Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung nach Einigungsvertrag. Kündigungsfrist
Leitsatz (amtlich)
Bei einer Kündigung nach Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Einigungsvertrag richtet sich die Kündigungsfrist auch dann nach § 55 AGB-DDR, wenn einzelvertraglich eine längere Kündigungsfrist vereinbart war. Der darin liegende gesetzliche Eingriff in die vertraglich erworbene Rechtsposition des Arbeitnehmers ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 9, 20 Abs. 1; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 1, 4; AGB-DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. I S. 185) § 55; AGB-DDR i.d.F. vom 22. Juni 1990 (GBl. I S. 371) § 55; BAT-O § 53; Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte vom 29. November 1979 (GBl. I S. 444) § 9; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 20. November 1992 – 2 Sa 518/92 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
Die Parteien streiten nur noch um die Kündigungsfrist einer nach Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 3 der Anlage I zum Einigungsvertrag (künftig: Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 3 EV) ausgesprochenen Kündigung.
Die Klägerin war beruflich zunächst als Lehrerin tätig. Seit dem 1. September 1982 arbeitete sie als Fachschullehrerin beim Institut für Lehrerbildung in R…. Nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 2 März 1982 war die fristgemäße Kündigung “nur zum 31. August bzw. bei Nichteignung zum 28. Februar oder zum 31. August eines Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten möglich”.
Mit Schreiben vom 19. September 1991, welches der Klägerin am 27. September 1991 zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Oktober 1991, hilfsweise zum nächstmöglichen Kündigungstermin. Zur Begründung führte der Beklagte aus, das Institut für Lehrerbildung sei zum 31. August 1991 aufgelöst worden.
Auf die Kündigungsschutzklage der Klägerin hat das Arbeitsgericht entschieden, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung zum 31. März 1992 aufgelöst worden sei. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat nur der Beklagte Berufung eingelegt und die Feststellung begehrt, das Arbeitsverhältnis sei bereits mit Wirkung zum 30. November 1991 aufgelöst worden. Er hat geltend gemacht, der Beendigungszeitpunkt ergebe sich aus § 55 AGB-DDR. Die Kündigungsfrist des § 53 BAT-O sei trotz grundsätzlicher Geltung des BAT-O wegen des Vorrangs des Einigungsvertrags nicht einschlägig. Die einzelvertraglich vereinbarte Kündigungsfrist komme ebenfalls nicht zur Anwendung.
Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung des Beklagten stattgegeben und die Revision zugelassen. Mit dieser begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu abgewiesen, soweit die Klägerin den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 30. November 1991 hinaus geltend macht. Die Wirksamkeit der Kündigung ist im Anschluß an das Urteil des Arbeitsgerichts nicht mehr im Streit. Die maßgebende Kündigungsfrist ergibt sich aus § 55 Abs. 2 AGB-DDR.
1. Bei der Kündigung vom 19. September 1991 handelt es sich um die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung im Sinne von Nr. 1 Abs. 4 Satz 1 Ziff. 3 EV. Das steht auch zwischen den Parteien außer Streit. Für solche Kündigungen ordnet Nr. 1 Abs. 4 Satz 4 EV die Anwendung der Kündigungsfristen des § 55 AGB-DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. I S. 185), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Arbeitsgesetzbuches vom 22. Juni 1990 (GBl. I S. 371), an.
Das Landesarbeitsgericht hat entsprechend dem Antrag des Beklagten die zweimonatige Kündigungsfrist gem. § 55 Abs. 2, 1. Halbsatz, 2. Alternative AGB-DDR zugrunde gelegt. Die Klägerin ist hierdurch nicht beschwert. Für die Anwendung der dreimonatigen Kündigungsfrist zum Ende des Kalendervierteljahres hätte es eines zwanzigjährigen Bestands des Arbeitsvertrages nach Vollendung des 25. Lebensjahres der Klägerin bedurft. Diese Voraussetzungen sind vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt und von der Klägerin auch nicht vorgetragen worden.
