Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltung von Tarifverträgen bei Mischbetrieben
Leitsatz (redaktionell)
1.Bei Mischbetrieben kommt es für die Tarifgeltung entscheidend darauf an, mit welchen Aufgaben die Arbeitnehmer des Betriebes überwiegend beschäftigt werden. Wirtschaftliche Gesichtspunkte sowie handels- und gewerberechtliche Kriterien sind grundsätzlich unbeachtlich; sie können lediglich ergänzend und zur Bestätigung mitherangezogen werden.
2. Werden in einem Betrieb der Unterhaltungselektronik, der aus einem Ladengeschäft und einer Kundenwerkstatt besteht, die Arbeitnehmer überwiegend im technisch - handwerklich orientierten Werkstattbereich beschäftigt, so können aus den vorstehenden Gründen die Tarifverträge für den Einzelhandel keine Anwendung finden.
3. Im Wege einer Inzidentfeststellungsklage (§ 256 Abs 2 ZPO) kann in abstrakter Weise gerichtlich geklärt werden, ob in einem Betrieb für die Arbeitnehmer und Auszubildenden Tarifverträge einer bestimmten Berufssparte Geltung haben.
Orientierungssatz
Allgemeiner arbeitsrechtlicher und tariflicher Unternehmensbegriff - Tarifkonkurrenz - Tarifpluralität - Auslegung typischer Berufsausbildungsverträge durch das Revisionsgericht.
Normenkette
TVG § 1; ZPO § 256
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 20.02.1987; Aktenzeichen 2 Sa 1807/86) |
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 28.10.1986; Aktenzeichen 7 Ca 1884/86) |
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 28.10.1986; Aktenzeichen 7 Ca 1886/86) |
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 28.10.1986; Aktenzeichen 7 Ca 1885/86) |
Tatbestand
Die der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen angehörenden Kläger sind bzw. waren bei dem Beklagten Auszubildende in dem Ausbildungsberuf "Radio- und Fernsehtechniker". Der Beklagte ist gelernter Radio- und Fernsehtechniker. Er gehört der Radio- und Fernsehtechnikerinnung Bergisch Land an, die ihrerseits Mitglied des Fachverbandes Elektrotechnische Handwerke Nordrhein-Westfalen ist. Außerdem ist der Beklagte Mitglied des Bergischen Einzelhandelsverbandes R. Im Handelsregister des zuständigen Amtsgerichts ist er als Einzelhandelskaufmann eingetragen, in der Handwerksrolle seit dem Jahre 1946 als Inhaber eines "Radio- und Fernsehtechniker-Nebenbetriebes".
Der Beklagte betreibt ein Unternehmen für Unterhaltungselektronik, das aus einem Verkaufsgeschäft und einer unmittelbar mit diesem verbundenen Werkstatt besteht. Der Einzelhandel beschränkt sich auf den Verkauf von Produkten der Unterhaltungselektronik, während in der Werkstatt unter der Aufsicht eines Radio- und Fernsehtechnikermeisters defekte Geräte - auch solche, die nicht beim Beklagten gekauft worden sind - repariert werden. Im Werkstattbereich wurden bzw. werden auch die Kläger ausgebildet. Der Beklagte wendet in seinem Betrieb die zwischen dem Fachverband Elektrotechnische Handwerke Nordrhein-Westfalen und der Industriegewerkschaft Metall abgeschlossenen Tarifverträge für die Arbeitnehmer der Elektrohandwerke in Nordrhein-Westfalen an.
Der schriftliche Berufsausbildungsvertrag zwischen dem Beklagten und dem Kläger zu 1 wurde am 12. März 1985 abgeschlossen. Sein Berufsausbildungsverhältnis endet am 31. Januar 1989. Der Berufsausbildungsvertrag mit dem Kläger zu 2 wurde am 7. April 1984 abgeschlossen. Sein Berufsausbildungsverhältnis endet am 31. März 1988. Der Berufsausbildungsvertrag mit dem Kläger zu 3 wurde am 17. März 1983 abgeschlossen. Sein Berufsausbildungsverhältnis war am 31. Januar 1987 beendet.
In den drei schriftlichen Berufsausbildungsverträgen wurde jeweils übereinstimmend vereinbart:
"Die Vergütung richtet sich nach der tarifvertraglichen
Regelung bzw. den jeweils empfohlenen
Sätzen der Fachverbände. ... Sie beträgt
zur Zeit monatlich ..."
