Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschäftigungszeit – Ausschlußfrist – Vertrauensschutz
Leitsatz (amtlich)
Der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes kann eine von ihm festgesetzte Beschäftigungszeit iSd. § 19 BAT-O berichtigen, wenn ihre Berechnung sich als fehlerhaft erweist. Dies gilt auch für Zeiten, die der Arbeitgeber entgegen § 21 Satz 2 BAT-O als Beschäftigungszeit angerechnet hat, obwohl der Angestellte die nach § 21 Satz 1 BAT-O geforderten Nachweise nicht innerhalb der dort geregelten Ausschlußfrist beigebracht hatte.
Orientierungssatz
1. Die Festsetzung der Beschäftigungszeit gemäß § 19 BAT-O durch den Arbeitgeber hat nur deklaratorische Bedeutung und kann jederzeit berichtigt werden, wenn sie sich später als fehlerhaft herausstellt.
2. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber Zeiten als Beschäftigungszeit berücksichtigt hat, obwohl der Angestellte der an ihn nach § 21 Satz 1 BAT-O gerichteten Aufforderung, die anrechnungsfähigen Beschäftigungs- und Dienstzeiten nachzuweisen, nicht innerhalb der Ausschlußfrist von drei Monaten nachgekommen ist. In diesem Fall ist die Berechnung der Beschäftigungszeit fehlerhaft, weil nach § 21 Satz 2 BAT-O Zeiten, für die der Nachweis nicht fristgerecht erbracht wird, nicht als Beschäftigungszeit anzurechnen sind.
3. Durch die Anrechnung von Zeiten als Beschäftigungszeit verzichtet der Arbeitgeber in der Regel nicht auf seine Rechte aus § 21 BAT-O.
4. Der Angestellte kann allein aufgrund der Anrechnung von Zeiten, für die er die nach § 21 Satz 1 BAT-O geforderten Nachweise nicht innerhalb der Ausschlußfrist beigebracht hat, nicht darauf vertrauen, der Arbeitgeber werde die fehlerhafte Berechnung auch künftig beibehalten.
Normenkette
Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 § 21; BGB § 242
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 12. Mai 2000 – 3 Sa 1041/99 – aufgehoben, soweit es das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 5. Oktober 1999 – 14 Ca 2514/99 – abgeändert und festgestellt hat, daß die Zeit der Tätigkeit der Klägerin ab dem 4. September 1985 als Beschäftigungszeit gemäß § 19 BAT-O anzurechnen ist. Insoweit wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Anrechnung von Beschäftigungszeiten nach § 19 BAT-O.
Die Klägerin ist seit September 1985 als Sekretärin/Verwaltungsangestellte beim vormaligen Bezirksinstitut für Veterinärwesen Dresden, das der Beklagte als Landesuntersuchungsanstalt für Gesundheits- und Veterinärwesen Sachsen fortführt, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit und arbeitsvertraglicher Bezugnahme der BAT-O Anwendung. Dieser lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 19
Beschäftigungszeit
(1) Beschäftigungszeit ist die bei demselben Arbeitgeber nach Vollendung des 18. Lebensjahres in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist.
…
(2) Übernimmt ein Arbeitgeber eine Dienststelle oder geschlossene Teile einer solchen von einem Arbeitgeber, der von diesem Tarifvertrag erfaßt wird oder diesen oder einen Tarifvertrag wesentlich gleichen Inhalts anwendet, so werden die bei der Dienststelle bis zur Übernahme zurückgelegten Zeiten nach Maßgabe des Absatzes 1 als Beschäftigungszeit angerechnet.
…
Übergangsvorschriften für Zeiten vor dem 1. Januar 1991:
1. Als Übernahme im Sinne des Absatzes 2 gilt auch die Überführung von Einrichtungen nach Art. 13 des Einigungsvertrages.
…
4. Von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit sind ausgeschlossen
- Zeiten jeglicher Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit (einschließlich der Verpflichtung zu informeller/inoffizieller Mitarbeit),
- Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR,
- Zeiten einer Tätigkeit, die auf Grund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden war.
…
Von einer Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen sind auch die Zeiten, die vor einer Tätigkeit im Sinne der Buchstaben a bis c zurückgelegt worden sind.
