Entscheidungsstichwort (Thema)
Ortszuschlag eines mehrfach geschiedenen Angestellten
Leitsatz (redaktionell)
Der mehrfach geschiedene Angestellte hat Anspruch auf Zahlung des Ortszuschlags der Stufe 2 nach § 29 B Abs 2 Nr 3 BAT nur dann, wenn er seiner früheren Ehefrau aus der letzten Ehe zum Unterhalt verpflichtet ist. Eine bestehende Unterhaltsverpflichtung gegenüber einer geschiedenen Ehefrau aus einer früheren Ehe genügt nicht den tariflichen Voraussetzungen.
Normenkette
BAT § 29; BBesG §§ 1, 40; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Berlin (Entscheidung vom 19.03.1985; Aktenzeichen 3 Sa 1/85) |
ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.11.1984; Aktenzeichen 17 Ca 89/84) |
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe des Ortszuschlags nach § 29 BAT.
Der Kläger ist seit dem 1. Juli 1969 beim beklagten Land beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) als Vertragsrecht Anwendung. Der Kläger erhält Vergütung nach Vergütungsgruppe I b der Anlage 1 a zum BAT.
Der Kläger war zweimal verheiratet. Beide Ehen sind geschieden. Der Kläger ist seiner ersten geschiedenen Ehefrau zum Unterhalt verpflichtet. Gegenüber seiner weiteren geschiedenen Ehefrau besteht diese Verpflichtung nicht. Aus der ersten Ehe des Klägers ist eine am 6. Januar 1965 geborene Tochter hervorgegangen. Diese bezog am 1. Juli 1983 eine eigene Wohnung. Seit dem 1. Juni 1984 ist sie in der Wohnung des Klägers mit Hauptwohnsitz gemeldet. Der Kläger leistete seiner Tochter wie seiner ersten Ehefrau laufend Unterhalt.
Der Kläger erhielt in der Zeit vom 1. November 1983 bis 31. Mai 1984 Ortszuschlag nach der Stufe 1. Davor und danach bekam er Ortszuschlag wenigstens nach der Stufe 2.
Er hat gemeint, ihm stehe auch für die Zeit vom November 1983 bis Mai 1984 der Ortszuschlag der Stufe 2 zu. Sein Anspruch folge sowohl aus § 29 B Abs. 2 Nr. 3 BAT als auch aus § 29 B Abs. 2 Nr. 4 BAT. Zu letzterer Vorschrift hat er behauptet, er habe seine Tochter in der Zeit vom 1. Juli 1983 bis 31. Mai 1984 anderweitig zur ungestörten Vorbereitung auf das Abitur (bestanden im Dezember 1983) untergebracht. Sie habe bei ihm die Wochenenden und die Ferien zugebracht. Die häusliche Verbindung sei daher aufrechterhalten geblieben.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn
893,10 DM brutto zu zahlen.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Kläger habe nach § 29 B Abs. 2 Nr. 3 und 4 BAT keinen Anspruch auf Ortszuschlag nach der Stufe 2. Es hat die Angaben des Klägers zur Aufnahme seiner Tochter zunächst mit Nichtwissen bestritten und schließlich behauptet, die Tochter des Klägers sei am 1. Juli 1983 aus dem mütterlichen Haushalt ausgezogen. Seit dem 1. Juni 1984 habe sie ihre alte Wohnung als Nebenwohnsitz beibehalten.
Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verlangt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung, während das beklagte Land um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, für die Klageforderung fehle es an einer Anspruchsgrundlage. Es könne offen bleiben, ob § 29 B Abs. 2 Nr. 3 BAT nach seinem Wortlaut nur die Berücksichtigung der letzten Ehe zulasse. Immerhin spreche dafür, daß die Berücksichtigung weiterer davor liegender Ehen sprachlich besser dahin zu formulieren gewesen wäre, daß von Unterhaltsverpflichtungen aus einer Ehe hätte gesprochen werden müssen. Entscheidend sei jedoch, daß die durch den 49. Änderungstarifvertrag vom 17. Mai 1982 eingeführte eigenständige tarifliche Regelung des § 29 BAT deckungsgleich mit den bis dahin durch Bezugnahme geltenden beamtenrechtlichen Vorschriften sei. Materiell sei eine Änderung gegenüber den vor dem 1. Mai 1982 geltenden Bestimmungen durch die Neufassung des § 29 BAT nicht eingetreten. So müsse davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien an dem bis dahin maßgebenden Regelungen sowie der entsprechenden Handhabung im Beamtenrecht hätten festhalten wollen. Begrifflich müsse daher davon ausgegangen werden, daß ein Ortszuschlag der Stufe 2 u.a. nur bei einer Unterhaltsverpflichtung aus der letzten geschiedenen Ehe zu leisten sei. Auf § 29 B Abs. 2 Nr. 4 BAT habe der Kläger im zweiten Rechtszug seine Forderung nicht mehr gestützt. Diese Vorschrift setze im übrigen voraus, daß entweder eine Wohnungsaufnahme vorliege oder bei Kindern eine anderweitige Unterbringung auf Kosten des Angestellten ohne Aufhebung der häuslichen Verbindung gegeben sei. Nach dem zuletzt unbestritten gebliebenen Vortrag des Beklagten sei das bei der Tochter des Klägers nicht der Fall gewesen.
II. Dieser Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis, jedoch nicht in allen Teilen der Begründung zuzustimmen.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ortszuschlag der Stufe 2 nach § 29 B Abs. 2 Nr. 3 BAT, der bestimmt, daß geschiedene Angestellte und Angestellte, deren Ehe aufgehoben oder für nichtig erklärt ist, zur Stufe 2 gehören, wenn sie aus der Ehe zum Unterhalt verpflichtet sind. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllt, indem er nur seiner geschiedenen Ehefrau aus der ersten Ehe zum Unterhalt verpflichtet ist, nicht aber seiner ehemaligen Ehefrau aus der zweiten geschiedenen Ehe. Das ergibt die Auslegung der Tarifnorm. Bei der Tarifauslegung ist entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung zunächst vom Wortlaut auszugehen. Über den reinen Wortlaut hinaus ist jedoch der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Dabei ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der schon deswegen mitberücksichtigt werden muß, weil häufig nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann (BAG Urteil vom 24. September 1986 - 4 AZR 400/85 - AP Nr. 2 zu § 2 BAT; BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung, m. w. N.).
a) Der Wortlaut der Tarifnorm ist entgegen der Auffassung des beklagten Landes nicht eindeutig. Er läßt sowohl die Interpretation zu, es müsse eine Unterhaltsverpflichtung aus der letzten Ehe bestehen, wie die Auslegung, es genüge eine Unterhaltsverpflichtung aus irgendeiner Ehe.
