Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindungszahlung in der Insolvenz. Insolvenzrechtliche Einordnung monatlicher “Abfindungsaufzahlungen” in Altersteilzeit
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Abfindung, der auf einer Vereinbarung zwischen dem Schuldner und dem Arbeitnehmer beruht, ist grundsätzlich nur Insolvenzforderung nach § 38 InsO und nicht Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO, auch wenn er erst nach Insolvenzeröffnung entsteht.
Orientierungssatz
1. Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO sind Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Aus dem Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Regelung ergibt sich, dass für die Einordnung als Masse- oder Insolvenzforderung entscheidend ist, ob sich die Forderung des Arbeitnehmers auf eine Leistung mit Entgeltcharakter richtet.
2. Abfindungen sind in der Regel kein Entgelt für nach Insolvenzeröffnung erbrachte Leistungen, sondern stellen einen Ausgleich für durch den Verlust des Arbeitsplatzes entstehende Nachteile und/oder eine Honorierung der Zustimmung des Arbeitnehmers zur vorzeitigen Vertragsauflösung dar. Der Anspruch auf eine solche Abfindung, welcher vor Insolvenzeröffnung vereinbart wurde, ist auch dann nur einfache Insolvenzforderung iSv. § 38 InsO und keine Masseschuld, wenn er erst nach Insolvenzeröffnung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht.
3. Für eine andere rechtliche Einordnung müssten sich aus einem gegenseitigen Vertrag iSv. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO ausreichende Hinweise dafür ergeben, dass es sich trotz der Bezeichnung als “Abfindung” um eine Leistung handelt, die nach ihrer überwiegenden Zwecksetzung in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zur Arbeitsleistung steht oder jedenfalls im weiteren Sinne eine synallagmatische Verknüpfung zum Bestand des Arbeitsverhältnisses aufweist, so dass sie in den Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift des § 55 InsO fällt.
Normenkette
InsO § 1 S. 1, §§ 38, 53 f., § 55 Abs. 1 Nrn. 1-2, §§ 87, 108, 174; BGB §§ 611, 614 f.
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 01.09.2006; Aktenzeichen 17 (12) Sa 333/06) |
ArbG Duisburg (Urteil vom 16.02.2006; Aktenzeichen 1 Ca 3031/05) |
Tenor
1. Die Revision der Alleinerbin des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 1. September 2006 – 17 (12) Sa 333/06 – wird zurückgewiesen.
2. Die Revisionsklägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche des verstorbenen Klägers aus einer Altersteilzeitvereinbarung in Höhe von monatlich 306,78 Euro für den Zeitraum vom 1. September 2002 bis zum 31. Dezember 2002.
Der verstorbene Kläger war bei der Insolvenzschuldnerin, der B… GmbH, seit April 1964 beschäftigt. Mit dieser schloss er mit Wirkung vom 21. Mai 2001 eine Vereinbarung über Altersteilzeit im Blockmodell mit einer Arbeitsphase vom 1. Mai 2001 bis zum 31. Oktober 2002 und einer sich anschließenden Freistellungsphase in der Zeit vom 1. November 2002 bis zum 30. April 2004. In dieser Vereinbarung heißt es:
Ҥ 4 Arbeitsentgelt
Herr W… erhält für die Dauer des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses Entgelt nach Maßgabe der gemäß § 3 reduzierten Arbeitszeit, d. h. einen Betrag von derzeit brutto DM 4.367,19 monatlich.
Das Entgelt ist unabhängig von der Verteilung der Arbeitszeit fortlaufend zu zahlen.
Darüber hinaus erhält Herr W… während der Arbeitsphase eine Jahresabschlußvergütung entsprechend der jeweils geltenden betrieblichen Regelungen und eine zusätzliche Urlaubsvergütung.
§ 5 Altersteilzeitleistungen
(1) Herr W… erhält zu seinem Arbeitsentgelt gem. § 4 einen Aufstockungsbetrag in Höhe von derzeit DM 1.387,16 monatlich.
