Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Altersversorgung. hier: Auslegung eines Haustarifvertrags mit Verweisung auf die Manteltarifverträge des öffentlichen Dienstes
Orientierungssatz
- Wird in einem Haustarifvertrag auf die Manteltarifverträge des öffentlichen Dienstes “in der jeweiligen Fassung” verwiesen, so handelt es sich um eine dynamische Verweisung, die künftige Änderungen der in Bezug genommenen Tarifverträge mit einschließt.
- Es war nicht darüber zu befinden, ob auch überraschende tarifliche Entwicklungen von einer Blankettverweisung gedeckt sind.
- Stand im Zeitpunkt des erstmaligen Abschlusses des Haustarifvertrags infolge einer entsprechenden Tarifänderung für den öffentlichen Dienst die Einführung einer Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst bereits fest, so handelt es sich nicht um eine “überraschende” tarifliche Entwicklung.
Normenkette
Haustarifverträge des Arbeitgebers mit Verweisung auf
Verfahrensgang
LAG Brandenburg (Urteil vom 08.10.2004; Aktenzeichen 5 Sa 618/03) |
ArbG Neuruppin (Urteil vom 29.10.2003; Aktenzeichen 6 Ca 1717/03) |
Tenor
- Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 8. Oktober 2004 – 5 Sa 618/03 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger im Versorgungsfall Versorgungsleistungen zu verschaffen.
Der am 7. April 1968 geborene Kläger ist seit dem 1. September 1984 bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt, zuletzt als Busfahrer und Koordinator. Er ist seit dem 1. Januar 1991 Mitglied der ÖTV bzw. ihrer Rechtsnachfolgerin, der Gewerkschaft ver.di.
Im Tarifgebiet Ost hatten die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes zunächst keinen tariflichen Anspruch auf Zusatzversorgung. Durch § 7 Nr. 1 des Tarifvertrages vom 1. Februar 1996 zur Einführung der Zusatzversorgung im Tarifgebiet Ost (TV EZV-O) erhielt § 12 BMT-G-O mit Wirkung zum 1. Januar 1997 folgende Fassung:
Ҥ 12
Zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung
Der Arbeiter hat Anspruch auf Versicherung unter eigener Beteiligung zum Zwecke einer zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung nach Maßgabe eines besonderen Tarifvertrages.”
Als “besonderen Tarifvertrag” war damit bis zum 31. Dezember 2000 auf den Versorgungstarifvertrag vom 6. März 1967 in der jeweiligen Fassung (VersTV-G) verwiesen, ab dem 1. Januar 2001 auf den Altersversorgungstarifvertrag vom 1. März 2002 (ATV-K).
Am 13. Juni 1996 schlossen die Beklagte sowie zwei weitere zu demselben Konzern gehörende Unternehmen mit der ÖTV einen Haustarifvertrag ab (TV 1996). Dort heißt es ua.:
Ҥ 2
Geltung des BAT-O / BMT-G-O
Auf die Arbeitsverhältnisse bei den unter § 1 genannten Unternehmen finden
a) für die Angestellten …
b) für die Arbeiter der
Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe – (BMT-G-O) vom 10. Dezember 1990 und die diesen im Bereich der Gemeinden des Landes Brandenburg ergänzenden Tarifverträge
in der jeweiligen Fassung Anwendung, soweit dieser Tarifvertrag keine abweichenden Regelungen enthält.
§ 3
Arbeitszeit
(1) Für alle Arbeitnehmer gilt abweichend von § 15 Abs. 1 BATO bzw. § 14 Abs. 1 BMT-G-O eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 39,5 Stunden.
…
Niederschriftserklärungen:
1.
zu § 3 Abs. 1 und 2:
Die Parteien sind sich darüber einig, bei Änderungen der in § 2 genannten Manteltarifverträge zu §§ 15 Abs. 1, 15a oder 48a BAT-O bzw. zu §§ 14 Abs. 1, 14a oder 41a BMT-G-O unverzüglich in Verhandlungen zur Anpassung dieses Tarifvertrages im Sinne der in § 3 Abs. 1 und 2 getroffenen Vereinbarungen zu treten.”