In Verfahren gemäß § 111 Abs. 2 ArbGG vor dem Ausschuß für Ausbildungsstreitigkeiten der Radio- und Fernsehtechnikerinnung Bergisch Land haben die Kläger den Beklagten für jeweils unterschiedliche Zeiträume auf Zahlung des Differenzbetrages zwischen ihrer erhaltenen und der Ausbildungsvergütung nach den Tarifverträgen für die Arbeitnehmer des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen in Anspruch genommen. Außerdem haben sie die Differenz der entsprechenden Urlaubsgeldbeträge verlangt, die Kläger zu 2 und 3 darüber hinaus auch noch die tarifliche Sonderzuwendung für 1985 abzüglich des erhaltenen Betrages. Der Ausschuß für Ausbildungsstreitigkeiten hat die Anträge der Kläger mit Schiedssprüchen vom 2. Juni 1986 abgewiesen. Die Schiedssprüche wurden am 11. Juni 1986 ausgefertigt und danach zur Zustellung gebracht.
Mit ihren am 19. Juni 1986 beim Arbeitsgericht eingegangenen und am 26. Juni 1986 zugestellten Klagen haben die Kläger ihre Forderungen bei den staatlichen Arbeitsgerichten weiterverfolgt. Ergänzend haben sie die Feststellung begehrt, daß auf ihre Berufsausbildungsverhältnisse die jeweils gültigen Tarifverträge für Auszubildende und Arbeitnehmer des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen Anwendung finden. Dazu haben die Kläger vorgetragen, diese Tarifverträge hätten vorliegend deswegen Geltung, weil im Verkauf der Schwerpunkt und die wirtschaftliche Haupttätigkeit des Beklagten liege. Darin werde auch der überwiegende Umsatz erzielt. Diese Umstände dürften bei der Tarifanwendung nicht unberücksichtigt bleiben. Demgegenüber sei der Werkstattbereich nur eine notwendige Dienstleistungseinrichtung, die der wirtschaftlichen Haupttätigkeit des Unternehmens, nämlich dem Verkauf der Geräte, zu dienen bestimmt sei. Auf die Werkstatt könne nicht verzichtet werden, weil die Kundschaft in der Rundfunk- und Fernsehbranche auf Werkstattleistungen großen Wert lege und angewiesen sei. Ihrem Gepräge nach stelle sich die wirtschaftliche Tätigkeit des Beklagten eindeutig als Einzelhandelsunternehmen dar. Demgemäß haben die Kläger beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen,
an den Kläger zu 1 DM 1.238,33 brutto,
an den Kläger zu 2 DM 2.014,20 brutto
und
an den Kläger zu 3 DM 2.135,20 brutto
nebst jeweils 4 v.H. Zinsen seit dem 26.
Juni 1986 zu zahlen,
2. festzustellen, daß auf die Berufsausbildungsverhältnisse
der Parteien die jeweils
gültigen Tarifverträge für die Auszubildenden
und Arbeitnehmer des Einzelhandels
in Nordrhein-Westfalen Anwendung finden.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und erwidert, für das Klagebegehren fehle es an einer Rechtsgrundlage. Entscheidend sei, daß die von seinen Mitarbeitern geleistete Arbeit ganz überwiegend im ausschließlich handwerklichen Werkstattbereich und damit auch im Bereiche der Radio- und Fernsehtechnik erbracht werde. Diesem betrieblichen Teilbereich seien die meisten Arbeitsplätze zuzurechnen. Selbst das Verkaufspersonal werde zeitweilig in der Werkstatt eingesetzt. Zudem müsse berücksichtigt werden, daß auch der Betriebsinhaber der aufgezeigten Struktur des Betriebes entsprechend selbst gelernter Radio- und Fernsehtechniker sei. Jedenfalls sei aber für die zutreffende tarifliche Zuordnung maßgebend, auf welchen Gebieten die Arbeitnehmer überwiegend eingesetzt würden. Danach kämen bei ihm die Tarifverträge für den Einzelhandel nicht zur Anwendung.
Das Arbeitsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Klagen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die drei Prozesse zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Berufungen der Kläger zurückgewiesen.
