betreffenden Zeit anderweitig erworben hat (24. August 1999 – 9 AZR 804/98 – AP BGB § 615 Anrechnung Nr. 1 = EzA BGB § 615 Nr. 96, zu II 2a der Gründe; 19. Februar 1997 – 5 AZR 379/94 –, zu 2 der Gründe; 29. Juli 1993 – 2 AZR 110/93 – BAGE 74, 28, zu II 1c cc der Gründe; so bereits RG 12. Juli 1904 – Rep III 146/04 – RGZ 58, 402).
b) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Gesamtberechnung nach § 615 Satz 2 BGB ist in Teilen des Schrifttums kritisiert worden (Nübold RdA 2004, 31; Boecken NJW 1995, 3218; Matthes in ArbR BGB § 615 Rn. 86; ErfK/Preis 5. Aufl. § 615 BGB Rn. 96; Gravenhorst Urteilsanmerkung in EzA BGB § 615 Nr. 79). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Die dagegen vorgebrachte Kritik überzeugt nicht. § 615 Satz 2 BGB sieht zur Feststellung der Höhe des Annahmeverzugslohns die Methode der Gesamtberechnung vor. Das ergibt die Auslegung der Vorschrift.
aa) Aus dem Wortlaut des § 615 Satz 2 BGB lassen sich weder für die eine noch für die andere Berechnungsmethode zwingende Argumente gewinnen. Einerseits ist dort von der Anrechnung nach einzelnen Zeitabschnitten nicht die Rede (BAG 29. Juli 1993 – 2 AZR 110/93 – BAGE 74, 28, zu II 1c cc der Gründe). Andererseits wird eine solche nicht ausgeschlossen.
bb) Die Gesamtberechnung entspricht Sinn und Zweck der Anrechnungsvorschrift. Diese will gewährleisten, dass der Arbeitnehmer auf Grund des Annahmeverzugs grundsätzlich nicht mehr und nicht weniger erhält als die vereinbarte Vergütung (BAG 29. Juli 1993 – 2 AZR 110/93 – BAGE 74, 28, zu II 1c cc der Gründe). Der Arbeitnehmer soll während des Annahmeverzugs nicht von anderer Seite Arbeitsentgelt beziehen können, ohne dass dies dem Arbeitgeber in vollem Umfang zugute käme. Die andere Verdienstmöglichkeit des Arbeitnehmers beruht allein darauf, dass der Arbeitgeber dessen Dienste tatsächlich nicht in Anspruch nimmt. Erst der Arbeitgeber verschafft dem Arbeitnehmer auf diese Weise die – wenn auch ungewollte – Chance zu höherer Vergütung. Dieser Gesichtspunkt würde nur unvollkommen berücksichtigt, wenn eine Anrechnung des daraus erwachsenen Mehrverdienstes auf den jeweiligen Abrechnungszeitraum begrenzt bliebe, in dem er erzielt wurde. Auch wären andernfalls Manipulationsmöglichkeiten, etwa durch die Ausgestaltung der mit dem anderen Arbeitgeber getroffenen Vergütungsabrede, zu Lasten des Arbeitgebers eröffnet. Das vermeidet eine Gesamtberechnung. Danach bleibt ein Mehrverdienst dem Arbeitnehmer nur dann erhalten, wenn der anderweitige Verdienst auch bei einer solchen Berechnung höher ausfällt als der vereinbarte Verdienst. Letztlich sind auch die mit einer Gesamtberechnung für den Fall des noch nicht beendeten Annahmeverzugs verbundenen Berechnungsschwierigkeiten ebenso wie die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Probleme eher lösbar (vgl. BAG 24. August 1999 – 9 AZR 804/98 – AP BGB § 615 Anrechnung Nr. 1 = EzA BGB § 615 Nr. 96, zu II 3b der Gründe), als diejenigen, die sich bei einer Anrechnung nach Zeitabschnitten ergeben, falls die Abrechnungszeiträume nicht übereinstimmen oder unterschiedliche Sonderzahlungen anfallen.
c) Danach hat das Landesarbeitsgericht zu Recht auf eine Gesamtberechnung abgestellt und eine Anrechung des vom Kläger in der Zeit zwischen dem 7. Oktober 2002 und dem 31. Mai 2003 erzielten Mehrverdienstes vorgenommen. Der Beklagte befand sich seit dem 1. August 2002 bis zum 31. Mai 2003 in Annahmeverzug. Zwar hatte er den Kläger von der Arbeitspflicht freigestellt. Dadurch hatte er aber seine Gläubigerstellung iSv. § 293 BGB nicht verloren. Dazu hätte es einer einvernehmlichen, zweiseitig vereinbarten Freistellung in Form eines Erlassvertrags nach § 397 BGB oder eines Änderungsvertrags nach § 311 Abs. 1 BGB bedurft. Nur dann schiede zu Gunsten des Klägers eine Anwendung von § 615 BGB mangels Gläubigerstellung des Beklagten aus (vgl. BAG 19. März 2002 – 9 AZR 16/01 – EzA BGB § 615 Nr. 108, zu II 2a der Gründe mwN). Zu einer vertraglichen Abrede über die Freistellung ist es zwischen den Parteien nicht gekommen. Die betreffende Feststellung des Landesarbeitsgerichts unter 1c aa seiner Entscheidungsgründe hat der Kläger mit einer zulässigen Verfahrensrüge nicht angegriffen. Er hat das Fehlen seines Einverständnisses vielmehr ausdrücklich bestätigt.