Der Folgetarifvertrag vom 16. März 2000 (TV 2000) blieb in § 2 unverändert. Auch dessen Ergänzung vom 3. April 2003 enthält dazu keine Veränderungen, sondern befasst sich mit Regelungen zur Arbeitszeit.
Ende 2002 forderte der Kläger die Beklagte vergeblich auf, ihn rückwirkend zum 1. Januar 1997 bei der Zusatzversorgungskasse des öffentlichen Dienstes anzumelden. Zur Begründung der vorliegenden Klage hat er die Auffassung vertreten, der TV 1996 wie der TV 2000 enthielten eine uneingeschränkte, dynamische Bezugnahme auf den BMT-G-O in seiner jeweiligen Fassung sowie auf alle diesen ergänzenden Tarifverträge, somit auch auf die Zusatzversorgungstarifverträge.
Der Kläger hat beantragt festzustellen,
dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm im Versorgungsfall die Versorgungsleistungen zu verschaffen, die ihm zustünden, wenn er seit dem 1. Januar 1997 bei der Zusatzversorgungskasse für das Land Brandenburg versichert gewesen wäre und weiterhin festzustellen, dass dieser Verschaffungsanspruch auch in Zukunft besteht, soweit der Kläger mehr als geringfügig iSv. § 8 SGB IV beschäftigt wird.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Ihrer Auffassung nach hätte für einen Verschaffungsanspruch dieser im Haustarifvertrag selbst zugesagt werden müssen. Eine pauschale Verweisung auf den BMT-G-O sei unzureichend. Im Zeitpunkt des ersten Tarifabschlusses sei die Zusatzversorgung noch nicht wirksam eingeführt gewesen. Folglich habe auf die erst am 1. Januar 1997 in Kraft getretene Fassung des § 12 BMT-G-O noch gar nicht verwiesen werden können. Die unveränderten Folgefassungen des Haustarifvertrages unterstrichen, dass die Tarifvertragsparteien hinsichtlich einer Versorgungszusage keinen Regelungswillen gehabt hätten. Der Hinweis auf “ergänzende” Tarifverträge beziehe sich lediglich auf Entgeltregelungen, die man habe in Bezug nehmen wollen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers war vor dem Landesarbeitsgericht erfolgreich. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte das Ziel einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet. Nach § 2 TV 1996, § 2 TV 2000 in Verbindung mit § 12 BMT-G-O und den Versorgungstarifverträgen hat der Kläger seit dem 1. Januar 1997 einen Anspruch auf Zusatzversorgung.
I. Die Klage ist zulässig. Sie ist auf die Feststellung eines Anspruchs auf Verschaffung einer Versorgung nach § 12 BMT-G-O iVm. den Versorgungstarifverträgen und der Satzung der Zusatzversorgungskasse gerichtet. Dieser hat zwar in erster Linie den Inhalt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in der Zusatzversorgungskasse versichert. Geschieht dies nicht, kann der Arbeitnehmer aber zumindest verlangen, dass der Arbeitgeber ihm die tarifvertraglich geschuldete Zusatzversorgung selbst verschafft oder in anderer Weise für eine nach Art und Umfang gleiche Versorgung sorgt (BAG 29. August 2000 – 3 AZR 201/00 – AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 55 = EzA BetrAVG § 1 Zusatzversorgung Nr. 12, zu II 1 der Gründe). Das betriebsrentenrechtliche Rechtsverhältnis wird bereits mit dem Entstehen einer Versorgungsanwartschaft und nicht erst mit dem Eintritt des Versorgungsfalles begründet. Der Kläger hat bereits jetzt ein berechtigtes Interesse iSd. § 256 Abs. 1 ZPO an der Klärung seines Versorgungsanspruchs dem Grunde nach, um im Versorgungsfall einen zeitraubenden Rechtsstreit über diese Frage zu vermeiden und bei Abweisung der Klage anderweitig Vorsorge treffen zu können (BAG 27. Februar 1996 – 3 AZR 886/94 – BAGE 82, 193, zu A III 2 der Gründe). Der zweite Feststellungsantrag hat keine selbständige Bedeutung. Mit der Beschränkung auf Zeiten der mehr als geringfügigen Beschäftigung verdeutlicht der Kläger, dass er keine weitergehenden als die tariflichen Ansprüche geltend macht.