In der Revisionsinstanz haben die Kläger ihre Zinsforderungen auf die den eingeklagten Bruttobeträgen entsprechenden Nettobeträge beschränkt. Mit dieser Beschränkung verfolgen die Kläger ihre Klageforderungen - der Kläger zu 3 wegen der Beendigung seines Berufsausbildungsverhältnisses unter Wegfall des Feststellungsantrages - weiter. Der Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend erkannt, daß es für das Klagebegehren keine Rechtsgrundlage gibt. Für die Berufsausbildungsverhältnisse der Kläger zum Beklagten kommen die Tarifverträge für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen entgegen der Rechtsauffassung der Kläger nicht zur Anwendung.
Soweit die Kläger mit ihrem zweiten Klageantrag, den der Kläger zu 3 in der Revisionsinstanz wegen der inzwischen eingetretenen Beendigung seines Berufsausbildungsverhältnisses nicht mehr aufrechterhalten hat, die Feststellung der Geltung der Tarifverträge für die Auszubildenden und Arbeitnehmer des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen begehren, haben sie eine zulässige Inzidentfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO erhoben. Zwar soll nach ihrem diesbezüglichen Klagebegehren über eine abstrakte Rechtsfrage entschieden werden, was normalerweise im Zivilprozeß nicht möglich ist. Vorliegend ist jedoch die zur gerichtlichen Entscheidung gestellte Frage der Geltung der Tarifverträge für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen für die Leistungsanträge und vielfache Rechtsansprüche aus diesen Tarifverträgen - deren Geltung vorausgesetzt - vorgreiflich und damit letztlich für alle Rechte und Pflichten der Kläger aus ihren Berufsausbildungsverhältnissen entscheidend. Dabei nimmt der Senat Bedacht darauf, daß für die Zulässigkeit einer derartigen Inzidentfeststellungsklage bereits die Möglichkeit einer rechtlichen Bedeutung der betreffenden Rechtsfrage über den gerade anhängigen Streitgegenstand hinaus ausreichend ist (vgl. BGHZ 69, 37, 42, das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 29. Oktober 1954 - I ZR 169/53 - LM Nr. 4 zu § 280 ZPO sowie Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 46. Aufl., § 256 Anm. 7 B d aa und bb, mit weiteren Nachweisen). Er nimmt weiter darauf Bedacht, daß es bei einer Inzidentfeststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO eines besonderen Feststellungsinteresses nicht bedarf (vgl. BGHZ 69, 37, 41, das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 30. Januar 1959 - I ZR 82/57 - LM Nr. 2 zu § 41 LitUrhG, mit weiteren Nachweisen).
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind die Kläger Mitglieder der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, während der Beklagte dem Bergischen Einzelhandelsverband angehört. Damit gehören alle Parteien denjenigen Verbänden an, die die Tarifverträge für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen abgeschlossen haben. Im einzelnen handelt es sich dabei, soweit sie für den vorliegenden Fall Bedeutung haben, um den Manteltarifvertrag für den Einzelhandel vom 15. Mai 1985 (MTV Einzelhandel NW), den Tarifvertrag über Sonderzahlungen für den Einzelhandel vom gleichen Tage (TV Sonderzahlungen Einzelhandel NW) und den Lohn- und Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel wiederum vom gleichen Tage (GTV Einzelhandel NW). Aufgrund der allseitigen Zugehörigkeit zu den tarifvertragsschließenden Verbänden sind hinsichtlich dieser Tarifverträge die rechtlichen Voraussetzungen für eine unmittelbare und zwingende Geltung nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG erfüllt. Zudem sind diese Tarifverträge auch sämtlich für allgemeinverbindlich erklärt worden, so daß die Rechtswirkungen des § 5 Abs. 4 TVG ebenfalls eingreifen.
Der MTV Einzelhandel NW gilt nach seinem § 1 Abs. 2
für alle Unternehmen des Einzelhandels in
Nordrhein-Westfalen einschließlich ihrer
Hilfs- und Nebenbetriebe sowie die von diesen
Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer.
In gleicher Weise ist auch der Geltungsbereich des TV Sonderzahlungen Einzelhandel NW und des GTV Einzelhandel NW umschrieben. Mit Recht nimmt das Landesarbeitsgericht jedoch an, daß entgegen der Rechtsauffassung der Kläger ihre Berufsausbildungsverhältnisse vom Geltungsbereich dieser Tarifverträge nicht erfaßt werden, so daß es für sie vorliegend keinen Rechtsvorteil bedeutet, daß aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen hinsichtlich dieser Tarifverträge die rechtlichen Geltungserfordernisse der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG bzw. des § 5 Abs. 4 TVG erfüllt sind.