…
§ 21
Ausschlußfrist
Der Angestellte hat die anrechnungsfähigen Beschäftigungszeiten innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten nach Aufforderung durch den Arbeitgeber nachzuweisen. Zeiten, für die der Nachweis nicht fristgemäß erbracht wird, werden nicht angerechnet. Kann der Nachweis aus einem vom Angestellten nicht zu vertretenden Grunde innerhalb der Ausschlußfrist nicht erbracht werden, so ist die Frist auf einen vor Ablauf der Ausschlußfrist zu stellenden Antrag angemessen zu verlängern.
Übergangsvorschrift:
Bis zum 31. Dezember 1994 beträgt die Ausschlußfrist sechs Monate.
…”
Die Klägerin wurde am 8. April 1992 vom Beklagten aufgefordert, „innerhalb der Ausschlußfrist einen Antrag zur Anerkennung von Beschäftigungszeiten an die Personalabteilung zu stellen”. Die Klägerin bestätigte am selben Tag schriftlich, daß ihr „der Vordruck über die Anerkennung der Beschäftigungszeiten und das Merkblatt” ausgehändigt und ihr „der § 21 BAT-O … über die Ausschlußfristen … zur Kenntnis gegeben” wurden. Der Vordruck enthielt Fragen nach einer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sowie der Zugehörigkeit zu den Grenztruppen der DDR, außerdem waren der berufliche Werdegang und Funktionen in einer Partei oder sonstigen gesellschaftlichen Organisationen lückenlos darzustellen und zu versichern, daß alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen wahrheitsgetreu und vollständig gemacht wurden. Die Beschäftigungsdienststelle der Klägerin setzte den Beginn der Beschäftigungszeit mit Schreiben vom 24. Mai 1993 „von Amtswegen für Beschäftigte, die keinen Antrag auf Anerkennung von Beschäftigungszeiten gestellt haben”, auf den 2. September 1985 fest. Mit Schreiben vom 8. März 1996 wurde der Beginn der Beschäftigungszeit auf den 4. September 1985 abgeändert. Mit Schreiben vom 25. September 1998 setzte der Beklagte schließlich den Beginn der Beschäftigungszeit auf den 3. Oktober 1990 fest.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei verpflichtet, auch die Zeit vom 1. September 1985 bis zum 2. Oktober 1990 als Beschäftigungszeit anzurechnen. Die Ausschlußfrist des § 21 BAT-O komme nicht zur Anwendung, da sie nicht zum Nachweis von Beschäftigungszeiten aufgefordert worden sei. Davon abgesehen habe sie den ausgefüllten Fragebogen, in dem sie die Frage nach einer Tätigkeit für das MfS mit „Nein” beantwortet habe, am 30. April 1992 per Post an das Sächsische Staatsministerium für Familie und Soziales abgesandt. Am 1. Juli 1992 habe ihr Frau P., eine Angestellte des Sachgebiets Personal der Beschäftigungsdienststelle, telefonisch mitgeteilt, daß ein Antrag auf Anrechnung von Beschäftigungszeiten noch nicht eingegangen sei. Auf den Hinweis, daß sie die Unterlagen per Post an das Ministerium übersandt habe und auf die Frage, ob sie nunmehr einen neuen Antrag ausfüllen solle, habe Frau P. geantwortet, sie werde die Sache nochmals überprüfen und dann Bescheid geben. Einige Tage später habe Frau P. telefonisch mitgeteilt, ein neuer Antrag sei nicht erforderlich, die Bewertung werde von Amts wegen, wahrscheinlich zu ihren Gunsten, erfolgen. Die Beschäftigungszeit sei mit dem Schreiben vom 24. Mai 1993 zutreffend festgesetzt worden. § 21 Satz 2 BAT-O stehe der Anrechnung der Zeit vor dem 3. Oktober 1990 nicht entgegen. Der Arbeitgeber könne Beschäftigungszeiten auch ohne Nachweise anrechnen. Zumindest sei die Ausschlußfrist durch die Erklärung von Frau P., ein neuer Antrag sei nicht erforderlich, gehemmt worden.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß der Beklagte der Klägerin eine ununterbrochene Beschäftigungszeit nach § 19 BAT-O ab dem 1. September 1985 anzurechnen hat.