II. Die Klage ist auch begründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass dem Kläger nach den Haustarifverträgen ein Anspruch auf Verschaffung einer Versorgung nach Maßgabe der jeweiligen Versorgungstarifverträge zusteht.
1. Die Rechtsnormen des TV 1996, TV 2000 wirken zwischen den Parteien unmittelbar und zwingend, da der Kläger Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft und die Beklagte selbst Tarifvertragspartei ihres Haustarifes ist, §§ 3, 4 TVG.
2. In § 2 TV 1996, § 2 TV 2000 wird dynamisch auf den BMT-G-O und die diesen ergänzenden Tarifverträge in der jeweiligen Fassung verwiesen, soweit der Haustarifvertrag selbst keine abweichenden Regelungen enthält.
a) Der TV 1996 und der TV 2000 enthalten selbst keine ausdrückliche Regelung zur betrieblichen Altersversorgung.
b) Durch § 2 Buchst. b TV 1996, § 2 Buchst. b TV 2000 wird der BMT-G-O dynamisch “in der jeweiligen Fassung” in Bezug genommen. Bereits der Wortlaut der Tarifvorschrift verbietet die Annahme, es sei nur der Manteltarifvertrag auf dem Stand vom 13. Juni 1996, dem Datum der Unterzeichnung des Haustarifvertrages, statisch in Bezug genommen worden. Dass die Tarifvertragsparteien ersichtlich eine dynamische Verweisung vereinbaren wollten, ergibt sich im Übrigen auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang. In § 3 haben sie zur Arbeitszeit vom BMT-G-O abweichende Regelungen getroffen. In der Niederschriftserklärung zu § 3 TV 1996/TV 2000 haben sie ihre Einigkeit festgehalten, bei Änderungen der Manteltarifverträge unverzüglich in Verhandlungen zur Anpassung der Arbeitszeitregelungen des Haustarifvertrages zu treten. Wenn die Tarifvertragsparteien selbst bei Regelungen des Manteltarifvertrages, deren Geltung sie im Haustarif ausgeschlossen oder die sie dort anders geregelt haben, im Falle von Änderungen eine Verpflichtung zu Verhandlungen vereinbaren, lässt dies nur den Schluss zu, dass sie bei den unverändert übernommenen Tarifnormen auch deren Änderung als maßgeblich angesehen haben.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Parteien des Haustarifvertrages hätten nur auf diejenigen Gegenstände verweisen wollen, die im Zeitpunkt des Abschlusses des Haustarifvertrages bereits durch Normen der Manteltarifverträge geregelt waren. Zwar war bei erstmaligem Abschluss des Haustarifvertrages am 13. Juni 1996 der TV EZV-O noch nicht in Kraft, den Arbeitern des öffentlichen Dienstes im Tarifgebiet Ost stand also ein Anspruch auf Zusatzversorgung noch nicht zu. Vorliegend war die Einführung einer Zusatzversorgung zum 1. Januar 1997 als neue Art und Form der Regelung von Arbeitsbedingungen nicht einmal überraschend (vgl. BAG 10. November 1982 – 4 AZR 1203/79 – BAGE 40, 327). Bei Abschluss des TV 1996 war der TV EZV-O bereits unterzeichnet (1. Februar 1996); die Einführung der Zusatzversorgung ab dem 1. Januar 1997 stand damit im Juni 1996 fest. Bei dieser Tariflage wäre eine abweichende Regelung im Haustarifvertrag erforderlich gewesen, um den Anspruch der tarifgebundenen Arbeitnehmer auf Zusatzversorgung ab 1. Januar 1997 auszuschließen. Dies wird durch die Tarifgeschichte bestätigt: Auch bei Abschluss des folgenden TV 2000 am 16. März 2000 ließen die Tarifvertragsparteien die grundsätzliche, umfassende und dynamische Verweisung auf die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes trotz der zwischenzeitlich in Kraft getretenen Regelungen zur Zusatzversorgung unverändert. Anders als die Revision meint, spricht dies nicht für einen fehlenden Regelungswillen, sondern im Gegenteil dafür, dass die Tarifvertragsparteien die Zusatzversorgung für die Beschäftigten von Anfang an wollten und später auch nicht in Frage gestellt haben.