Bei der Bestimmung des fachlichen Geltungsbereiches gehen die Tarifvertragsparteien des MTV Einzelhandel NW vom Rechtsbegriff des "Unternehmens" des Einzelhandels aus. Da sie diesen Begriff selbst nicht definieren, ist davon auszugehen, daß sie darunter den (dem handels- und wirtschaftsrechtlichen weitgehend entsprechenden) arbeitsrechtlichen Begriff des Unternehmens verstehen, d. h. eine organisatorische Einheit, mit der ein Unternehmer unter Zuhilfenahme materieller und immaterieller Mittel seine wirtschaftlichen Zwecke und Zielsetzungen verfolgt (vgl. BAGE 27, 359, 362 = AP Nr. 1 zu § 47 BetrVG 1972, den Beschluß des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 23. September 1980 - 6 ABR 8/78 - AP Nr. 4 zu § 47 BetrVG 1972, das Urteil des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Juni 1985 - 2 AZR 452/84 - AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969, auch Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 1 Rz 72; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Band I, § 16 VI, S. 97 und Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 6. Aufl., § 18 IV, S. 67). Für diese Beurteilung spricht auch, daß dann, wenn die Tarifvertragsparteien einen Begriff verwenden, der in der Rechtsterminologie eine vorgegebene Bedeutung hat, davon auszugehen ist, daß sie ihn auch in ihrem Regelungsbereich, sofern sie nicht selbst etwas anderes bestimmen, in seiner allgemeinen rechtlichen Bedeutung verwenden und angewendet wissen wollen (vgl. die Urteile des Senats BAGE 42, 272, 277 = AP Nr. 61 zu § 616 BGB sowie vom 13. November 1985 - 4 AZR 269/84 - AP Nr. 35 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, und 1. April 1987 - 4 AZR 397/86 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, mit weiteren Nachweisen auf die ständige Senatsrechtsprechung).
Der wirtschaftliche Betätigungsbereich des Beklagten ist als "Unternehmen" im Sinne des entsprechenden allgemeinen arbeitsrechtlichen und damit auch des entsprechenden tariflichen Begriffes anzusehen, wobei Ladengeschäft und Werkstatt, wie das für derartige Kleinunternehmen charakteristisch ist, als ein Unternehmen angesehen werden müssen. Beide Geschäftsbereiche dienen nämlich als wirtschaftliche, personelle und organisatorische Einheit der Erreichung eines gemeinschaftlichen und einheitlichen wirtschaftlichen Zweckes, wobei der Senat mit den Vorinstanzen unter Berücksichtigung des Handelsbrauches (§ 346 HGB) davon ausgeht, daß zu Rundfunk- und Fernsehgeräten verkaufenden Betrieben üblicherweise auch eine Kundenwerkstatt gehört. Da Laden und Werkstatt vorliegend unmittelbar nebeneinander liegen und lediglich durch eine Tür getrennt sind, die Arbeitnehmer des Beklagten weitgehend sowohl im Laden als auch in der Werkstatt eingesetzt werden und beide Bereiche eine gemeinschaftliche geschäftliche Organisation bilden, liegen auch nicht etwa zwei selbständige Betriebe vor, so daß vorliegend, was rechtlich möglich ist, Unternehmen und Betrieb des Beklagten identisch sind (vgl. dazu Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 1 Rz 74 sowie Hueck/Nipperdey, aaO, § 16 VI, S. 97).
