Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer Sozialplanregelung
Normenkette
BetrVG § 112; SGB VI § 75 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 1. März 2000 – 7 Sa 836/99 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Abfindung nach einem Sozialplan.
Die am 1. September 1940 geborene Klägerin war seit 1975 bei der Beklagten beschäftigt. Ihr Bruttojahreseinkommen betrug 1996 ca. 34.000,00 DM. Seit dem 4. Februar 1997 war die Klägerin durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Auf ihren Antrag vom 1. Oktober 1997 wurde ihr mit Bescheid vom 25. März 1998 rückwirkend zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres bewilligt. Der monatliche Rentenzahlbetrag betrug ab Juli 1998 661,10 DM netto.
Aus Anlaß einer von der Beklagten beabsichtigten Betriebsstillegung verhandelten die Betriebsparteien über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. Der daraufhin abgeschlossene Sozialplan vom 16. Januar 1998 lautet ua. wie folgt:
“Zweckbestimmung
Der nachfolgende Sozialplan wird zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die Betriebsänderung gem. Interessenausgleich vom 16.01.1998 erleiden, geschlossen. Er berücksichtigt die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
1. Geltungsbereich
Dieser Sozialplan gilt für alle unter § 5 Abs. 1 BetrVG fallenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die von der Betriebsschließung betroffen sind. …
Der Sozialplan gilt unabhängig davon, ob das Arbeitsverhältnis vom Unternehmen betriebsbedingt gekündigt wird oder in gegenseitigem Einvernehmen endet, sofern die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Betriebsschließung verursacht worden ist.
Dieser Sozialplan umfaßt alle betriebsbedingten Kündigungen im Zeitraum von 20 Monaten nach Wirksamwerden dieser Vereinbarung.
2. Zumutbare Arbeitsplatzangebote
Soweit möglich, werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vergleichbare Arbeitsplätze bei der B… Feinkost GmbH & Co KG oder bei Unternehmen innerhalb des W…/B… Konzernverbundes angeboten. …
3. Nachteilsausgleich bei Annahme eines anderen Arbeitsplatzes im Konzern
…
4. Abfindung bei Verlust des Arbeitsplatzes
Jede/r aufgrund des Sozialplans anspruchsberechtigte Mitarbeiter/in, dem/der kein zumutbares Arbeitsplatzangebot gemäß § 2 dieser Vereinbarung gemacht werden kann, erhält eine Abfindung bei Verlust des Arbeitsplatzes …
Bruttomonatsverdienst ist die gesamte effektive Bruttovergütung… Sollten Mitarbeiter/innen im Kalenderjahr 1997 keinen durchgängigen Vergütungsanspruch gehabt haben, so ist der letzte voll vergütete 12-Monatszeitraum maßgeblich. Bruttomonatsverdienste unter 3.300,00 DM werden zur Ermittlung des Grundbetrages auf 3.300,00 DM angehoben. …
4.6. Regelungen für ältere Mitarbeiter/-innen
Aufgrund tariflicher oder gesetzlicher Regelungen bestehende Kündigungsfristen werden auch für ältere Mitarbeiter/-innen eingehalten.
Mitarbeiter/innen, die zum Zeitpunkt des Ausscheidens älter sind als 57 Jahre und 4 Monate erhalten zum Zeitpunkt des Ausscheidens eine Einmalzahlung als Abfindung, die sich wie folgt errechnet:
85 % des letzten Nettoentgeltes im Sinne Bruttomonatsverdienstes gemäß § 4.1. dieser Vereinbarung abzüglich Steuern und Sozialversicherungsanteil des/der Mitarbeiters/-in bis zur frühestmöglichen Inanspruchnahme von (vorzeitigem) Altersruhegeld abzüglich der für diese Zeit bestehenden Ansprüche auf Arbeitslosengeld, Sozialversicherungsrente und Ruhegeld zuzüglich eines Ausgleichsbetrages für Rentenabschläge.
Arbeitslosenhilfe wird nicht angerechnet.
Zum Ausgleich für Rentenabschläge erhalten Mitarbeiter/-innen, die mit Rentenabschlägen rechnen müssen, einen Einmalbetrag iHv. 15.000,00 DM zusätzlich.
