Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Lohnfortzahlung ohne Freistellung nach dem AWbG
Normenkette
AWbG § 7 S. 1; BGB § 133
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 15.12.1992; Aktenzeichen 9 (4) Sa 560/92) |
ArbG Köln (Urteil vom 04.03.1992; Aktenzeichen 15/1 Ca 8987/91) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 15. Dezember 1992 – 9 (4) Sa 560/92 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 4. März 1992 – 15/1 Ca 8987/91 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Lohnfortzahlungsanspruch des Klägers nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (AWbG).
Der Kläger wird seit 1953 als Glasschneider bei der Beklagten beschäftigt. Er ist seit 1972 Mitglied des Betriebsrates im Werk Köln-Porz der Beklagten. Mit Schreiben vom 15. Oktober 1991 beantragte er bei der Beklagten die Freistellung von der Arbeit vom 2. Dezember 1991 bis 6. Dezember 1991 für die Teilnahme an einem Seminar zum Thema „Einführung in die Bio- und Gentechnologie”.
Die Beklagte äußerte sich am 27. November 1991:
„wir nehmen Ihren Antrag und unsere zwischenzeitlich mündliche Ablehnung Ihres Antrages sowie die Notiz des Betriebsrates vom 6.11.1991 zu folgender Stellungnahme zum Anlaß:
Nach ausführlicher Beratung durch unseren Arbeitgeberverband, den Verein der Glasindustrie, wiederholen wir die bereits mündlich vorgetragenen Bedenken gegen die Anwendung des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes NRW für den von Ihnen beantragten Lehrgang „Bio- und Gentechnologie”, der vom 2.12. – 6.12.91 stattfindet. Unsere Bedenken bestehen weiterhin darin, daß sich die Teilnahme an diesem Lehrgang auf Ihren Beruf oder ihre berufliche Tätigkeit nicht unmittelbar fördernd auswirkt. Um Ihnen jedoch die Teilnahme an diesem Lehrgang zu ermöglichen, stellen wir Sie ohne Anspruch auf Lohnfortzahlung bzw. Erstattung des Lohnausfalles für die Zeit vom 2.12. – 6.12.1991 von der Arbeit frei.”
Daraufhin nahm der Kläger an der Veranstaltung teil. Die Beklagte weigerte sich in der Folgezeit, den Lohn für die Dauer der Veranstaltung fortzuzahlen.
Mit der am 2. Januar 1992 erhobenen Klage hat der Kläger seinen Verdienstausfall geltend gemacht und beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 837,20 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 2. Januar 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin das Ziel der Klageabweisung. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet, da dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Lohnfortzahlung für die Zeit vom 2. Dezember bis 6. Dezember 1991 zusteht.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts gem. § 7 AWbG, weil die Beklagte ihn nicht zum Zweck der beruflichen und politischen Weiterbildung für die von ihm besuchte Veranstaltung von der Arbeit freigestellt hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (Senatsurteile vom 11. Mai 1993 – 9 AZR 231/89 – EzA § 7 AWbG NW Nr. 9, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; vom 21. September 1993 – 9 AZR 429/91 – BB 1993. 2531, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; vom 19. Oktober 1993 – 9 AZR 442/90 –, nicht veröffentlicht und 7. Dezember 1993 – 9 AZR 325/92 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) erfolgt die Arbeitnehmerweiterbildung nach § 1 Abs. 1 AWbG durch die Freistellung von der Arbeit. Das AWbG gewährt dem Arbeitnehmer einen gesetzlich bedingten Freistellungsanspruch, kein Selbstbeurlaubungsrecht. Der Lohnfortzahlungsanspruch kann nur entstehen, wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Erfüllung seines Anspruchs auf Freistellung nach dem AWbG nachgekommen ist. Weigert sich der Arbeitgeber, die Erfüllungshandlung vorzunehmen, d. h. die Freistellungserklärung abzugeben, kann der Arbeitnehmer versuchen, diesen Anspruch gerichtlich durchzusetzen (Senatsurteil vom 11. Mai 1993 – 9 AZR 231/89 – aaO; Senatsurteile vom 21. September 1993 – 9 AZR 335/91 – BB 1993, 2531 und – 9 AZR 429/91 – aaO).
2. Eine bindende Feststellung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe den Kläger nach dem AWbG vom 2. Dezember bis 6. Dezember 1991 zur Teilnahme an der Bildungsveranstaltung von der Arbeit freigestellt, liegt nicht vor. Das Berufungsgericht hat nur verkürzend den Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 27. November 1991 wiedergegeben.