(2) Herr W… erhält in analoger Anwendung des Punkt 13. der Vereinbarung zur Altersteilzeit vom 19. Juli 2000 darüber hinaus zusätzlich DM 600,-- monatlich.
(3) Die Gesellschaft entrichtet für Herrn W… zusätzlich Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1b ATG.
(4) Herr W… wird für die Dauer des Altersteilzeitverhältnisses in der gesetzlichen Altersversorgung so gestellt, als würde er über den gesamten Zeitraum in Vollzeit beschäftigt werden.
(5) Herr W… wird für die Dauer des Altersteilzeitverhältnisses in der betrieblichen Altersversorgung so gestellt, als würde er über den gesamten Zeitraum in Vollzeit beschäftigt werden, wobei Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils die gleichen Beträge – wie im letzten Monat vor Beginn der Altersteilzeit – entrichten.
…”
Ziff. 13 der in Bezug genommenen Betriebsvereinbarung – Vereinbarung zur Altersteilzeit – vom 19. Juli 2000 lautet:
“Der Mitarbeiter erhält während des Altersteilzeitverhältnisses für den Verlust des Arbeitsplatzes monatlich eine Abfindungsaufzahlung von DM 600,--.
Weitere Abfindungszahlungen stehen dem Altersteilzeitmitarbeiter nicht zu.”
Gleichfalls am 19. Juli 2000 unterzeichneten die Betriebspartner eine Protokollnotiz zur Betriebsvereinbarung “Altersteilzeit” vom 19. Juli 2000, in der es wörtlich heißt:
“Unter 13.
Die maximale Aufzahlungssumme beträgt DM 25.200,--.
…”
Am 1. September 2002 wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Nachdem zunächst Eigenverwaltung angeordnet worden war, wurde der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestimmt.
Die Vergütungsforderungen des Klägers für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. September bis zum 31. Dezember 2002 wurden durch den Beklagten im Jahr 2005 erfüllt. Der Beklagte verweigerte aber die Auszahlung der Beträge in Höhe von 600,00 DM bzw. 306,78 Euro, die die Vertragsparteien in § 5 Abs. 2 des Altersteilzeitvertrages geregelt haben. Diese Beträge wurden nur bis zum Eintritt der Insolvenz gezahlt.
Mit seiner am 23. November 2005 beim Arbeitsgericht Duisburg eingegangenen Klage hat der Kläger die Zahlung der monatlichen Beträge nach § 5 Abs. 2 des Altersteilzeitvertrages für den Zeitraum vom 1. September bis zum 31. Dezember 2002 in der Gesamthöhe von 1.227,12 Euro gerichtlich geltend gemacht. Der Kläger ist am 5. Dezember 2006 verstorben. Mit Beschluss vom 1. Februar 2007 wurde die Aussetzung des Revisionsverfahrens auf Antrag des Beklagten gemäß § 246 Abs. 1 ZPO angeordnet. Die Ehefrau des Klägers hat den Kläger allein beerbt. Sie hat mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 6. Juni 2007 den Rechtsstreit wieder aufgenommen.
Die Klagepartei hat die Auffassung vertreten, der eingeklagte Betrag stünde ihr als Masseforderung zu. Es habe sich um einen Vergütungsbestandteil gehandelt, der jeweils monatlich ratierlich entstanden sei. Bei der Zahlungsverpflichtung in § 5 Abs. 2 des Altersteilzeitvertrages handele es sich nicht um eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, sondern um eine von der Arbeitsleistung abhängige zusätzliche Zahlung zur Existenzsicherung und als Ausgleich für das im Rahmen der Altersteilzeit geminderte Einkommen. Der Leistung komme damit Entgeltcharakter zu, weshalb sie als Masse- und nicht als Insolvenzforderung einzuordnen sei. Mit der Abfindungsregelung in der Altersteilzeitvereinbarung hätten die Vertragsparteien keine Schwarzgeldabrede und auch keine Nettolohnvereinbarung treffen wollen, sondern es handele sich im Ergebnis um nichts anderes als einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag. Auch den Betriebsparteien werde ein entsprechender Regelungswille bei Abschluss der Betriebsvereinbarung unterstellt.