…”
Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete durch betriebsbedingte Kündigung der Beklagten vom 28. Januar 1998 zum 30. September 1998. Daraufhin verlangte die Klägerin ohne Erfolg von der Beklagten die Zahlung einer Abfindung nach dem Sozialplan.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Arbeitsverhältnis habe durch betriebsbedingte Kündigung aus Anlaß der Betriebsstillegung geendet. Ihr stehe daher gemäß Nr. 4.6. des Sozialplans eine Einmalzahlung in Höhe von 64.867,68 DM zu. Das entspreche auch dem Zweck des Sozialplans, da ihr durch die Kündigung Nachteile in Bezug auf ihre Erwerbsunfähigkeitsrente entstanden seien.
Die Klägerin hat – soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung – beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 64.867,68 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Oktober 1998 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, die Klägerin sei nach der Zweckbestimmung des Sozialplans nicht anspruchsberechtigt. Im übrigen hätten die Betriebsparteien einen Abfindungsanspruch für den Fall einer Rentenbewilligung ausgeschlossen, wenn ihnen die Antragstellung der Klägerin bekannt gewesen wäre.
Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren zweitinstanzlichen Leistungsantrag weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung nach dem Sozialplan vom 16. Januar 1998. Der Sozialplan gilt für sie nicht.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Sozialpläne als Betriebsvereinbarungen besonderer Art wie Tarifverträge auszulegen. Abzustellen ist deshalb auf den Wortlaut der Betriebsvereinbarung über den Sozialplan sowie auf den Willen der Betriebsparteien und den beabsichtigten Sinn und Zweck der Regelung, soweit sie in den einzelnen Normen der Betriebsvereinbarung zum Ausdruck kommen. Darüber hinaus zu berücksichtigen ist der Gesamtzusammenhang der Regelungen, aus dem sich der wirkliche Wille der Betriebsparteien erschließt (BAG 5. Februar 1997 – 10 AZR 553/96 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 112 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 92, zu II 1 der Gründe). Subjektive Vorstellungen der Betriebsparteien, die im Sozialplan keinen Niederschlag gefunden haben, sind für die Auslegung unbeachtlich (vgl. BAG 11. Juni 1975 – 5 AZR 217/74 – BAGE 27, 187, zu I der Gründe; 23. Februar 1994 – 4 AZR 224/93 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Kirchen Nr. 2, zu 4b der Gründe). Deshalb ist allein die von der Beklagten behauptete Absicht der Betriebsparteien, für den Fall einer Rentengewährung vor Durchführung der Betriebsänderung einen Anspruch nach dem Sozialplan ausschließen zu wollen, kein Auslegungskriterium.
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts schließt der mit “Zweckbestimmung” bezeichnete Teil des Sozialplans für sich allein den von der Klägerin geltend gemachten Abfindungsanspruch noch nicht aus. Der den normativen Regelungen des Sozialplans vorangestellte Abschnitt zur Zweckbestimmung hat lediglich den Charakter einer Präambel. Eine solche enthält nicht zwingendes Recht. Sie dient vielmehr der Erläuterung der von den Betriebsparteien nachfolgend getroffenen Regelungen. Sie ist zwar für die Auslegung der einzelnen Sozialplanregelungen heranzuziehen, ein eigenständiger Regelungscharakter kommt ihr jedoch nicht zu (vgl. BAG 18. Oktober 2000 – 2 AZR 494/99 – zVv., zu B I 5a der Gründe; 5. Oktober 1999 – 3 AZR 230/98 – BAGE 92, 310, zu I der Gründe).
