Entscheidungsstichwort (Thema)
BMT-G-O. räumlicher Geltungsbereich
Normenkette
Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BMT-G-O) vom 10. Dezember 1990 § 1 Abs. 1 Buchst. a
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 18.08.1993; Aktenzeichen 60 Ca 11250/93) |
Tenor
1. Auf die Sprungrevision des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. August 1993 – 60 Ca 11250/93 – aufgehoben.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob auf ihr Arbeitsverhältnis der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe vom 31. Januar 1962 (BMT-G II) oder der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BMT-G-O) vom 10, Dezember 1990 Anwendung findet. Der Kläger ist Kranfahrer im Hafen- und Lagerbetrieb des beklagten Landes (BEHALA) und Mitglied der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), die ebenso wie das beklagte Land Partei beider Tarifverträge ist.
Der Kläger arbeitete seit dem 10. April 1980 bei dem früheren VEB BEHALA im Osthafen im ehemaligen Berlin-Ost. Am 1. Juli 1991 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag auf unbestimmte Zeit. Am 1. Januar 1992 fand die Zusammenführung des früheren VEB BEHALA mit der BEHALA statt. Die personelle Leitung der BEHALA befindet, sich im Westteil von Berlin. Der Kläger wird im Osthafen eingesetzt und befindet sich als Personalratsmitglied zweimal monatlich in der Zentrale. Die Beklagte wendet auf das Arbeitsverhältnis des Klägers den BMT-G-O an.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, auf sein Arbeitsverhältnis sei der BMT-G II anzuwenden, der – unstreitig – günstigere Arbeitsbedingungen enthält als der BMT-G-O.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß für das Beschäftigungsverhältnis zwischen den Parteien seit dem 1. Januar 1992 der BMT-G II sowie die diesen Tarifvertrag ergänzenden und ändernden Tarifverträge gelten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, der BMT-G-O sei anzuwenden, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers im Beitrittsgebiet begründet sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und auf Antrag der Beklagten die Sprungrevision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision hat Erfolg. Sie führt zur Klageabweisung.
I. Das Arbeitsgericht hat angenommen, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finde der BMT-G II Anwendung, weil es nicht gemäß § 1 Abs. 1 Buchst. a BMT-G-O im Beitrittsgebiet begründet sei. Im Beitrittsgebiet begründet seien nur Arbeitsverhältnisse, die in diesem Gebiet ihren rechtlichen Mittelpunkt hätten. Dieser befinde sich jedoch für das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht in Berlin-Ost, sondern in Berlin-West, weil die Dienststelle des Klägers dort ihren Sitz habe.
Diese Ausführungen des Arbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
II. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der BMT-G-O Anwendung.
Gemäß § 1 Abs. 1 Buchst. a BMT-G-O gilt dieser Tarifvertrag für Arbeitnehmer, die in einer der Rentenversicherung der Arbeiter unterliegenden Beschäftigung tätig sind und deren Arbeitsverhältnisse in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (künftig: Beitrittsgebiet) begründet sind. Beide Voraussetzungen erfüllt das Arbeitsverhältnis des Klägers.
1. Der Kläger fällt unter den persönlichen Geltungsbereich des BMT-G-O. Er wird aufgrund des auf unbestimmte Zeit geschlossenen Arbeitsvertrags vom 1. Juli 1991 als Arbeiter der Beklagten in einer arbeiterrentenversicherungspflichtigen Tätigkeit beschäftigt,
2. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch im Beitrittsgebiet begründet und unterliegt damit dem räumlichen Geltungsbereich des BMT-G-O, weil der Kläger für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt worden ist und dort auf unbestimmte Zeit beschäftigt wird.
a) Die Tarifparteien haben für die Geltung des BMT-G-O darauf abgestellt, daß die Arbeitsverhältnisse „in dem in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet begründet sind”. Wann dies der Fall ist, ist durch Auslegung zu ermitteln.
aa) Der erkennende Senat hat ohne nähere Begründung und nicht tragend diese Voraussetzung für ein Arbeitsverhältnis bejaht, das vor der deutschen Einheit zur Post der ehemaligen DDR begründet worden und gemäß Art. 13 Abs. 2 Einigungsvertrag auf die dortige Beklagte überführt worden war (BAG Urteil vom 30. Juli 1992 – 6 AZR 11/92 – AP Nr. 1 zu § 1 TV Ang Bundespost. auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).
