Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz wegen verspäteter Lohnzahlung - Steuerschaden
Orientierungssatz
Kann der Arbeitgeber bei Ausspruch einer fristlosen Kündigung aufgrund eines vertretbaren Rechtsstandpunktes auf die Wirksamkeit der Kündigung vertrauen, so gerät er bis zum Ende des Kündigungsrechtsstreits nicht in Schuldnerverzug.
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Köln vom 6. Februar 1998 - 11 Sa 1044/97 -
wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen verspäteter Lohnzahlung zum Ausgleich von Steuerschäden.
Der Kläger ist bei der Beklagten, einem Unternehmen für Zeitungszustellungen, als Vertriebsinspektor beschäftigt. Mit Schreiben vom 6. Oktober 1994 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, weil der Kläger seit vielen Jahren gewußt habe, daß der von ihm angestellte Zusteller G nach kurzer Zeit die Zeitungen nicht mehr selber austrug, sondern dies seiner Ehefrau überließ, so daß mit diesem ein Scheinarbeitsverhältnis bestanden habe. In einem Beschlußverfahren über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl bei der Beklagten und in einem Kündigungsschutzverfahren der Frau G habe er seine Kenntnis bestritten und dementsprechend sowohl der Beklagten als auch dem Gericht gegenüber die Unwahrheit gesagt.
Das Arbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage des Klägers nach Beweisaufnahme ab, weil der Kläger beharrlich gegen seine Unterrichtungspflicht verstoßen habe. Das Landesarbeitsgericht gab auf die Berufung des Klägers der Klage statt, weil es an einem wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung gefehlt habe. Zwar spreche nach der Beweisaufnahme des Arbeitsgerichts vieles dafür, daß der Kläger bereits 1992 gewußt habe, daß Frau G als Zustellerin tätig gewesen sei. Ihm sei daher vorzuwerfen, trotz seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung hiergegen nichts unternommen und die Beklagte falsch unterrichtet zu haben. Aber gleichwohl sei die außerordentliche Kündigung nicht gerechtfertigt. Sie sei nicht interessengerecht, da der Kläger 19 Jahre unbeanstandet tätig gewesen und ein unredliches Zusammenwirken des Klägers mit der Frau G nicht zu erkennen sei. Die einmalige Verfehlung des Klägers könne unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles die außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigen.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 12. Januar 1996 wurde rechtskräftig. Die Beklagte rechnete die rückständigen Vergütungsansprüche des Klägers für die Zeit von Oktober 1994 bis Januar 1996 in Höhe von insgesamt 104.578,95 DM brutto ab und nahm die erforderliche Nachzahlung vor. Der Nachzahlungsbetrag wurde zusammen mit dem regulären Arbeitseinkommen des Klägers im Jahre 1996 versteuert.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, ihm den Schaden zu ersetzen, der dadurch eingetreten sei, daß diese die Arbeitsvergütungen von Oktober 1994 bis Januar 1996 nicht fristgerecht, sondern insgesamt erst 1996 vorgenommen habe. Bei fristgerechter Zahlung hätte er unter Berücksichtigung des bestandskräftigen Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 1996 vom 17. September 1997 Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt DM 62.891,98 entrichten müssen, tatsächlich sei er aber durch die Nachzahlung im Jahre 1996 mit Steuern in Höhe von insgesamt DM 73.359,85 belastet worden. Daraus errechne sich ein Steuerschaden von DM 10.467,87.
Der Kläger hat, soweit in der Revision noch von Bedeutung, beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.467,87 DM nebst 4 % Zinsen
seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, ein Schadensersatzanspruch des Klägers bestehe nicht. Ein Arbeitgeber gerate so lange nicht in Schuldnerverzug, wie er eine von ihm für wirksam gehaltene außerordentliche Kündigung im Prozeß verteidige. Jedenfalls fehle es an dem für den Schuldnerverzug des Arbeitgebers erforderlichen Verschulden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seine Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte ist mit den Vergütungszahlungen an den Kläger nicht in Schuldnerverzug geraten.
I. Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch wegen Schuldnerverzuges nach § 286 Abs. 1 i.V.m. § 284 Abs. 2 Satz 1, § 285 BGB zu.