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Zeit vor dem 3. Oktober 1990 sei nicht als Beschäftigungszeit anzurechnen, weil die Klägerin die erforderlichen Nachweise nicht innerhalb der Ausschlußfrist des § 21 BAT-O erbracht habe. Der Beklagte habe auf die Beibringung der Nachweise nicht verzichtet. Die von der Klägerin behauptete Äußerung von Frau P. werde bestritten. Auf Grund der vorhandenen Unterlagen bestehe nicht die Möglichkeit festzustellen, ob einer der Ausschlußtatbestände in Nr. 4 der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O eingreife. Auch die von der Klägerin dazu in dem Vordruck geforderten Auskünfte seien als „Nachweis” iSd. § 21 BAT-O zu qualifizieren. Mit den Schreiben vom 24. Mai 1993 und vom 8. März 1996 sei daher die Vordienstzeit zu Unrecht angerechnet worden. Dieser Fehler habe ohne weiteres korrigiert werden können.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts – unter Zurückweisung der klägerischen Berufung im übrigen – teilweise abgeändert und der Klage für die Zeit ab dem 4. September 1985 stattgegeben. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die vollständige Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit es der Klage stattgegeben hat, und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 564 Abs. 1, § 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Zeit vom 4. September 1985 bis zum 2. Oktober 1990 sei als Beschäftigungszeit der Klägerin gemäß § 19 BAT-O anzurechnen. Der Beklagte habe sich nicht auf einen der Ausschlußtatbestände in Nr. 4 der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O berufen. Auch § 21 BAT-O hindere die Anrechnung nicht. Zwar habe die Ausschlußfrist durch die Aufforderung des Beklagten, die die Klägerin am 8. April 1992 erhalten habe, zu laufen begonnen. Der Beklagte könne sich jedoch auf den am 8. Oktober 1992 eingetretenen Fristablauf und die sich daraus ergebende Rechtsfolge der Nichtanrechnung (§ 21 Satz 2 BAT-O) nicht berufen. Der Beklagte habe mit Schreiben vom 24. Mai 1993 den Beginn der Beschäftigungszeit auf den 2. September 1985 festgesetzt und dabei ausdrücklich hervorgehoben, daß die Klägerin „keinen Antrag auf Anerkennung von Beschäftigungszeiten” gestellt habe. Damit habe der Beklagte zu erkennen gegeben, daß „Nachweise” nicht erforderlich seien und er auf diese und auf den Eintritt der Rechtsfolge aus § 21 BAT-O verzichte. Gleiches gelte für das Schreiben vom 8. März 1996. In einem solchen Fall könne der Arbeitgeber die zweifach festgesetzte Beschäftigungszeit nur berichtigen, wenn sich die Berechnung als falsch erweise. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Schließlich sprächen auch Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes (§ 242 BGB) gegen die vorgenommene Änderung.
B. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bedeutet die Anrechnung von Zeiten als Beschäftigungszeit, ohne daß der Angestellte diese im Sinne des § 21 BAT-O nachgewiesen hat, keinen endgültigen Verzicht des Arbeitgebers auf die Beibringung von Nachweisen und auf die Rechtsfolge aus § 21 BAT-O. Allein auf Grund dieses Verhaltens des Arbeitgebers kann der Angestellte auch nicht darauf vertrauen, daß die vorgenommene Berechnung der Beschäftigungszeit künftig beibehalten werde. Ob der Beklagte die Anrechnung der Zeit vom 4. September 1985 bis zum 2. Oktober 1990 als Beschäftigungszeit gemäß § 21 Satz 2 BAT-O zu Recht verweigert hat, kann der Senat nicht abschließend beurteilen. Dazu bedarf es weiterer Sachaufklärung durch das Landesarbeitsgericht. Deshalb war der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Dies folgt daraus, daß die Beschäftigungszeit Auswirkungen auf die tariflichen Arbeitsbedingungen und auf Ermessensentscheidungen des Arbeitgebers hat. Rechnet der Arbeitgeber bestimmte Zeiten nicht als Beschäftigungszeit an, wie hier, besteht deshalb ein Interesse des Angestellten an einer alsbaldigen Klärung. Er kann nicht darauf verwiesen werden, abzuwarten, bis der Arbeitgeber eine konkrete Maßnahme auf eine nach Auffassung des Angestellten unzutreffende Berechnung der Beschäftigungszeit stützt(st. Rspr., vgl. BAG 15. Mai 1997 – 6 AZR 40/96 – BAGE 86, 1 mwN).