Im Beitrittsgebiet begründet ist ein Arbeitsverhältnis jedoch nicht nur dann, wenn es bereits vor der deutschen Einheit bestand. Dies folgt daraus, daß § 1 Abs. 1 BMT-G-O ausdrücklich auf das „in Art. 3 des Einigungsvertrags genannte Gebiet” und nicht etwa auf das Gebiet der ehemaligen DDR abstellt. Aber auch aus dem übrigen Tarifwortlaut („deren Arbeitsverhältnisse … begründet sind”) ist zu entnehmen, daß es nicht darauf ankommt, in welchem Zeitpunkt der Vergangenheit das Arbeitsverhältnis errichtet wurde und ob dieser vor oder nach der deutschen Einheit lag. Der Anwendung des BMT-G-O steht somit nicht entgegen, daß das Arbeitsverhältnis nach dem Tag der deutschen Einheit, dem 3. Oktober 1990, geschlossen wurde. Das Arbeitsverhältnis des Klägers erfüllt beide Voraussetzungen. Es bestand bereits vor der deutschen Einheit. Außerdem schlossen die Parteien nach diesem Zeitpunkt den neuen Arbeitsvertrag vom 1. Juli 1991.
bb) Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist im Beitrittsgebiet begründet, weil es einen räumlichen Bezug zum Beitrittsgebiet aufweist, der gegenwärtig noch vorhanden ist.
Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet „begründet ist”, daß der Grund für etwas gelegt wird (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1980). Kommt es aber darauf an, daß das Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet seinen Grund hat, dann kommt diesem Gebiet für die Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs des BMT-G-O schon vom Tarifwortlaut her entscheidende Bedeutung zu. Dem BMT-G-O unterfallende Arbeitsverhältnisse sind somit dadurch gekennzeichnet, daß sie einen räumlichen Bezug zum Beitrittsgebiet aufweisen, wobei dieser, wie sich aus der von den Tarifparteien gewählten Gegenwartsform ergibt, gegenwärtig noch fortbestehen muß. Damit kommt entscheidend in Betracht, ob der Grund der Entstehung des Arbeitsverhältnisses im Beitrittsgebiet liegt und ob das Arbeitsverhältnis dort gegenwärtig durchgeführt wird, ob der Arbeitnehmer also ständig im Beitrittsgebiet beschäftigt wird. Beides trifft für das Arbeitsverhältnis des Klägers zu.
Nach den bindenden Feststellungen des Arbeitsgerichts war der Kläger seit dem 10. April 1980 bei dem früheren VEB BEHALA im Osthafen im ehemaligen Berlin-Ost beschäftigt. Am 1. Juli 1991 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag auf unbestimmte Zeit. Der dadurch begründete Bezug seines Arbeitsverhältnisses zum Beitrittsgebiet ist auch gegenwärtig noch vorhanden, weil der Kläger nach wie vor ständig im Osthafen arbeitet.
b) Zu Unrecht will das Arbeitsgericht auf das Arbeitsverhältnis den BMT-G II anwenden, weil sich die Dienststellenleitung der BEHALA und deren Personalrat, dem der Kläger angehört, im Westteil von Berlin befindet und somit die Arbeitsplätze im Osthafen keine eigene Dienststelle bildeten.
Diese Betrachtungsweise verkennt Sinn und Zweck der Regelung des § 1 Abs. 1 BMT-G-O. Ausgangspunkt dieser Regelung ist, daß der BMT-G II nur in den alten Bundesländern gilt. Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 der Anlage I zum Einigungsvertrag hat die Erstreckung tariflicher Arbeitsbedingungen auf das Beitrittsgebiet von einer ausdrücklichen – bisher für den BMT-G II nicht getroffenen – Vereinbarung der Tarifparteien abhängig gemacht. Dadurch wurde den Tarifparteien die Möglichkeit eröffnet, durch vorübergehende unterschiedliche Tarifregelungen den unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen in den alten und den neuen Bundesländern Rechnung zu tragen. Von dieser Möglichkeit haben die Tarifparteien des BMT-G-O Gebrauch gemacht. Bezwecken dessen Regelungen somit, den besonderen wirtschaftlichen Verhältnissen im Beitrittsgebiet bis zur vollen Übernahme der Arbeitsbedingungen des BMT-G II Rechnung zu tragen, so kann für die Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs des BMT-G-O nicht auf den Sitz der Dienststelle, sondern nur auf die Lage des Arbeitsplatzes als der Stelle, an der die Arbeit auf Dauer zu leisten ist, abgestellt werden. Da der Arbeitsvertrag des Klägers keine zeitliche Begrenzung der Tätigkeit im Osthafen enthält, hat der Kläger die Arbeit auf Dauer im Beitrittsgebiet zu leisten.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Bengs, Elias
Fundstellen