Das Landesarbeitsgericht hat jedoch mit Recht verneint, daß es sich vorliegend um ein Unternehmen des Einzelhandels handelt. Dabei hat es zutreffend erkannt, daß es sich bei dem Betrieb des Beklagten infolge der Verbindung von Verkaufsgeschäft und Kundenwerkstatt um einen sogenannten Mischbetrieb handelt. Bei einem derartigen Mischbetrieb kommt es jedoch nach gefestigter Rechtsprechung des Senats, auf die auch das Landesarbeitsgericht maßgeblich abgestellt hat, für die Tarifgeltung entscheidend darauf an, mit welchen Tätigkeiten die Arbeitnehmer des betreffenden Betriebes überwiegend beschäftigt werden, während wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst, aber auch handels- und gewerberechtliche Kriterien wie Handelsregistereintragung, Firmierung, Gewerbeanmeldung und Registrierung bei der Industrie- und Handelskammer oder Handwerkskammer grundsätzlich unmaßgeblich sind (vgl. die Urteile des Senats vom 25. Februar 1987 - 4 AZR 230/86 - und - 4 AZR 240/86 -, beide zur Veröffentlichung vorgesehen, im Anschluß an BAGE 25, 188, 193 = AP Nr. 13 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau sowie die weiteren Urteile des Senats vom 10. September 1975 - 4 AZR 456/74 - AP Nr. 24 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau und 17. Februar 1971 - 4 AZR 71/70 - AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau, mit weiteren Nachweisen). Daran ist entgegen den Ausführungen der Revision und den ergänzenden Ausführungen der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat festzuhalten, weil Tarifverträge eine Institution des Arbeitsrechts sind, Rechte und Pflichten der jeweiligen Arbeitnehmer und Arbeitgeber regeln und daher grundsätzlich auch nur nach arbeitsrechtlichen Kriterien ausgelegt werden können.
Demgemäß ist auch vorliegend ohne tragende Berücksichtigung wirtschaftlicher, handelsrechtlicher und gewerberechtlicher Gesichtspunkte entscheidend darauf abzustellen, ob die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer des Beklagten mit Verkaufsaufgaben, wie sie für den Einzelhandel typisch und kennzeichnend sind, oder mit handwerklich-technischen Aufgaben, wie sie für das Radio- und Fernsehtechnikergewerbe charakteristisch sind, ausgefüllt wird. Nach den den Senat gemäß § 561 ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, auf die es prozeßentscheidend ankommt, werden die Arbeitnehmer des Beklagten weit überwiegend im handwerklich-technisch orientierten Werkstattbereich des Beklagten beschäftigt. Damit hat das Landesarbeitsgericht jedenfalls im Ergebnis zutreffend entschieden.
Da die Tarifverträge für den Einzelhandel in Nordrhein- Westfalen aus den dargelegten Gründen vorliegend nicht gelten, kommt es auf die vom Landesarbeitsgericht und der Revision angeschnittenen Fragen einer etwaigen Tarifkonkurrenz nicht mehr an, weil eine solche nicht besteht. Eine Tarifkonkurrenz liegt nämlich nur dann vor, wenn mehrere Tarifverträge denselben Sachverhalt regeln bzw. mehrere Tarifverträge nebeneinander anwendbar sind (vgl. auch hierzu die Urteile des Senats vom 14. Oktober 1987 - 4 AZR 342/87 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, und 24. September 1975 - 4 AZR 471/74 - AP Nr. 11 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; auch Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 152). Damit kommt eine Tarifkonkurrenz immer dann nicht in Betracht, wenn bereits die Auslegung nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ergibt, daß nur einer von mehreren Tarifverträgen gelten kann oder gelten soll (vgl. Wiedemann/Stumpf, aaO, wie zuletzt). Entgegen den weiteren Ausführungen der Revision liegt vorliegend auch kein Fall sogenannter "Tarifpluralität" vor. Davon kann nur gesprochen werden, wenn zwei Gewerkschaften mit demselben Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband Tarifverträge (gleichen oder unterschiedlichen Inhalts) abschließen (vgl. Hueck/Nipperdey, aaO, Band II/1, § 33 II 3, S. 643 und Wiedemann/Stumpf, aaO, § 4 Rz 156). Vorliegend sind jedoch die Tarifverträge für den Einzelhandel auf der einen und die vom Beklagten angewendeten für das Elektrohandwerk, zu dem auch die Rundfunk- und Fernsehtechnik zählt, auf der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite jeweils von unterschiedlichen Verbänden abgeschlossen worden.