II. Ob die Klage – soweit in der Revision noch anhängig – begründet ist, und der Beklagte die Zeit vom 4. September 1985 bis zum 2. Oktober 1990 zu Unrecht unter Berufung auf § 21 Satz 2 BAT-O nicht als Beschäftigungszeit angerechnet hat, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Dies hängt davon ab, ob der Beklagte die am 8. April 1992 an die Klägerin gerichtete Aufforderung, einen Antrag auf Anrechnung von Beschäftigungszeiten zu stellen und die erforderlichen Nachweise beizubringen, später zurückgenommen hat. Dies wäre der Fall, wenn die Verwaltungsangestellte P., nachdem ein entsprechender Antrag zunächst beim Beklagten nicht eingegangen war, Anfang Juli 1992 gegenüber der Klägerin erklärt hätte, sie brauche keinen neuen Antrag zur Anerkennung von Beschäftigungszeiten einzureichen. Bei dieser Sachlage wäre die Frist des § 21 BAT-O bis heute nicht abgelaufen. Ob die Verwaltungsangestellte P. die zwischen den Parteien streitige Erklärung abgegeben hat, ist deshalb vom Landesarbeitsgericht aufzuklären.
1. Nach § 19 Abs. 1 BAT-O ist Beschäftigungszeit die bei demselben Arbeitgeber nach Vollendung des 18. Lebensjahres in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist. Übernimmt ein Arbeitgeber eine Dienststelle oder geschlossene Teile einer solchen von einem Arbeitgeber, der von diesem Tarifvertrag erfaßt wird oder diesen oder einen Tarifvertrag wesentlich gleichen Inhalts anwendet, werden die bei der Dienststelle bis zur Übernahme zurückgelegten Zeiten nach Maßgabe des Abs. 1 als Beschäftigungszeit angerechnet (§ 19 Abs. 2 BAT-O). Als Übernahme iSd. § 19 Abs. 2 BAT-O gilt nach Nr. 1 der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O auch die Überführung von Einrichtungen nach Art. 13 des Einigungsvertrags. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn der Beklagte führt nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts das ehemalige Bezirksinstitut für Veterinärwesen Dresden, wo die Klägerin jedenfalls seit dem 4. September 1985 beschäftigt war, als Landesuntersuchungsanstalt für Gesundheits- und Veterinärwesen Sachsen fort.
2. Der Anrechnung der Zeit vor dem 3. Oktober 1990 steht möglicherweise § 21 BAT-O entgegen. Nach dieser Bestimmung hat der Angestellte die anrechnungsfähigen Beschäftigungs- und Dienstzeiten innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten nach Aufforderung durch den Arbeitgeber nachzuweisen. Bis zum 31. Dezember 1994 hat die Ausschlußfrist nach der Übergangsvorschrift zu § 21 BAT-O sechs Monate betragen. Zeiten, für die der Nachweis nicht fristgerecht erbracht wird, werden nach § 21 Satz 2 BAT-O nicht angerechnet. Der Anspruch des Angestellten auf Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten, für die er die vom Arbeitgeber geforderten Nachweise nicht innerhalb der Ausschlußfrist erbracht hat, erlischt. Hat der Arbeitgeber seiner Berechnung entgegen § 21 Satz 2 BAT-O Zeiten zugrunde gelegt, für die der Angestellte trotz Aufforderung Nachweise nicht fristgerecht beigebracht hatte, ist die Berechnung daher falsch. Sie kann wegen des ausschließlich deklaratorischen Charakters der Festsetzung der Beschäftigungszeit jederzeit berichtigt werden(st. Rspr., vgl. BAG 15. August 1979 – 4 AZR 913/77 – AP § 20 BAT Nr. 3). Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, kann nach den bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden.