Die Klagepartei hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.227,12 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 306,78 Euro ab dem 1. Oktober, 1. November, 1. Dezember 2002 sowie 1. Januar 2003 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, bei der Zahlungsforderung der Klagepartei gemäß § 5 Abs. 2 des Altersteilzeitvertrages handele es sich um eine Abfindungs- und damit um eine Insolvenzforderung, die zur Insolvenztabelle angemeldet werden müsste. Schon nach dem Wortlaut der Vereinbarung handele es sich um eine Abfindung und nicht um Arbeitsentgelt. Der Abfindungsanspruch sei bereits mit dem Abschluss des Altersteilzeitvertrages entstanden und nur die Fälligkeit sei mit der monatlichen Zahlung abweichend geregelt worden. Dass der Abfindung Existenzsicherungscharakter zukomme, ändere hieran nichts. Sämtliche Zahlungen, die an die Klagepartei als Altersteilzeitarbeitnehmer geflossen seien, seien Leistungen zur Existenzsicherung gewesen. Dies mache die von den Vertragsparteien in § 5 Abs. 2 des Altersteilzeitvertrages als Abfindung gewollte Zahlung nicht zu einer Aufstockungsleistung. Die Abfindung werde nach dem Wortlaut der vertraglichen Regelung iVm. Ziff. 13 der Betriebsvereinbarung als Gegenleistung für die freiwillige vorzeitige Aufgabe des Arbeitsplatzes durch Abschluss des Altersteilzeitvertrages geschuldet. Die Höhe der Abfindung sei für jeden Altersteilzeitarbeitnehmer individuell festgelegt worden. Darüber hinaus sei sie auch auf den maximalen Betrag von 25.200,00 DM begrenzt worden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des verstorbenen Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die nunmehrige Revisionsklägerin den Klageanspruch weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
I. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist die Klage zulässig.
Das Landesarbeitsgericht hat seine Ansicht, mit der es von der Unzulässigkeit der Klage ausgeht, auf die Entscheidung des Neunten Senats vom 11. Dezember 2001 (– 9 AZR 459/00 – AP InsO § 209 Nr. 1 = EzA InsO § 210 Nr. 1) gestützt. In diesem Urteil hat der Neunte Senat zu einem für die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhobenen Weihnachtsgeldanspruch entschieden, dass Insolvenzforderungen gegen den Insolvenzverwalter nicht mit der Leistungsklage verfolgt werden können; eine Masseverbindlichkeit hatte der Arbeitnehmer insoweit nicht behauptet. Diese Fallgestaltung ist vorliegend nicht gegeben. Die Klagepartei hat vielmehr eine Masseverbindlichkeit behauptet und eingeklagt. Wenn dann in Wahrheit eine Insolvenzforderung vorliegt, ist die Klage nicht unzulässig, sondern unbegründet (st. Rspr., vgl. Senat 27. April 2006 – 6 AZR 364/05 – AP InsO § 38 Nr. 3 = EzA InsO § 55 Nr. 12; BAG 4. Dezember 2002 – 10 AZR 16/02 – BAGE 104, 94; 31. März 2004 – 10 AZR 253/03 – BAGE 110, 135; zuletzt Senat 19. Januar 2006 – 6 AZR 529/04 – BAGE 117, 1).
II. Die Klage ist unbegründet. Bei den von der Revisionsklägerin geltend gemachten Forderungen handelt es sich nicht um Masseverbindlichkeiten.