3. Die angefochtene Entscheidung erweist sich aber aus anderen Gründen als richtig, § 563 ZPO. Die Klägerin wird vom persönlichen Geltungsbereich des Sozialplans nicht erfaßt. Infolge ihrer Erwerbsunfähigkeit und dem darauf beruhenden Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bereits vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses war sie von der Betriebsstillegung nicht betroffen. Das haben die Betriebsparteien aber zur Voraussetzung für einen Abfindungsanspruch gemacht.
a) Nach Nr. 1 Abs. 2 und 3 gilt der Sozialplan, sofern die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Betriebsschließung verursacht worden ist. Er umfaßt alle betriebsbedingten Kündigungen innerhalb eines Zeitraums von 20 Monaten nach seinem Wirksamwerden. Allerdings gilt der Sozialplan nach der vorangestellten Nr. 1 Abs. 1 nur für solche Arbeitnehmer, die von der Betriebsschließung betroffen sind. Damit haben die Betriebsparteien nicht bereits ein formelles Betroffensein durch die bloße Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus Anlaß der Betriebsänderung für abfindungspflichtig gehalten. Vielmehr haben sie den Anspruch auf eine Abfindung an nachteilige Folgen des Arbeitsplatzverlustes geknüpft. Das folgt zum einen aus der Systematik des Sozialplans. Danach können nur diejenigen Mitarbeiter eine Abfindung erhalten, denen kein zumutbares Arbeitsplatzangebot gemäß Nr. 2 unterbreitet werden kann und bei denen deshalb wirtschaftliche Nachteile auftreten können. Ein solches Arbeitsplatzangebot setzt aber die grundsätzliche Fähigkeit zur Arbeitsleistung voraus. Zum anderen spricht die von den Betriebsparteien formulierte Zweckbestimmung des Sozialplans dafür, daß nur solche Arbeitnehmer anspruchsberechtigt sein sollen, für die der Verlust des Arbeitsplatzes durch die Betriebsänderung wirtschaftlich nachteilig ist. Das entspricht auch der gesetzlichen Funktion des Sozialplans, wirtschaftliche Nachteile der Arbeitnehmer aus Anlaß der Betriebsänderung zu mildern oder auszugleichen (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG).
Diesem Auslegungsergebnis steht Nr. 1 Abs. 2 des Sozialplans nicht entgegen. Danach gilt der Sozialplan unabhängig davon, ob ein Arbeitsverhältnis durch betriebsbedingte Kündigung oder in gegenseitigem Einvernehmen endet, sofern die Beendigung durch die Betriebsschließung verursacht worden ist. Dieser Teilsatz erweitert nicht den persönlichen Geltungsbereich des Sozialplans. Er normiert lediglich den vom Sozialplan erfaßten Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Auch die Bestimmung zur Anrechnung von Sozialrenten auf den Abfindungsanspruch in Nr. 4.6 Abs. 3 des Sozialplans steht dazu nicht in Widerspruch. Mit dieser Anrechnungsregelung sollte einem erst nach der Entlassung einsetzenden dauerhaften oder zeitweiligen Rentenbezug ua. wegen verminderter Erwerbsfähigkeit Rechnung getragen werden.
b) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin durch die betriebsbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Folge der Betriebsänderung keine Nachteile erlitten. Infolge ihrer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit kam der Vollzug des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in Betracht. Einen wirtschaftlichen Wert hatte das Arbeitsverhältnis für die Klägerin nicht mehr. Auf die Höhe der Erwerbsunfähigkeitsrente hat die betriebsbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Einfluß. Für die Höhe der Rente ist die Erwerbsbiographie der Klägerin vor Eintritt des Versicherungsfalls maßgeblich. Nach Eintritt des Versicherungsfalls der Erwerbsunfähigkeit konnte sich ihre Erwerbsunfähigkeitsrente wegen § 75 Abs. 1 SGB VI nicht mehr erhöhen. Nach dieser Vorschrift wirken sich Beitragszeiten und sonstige rentenrechtliche Zeiten nach Eintritt des Versicherungsfalls auf die laufende Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht aus. Sie können erst bei einem künftigen Versicherungsfall berücksichtigt werden. Entgegen der Auffassung der Klägerin hätte auch eine höhere Rente wegen Alters nicht das lediglich förmliche Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, sondern eine tatsächliche Beitragsleistung durch Erwerbsarbeit vorausgesetzt. Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin nach Eintritt des Versicherungsfalls der Erwerbsunfähigkeit vor oder nach der Betriebsänderung überhaupt noch in bestimmtem Umfange leistungsfähig gewesen wäre, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Unterschriften
Wißmann, Hauck, Schmidt, Kehrmann, Metz
Fundstellen