2. Die Kündigungsfrist von drei Monaten zum Schuljahresende gem. § 9 der Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte vom 29. November 1979 (GBl. I S. 444), zuletzt geändert durch die zweite Verordnung zur Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte vom 25. Januar 1990 (GBl. I S. 24), findet demgegenüber keine Anwendung. Die Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte galt nach der Fußnote 1 zu ihrem § 1a) nicht für Fachschullehrer an Instituten für Lehrerbildung. Zudem gehörte die Bestimmung des § 9 nicht zu dem in Anlage II zum Einigungsvertrag aufgeführten DDR-Recht, das seit dem 3. Oktober 1990 als Bundesrecht weitergilt. Sie galt auch nicht gemäß Art. 9 EV als Landesrecht weiter, sondern war nach dem 2. Oktober 1990 nicht mehr anwendbar (Senatsurteile vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 128/93 – n.v., zu B V der Gründe; vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – zur Veröffentlichung bestimmt, zu B III der Gründe).
3. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß die Kündigungsfrist des § 53 Abs. 2 BAT-O nicht zum Zuge kommt. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und wird von der Revision nicht mehr gerügt. Gem. Nr. 1 Abs. 4 Satz 4 EV richten sich die Fristen für eine ordentliche Kündigung nach § 55 AGB-DDR. Tariflich vereinbarte längere Kündigungsfristen finden aufgrund der Regelung in Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 EV keine Anwendung. Das gilt auch für die längeren Kündigungsfristen gem. § 53 Abs. 2 BAT-O. § 53 Abs. 3 BAT-O stellt ausdrücklich klar, daß die Regelungen des Einigungsvertrages in Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 vorgehen (BAG Urteile vom 25. März 1993 – 6 AZR 252/92 – AP Nr. 14 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt; vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 613/92 – n.v., zu B III der Gründe; vom 17. Februar 1994, aaO; vom 28. April 1994, aaO).
4. Die im Arbeitsvertrag vom 2. März 1982 vereinbarte Kündigungsfrist einschließlich der besonderen Kündigungstermine ist ebenfalls nicht anwendbar.
a) Es bestehen bereits Bedenken, ob die an § 9 der Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte angelehnte Vereinbarung in vollem Umfang wirksam war.
Nach § 55 Abs. 1 AGB-DDR vom 16. Juni 1977 betrug die Kündigungsfrist mindestens zwei Wochen. Im Arbeitsvertrag konnten Kündigungsfristen bis zu drei Monaten und als Kündigungstermin das Monatsende vereinbart werden. Demgegenüber sollte die Kündigung der Klägerin nur zum 31. August eines Jahres, bei Nichteignung auch zum 28. Februar möglich sein. Die Klägerin gehörte nicht zu den Personengruppen, für die entsprechend § 55 Abs. 2 AGB-DDR in Rechtsvorschriften besondere Kündigungsfristen und -termine festgelegt waren. Die Fachschullehrerverordnung vom 26. Oktober 1978 (GBl. I S. 434) regelte die Kündigungsfristen nicht.
Soweit die Bindung an bestimmte Endtermine danach nicht wirksam vereinbart war, könnte sie doch durch die Neufassung des § 55 AGB ab dem 1. Juli 1990 rechtsgültig geworden sein. Der gesetzlichen Neuregelung lag das Günstigkeitsprinzip zugrunde. Wie sich schon aus § 55 n.F. AGB selbst ergibt, wurde eine privatautonome Gestaltung, die sich an die gesetzlichen Mindestregelungen hielt, nunmehr anerkannt. Zweifel könnten allenfalls an einer Anwendung der Norm auf Altverträge bestehen.
b) Die unter a) aufgeworfenen Fragen bedürfen keiner Entscheidung. Die Anwendung der vereinbarten Kündigungsfrist von drei Monaten und der besonderen Kündigungstermine ist (jedenfalls) nach Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 4 EV ausgeschlossen.