1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend die Entstehung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO verneint. Nach dieser Bestimmung sind Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören. Von dieser Vorschrift werden insbesondere Arbeitsverhältnisse erfasst, die der Insolvenzverwalter im Rahmen seiner Tätigkeit selbst begründet hat. Dies war hier nicht der Fall. Das Arbeitsverhältnis zwischen dem verstorbenen Kläger und der Insolvenzschuldnerin bestand bereits seit 1964. Der Bestand des Vertragsverhältnisses wurde gemäß § 108 Abs. 1 InsO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt. Der Beklagte hat weder das Arbeitsverhältnis begründet noch die Altersteilzeit- und Abfindungsvereinbarung mit dem Kläger getroffen. Diese vertraglichen Regelungen sind vielmehr zwischen dem Kläger und der Insolvenzschuldnerin vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zustande gekommen. Wird eine Abfindungsforderung durch eine Vereinbarung vor dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet, liegt auch für den Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Masseverbindlichkeit iSv. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor (Senat 19. Januar 2006 – 6 AZR 529/04 – BAGE 117, 1; BAG 31. Juli 2002 – 10 AZR 275/01 – BAGE 102, 82).
2. Bei den Forderungen der Klagepartei handelt es sich auch nicht um Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO.
Danach sind Masseverbindlichkeiten Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Unter § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO fallen alle Lohn- und Gehaltsansprüche, die aus der Beschäftigung von Arbeitnehmern nach der Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter erwachsen, und zwar in der Höhe, die sich aus dem jeweiligen Arbeitsvertrag ergibt, sowie alle sonstigen Ansprüche, die sich aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ergeben (Senat 19. Januar 2006 – 6 AZR 529/04 – BAGE 117, 1, zu II 1c der Gründe; BAG 19. Oktober 2004 – 9 AZR 645/03 – NZA 2005, 527; Uhlenbruck/Berscheid in Uhlenbruck InsO 12. Aufl. § 55 Rn. 60). Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung erbringt. Der Vergütungsanspruch wird zwar gemäß § 611 BGB grundsätzlich durch die tatsächliche Leistung der geschuldeten Dienste erworben, setzt diese aber nicht zwingend voraus (BAG 19. März 2002 – 9 AZR 16/01 – EzA BGB § 615 Nr. 108). Selbst dann, wenn der Insolvenzverwalter den Betrieb unmittelbar mit Verfahrenseröffnung stilllegt, die Arbeitnehmer freistellt und damit ihre Dienste nicht mehr in Anspruch nimmt, bleibt er gemäß § 615 BGB zur Vergütung der Arbeitnehmer verpflichtet (Nerlich/Römermann/Anders InsO Stand Mai 2007 § 55 Rn. 102). Ist im Arbeitsverhältnis ein regelmäßiges Arbeitsentgelt vereinbart, entstehen diese Entgeltansprüche mit den Zeitabschnitten, nach denen die Vergütung zu bemessen ist (§ 614 Satz 2 BGB). Fallen diese Zeitabschnitte in die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ist § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO einschlägig.
Während die gesetzliche Vorschrift des § 38 InsO Ausfluss des in § 1 Satz 1 InsO formulierten Ziels des Insolvenzverfahrens ist, dh. die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger bezweckt und als den Regelfall vorsieht, hat § 55 InsO Ausnahmecharakter. Speziell § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO bringt mit dem Wort “für” zum Ausdruck, dass es bei den gemäß § 53 InsO vorweg aus der Insolvenzmasse zu berichtigenden Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen nicht allein auf die vereinbarte Leistungszeit, sondern auf die Zwecksetzung ankommt. Es genügt nicht, dass die Verbindlichkeiten “in der Zeit” nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt werden müssen.