c) Die Versorgungstarifverträge zur Regelung der Anspruchsvoraussetzungen und zur Ausgestaltung der Zusatzversorgung, der VersTV-G vom 6. März 1967 und der ATV-K vom 1. März 2002, der ab dem 1. Januar 2001 gilt, sind den BMT-G-O bzw. den BAT-O “ergänzende” Tarifverträge iSd. § 2 Buchst. b TV 1996 und § 2 Buchst. b TV 2000. § 12 BMT-G-O und § 46 BAT-O in der ab 1. Januar 1997 geltenden Fassung regeln nur den grundsätzlichen Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung und verweisen wegen der Anspruchsvoraussetzungen und Ausgestaltung auf die Zusatzversorgungstarifverträge.
Aus dem Urteil des Senats vom 29. Juli 1986 (– 3 AZR 71/85 – AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 16)kann die Beklagte nichts herleiten. In ihm ging es um die Auslegung einer anders lautenden Bezugnahmeklausel eines Arbeitsvertrages. Dieser verwies nur auf den BAT, aber nicht auf die diesen “ergänzenden” Tarifverträge. In der Entscheidung heißt es, der Kläger habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass allein durch den Hinweis auf das Blankett des § 46 BAT bereits eine Altersversorgung habe zugesagt werden sollen, obwohl auf die Versorgungstarifverträge nicht verwiesen werde und nach der Art des Unternehmens auch nicht wirksam habe verwiesen werden können.
3. Gegen die Zulässigkeit der dynamischen Verweisung auf die jeweils geltenden Tarifverträge des öffentlichen Dienstes in den Haustarifverträgen bestehen keine Bedenken. Die den Tarifvertragsparteien durch Art. 9 Abs. 3 GG übertragene Befugnis, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder sinnvoll zu ordnen, umfasst auch die Befugnis, auf jeweils geltende andere tarifliche Vorschriften zu verweisen, wenn deren Geltungsbereich mit dem Geltungsbereich der verweisenden Tarifnorm in einem engen sachlichen Zusammenhang steht (BAG 9. Juli 1980 – 4 AZR 564/78 – BAGE 34, 42; 8. März 1995 – 10 AZR 27/95 – AP TVG § 1 Verweisungstarifvertrag Nr. 5 = EzA TVG § 1 Nr. 40, zu II 3a der Gründe.Das ist hier der Fall. Die Beklagte betreibt öffentlichen Nahverkehr. Für zahlreiche im öffentlichen Nahverkehr beschäftigte Arbeitnehmer gelten die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes unmittelbar. Bei der Ähnlichkeit der Arbeitsbedingungen ist es nicht zu beanstanden, dass die Haustarifverträge die Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten an die der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes annähern.
Unterschriften
Reinecke, Breinlinger, Zwanziger, G. Kanzleiter, Stemmer
Fundstellen
DB 2007, 812 |
FA 2006, 312 |
NZA 2007, 578 |
ZTR 2007, 267 |
EzA-SD 2006, 3 |
EzA-SD 2007, 15 |
EzA |
ZMV 2006, 255 |
AUR 2006, 326 |
SPA 2006, 7 |