b) Die Geschichte der Tarifnorm läßt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keinen eindeutigen Schluß darauf zu, die Tarifvertragsparteien hätten lediglich an eine Unterhaltsverpflichtung aus der letzten Ehe gedacht. Zwar verwies § 29 BAT bis zur Neufassung durch den 49. Änderungstarifvertrag auf das Beamtenrecht des Arbeitgebers und damit gem. § 1 BBesG auch für Arbeitnehmer des Landes Berlin auf § 40 BBesG. Dieser enthielt zu der Zeit den Wortlaut, der mit dem 49. Änderungstarifvertrag in § 29 BAT übernommen worden ist. Aus der wörtlichen Übernahme des § 40 BBesG in den Bundes-Angestelltentarifvertrag und der zusätzlichen Erklärung der Tarifvertragsparteien vom 10./17. Mai 1982, die Verwaltungsvorschriften zu den am 31. Dezember 1981 geltenden Ortszuschlagsvorschriften des BBesG entsprechend anzuwenden, ist zu folgern, daß die Tarifvertragsparteien bisheriges Tarifrecht festschreiben wollten, d. h. eine materielle Veränderung nicht eintreten sollte (BAGE 45, 36 = AP Nr. 3 zu § 29 BAT; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand Mai 1987, § 29 Anm. 2). Doch zum damaligen Zeitpunkt enthielt die zu § 40 BBesG erlassene Verwaltungsvorschrift (BBesGVwV) vom 23. November 1979 (GMBl. 1980, S. 3) zum Tatbestandsmerkmal "aus der Ehe" in Nr. 40.2.1 keinen Hinweis auf eine Interpretation im Sinne "aus der letzten Ehe". Auch die unter Nr. 40.2.3 Verwaltungsvorschrift genannten Voraussetzungen sind entgegen der Auffassung des beklagten Landes mit der Wiederverheiratung des Klägers nicht gegeben, weil seine Unterhaltsverpflichtung aus der ersten Ehe nicht erloschen ist. Erstmals das Rundschreiben des Bundesministers des Inneren vom 1. September 1982 (D II 4-221 400/5, zitiert bei Uttlinger/Breier/Kiefer, BAT, Stand 1. April 1986, S. 158.21 unten) enthält den Hinweis, daß nach seiner Auffassung lediglich die Unterhaltsverpflichtung der letzten Ehe maßgeblich sei. Ungeachtet dessen, inwieweit derartige Äußerungen Auslegungshilfen darstellen können (zur Verbindlichkeit der Verwaltungsvorschriften vgl. BAGE 45, 36, aa0), läßt sich aus der Geschichte der Tarifnorm somit der vom Berufungsgericht gezogene Schluß nicht rechtfertigen.
c) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung rechtfertigt sich allerdings unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der der Höhe nach differenzierten Ortszuschlagsregeln. Wenn sich auch der Zweck des Ortszuschlags von einem Wohnungsgeldzuschuß in einen Aufwendungsausgleich unter Berücksichtigung von dienstlicher Stellung und Familienverhältnissen gewandelt hat (BVerfGE 49, 260; BAGE 45, 36, aaO), so hat er doch nicht die Funktion eines allgemeinen Ausgleichs für aus dem Familienrecht entstandenen Belastungen des Angestellten, wie das beklagte Land in der Revision zutreffend ausgeführt hat. Das wird am Beispiel des Klägers vor seiner erneuten Scheidung deutlich. Zu jener Zeit war er seiner geschiedenen Ehefrau und seiner Tochter aus erster Ehe und seiner damaligen Ehefrau zum Unterhalt verpflichtet, also insgesamt drei Personen. Dennoch erhielt er Ortszuschlag nach der Stufe 2, nicht etwa der Stufe 3, den er bei Unterhaltsverpflichtungen bei einer Ehefrau und zwei Kindern (ebenfalls drei Personen) erhalten hätte. Eine Kumulation verschiedener Unterhaltsverpflichtungen findet also nicht statt. Vielmehr wird an den jeweiligen Familienstand des Arbeitnehmers angeknüpft, wenn seine Ortszuschlagsansprüche festgestellt werden. Die aktuelle Anspruchsgrundlage verdrängt die vorherige, im Fall des Klägers verdrängte die Anspruchsgrundlage § 29 B Abs. 2 Nr. 1 BAT mit der Wiederverheiratung die bis dahin bestehende Anspruchsgrundlage § 29 B Abs. 2 Nr. 3 BAT. Wird der Angestellte erneut geschieden, so lebt der alte Status (status quo ante) nicht wieder auf (so auch BAGE 37, 73 = AP Nr. 1 zu § 29 BAT zum Wiederaufleben eines Anspruchs auf Ortszuschlag aus der Stichtagsklausel des § 104 Abs. 3 BeamtenVG).