Auch die weiteren Einwendungen der Revision, die die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertieft und ergänzt haben, greifen nicht durch. Zwar ist es zutreffend, daß das Landesarbeitsgericht neben dem entscheidenden arbeitsrechtlichen Gesichtspunkt der überwiegenden Tätigkeit der Arbeitnehmer auch auf den wirtschaftlichen Zuschnitt des Betriebes des Beklagten und dessen Entwicklungsgeschichte näher eingegangen ist. Die diesbezüglichen Ausführungen der Revision sind jedoch schon deswegen nicht rechtserheblich, weil es aus den dargelegten Gründen für die zutreffende tarifliche Zuordnung auf wirtschaftliche, handelsrechtliche und gewerberechtliche Kriterien nicht ankommt und sie allenfalls ergänzende und bestätigende Berücksichtigung finden können. Im übrigen haben die staatlichen Gerichte für Arbeitssachen entgegen den Ausführungen der Kläger vor dem Senat keine rechtliche Möglichkeit, die betriebliche Entwicklungsgeschichte eines Betriebes bei der Tarifauslegung entscheidend mitzuberücksichtigen. Wandelt sich der Charakter bestimmter Wirtschaftssparten, Handelsbräuche, Arbeitsweisen oder fachlicher Zuordnungen, wie das auch für die Rundfunk- und Fernsehbranche nach den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zutreffen mag, dann ist es alleinige Aufgabe der Tarifvertragsparteien, unter Prüfung und ggf. Änderung ihrer Tarifzuständigkeit daraus in geänderten oder erneuerten Tarifverträgen für die Arbeitsverhältnisse die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.
Die prozeßrechtlichen Rügen der Revision greifen nicht durch. Soweit die Revision unter Berufung auf § 286 ZPO die "unzureichende Durchführung der Beweisaufnahme" rügt, fehlt es bereits an der Darlegung der entsprechenden Prozeßtatsachen gemäß § 554 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe b ZPO. Das entsprechende Vorbringen ist im übrigen schon deswegen unbeachtlich, weil es schon gegenüber dem Landesarbeitsgericht hätte angebracht werden können und nicht angebracht worden ist (§ 295 Abs. 1 ZPO).
Das berufungsgerichtliche Urteil ist auch entgegen den weiteren Ausführungen der Revision nicht in sich widersprüchlich. Entgegen den Hinweisen der Revision geht das Landesarbeitsgericht nämlich gerade nicht davon aus, daß der Betrieb des Beklagten wirtschaftlich und handelsrechtlich vom Verkauf geprägt ist. Ob das zutrifft, kann indessen dahinstehen. Entscheidend kommt es nämlich aus den dargelegten Gründen allein auf den überwiegenden Einsatz der Arbeitnehmer an.
Damit könnten vorliegend die Tarifverträge für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen nur dann gelten, wenn ihre Geltung mit den Klägern, was rechtlich unbedenklich möglich wäre, wirksam einzelvertraglich vereinbart worden wäre. Aber auch das wird vom Landesarbeitsgericht mit zutreffender und von der Revision nicht angegriffener Begründung verneint.
Die Berufsausbildungsverträge mit den Klägern sind auf einem allgemein verwendeten Vordruck abgeschlossen worden, so daß "typische Berufsausbildungsverträge" vorliegen, die der Senat unbeschränkt und selbständig auslegen kann (vgl. BAGE 48, 107, 110 = AP Nr. 12 zu §§ 22, 23 BAT Lehrer; BAGE 42, 349, 356 = AP Nr. 21 zu § 611 BGB Bühnenengagementvertrag; BAGE 35, 7, 13 = AP Nr. 3 zu § 19 TV Arb Bundespost, mit weiteren Nachweisen auf die ständige Senatsrechtsprechung). Wie schon das Landesarbeitsgericht mit Recht hervorhebt, fehlt es jedoch an jedem Anhaltspunkt dafür, daß sich die sehr vage abgefaßte Vertragsregelung, nach der sich die Vergütung der Kläger "nach der tarifvertraglichen Regelung" richtet, auf Tarifverträge beziehen soll, die - wie vorliegend diejenigen für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen - nach allgemeinen tarifrechtlichen Grundsätzen keine Anwendung finden. Demgegenüber erhebt auch die Revision keine Einwendungen mehr.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 1 ZPO.
Dr. Feller Dr. Etzel Dr. Freitag
Schaible Hauk
Fundstellen
BAGE 56, 357-366 (LT1-3) |
BAGE, 357 |
BB 1988, 1116-1117 (LT1-3) |
DB 1988, 809-809 (LT1-3) |
EzB TVG § 1, Nr 16 (LT1-3) |
JR 1988, 352 |
NZA 1988, 317-319 (LT1-3) |
RdA 1988, 64 |
AP § 1 TVG, Nr 18 |
AR-Blattei, ES 1550.4 Nr 17 (LT1-3) |
AR-Blattei, Tarifvertrag IV Entsch 17 (LT1-3) |
EzA § 4 TVG Geltungsbereich, Nr 1 (LT1-3) |
GewArch 1989, 352 (L1-3) |