1. Nach § 285 BGB setzt Schuldnerverzug die rechtswidrige Verzögerung der noch möglichen Leistungen aus einem vom Schuldner zu vertretenden Grund voraus. Was der Schuldner zu vertreten hat, regeln die §§ 276 bis 279 BGB. Danach hat der Schuldner für eigenes Verschulden und das seiner Erfüllungsgehilfen und gesetzlichen Vertreter einzustehen. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB handelt fahrlässig, wer die erforderliche Sorgfalt außer acht läßt. Der Arbeitgeber kann mit der Leistung der Arbeitsvergütung auch dadurch in Verzug geraten, daß er infolge einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr leistet, obwohl er bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, daß die Kündigung unwirksam ist. Anders verhält es sich, wenn der Ausspruch der Kündigung auf einem vertretbaren Rechtsstandpunkt beruht. Ist die Rechtslage nämlich nicht eindeutig, handelt der kündigende Arbeitgeber so lange nicht fahrlässig, als er auf die Wirksamkeit seiner Kündigung vertrauen durfte. Dieses Vertrauen auf die Wirksamkeit der Kündigung kann im Laufe eines Kündigungsrechtsstreits seine Berechtigung verlieren, z.B. nach Durchführung einer Beweisaufnahme, die zum Ergebnis geführt hat, daß keine Kündigungsgründe vorliegen. Hält der Arbeitgeber in einem solchen Fall die Entgeltzahlungen weiterhin zurück, gerät er in Schuldnerverzug. Hätte der Arbeitgeber allerdings schon im Zeitpunkt der Kündigung bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können, daß die Kündigung unwirksam ist, so gerät er bereits von vornherein bei nicht fristgerechter Zahlung des Arbeitsentgelts in Schuldnerverzug. Nach § 285 BGB trägt der Schuldner die Darlegungs- und Beweislast für Entschuldigungsgründe, die den Eintritt des Verzuges hindern. Der kündigende Arbeitgeber, der keine Arbeitsvergütung mehr zahlt, hat somit nach § 285 BGB zum Ausschluß eines Schuldnerverzuges darzulegen und zu beweisen, daß aus seiner Sicht Kündigungsgründe vorlagen, die einen sorgfältig erwägenden Arbeitgeber zur Kündigung veranlassen konnten, so daß er auf die Wirksamkeit der Kündigung vertrauen durfte (vgl. Urteil des Senats vom 18. Februar 1999 - 8 AZR 320/97 - n.v., zu II 3 a der Gründe).
2. Im Streitfall war die Beklagte dadurch, daß sie die Vergütungen ab Oktober 1994 erst im Januar 1996 nachzahlte, nicht in Schuldnerverzug geraten. Sie konnte bei Ausspruch der fristlosen Kündigung aufgrund eines vertretbaren Rechtsstandpunktes auf die Wirksamkeit der Kündigung vertrauen. Dieses Vertrauen endete erst im Kündigungsschutzrechtsstreit mit dem Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 12. Januar 1996.
Der Kläger hatte jahrelang gewußt, daß der Zusteller G die Zeitungen gar nicht selber austrug, sondern dies seiner Ehefrau überließ, so daß mit diesem ein Scheinarbeitsverhältnis bestand. Der Kläger hat über diese Umstände der Beklagten gegenüber nicht nur geschwiegen, sondern sie auch falsch unterrichtet. Die Beklagte konnte dieses Verhalten als einen so schwerwiegenden Vertrauensverstoß und Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ansehen, daß ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden könne. Der Rechtsstandpunkt der Beklagten war im Zeitpunkt der Kündigung auch aus der Sicht eines sorgfältig erwägenden Arbeitgebers vertretbar. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme im Kündigungsschutzverfahren war keine Entlastung des Klägers erkennbar, so daß auch das Arbeitsgericht einen wichtigen Grund für die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses bejahte. Auch das Berufungsgericht ging von schweren und nachhaltigen Pflichtverstößen des Klägers aus und kam nur aufgrund einer Gesamtabwägung unter Berücksichtigung einer jahrelangen vertrauensvollen Arbeit des Klägers zu einem anderen Ergebnis als das Arbeitsgericht. Bei der bei jeder außerordentlichen Kündigung erforderlichen Interessenabwägung gilt, daß der Arbeitgeber nicht schuldhaft handelt, wenn seine Abwägung auf einem vertretbaren Rechtsstandpunkt beruht und er auf die Rechtmäßigkeit seiner Interessenabwägung vertrauen durfte. Dies war im Streitfall bis zur Entscheidung des Landesarbeitsgerichts im Kündigungsschutzprozeß der Fall. Bis dahin konnte die Beklagte im Hinblick auf den schwerwiegenden Vertrauensbruch des Klägers auf die Rechtmäßigkeit ihrer Interessenabwägung vertrauen. Zudem hatte auch das Arbeitsgericht diese Interessenabwägung gebilligt.
II. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Ascheid Dr. Wittek Müller-Glöge
E. Schmitzberger Dr. Scholz
Fundstellen