a) Der Beklagte hat die Klägerin am 8. April 1992 aufgefordert, innerhalb der Ausschlußfrist einen Antrag zur Anerkennung von Beschäftigungszeiten zu stellen und ihr dazu einen entsprechenden Vordruck nebst Merkblatt ausgehändigt. Darin lag eine Aufforderung zur Beibringung von Nachweisen iSd. § 21 Satz 1 BAT-O. Zwar hat der Beklagte von der Klägerin keine Nachweise im Sinne von Beweismitteln für konkret bezeichnete Dienstzeiten verlangt. Dies war auch nicht erforderlich. Auch die vom Angestellten zu erbringende Auskunft, die den beruflichen Werdegang des Angestellten lückenlos darstellen soll, ist als Nachweis iSd. § 21 Satz 1 BAT-O zu werten. Der tarifvertragliche Begriff des Nachweises ist nicht im Sinne des zivilprozessualen Beweisrechts zu verstehen. Er umfaßt nicht nur die Vorlage von Belegen, sondern auch lückenlose Auskünfte über den bisherigen beruflichen Werdegang und zu den Ausschlußtatbeständen in Nr. 4 der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O einschließlich einer dienstlichen Versicherung, wie sie der Beklagte mit dem Vordruck von der Klägerin verlangt hat(vgl. BAG 26. April 2000 – 4 AZR 124/99 – BAGE 94, 256, zu 4 d der Gründe). Die sechsmonatige Ausschlußfrist nach der Übergangsvorschrift zu § 21 BAT-O begann daher am 9. April 1992 zu laufen und endete am 8. Oktober 1992. Bis zu diesem Zeitpunkt ging keine Erklärung von der Klägerin beim Beklagten ein. Zwar hat die Klägerin vorgetragen, den ausgefüllten Vordruck am 30. April 1992 per Post an das Sächsische Staatsministerium für Familie und Soziales abgesandt zu haben. Dies ist jedoch unerheblich. Entscheidend ist, ob das Schriftstück dem Beklagten zugegangen ist. Dies hat die Klägerin selbst nicht behauptet.
b) Dem Ablauf der Ausschlußfrist steht jedoch möglicherweise die von der Klägerin behauptete Erklärung der Verwaltungsangestellten P. entgegen. Sollte diese gegenüber der Klägerin erklärt haben, sie brauche keinen neuen Antrag einzureichen, konnte dies von der Klägerin nur so verstanden werden, daß der Beklagte von seiner Aufforderung zur Beibringung von Nachweisen Abstand nahm. Damit konnte auch die Frist des § 21 Satz 1 BAT-O nicht ablaufen. Ob Frau P. die behauptete Erklärung abgegeben hat, hat das Landesarbeitsgericht bisher nicht festgestellt. Dies ist – gegebenenfalls – im Wege einer Beweisaufnahme zu klären.
Zwar hat die Klägerin in der Revisionserwiderung geltend gemacht, der Beklagte habe ihren Sachvortrag insoweit nicht substantiiert bestritten, weshalb er nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gelte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der Beklagte hat mit der Berufungserwiderung vom 28. Januar 2000 bestritten, daß die Verwaltungsangestellte P. gegenüber der Klägerin erklärt habe, sie müsse keinen neuen Antrag einreichen. Er hat außerdem vorgetragen, Frau P. habe die Anzahl und den Inhalt der von der Klägerin behaupteten Telefonate nicht bestätigen können. Frau P. habe demgegenüber erklärt, es sei für sie nicht nachvollziehbar, daß sie, obwohl bis zu diesem Zeitpunkt kein Antrag vorgelegen habe, auf einen neuen Antrag verzichtet habe. Mit diesen Ausführungen hat sich der Beklagte substantiiert auf das Vorbringen der Klägerin eingelassen und dieses bestritten.
Eine Beweisaufnahme ist nicht deshalb überflüssig, weil der Beklagte mit der Revisionsbegründung vorgetragen hat, die Verwaltungsangestellte P. sei zur Abgabe der behaupteten Erklärung nicht bevollmächtigt gewesen. Dabei handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der gemäß § 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden kann. Nach dieser Bestimmung unterliegt der Beurteilung des Revisionsgerichts nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Tatbestand des Berufungsurteils oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. In den Tatsacheninstanzen hatte sich der Beklagte auf die mangelnde Vertretungsmacht der Verwaltungsangestellten P. jedoch nicht berufen.
c) Eine Beweisaufnahme erübrigt sich nicht deshalb, weil der Beklagte durch die zweimalige Anrechnung der Zeit vor dem 3. Oktober 1990 auf die Beibringung von Nachweisen und die Rechtsfolge des § 21 Satz 2 BAT-O verzichtet hätte. Dies ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht der Fall.