3. Für die Einordnung als Masse- oder Insolvenzforderung ist entscheidend, ob es sich bei der Zahlungsforderung des Arbeitnehmers um eine Leistung mit Entgeltcharakter handelt. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO und aus dessen systematischem Zusammenhang mit der Regelung des § 108 Abs. 2 InsO aF (mWv. 1. Juli 2007 § 108 Abs. 3 InsO). Grundsätzlich können nur solche Leistungsansprüche, die in einem zumindest teilweise synallagmatischen Verhältnis zu der erbrachten Arbeitsleistung stehen, als Masseforderung anerkannt werden, weil sie eine Gegenleistung für die der Masse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugute gekommene Arbeitsleistung darstellen. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Einordnung von Vergütungsansprüchen einschließlich der Aufstockungsbeträge in Altersteilzeitarbeitsverhältnissen (vgl. 23. Februar 2005 – 10 AZR 600/03 – AP InsO § 108 Nr. 1 = EzA InsO § 55 Nr. 7; 19. Oktober 2004 – 9 AZR 645/03 – NZA 2005, 527). Entscheidend ist somit, ob ein Entgelt im weitesten Sinne für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschuldet wird. Auch Gegenleistungen wie zB Gratifikationen, die nur vom Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Stichtag abhängen, fallen darunter (vgl. MünchKommInsO-Hefermehl 2. Aufl. § 55 Rn. 168).
4. Abfindungen sind in der Regel kein Entgelt für nach Insolvenzeröffnung erbrachte Arbeitsleistungen, sondern stellen einen Ausgleich für durch den Verlust des Arbeitsplatzes entstehende Nachteile und/oder eine Honorierung der Zustimmung des Arbeitnehmers zur vorzeitigen Vertragsauflösung dar. Der Anspruch auf eine solche Abfindung, welcher vor Insolvenzeröffnung vereinbart wurde, ist auch dann nur einfache Insolvenzforderung iSv. § 38 InsO und keine Masseschuld, wenn er erst nach Insolvenzeröffnung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht (Kübler/Prütting InsO Stand Oktober 2007 § 55 Rn. 56; MünchKommInsO-Hefermehl § 55 Rn. 181). Dies hat der Erste Senat zu dem Anspruch auf Abfindung aus einem vor Konkurseröffnung abgeschlossenen Sozialplan entschieden (vgl. 27. Oktober 1998 – 1 AZR 94/98 – AP KO § 61 Nr. 29 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 102; ebenso 6. Dezember 1984 – 2 AZR 348/81 – AP KO § 61 Nr. 14 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 17). Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn die Vertragsparteien – wie vorliegend – die Entstehung der Abfindungsforderung nicht erst für den Zeitpunkt des Ausscheidens vorsehen, sondern zeitlich vorziehen. Für die Einordnung als Masseverbindlichkeit iSv. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO müsste sich aus einem gegenseitigen Vertrag ergeben, dass die vereinbarte “Abfindung” in Wahrheit anderen Zwecken dient, nämlich doch eine synallagmatische Verknüpfung zur Arbeitsleistung bzw. im weiteren Sinn zum Bestand des Arbeitsverhältnisses aufweist. Enthält der Vertrag sowohl Hinweise auf herkömmliche Abfindungszwecke als auch auf eine synallagmatische Verknüpfung, müsste angesichts des Regel-Ausnahme-Verhältnisses von § 38 InsO und § 55 InsO die letztere Zwecksetzung überwiegen, um die zugesagte Leistung als Masseverbindlichkeit einordnen zu können.