aa) Nach Art. 20 Abs. 1 EV i.V.m. Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 EV gelten für die beim Wirksamwerden des Beitritts in der öffentlichen Verwaltung der DDR beschäftigten Arbeitnehmer die bisherigen Arbeitsbedingungen mit den Maßgaben des Einigungsvertrags, insbesondere der Nr. 1 Absätze 2 bis 7 EV, fort. Diesen Maßgaben entgegenstehende oder abweichende Regelungen sind nicht anzuwenden (Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 EV). Regelungen in diesem Sinne sind auch einzelvertragliche Regelungen. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Norm. Deren Sinn und Zweck besteht zudem gerade darin, insbesondere den Absätzen 2 bis 7 Geltung zu verschaffen, d.h. ihnen in ihrem Regelungsbereich Vorrang einzuräumen (Senatsurteile vom 16. März 1994 – 8 AZR 688/92 – zur Veröffentlichung bestimmt, zu II 3b der Gründe; vom 28 April 1994 – 8 AZR 209/93 – zur Veröffentlichung bestimmt, zu I 2b der Gründe). Damit sind alle Arten von Regelungen betroffen, die der Einigungsvertrag vorgefunden hat; dessen Zielsetzung sollte gegen jede Form von Regelung geschützt werden.
bb) Vereinbarungen über verlängerte Kündigungsfristen stehen den in Nr. 1 Abs. 4 Satz 4 EV für anwendbar erklärten (kürzeren) Kündigungsfristen des § 55 AGB-DDR entgegen. Das gilt in gleicher Weise für die Vereinbarung besonderer Kündigungsendtermine. Diese betreffen denselben Regelungsbereich, nämlich die Frage, in welchem Zeitraum das Arbeitsverhältnis ordentlich gelöst werden kann. Die Anwendung der besonderen Kündigungsendtermine würde dazu führen, daß sich der Arbeitgeber von dem Arbeitnehmer durchweg nicht mit den vorgesehenen Fristen trennen kann.
cc) Der gesetzliche Eingriff in die vertraglich zumindest teilweise wirksam erworbene Rechtsposition des Arbeitnehmers ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Er beschränkt zwar die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie (Günstigkeitsprinzip) und die Freiheit der Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG. Jedoch ist dieser Eingriff geeignet und erforderlich, um die mit den Kündigungsregelungen für den öffentlichen Dienst im Einigungsvertrag verfolgten Zwecke zu erreichen. Dabei geht es nicht nur darum, die Trennung von politisch vorbelasteten Arbeitnehmern zu erleichtern, Personal einzusparen und den raschen Aufbau einer leistungsfähigen Verwaltung zu gewährleisten. Zusätzlich ist zu beachten, daß eine einheitliche und gerechte Behandlung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes angesichts etwaiger “Privilegien” stattfindet und die übernommene wirtschaftliche Belastung der öffentlichen Hand einigermaßen klar abgeschätzt werden kann. Vertragliche Regelungen über Unkündbarkeit, längere Kündigungsfristen oder sonstige Erschwerungen von Kündigungen im Regelungsbereich von Nr. 1 Abs. 4 EV würden das überragend wichtige Gemeinschaftsgut einer möglichst rasch funktionsfähigen, nach rechtsstaatlichen Maßstäben arbeitenden öffentlichen Verwaltung (vgl. BVerfGE 84, 133, 151 f.) gefährden. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist gewahrt, weil grundsätzlich die gesetzlich Kündigungsfrist nach § 55 AGB-DDR in der Fassung vom 22. Juni 1990 Anwendung findet, die für den Arbeitnehmer günstiger ist als die Frist nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AGB a.F.
5. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Unterschriften
Dr. Wittek, Müller-Glöge, Mikosch, Fox, Morsch
Fundstellen
Haufe-Index 856781 |
NZA 1995, 630 |