3. Ob der Arbeitgeber die Freistellung von der Arbeit nach dem AWbG für die Weiterbildungsveranstaltung in dem Schreiben vom 27. November 1991 erklärt hat, bedarf der Auslegung aus der Sicht des Erklärungsempfängers (§ 133 BGB). Muß der Arbeitnehmer die Erklärung als Freistellung zum Zwecke der Arbeitnehmerweiterbildung verstehen, hat der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 1, § 7 Satz 1 AWbG das Arbeitsentgelt für die Dauer der besuchten Veranstaltung fortzuzahlen. Es ist dann unerheblich, daß der Arbeitgeber bei Abgabe der Freistellungserklärung keinen Verpflichtungswillen für die Lohnfortzahlung hatte (vgl. Senatsurteil vom 9. November 1993 – 9 AZR 306/89 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Im Streitfall konnte der Kläger den Inhalt des Schreibens vom 27. November 1991 nicht als Freistellung von der Arbeit zum Zwecke der Arbeitnehmerweiterbildung i.S.v. § 1 Abs. 1 AWbG verstehen. Bereits im Einleitungssatz hat die Beklagte auf ihre zuvor mündlich erteilte Ablehnung des Freistellungsantrages Bezug genommen. In der folgenden Erläuterung wiederholt sie ihre Bedenken gegen die inhaltliche Ausrichtung der Bildungsveranstaltung. Sie weist darauf hin, daß nach ihrer Auffassung nur dann eine berufliche Weiterbildungsveranstaltung den Anforderungen des AWbG genüge, wenn sie sich auf die berufliche Tätigkeit des Klägers unmittelbar fördernd auswirke. Aufgrund der vorausgegangenen mündlichen Ablehnung und der schriftlich wiederholten Bedenken mußte der Kläger erkennen, daß die Beklagte ihm nicht Freistellung auf der Grundlage des AWbG gewähren wollte. Die von der Beklagten im letzten Satz ihres Schreibens abgegebene Freistellungserklärung bezog sich deshalb für den Kläger erkennbar auf eine Freistellung außerhalb des AWbG. Damit ist eine Tatbestandsvoraussetzung des in § 7 Satz 1 AWbG geregelten Lohnfortzahlungsanspruchs nicht erfüllt.
4. Es kann offenbleiben, wie die Erklärung der Beklagten zu verstehen ist, sie stelle den Kläger ohne Anspruch auf Lohnfortzahlung für die Zeit vom 2. Dezember bis 6. Dezember 1991 von der Arbeit frei. Auch wenn sie als Angebot auf unbezahlten Sonderurlaub verstanden werden muß oder die Beklagte rechtsirrig der Auffassung war, sie könne den Arbeitnehmer ohne Rechtsgrundlage einseitig von der Arbeit freistellen, fehlt es an einer Anspruchsgrundlage für die Fortzahlung des Lohnes.
5. Der Kläger hat keinen Schadenersatzanspruch auf Zahlung einer Geldsumme nach den §§ 280 Abs. 1, 284 Abs. 1, 287 Satz 2, 251 BGB wegen zu Unrecht verweigerter Erfüllung des Freistellungsanspruchs.
Der im Jahr 1991 entstandene Anspruch des Klägers auf Freistellung nach dem AWbG ist zwar durch Zeitablauf am Ende des Kalenderjahres 1991 untergegangen, so daß ein Schadenersatzanspruch entstanden wäre, wenn die Beklagte zu Unrecht die Freistellung verweigert hätte.
Ein Schadenersatzanspruch des Klägers wäre jedoch nach § 249 BGB auf die Wiederherstellung des Zustands gerichtet, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Die Wiederherstellung besteht in der (künftigen) Freistellung des Arbeitnehmers für die Teilnahme an einer Arbeitnehmerweiterbildungsveranstaltung. Ein Schadenersatz in Form einer Geldentschädigung ist gem. § 251 BGB erst statthaft, wenn die Freistellung z. B. wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist (ständige Rechtsprechung des Senats Urteil vom 21. September 1993 – 9 AZR 429/91 – und vom 7. Dezember 1993 – 9 AZR 325/92 – aaO).
II. Der vollständig unterlegene Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits entsprechend § 91 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Dr. Leinemann, Dörner, Düwell, Dr. Weiss, Mache
Fundstellen