aa) Der Verzicht ist die endgültige Aufgabe eines Anspruchs oder einer Rechtsposition. Sofern es sich bei diesem Recht um eine schuldrechtliche Forderung handelt, erfordert der Verzicht einen Vertrag zwischen Schuldner und Gläubiger(vgl. etwa Palandt/Heinrichs BGB 61. Aufl. § 397 Rn. 1). Wird auf ein Gestaltungsrecht, eine Einrede oder ein sonstiges Recht verzichtet, wie hier, kann dies auch durch einseitige Willenserklärung geschehen(vgl. Palandt/Heinrichs, aaO; Erman/Westermann BGB 10. Aufl. § 397 Rn. 1; MünchKommBGB/Schlüter 4. Aufl. § 397 Rn. 19). Eine solche Willenserklärung hat der Beklagte jedoch nicht abgegeben. Daß der Beklagte gegenüber der Klägerin ausdrücklich erklärt hätte, auch künftig auf die Beibringung von Nachweisen iSd. § 21 Satz 1 BAT-O und auf die sich aus § 21 Satz 2 BAT-O ergebende Rechtsfolge verzichten zu wollen, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Es hat lediglich die zweimalige Anrechnung der Zeit vor dem 3. Oktober 1990 als Beschäftigungszeit von Amts wegen und ohne Antrag der Klägerin als Verzicht auf die Beibringung von Nachweisen und auf die Rechtsfolge aus § 21 Satz 2 BAT-O gewertet. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Zwar kann der Verzicht, wie jede andere Willenserklärung, auch konkludent erklärt werden. Dazu ist jedoch erforderlich, daß durch das Verhalten des Erklärenden aus Sicht des Erklärungsempfängers der endgültige Untergang des Rechts bewirkt werden soll. Allein aus der zweimaligen Anrechnung der Dienstzeit, ohne daß die Klägerin die geforderten Nachweise iSd. § 21 Satz 1 BAT-O fristgerecht beigebracht hatte, konnte die Klägerin nicht schließen, daß der Beklagte auch künftig keine Nachweise fordern und seine Rechte aus § 21 BAT-O aufgeben wollte. Dies folgt bereits daraus, daß der Berechnung der Beschäftigungszeit nach § 19 BAT-O nur deklaratorische Bedeutung zukommt und sie vom Arbeitgeber jederzeit berichtigt werden kann, wenn sie sich als unzutreffend erweist. Der Arbeitgeber kann daher auch nach erfolgter Berechnung der Beschäftigungszeit jederzeit prüfen, ob seine Berechnung zutreffend war. Dazu ist er, jedenfalls was Dienstzeiten betrifft, die nicht bei ihm selbst zurückgelegt wurden, wie hier, in der Regel auf die Mitwirkung des Angestellten angewiesen. Deshalb kann er sich auch noch nach erfolgter Berechnung der Beschäftigungszeit der in § 21 Satz 1 BAT-O vorgesehenen Möglichkeit, den Angestellten zur Beibringung von Nachweisen aufzufordern, bedienen und sich, sofern der Angestellte seiner Mitwirkungspflicht nicht fristgerecht nachkommt, auf die sich aus § 21 Satz 2 BAT-O ergebende Rechtsfolge berufen.
bb) Diese Auslegung der Erklärungen des Beklagten konnte der Senat uneingeschränkt und selbständig vornehmen.
Zwar obliegt die Auslegung von Willenserklärungen in erster Linie dem Tatrichter. Die Auslegung sog. nichttypischer Willenserklärungen ist deshalb revisionsrechtlich nur eingeschränkt daraufhin überprüfbar, ob das Gericht der Tatsacheninstanz die wesentlichen Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) beachtet, nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen und den Tatsachenstoff vollständig verwertet hat(BAG 26. Mai 1992 – 9 AZR 27/91 – AP HGB § 74 Nr. 63 = EzA HGB § 74 Nr. 54, zu 1 der Gründe; 22. September 1992 – 1 AZR 235/90 – BAGE 71, 164, zu I 2 der Gründe). Die Auslegung sog. typischer Willenserklärungen, die in einer Vielzahl von Fällen gleichlautend abgegeben werden, ist hingegen revisionsrechtlich in vollem Umfang überprüfbar. Solche Willenserklärungen können vom Revisionsgericht uneingeschränkt und selbständig ausgelegt werden(BAG 20. Juni 1985 – 2 AZR 427/84 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 32 = EzA KSchG § 4 Ausgleichsquittung Nr. 1, zu B I 2 der Gründe).