5. Der Altersteilzeitvertrag nimmt Bezug auf die Regelung in Ziff. 13 der Betriebsvereinbarung zur Altersteilzeit vom 19. Juli 2000. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut “in analoger Anwendung des Punkts 13. der Vereinbarung” in § 5 Abs. 2 des Altersteilzeitvertrages. Damit ist der Wortlaut, die Systematik und der Regelungszweck der Betriebsvereinbarung bei der Vertragsauslegung maßgeblich zu berücksichtigen. Nach dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung erhält der Mitarbeiter während des Altersteilzeitverhältnisses für den Verlust des Arbeitsplatzes monatlich eine Abfindungsaufzahlung von 600,00 DM. Dass die Betriebsparteien diese als echte Abfindung angesehen haben, ergibt sich auch aus Ziff. 13 Satz 2 der Betriebsvereinbarung, wonach dem Altersteilzeitmitarbeiter “weitere Abfindungszahlungen” nicht zustehen. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass kein ausreichender Anhaltspunkt dafür ersichtlich ist, dass die Vertragsparteien entgegen der klaren Bezugnahme auf Ziff. 13 der Betriebsvereinbarung und entgegen der dortigen klaren Bezeichnung als Abfindungsanspruch für den Verlust des Arbeitsplatzes gleichwohl eine Regelung mit Entgeltcharakter hätten vereinbaren wollen. Die Klagepartei hat auch selbst eingeräumt, dass die Altersteilzeitverträge ohne eine Abfindungsregelung für die betroffenen Arbeitnehmer nicht abgeschlossenen worden wären, weil diesen die üblichen Altersteilzeitleistungen nicht ausgereicht hätten. Damit ist zwischen den Parteien unstreitig, dass es sich bei der Abfindung letztlich um nichts anderes als eine Gegenleistung für die Zustimmung der Arbeitnehmer zum Abschluss der Altersteilzeitverträge und damit zur vorzeitigen Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse handelt.
a) Dem steht nicht entgegen, dass die Parteien vorliegend eine für Abfindungen untypische Regelung zur Bemessung der Abfindungshöhe und zur Auszahlung getroffen haben. Es entspricht zwar nicht der typischen Regelung von Abfindungen, wenn diese – wie hier – bereits vor dem Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dazu monatlich mit gleichbleibenden Beträgen ausgezahlt werden und sich die Höhe insbesondere nicht nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit, sondern nach der Dauer des Altersteilzeitvertrages richtet. Beides ändert jedoch nichts an dem im Wortlaut der vertraglichen Regelung zum Ausdruck gekommenen Willen der Vertragsparteien, eine Abfindung und nicht Entgelt zu regeln. Darüber hinaus ist in der Protokollnotiz zur Betriebsvereinbarung der Abfindungsbetrag auf maximal 25.200,00 DM der Höhe nach gedeckelt worden. Dies ist typisch für eine Abfindungsregelung.
b) Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 1. September 2006 selbst ausgeführt, dass die vertragsschließenden Parteien mit der Regelung in § 5 Abs. 2 des Altersteilzeitvertrages weder eine Schwarzgeldabrede noch eine Nettolohnvereinbarung treffen wollten und dass auch den Betriebsparteien bei Abschluss der Betriebsvereinbarung mit der entsprechenden Regelung unter der Ziff. 13 der Betriebsvereinbarung der gleiche Regelungswille unterstellt werde. Damit ist – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat – kein ausreichender Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass die vertragsschließenden Parteien trotz der eindeutigen Bezeichnung des Anspruchs als Abfindung gleichwohl inhaltlich einen Entgeltanspruch regeln wollten.
c) Das gefundene Auslegungsergebnis wird durch die Systematik des Altersteilzeitvertrages gestützt. Die Vertragsparteien haben in § 4 und § 5 des Altersteilzeitvertrages sehr genau zwischen den verschiedenen Leistungsansprüchen unterschieden. In § 4 des Altersteilzeitvertrages ist das Arbeitsentgelt geregelt, in § 5 Abs. 1 des Altersteilzeitvertrages der Aufstockungsbetrag und in § 5 Abs. 2 des Altersteilzeitvertrages der Abfindungsanspruch. Die Regelung zum Aufstockungsbetrag in § 5 Abs. 1 des Altersteilzeitvertrages nimmt ausdrücklich auf die Arbeitsentgeltregelung unter § 4 Bezug. Damit ist erkenntlich, dass es sich bei dem Aufstockungsbetrag um einen Entgeltbestandteil handelt, während die geregelte Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes nicht als Entgelt vereinbart wurde.
d) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht ferner darauf hingewiesen, dass die in dem Altersteilzeitvertrag wie in der Betriebsvereinbarung geregelte Abfindung in keiner Weise von einer erbrachten Arbeitsleistung abhängig gemacht wurde. Die Abfindung wäre an den Kläger auch dann monatlich weiter auszuzahlen gewesen, wenn er entschuldigt oder unentschuldigt keine Arbeitsleistung erbracht hätte, zB für die über den Entgeltfortzahlungszeitraum nach § 3 EFZG hinausgehende Zeit einer etwaigen Arbeitsunfähigkeit. Dies ist der Unterschied zu den Aufstockungsleistungen, die beispielsweise bei unentschuldigten Fehlzeiten des Arbeitnehmers nicht zu zahlen wären und nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums nur bei kollektiv- oder einzelvertraglicher ausdrücklicher Regelung fortgezahlt werden müssten.
e) Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger die Abfindungszahlungen auf Grund der ratierlichen Auszahlungsweise unmittelbar zum Bestreiten des Lebensunterhalts während des noch laufenden Altersteilzeitverhältnisses verwendet hat. Wie eine Leistung von dem Zahlungsempfänger tatsächlich verwendet wird, hat keinen Einfluss auf ihren Rechtscharakter.
6. Soweit die Revision vorträgt, die Parteien hätten bei Abschluss des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses nicht lediglich eine besondere Fälligkeitsabrede getroffen, der Anspruch auf die Zahlung der Abfindung sei nicht schon mit Vertragsschluss, sondern Monat für Monat ratierlich entstanden, ist dem wiederum entgegenzuhalten, dass Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO voraussetzen, dass es sich um Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen handelt, soweit deren Erfüllung für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung setzt dies voraus, dass die Verbindlichkeiten jedenfalls im weiteren Sinne in einem Gegenseitigkeitsverhältnis während des Bestands des Arbeitsverhältnisses nach Insolvenzeröffnung stehen. Dies ist vorliegend nicht gegeben.
Die in § 5 Abs. 2 des Altersteilzeitvertrages iVm. Ziff. 13 der in Bezug genommenen Betriebsvereinbarung aufgeführte Abfindung hat mehrere Zwecke. Wie die Klagepartei selbst eingeräumt hat, war es Zweck der Abfindungsvereinbarung, ua. Arbeitnehmer dazu zu bewegen, in den Verlust ihres Arbeitsplatzes einzuwilligen. Die Abfindung dient ferner dem Zweck, die wirtschaftlichen Folgen des Verlustes des Arbeitsplatzes auszugleichen. Darüber hinaus hat die Abfindung auch den Zweck, eine Existenzsicherung des Arbeitnehmers während der Altersteilzeit zu bewirken. Bei gemischter Zwecksetzung ist aus den genannten Gründen auf die überwiegende Zwecksetzung abzustellen. Vorliegend steht der Abfindungscharakter im Vordergrund. Hierfür spricht der Wortlaut der Vereinbarung mit der Bezeichnung “Abfindungsaufzahlung”. Aus diesem ergibt sich jedenfalls keine überwiegende Zwecksetzung in Richtung auf eine synallagmatische Verknüpfung. Darüber hinaus haben die Betriebsparteien und die Parteien des Altersteilzeitverhältnisses die Inanspruchnahme der steuerrechtlichen Vergünstigungen einer Leistung mit Abfindungscharakter bezweckt. Wenn sie eine Vereinbarung über Entgelt hätten treffen wollen, hätte wie in § 4 des Altersteilzeitvertrages die Vereinbarung eines Bruttobetrages nahe gelegen.
Unterschriften
Fischermeier, Dr. Armbrüster, Linck, Kapitza, Reiner Koch
Fundstellen
Haufe-Index 1930926 |
BAGE 2009, 150 |
BB 2008, 787 |
DB 2008, 764 |