Die nach § 615 Satz 2 BGB gebotene Anrechnung anderweitigen Verdienstes hindert bereits die Entstehung des Anspruchs aus § 615 Satz 1 BGB und führt nicht bloß zu einer Aufrechnungslage (Staudinger/Richardi 13. Bearbeitung § 615 Rn. 137; MünchKommBGB/Henssler 4. Aufl. § 615 BGB Rn. 63; Erman/Belling BGB 11. Aufl. § 615 Rn. 39; ErfK/Preis 5. Aufl. § 615 BGB Rn. 86).
2. Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs ist nicht entstanden. Nach § 113 Abs. 3, Abs. 1 BetrVG kann ein Arbeitnehmer Klage auf Zahlung von Abfindungen nach Maßgabe von § 10 KSchG erheben, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und der Arbeitnehmer infolge dieser Maßnahme entlassen wird oder einen anderen wirtschaftlichen Nachteil erleidet. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, eine Betriebsänderung liege nicht vor. Vielmehr sei der Betrieb nach dem eigenen Vorbringen des Klägers gegenüber der vormals mitverklagten H… S… GmbH spätestens am 1. August 2002 auf diese übergegangen. Der Kläger hat darin, dass das Landesarbeitsgericht diesen Prozessvortrag auch im Verhältnis zum Beklagten verwertet hat, einen Verstoß gegen § 61 ZPO erblickt und eine darauf gestützte Verfahrensrüge erhoben.
b) Ob diese Rüge begründet ist, kann dahinstehen. Der Beklagte hat selbst dann keine Betriebsänderung durchgeführt, wenn zu Gunsten des Klägers unterstellt wird, dass ein Betriebübergang nicht stattgefunden hat.
aa) Der Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3, Abs. 1 BetrVG entsteht, sobald der Unternehmer mit der Durchführung der Betriebsänderung begonnen hat, ohne bis dahin einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben (BAG 23. September 2003 – 1 AZR 576/02 – BAGE 107, 347, zu II 1c der Gründe).
Hier kommt eine Betriebsänderung in Form der Stilllegung des Betriebs in Betracht. Die Betriebsstilllegung besteht in der Aufgabe des Betriebszwecks unter gleichzeitiger Auflösung der Betriebsorganisation für unbestimmte, nicht nur vorübergehende Zeit (BAG 4. Juni 2003 – 10 AZR 586/02 – AP InsO § 209 Nr. 2 = EzA InsO § 209 Nr. 1, zu II 2b bb (4) der Gründe; 21. Juni 2001 – 2 AZR 137/00 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 50 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 53, zu II 1a der Gründe; Fitting 22. Aufl. § 111 Rn. 65). Mit ihrer Durchführung hat der Unternehmer begonnen, sobald er unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der Betriebsorganisation ergriffen hat.
bb) Solche Maßnahmen liegen nicht vor.
(1) Die bloße Einstellung der Produktion oder der sonstigen betrieblichen Tätigkeit stellt keine unumkehrbare Maßnahme dar. Sie kann, wenn die betriebliche Organisation als solche aufrechterhalten bleibt, jederzeit rückgängig gemacht werden.
(2) Auch mit der Freistellung aller Arbeitnehmer am 1. August 2002 hat eine Betriebsstilllegung nicht begonnen. Eine Auflösung der betrieblichen Organisation war damit nicht verbunden. Eine Freistellung von der Arbeit ist bei Fehlen anderer vertraglicher Vereinbarungen jederzeit widerruflich und damit umkehrbar. Sie lässt den Bestand des Arbeitsverhältnisses unberührt und ist deshalb nicht gleichzusetzen mit dem Ausspruch von Kündigungen (vgl. BAG 4. Juni 2003 – 10 AZR 586/02 – AP InsO § 209 Nr. 2 = EzA InsO § 209 Nr. 1, zu II 2b bb (4) der Gründe). Mit der Freistellung zieht der Unternehmer lediglich die Konsequenz aus der Einstellung der betrieblichen Tätigkeit. Er löst die betriebliche Organisation auf diese Weise nicht irreversibel auf.
cc) Mit der Stilllegung des Betriebs hat der Beklagte erst durch den Ausspruch der Kündigungen vom 24. Februar 2003 begonnen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er den Versuch eines Interessenausgleichs bereits in ausreichender Weise unternommen. Die angerufene Einigungsstelle hatte weitere Verhandlungen für endgültig gescheitert erklärt.
Unterschriften
Schmidt, Linsenmaier, Kreft, Federlin, I. Leising
Fundstellen
Haufe-Index 1512185 |
BAGE 2007, 246 |
BB 2006, 1692 |
DB 2006, 1907 |