Sofern der Beklagte mit der Berechnung der Beschäftigungszeit in den Schreiben vom 24. Mai 1993 und vom 8. März 1996 überhaupt Willenserklärungen abgegeben haben sollte, würde es sich um typische Willenserklärungen handeln, denn aus der formularmäßigen Erstellung der Schreiben ergibt sich, daß der Beklagte gleichlautende Erklärungen in einer Vielzahl von Fällen abgibt. Der Senat war daher an die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung der genannten Schreiben nicht gebunden.
d) Die Frage, ob die Anrechnung der Zeit vor dem 3. Oktober 1990 als Beschäftigungszeit an § 21 Satz 2 BAT-O scheitert, kann auch nicht deshalb offenbleiben, weil der Änderung der Dienstzeitberechnung Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes (§ 242 BGB) entgegenstünden. Dies ist entgegen der – nicht näher begründeten – Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht der Fall.
Zwar hat sich der Beklagte insoweit widersprüchlich verhalten, als er zunächst die Zeit ab dem 4. September 1985 als Beschäftigungszeit berücksichtigt hat, ohne daß die geforderten Nachweise iSd. § 21 Satz 1 BAT-O von der Klägerin beigebracht worden waren, und er nunmehr die Anrechnung verweigert, weil die Nachweise nicht fristgerecht beigebracht worden seien. Die Rechtsordnung mißbilligt jedoch nicht jedes widersprüchliche Verhalten, sondern nur ein solches, durch das der eine Vertragsteil bewußt oder unbewußt eine Sach- oder Rechtslage geschaffen hat, auf die sich der andere verlassen durfte und auch verlassen hat(vgl. Erman/Werner BGB 10. Aufl. § 242 Rn. 79; Palandt/Heinrichs BGB 61. Aufl. § 242 Rn. 56 mwN). Dies war hier nicht der Fall. Zwar kann in besonders gelagerten Ausnahmefällen die Änderung der Dienstzeitberechnung zu Ungunsten des Angestellten aus Gründen des Vertrauensschutzes unzulässig sein, etwa dann, wenn dem Angestellten auf Grund einer fehlerhaften Berechnung der Beschäftigungszeit jahrelang eine zu hohe Vergütung gewährt worden ist. Unter solchen Umständen darf ein Arbeitnehmer darauf vertrauen, daß es auch für die Zukunft bei der bisherigen Berechnung verbleibt(BAG 18. September 1974 – 5 AZR 18/74 – AP BergmannsversorgungsscheinG NRW § 9 Nr. 10, zu II der Gründe). Solche Umstände liegen hier jedoch nicht vor. Die Klägerin hat selbst nicht behauptet, daß sich die Berechnung der Beschäftigungszeit bereits in irgendeiner Weise auf ihre arbeitsvertraglichen Ansprüche ausgewirkt hätte. Sie erleidet daher durch eine Neuberechnung der Beschäftigungszeit keine unbilligen Nachteile. Ein schützenswertes Vertrauen ist deshalb auf Seiten der Klägerin durch das Verhalten des Beklagten nicht entstanden. Insbesondere begründet der Zeitablauf von fünf Jahren seit der ersten Berechnung der Beschäftigungszeit bis zur Berichtigung einen solchen Vertrauensschutz nicht(BAG 15. August 1979 – 4 AZR 913/77 – AP BAT § 20 Nr. 3 zur Berichtigung der Dienstzeitberechnung nach nahezu 14 Jahren).
C. Das Landesarbeitsgericht hat auch über die Kosten der Revision zu entscheiden.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Gräfl, Hinsch, Reimann
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 25.10.2001 durch Schneider, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 707188 |
BAGE, 239 |
BB 2002, 948 |
FA 2002, 156 |
NZA 2002, 523 |
ZTR 2002, 322 |
AP, 0 |
AuA 2002, 478 |
NJ 2002, 446 |
PersR 2002, 273 |
RiA 2002, 273 |
AUR 2002, 197 |