d) Die Bestimmungen des § 29 B Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BAT verstoßen entgegen der Auffassung der Revision nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Zum wortgleichen § 40 BBesG hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 49, 260) ausgeführt, der Gesetzgeber habe im Besoldungsrecht weitgehende Gestaltungsfreiheit, deren Grenzen erst dann überschritten würden, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebener oder sonstwie einleuchtender Grund für eine Differenzierung nicht finden lasse. Jede Lösung der Aufgabe, die Zuordnung zu den Stufen des Ortszuschlags entsprechend seiner besonderen Ausgleichsfunktion systemgerecht zu regeln, könne zwangsläufig unvollkommen sein und bringe in der Abgrenzung Härten mit sich. Solche Mängel müßten in Kauf genommen werden, solange sich für die Regelung plausible, sachlich vertretbare Gründe anführen ließen. Für das Tarifrecht gilt nichts Abweichendes. Sachliche Gründe sind im Streitfall gegeben. Es ist sachlich gerechtfertigt, den zunächst verheirateten und dann geschiedenen Angestellten, der Unterhaltsverpflichtungen behalten hat, anders zu beurteilen als den geschiedenen Angestellten ohne Unterhaltsverpflichtungen. Es ist weiter sachlich nicht zu beanstanden, den mit Unterhaltsverpflichtungen geschiedenen Angestellten dem wiederverheirateten Angestellten gleichzustellen, andererseits aber zwischen diesem und dem nochmals Geschiedenen wieder zu differenzieren und eine Kumulierung der Unterhaltsansprüche gegenüber den diversen Ehefrauen sich nicht auf den Ortszuschlag auswirken zu lassen, sondern nur an die Unterhaltsverpflichtung gegenüber der letzten Ehefrau anzuknüpfen. Es ist ein legitimes Interesse, gerade der Tarifvertragspartei "öffentliche Arbeitgeber", der seine Mitarbeiter nicht aus erwirtschafteten Gewinnen, sondern aus Steuergeldern vergütet, die soziale Ausgleichsfunktion des Ortszuschlags nicht beliebig vervielfältigbar machen zu lassen. Hat sich ein geschiedener, Unterhalt gewährender Angestellter wie der Kläger entschieden, erneut zu heiraten und damit eine zweite Unterhaltsverpflichtung einzugehen, so sind die Tarifvertragsparteien nicht gehalten, die dadurch entstandenen weiteren Unterhaltsverpflichtungen durch eine Erhöhung des Ortszuschlags z.B. auf Stufe 3 zu honorieren. Dasselbe gilt für den Fall der zweiten Scheidung. Verpflichtet sich der Angestellte, auch dieser Ehefrau Unterhalt zu gewähren, gibt es keine Erhöhung des Ortszuschlags, sondern es verbleibt beim Ortszuschlag der Stufe 2, obwohl die tatsächliche Belastung wesentlich höher bleibt. Es ist weiter vertretbar, es bei dieser Situation nicht zu belassen, wenn die Unterhaltsverpflichtung wie im Fall des Klägers gegenüber der zweiten Ehefrau wegfällt. Wenn der Kläger dabei im Ergebnis so behandelt wird, als wäre er ledig oder nur einmal ohne Unterhaltsverpflichtung geschieden, so gehört das zu den sich aus der Pauschalierung ergebenden Härten, die unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten hingenommen werden können.
2. Der Kläger kann seinen Anspruch nicht aus § 29 B Abs. 2 Nr. 4 BAT herleiten. Denn das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß das Tarifmerkmal der anderweitigen Unterbringung auf Kosten des Angestellten ohne Aufhebung der häuslichen Verbindung nicht gegeben ist. Eine zulässige Verfahrensrüge hat der Kläger im Revisionsverfahren nicht erhoben; insbesondere genügt das Vorbringen in der Revisionsbegründungsschrift nicht den Anforderungen des § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Röhsler Dörner
zugleich für den durch Urlaub
an der Unterschriftsleistung
verhinderten Richter
Dr. Jobs
Fürbeth Spiegelhalter
Fundstellen
BAGE 55, 374-379 (LT1) |
BAGE, 374 |
JR 1988, 176 |
RdA 1987, 382 |
ZTR 1987, 307-308 (LT) |
AP § 29 BAT (LT1), Nr 5 |
AR-Blattei, Öffentlicher Dienst Entsch 336 (LT1) |
EzBAT § 29 BAT, Nr 5 (LT1) |
PersV 1991, 237 (K) |